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Neue Solidarität
Nr. 26, 29. Juni 2023

50 Jahre im Kampf gegen den geheimen Sicherheitsstaat

Zum Tode von Daniel Ellsberg

In einem Interview mit Politico (4.6.), weniger als zwei Wochen vor seinem Tod am 16. Juni, bewies Daniel Ellsberg, daß weder die tödliche Krebserkrankung noch sein über fünf Jahrzehnte andauernder Kampf gegen ein korrumpiertes Militär- und Geheimdienst-Establishment sein Engagement für Frieden und Gerechtigkeit oder seine Leidenschaft für die Wahrheit trüben konnten.

In dem Interview wirft Ellsberg der US-Regierung vor, sie leite ein „verdecktes Imperium“ auf der Welt, das in der Kontrolle der USA über die NATO zum Ausdruck kommt. Er glaube, daß Washington mit der NATO-Osterweiterung Präsident Putin bewußt zum Einmarsch in die Ukraine provoziert hat. Er zitierte George Kennan, einen der geistigen Väter des Kalten Krieges, der 1998 die NATO-Erweiterung einen „tragischen Fehler“ nannte, der die Russen zu einer „ziemlich negativen Reaktion“ veranlassen würde.

Ellsberg betrat am 13. Juni 1971 die Bühne der Öffentlichkeit, als die ersten „Pentagon-Papiere“ in der New York Times erschienen. Es handelte sich um rund 7000 Seiten mit Berichten über den Vietnamkrieg, darunter sowohl historische Analysen als auch Regierungsdokumente, die eine 1967 von Verteidigungsminister Robert McNamara eingerichtete Arbeitsgruppe zusammengestellt hatte. Auffallend war die Diskrepanz zwischen den optimistischen öffentlichen Berichten der Kriegsbefürworter und den wahrheitsgemäßen Eingeständnissen in vertraulichen Dokumenten, daß der Krieg nicht gewonnen werden konnte.

Ellsberg sagte später, er habe nicht zulassen können, daß die Lügen, die sie erzählten, unwidersprochen blieben. So hätten beispielsweise die Planer im Pentagon gewußt, daß Ho Chi Minh eine populäre Figur war und die Brutalität der amerikanischen Kriegsführung gegen die vietnamesische Zivilbevölkerung seine Popularität nur noch steigerte.

Die Papiere enthielten auch Einzelheiten über den Verlust an Menschenleben und die Zerstörungen durch den Krieg und enthüllten verschiedene geheimgehaltene Operationen.

Ellsberg, ein Militärveteran, der bei der RAND Corporation angestellt war, hatte das militärische Engagement der USA in Vietnam zunächst befürwortet, sich dann aber dagegen gewandt und war zu dem Schluß gekommen, daß er nicht mehr schweigen konnte. Nachdem er die von McNamaras Task Force zusammengestellten Dokumente kopiert hatte, versuchte er, mehrere Kongreßabgeordnete zu bewegen, sie im Kongreß zu verlesen, aber keiner wollte es tun. Also wandte er sich an die Presse, in dem Wissen, daß er damit eine lange Haftstrafe riskierte.

Kampf für die Wahrheit und gegen Zensur

Die Veröffentlichung der Papiere hatte sofort eine explosive Wirkung. Die Nixon-Regierung erwirkte umgehend ein gerichtliches Verbot der Veröffentlichung gegen die New York Times und startete eine massive Verleumdungskampagne gegen Ellsberg – Henry Kissinger nannte ihn einen „Kreml-Agenten“. Das Weiße Haus organisierte sogar einen Einbruch bei seinem Psychiater, um belastende Informationen zu finden.

Dieses erste Gerichtsurteil beruhte auf dem Konzept des „prior restraint“: Zeitungen müßten bei der Veröffentlichung von Beiträgen, die dem nationalen Interesse schaden könnten, prinzipiell „Zurückhaltung“ üben – was Ellsberg als „Vorab-Zensur“ anprangerte. Trotz der massiven juristischen Bemühungen, den Abdruck in der NY Times zu verhindern, entschloß sich die Washington Post nach dem Urteil, die Papiere zu veröffentlichen, und schließlich konnte die NY Times ein Urteil des Obersten Gerichtshofs erwirken, das ihr erlaubte, die Veröffentlichung fortzusetzen.

Dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs in der Rechtssache „NY Times Company gegen die Vereinigten Staaten“ war bahnbrechend. Mit 6:3 Stimmen lehnten die Richter die Anwendung des prior restraint zur Unterdrückung der Dokumente ab. In der Begründung hieß es sogar: „Jeder Augenblick, in dem die Verfügungen gegen die Zeitungen aufrechterhalten werden, stellt eine eklatante, nicht zu rechtfertigende und andauernde Verletzung des Ersten Verfassungszusatzes dar“, d.h. der Pressefreiheit.

Am 23. Juni, zehn Tage nach der Veröffentlichung der ersten Seiten in der NY Times, wurde Ellsberg von CBS-News interviewt. Auf die Frage des renommierten Nachrichtenmoderators Walter Cronkite, was die Dokumente zeigten, antwortete Ellsberg: „Daß unsere Beamten sich niemals Gedanken über die Auswirkungen unserer Aktionen auf die Vietnamesen gemacht haben.“ (Dasselbe gilt heute für die westlichen Kriegsfanatiker, die sich weigern, über ein Ende des Ukrainekriegs zu verhandeln, und weiter Waffen und Geld in den Kampf gegen Rußland pumpen, was zu immer mehr Opfern auf beiden Seiten führt, obwohl sie insgeheim zugeben, daß der Krieg nicht zu gewinnen ist.)

Ellsberg entging knapp einer Haftstrafe, weil das Verfahren wegen Fehlverhaltens der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Später sagte Ellsberg, er bedauere es, daß er nicht schon früher gehandelt habe, um das Leben vieler Vietnamesen und Amerikaner in diesem Krieg zu retten.

Seine Kampagne gegen geheime Machenschaften der Regierung setzte er sein Leben lang fort. Schon in dem Interview mit Cronkite zweifelte er grundsätzlich an der Berechtigung der Geheimhaltung so vieler Aktivitäten des nationalen Sicherheitsstaats: „Ich denke, wir dürfen nicht zulassen, daß Beamte der Exekutive über unsere Köpfe hinweg entscheiden, ... was die Öffentlichkeit darüber wissen muß, wie gut und wie sie ihre Aufgaben erfüllen.“

Er verurteilte die nationale Sicherheitspolitik aller Präsidenten, besonders George Bush Junior wegen der Lügen, die zum Irakkrieg führten, und Barack Obama wegen seiner Angriffe auf Whistleblower. Unter Obama, der sich gerne mit einer besonders „transparenten“ Regierung brüstete, wurden acht Whistleblower nach einem uralten obskuren Spionagegesetz verfolgt. Ellsberg lobte Menschen wie Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden, und er war Mitinitiator einer Stiftung für Pressefreiheit, die gegen Lügen und Zensur des Sicherheitsstaates kämpft.

Ein weiterer wichtiger Beitrag war seine vernichtende Kritik an denjenigen, die Pläne für Atomkriege ausarbeiten – woran er während seiner Zeit bei RAND selbst beteiligt gewesen war. 2017 schrieb er das Buch The Doomsday Machine – Confessions of a Nuclear War Planner („Die Weltuntergangsmaschine – Bekenntnisse eines Atomkrieg-Planers“), worin er vor der Atomkriegsgefahr warnt. In den letzten Tagen seines Lebens äußerte er die Sorge, daß der NATO-Krieg in der Ukraine zu einem Atomkrieg führen könnte, der die Menschheit auslöscht.

Harley Schlanger