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Neue Solidarität
Nr. 24, 15. Juni 2023

Delegation des Schiller-Instituts besucht China

Eine fünfköpfige Delegation des Schiller-Instituts unter der Leitung von Helga Zepp-LaRouche ist Ende Mai von einer einwöchigen Chinareise zurückgekehrt. Die Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich und Schweden konnten viele Eindrücke über die Entwicklungen in Chinas Hauptstadt Peking sammeln und viele neue Kontakte knüpfen. Alle Gesprächspartner während des Aufenthalts interessierten sich sehr für die politische und strategische Sichtweise der Europäer angesichts des Ukraine-Konflikts, der labilen weltwirtschaftlichen Lage und anderer drängender Probleme der strategischen Situation. Besonders wichtig war den Chinesen die Frage, wie sich die Europäer zur geforderten „Entkopplung von China“ (Decoupling) positionieren würden, bzw. ob und wie der von der EU gewählte Begriff der „Risikominimierung“ (De-Risking) davon zu unterscheiden sei.

Natürlich stand bei den zahlreichen Gesprächen auch vielfach die Frage im Raum, ob die Europäer angesichts der für sie schmerzlichen wirtschaftlichen Folgen der Sanktionspolitik der USA/NATO gegenüber Rußland keine eigenständigere Entwicklungsstrategie wählen würden, die die negativen Auswirkungen der Konfrontationen innerhalb Europas in irgendeiner Form abfangen oder gar kompensieren könnte. Es sei aus chinesischer Perspektive schwer zu verstehen, warum vor allem Deutschland diesen Kurs nach wie vor beinahe sklavisch einhalte, ohne eine vernünftige Antwort auf die Negativfolgen dieser Politik zu finden.

Frau Zepp-LaRouche betonte deshalb mehrfach, daß die Politik der NATO, der USA, Großbritanniens, aber auch der EU eine Deindustrialisierung Deutschlands und der anderen Industriestaaten Kontinentaleuropas auszulösen drohe und daß die deutsche Regierung unter Federführung der grünen Außen- und Wirtschaftsministerien explizit an diesem destruktiven Kurs beteiligt sei. Der gegenwärtige Kurs der europäischen Politik verstoße um so mehr gegen die ureigensten Interessen der europäischen Staaten, als das wirtschaftliche Momentum ganz klar in Asien und bei den Staaten liege, die mit der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) zusammenarbeiten. Die Nationen des Globalen Südens befänden sich in einer beispiellosen Aufbruchsstimmung und seien entschlossen, den faktisch immer noch fortbestehenden Kolonialismus mit der Hilfe Chinas zu überwinden. Wenn sich Europa von dieser Entwicklung abkopple, zerstöre es zugleich seine eigene Zukunft.

Die geopolitische Strategie des Westens werde von einer transatlantischen Oligarchie verfolgt, die den Status einer unipolaren Weltordnung aufrecht erhalten wolle, obwohl diese in der Realität längst durch eine multipolare Ordnung abgelöst worden sei. Zepp-LaRouches verstorbener Ehemann Lyndon LaRouche hatte bereits vor über 50 Jahren auf die systemischen Fehler des neoliberalen Systems hingewiesen und die derzeitige Krise prognostiziert. Für viele Länder insbesondere in der südlichen Hemisphäre sei jedoch erst seit dem wirtschaftlichen Erstarken Chinas und dessen Angebot der Wirtschaftshilfe an andere Staaten im Rahmen der BRI eine Alternative entstanden, moderne Technologien und Infrastruktur in deren Länder und Volkswirtschaften zu holen, ohne sich dem Diktat des IWF und Washingtons „regelbasierter Ordnung“ unterwerfen zu müssen.

Fortschritt für ländliche Gebiete

Dieses wirtschaftliche, technologische, aber auch gesellschaftlich-kulturelle Erstarken Chinas war von den Teilnehmern dieser Reise an allen Ecken und Enden ihrer Besichtigungen, Gespräche und Erkundigungen regelrecht mit Händen zu greifen! Als grundsätzlich verbindendes Element der Herangehensweise der chinesischen Bevölkerung war zu beobachten, daß sich der absolute Wille, alles ans Laufen zu bringen und stetig zu verbessern, überall manifestierte. Bereits beim Bau einer neuen Industrieanlage, eines neuen Kulturzentrums oder gleich eines gesamten neugeplanten Stadtviertels wird der Blick darauf gerichtet, was beim nächsten ähnlichen Projekt optimiert werden könne. Und obwohl so gut wie alles, was den Gästen von ihren chinesischen Gastgebern gezeigt und erklärt wurde, gerade erst fertiggestellt oder sogar noch im Aufbau begriffen war, konnte die Anknüpfung an die jahrtausendealte Geschichte und die Einbeziehung auch des verstecktesten Winkels des Hinterlandes und der kleinsten Minderheit innerhalb des Riesenreiches immer durchscheinen.

Derzeit scheint eine Phase der „Modernisierungs- und Öffnungsstrategie“ der chinesischen Führung eingeleitet worden zu sein, in der es hauptsächlich darum geht, die grundlegenden Aufbauerfolge der letzten 40 Jahre zu konsolidieren und weiter auszubauen. Beispielsweise wird nun verstärkt versucht, die wirtschaftliche Dynamik mittels Digitalisierung und Infrastrukturverbesserung auch in die ländlichen Gebiete hineinzutragen, um einerseits den Wanderarbeiterdruck auf die Metropolzentren zu reduzieren, andererseits aber auch die technologische, finanzielle und kulturelle Schere zwischen Stadt und Land zu verringern. Außerdem wird verstärkt daran gearbeitet, die modernsten Errungenschaften der letzten Jahre nutzbringend in den Alltag des 1,4-Milliarden-Volkes zu integrieren.

Für den normalen Pekinger Bürger stellt sich das in etwa folgendermaßen dar: Mit seinem Smartphone plant er seine Geschäftsmeetings, läßt über WeChat seine Arbeitskollegen wissen, wo er gerade was macht, bestellt und bezahlt in einem Vorgang sein Mittagessen im Bistro/Restaurant seiner Wahl und läßt sich dieses auch gleich an einen bestimmten Punkt bringen, an dem er zu einem bestimmten Zeitpunkt essen möchte. Alles ist über die Cloud miteinander vernetzt; auch das eigene Konto und der Paß.

Dies mag uns Europäern reichlich naiv und der Horrorvorstellung des gläsernen Bürgers sehr nahe kommend erscheinen. Für den Chinesen ist dies jedoch so selbstverständlich, daß er sich überhaupt keine Gedanken darüber macht. Wenn man ihn darauf anspricht, ob er sich nicht überwacht fühle, antwortet er einfach: Das sei doch die Aufgabe der digitalisierten Welt, alles zu vernetzen! Sorgen darüber, ob diese Überwachung auch negative oder gar schädliche Auswirkungen auf ihn haben könnte, macht er sich kaum; dies ist sicherlich auch im Werdegang der chinesischen Geschichte der letzten Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte begründet. Darüber hinaus ist das Vertrauen in die Führung, dem Wirken fürs Gemeinwohl alles andere unterzuordnen, sehr ausgeprägt. Dies ist wiederum für uns Europäer angesichts unserer politischen Führungen schwer zu verstehen.

Die fruchtbaren Gespräche und Kontakte mit Chinesen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sollen nun fortgesetzt und intensiviert werden. Eine erste Gelegenheit dazu bot bereits letzte Woche ein deutsch-chinesischer Internet-Dialog.

Christoph Mohs