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Neue Solidarität
Nr. 21-22, 25. Mai 2023

Brasilien ist zurück!

Von Marcos de Oliveira

Marcos de Oliveira ist Herausgeber der brasilianischen Wirtschaftszeitung Monitor Mercantil. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Ich grüße alle Teilnehmer der Konferenz und danke dem Schiller-Institut für die Einladung zur Teilnahme an diesem wichtigen Treffen.

Die Welt befindet sich in einer angespannten und intensiven Phase. Die Weltordnung, die auf dem Dollar und der Vorherrschaft des Finanzkapitalismus mit der Dominanz des anglo-amerikanischen Imperiums aufbaut, wird von neuen und alten Akteuren in Frage gestellt. Noch wichtiger ist, daß diese Ordnung unter ihren eigenen Widersprüchen zusammenbricht.

Bei einem kürzlichen Besuch in Rußland betonte der chinesische Präsident Xi Jinping, daß wir Veränderungen erleben, wie wir sie seit hundert Jahren nicht mehr gesehen haben. „Und wir treiben diese Veränderungen gemeinsam voran“, sagte Xi zu Putin.

„Die Krise besteht gerade darin, daß das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann; in diesem Interregnum zeigen sich die verschiedensten Krankheitssymptome“, schrieb Antonio Gramsci.

Lassen Sie uns ein wenig über die Rolle Brasiliens und seinen Beitrag zur Entwicklung der Welt auf ein neues Niveau sprechen.

Zunächst ist es wichtig, sich die jüngsten politischen Entwicklungen in Brasilien vor Augen zu führen. Seit Lula zum ersten Mal gewählt wurde und 2003 sein Amt antrat – und obwohl er nie radikale Veränderungen in der wirtschaftlichen und politischen Führung durchgesetzt hat –, leidet er unter einer Kampagne der Destabilisierung.

2005 machten die Konzernmedien auf den sogenannten „Mensalão“ aufmerksam, eine monatliche Zahlung an die Parlamentarier zur Genehmigung von Regierungsprojekten.

Die Angriffe verschärften sich in der zweiten Amtszeit, die 2007 begann und von Fortschritten in der Wirtschaftspolitik als Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008 geprägt war. Unter der Nachfolgerin Dilma Rousseff im Präsidentenamt fanden die Aktionstage vom Juni 2013 statt, eine Art „Farbrevolution“, gefolgt von der Operation Lava Jato, einem Angriff mit mehreren Zielen, der größtenteils in den Vereinigten Staaten geplant wurde.

Die Folge dieser Angriffe war der Putsch gegen Dilma Anfang 2016. Von da an kam es zu Rückschlägen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Arbeit und soziale Rechte. Die Autonomie der Zentralbank wurde genehmigt, wodurch die Wirtschaftspolitik vor Änderungen an der Wahlurne geschützt wurde.

Es waren also 20 Jahre der Angriffe. Lulas Sieg 2022 und sein Amtsantritt 2023 finden in einem anderen Kontext statt, mit weniger Unterstützung und weniger Handlungsspielraum. Er muß sich mit steuerlichen und finanziellen Zwängen auseinandersetzen, mit einem feindlich gesinnten Kongreß – in dem der Sprecher eine enge Verbindung zu den spekulativsten Bankern hat – und mit einem Putschversuch am 8. Januar.

Letztere Tatsache ist bemerkenswert, denn sie eröffnet einerseits die Möglichkeit, gegen die Kräfte des Systems zu kämpfen, die bei den Wahlen besiegt wurden, andererseits ist sie ein Damoklesschwert über dem Haupt der Regierung. Die Eskalation der Handlungen gegen die gewählte Regierung trägt die Handschrift der USA, ebenso wie der Rückzug des brasilianischen Militärs bei der Unterstützung des Putsches – ein Rückzug, der in Anbetracht der Position der US-Regierung erfolgte.

Die Partnerschaft mit China

Lula wird von innen und außen unter Druck gesetzt. Angesichts dessen und der Ereignisse in der Welt erscheint die Suche nach einer internationalen Lösung als eine grundlegende Alternative für die neu vereidigte Regierung. Ebenso wird die Rückkehr Brasiliens auf die Weltbühne begrüßt, aber auch von den Oppositionspolen, die sich gebildet haben, angefochten.

Man beachte, daß Lula als erstes in die Vereinigten Staaten reiste, ein politisches Engagement mit geringem wirtschaftlichem Nutzen, und dann nach China. Die Reise in das Land von Xi Jinping mußte aufgrund von Lulas gesundheitlichen Problemen verschoben werden. Die neue Agenda, die in kürzester Zeit aufgestellt wurde, zeigt jedoch, welche Bedeutung beide Länder dem Treffen beimessen.

Für Brasilien ist die Partnerschaft mit China sowohl eine Chance als auch eine Notwendigkeit. Sie ermöglicht politische Vorteile und öffnet die Tür für Investitionen, die zur Überwindung interner Zwänge notwendig sind, wozu Lula weder die Kraft noch den Willen zu haben scheint. Wenn die Investitionen in der von der Regierung erwarteten Höhe und Form erfolgen, könnten sie die Werte verdoppeln, die die Regierung Lula in vier Jahren zu investieren hat.

Lula sagte: „Ich möchte, daß die Chinesen verstehen, daß ihre Investitionen hier hochwillkommen sind. Aber nicht, um unsere Unternehmen zu kaufen... Was wir brauchen, ist nicht der Verkauf der Vermögenswerte, die wir haben, sondern der Aufbau neuer Vermögenswerte. Das ist es, wovon ich meine Freunde in China überzeugen möchte.“

Die Partnerschaft mit China ist strategisch, wirtschaftlich und technologisch. Zu den bereits unterzeichneten oder noch umzusetzenden Abkommen gehören Landwirtschaft, erneuerbare Energien, 6G, Internet, Telekommunikation und die Unterstützung brasilianischer Start-ups in China.

Noch wichtiger ist, daß die Reise das Bekenntnis Brasiliens zur Gürtel- und Straßeninitiative (Belt and Road Initiative, BRI) markieren soll, die China erwartet, wenn es zu Investitionen beitragen will.

Für die Chinesen ist Brasilien aufgrund seiner Führungsrolle in Lateinamerika von strategischer Bedeutung. Im Jahr 2022 investierte China 8,4 Milliarden US-Dollar in Europa, 4,7 Milliarden Dollar in den USA und zwischen 7 und 10 Milliarden Dollar in Lateinamerika. Allein Brasilien hatte 2021 5,9 Milliarden Dollar von den Chinesen erhalten. Der chinesische Präsident Xi Jinping hat Lateinamerika seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 bereits elf Mal besucht. Zwischen 2000 und 2022 ist der Handel zwischen China und Lateinamerika um das 26-fache gestiegen.

Um den Einfluß des Dollars zurückzudrängen, wurde im März ein Abkommen zwischen der brasilianischen und der chinesischen Regierung bekanntgegeben, das es Exporteuren ermöglicht, Geschäfte ohne die amerikanische Währung zu tätigen. Die Bocom BBM Bank – ein traditionelles brasilianisches Finanzinstitut, in dem starke chinesische Banken das Sagen haben – wurde als erstes Finanzinstitut in Lateinamerika in das grenzüberschreitende Interbank-Zahlungssystem CIPS aufgenommen.

Laut einem Bericht der Zentralbank von Ende 2022 hat der Yuan den Euro überholt und ist nun die zweitwichtigste Währung in den internationalen Reserven Brasiliens. Der Yuan macht 5,37% der Gesamtreserven aus und übertrifft damit den Anteil des Euro, der 4,74% beträgt. Der Dollar dominiert weiterhin und macht 80,42% aus.

Noch wichtiger ist die Einigkeit der BRICS-Staaten. Obwohl die Idee einer digitalen Währung für Transaktionen der Länder des Blocks noch in den Kinderschuhen steckt und Rußland mehr Interesse zeigt als andere Länder, stellen die BRICS eine wichtige wirtschaftliche und geopolitische Kraft dar, die sich dem US/NATO-Block entgegenstellt. Auf seiner Reise nach China betonte Lula die Bedeutung einer Alternative zum Dollar für den Handelsaustausch zwischen den BRICS-Staaten.

Die Russische Akademie arbeitet an einem Entwurf für ein internationales Abkommen zur Einführung einer neuen Weltwährung für Finanzabrechnungen, die auf modernen Technologien wie Blockchain basiert und mit den nationalen Währungen der teilnehmenden Länder und den handelbaren Gütern, die deren Wert bestimmen, verbunden ist. Ein ähnliches Konzept wurde kürzlich in einem Artikel des brasilianischen Finanzministers Fernando Haddad und der Nummer zwei im Ministerium, Gabriel Galipolo, vorgestellt.

Ein schwieriger Übergang

Der von den Vereinigten Staaten angeführte Block wird der Belagerung des Dollars nicht tatenlos zusehen. Die herrschende Elite in den Kernländern versucht, Veränderungen zu verhindern und andere Länder nicht in die „falsche“ Richtung laufen zu lassen. Brasilien wurde im Mai erneut zur Teilnahme am G7-Treffen in Japan eingeladen (das letzte Mal war es 2009, während der zweiten Lula-Regierung).

Wie eingangs erwähnt, werden die USA in Brasilien immer in der Lage sein, Drohungen auszusprechen, die die Lula-Regierung in die Enge treiben.

In der sich abzeichnenden neuen Weltordnung muß Brasilien seine Politik der Blockfreiheit beibehalten und versuchen, die globalen Widersprüche zu nutzen. Für David Deccache, Wirtschaftswissenschaftler an einer brasilianischen Bundesuniversität (UFF) und parlamentarischer Berater, garantiert das Abkommen mit China eine Diversifizierung des geopolitischen Risikos für Brasilien, da es nicht mehr nur ein, sondern zwei optionale Systeme für seine Operationen hat. Somit ist Brasilien nicht mehr vollständig der Hegemonie des Dollars unterworfen.

Der republikanische US-Senator aus Florida, Marco Rubio, hat gewarnt, die Annäherung zwischen Brasilien und China sei ein weiteres Zeichen für die „Entdollarisierung“ der Welt. Der Niedergang des Dollars und die Suche nach Alternativen sind größtenteils auf die US-Sanktionen gegen Rußland zurückzuführen, in deren Rahmen russische Guthaben in Höhe von rund 300 Milliarden Dollar von westlichen Banken eingefroren wurden.

Die USA sind in der Vergangenheit gegen Länder in den Krieg gezogen, die die Hegemonie des Dollars in Frage stellten, wie z.B. der Irak und Libyen. Gegenwärtig führen sie über die Ukraine einen Krieg gegen Rußland, mit Zielen, die über die Bestrafung für die Infragestellung des Dollars hinausgehen, insbesondere will man die Vorherrschaft über Westeuropa erhalten.

Präsident Lula hat auf der Weltbühne den Vorschlag unterbreitet, eine Gruppe für den Frieden zu bilden, und er wird bei Xi Jinping auf diesem Thema bestehen. Es ist schwierig, das umzusetzen, aber es ist eine der wenigen Initiativen der blockfreien Länder, um einen Ausweg aus dem Krieg in der Ukraine zu finden.

Die Gegner der multipolaren Welt reagieren. Der japanische Premierminister reiste in die Ukraine. Im Abschlußkommuniqué betonten Fumio Kishida und Selenskyj „die Untrennbarkeit der euro-atlantischen und indo-pazifischen Sicherheit“ und „die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan“.

In der Peripherie, insbesondere in Asien, bildet sich eine neue Weltwirtschaftsordnung heraus, deren Hauptziel die Steigerung des öffentlichen Wohlstands ist. China wächst seit über 30 Jahren dreimal schneller als die US-Wirtschaft. China, Indien und Indochina sind ein Gebiet, das bereits mehr produziert als die USA und die Europäische Union.

Das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Finanzsystem sorgte dafür, daß das privilegierte Zentrum auf Kosten der Mehrheit der Welt finanziert wurde. Heute ist dieses Finanzsystem am Zusammenbrechen. Ein Übergang wird nicht einfach sein. Wir sprechen hier von Hunderten von Billionen Dollar an Schrottpapieren. Wir sprechen auch über die schwere Verarmung der US-Bevölkerung. Situationen wie diese haben in der Vergangenheit zu Kriegen geführt.

Die internationale Verwendung des Dollars ist der letzte Pfeiler des US-Imperialismus. Zu Beginn dieser Erklärung erinnerte ich an die Aussage von Xi Jinping gegenüber Putin, daß wir Veränderungen erleben, wie wir sie seit hundert Jahren nicht mehr erlebt haben. Vor einhundert Jahren lebten wir in einer Zeit zwischen zwei Weltkriegen und erlebten das Ende des britischen Kolonialismus. Wird es uns gelingen, einen weiteren Weltkrieg zu vermeiden? Ich hoffe es!

Ich danke Ihnen allen.