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Von Alexander Hartmann
Die pompösen Feierlichkeiten anläßlich der Krönung des britischen Königs Charles III. am 6. Mai und die Botschaften anläßlich des Jahrestags der Niederlage des Faschismus im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai werfen die Frage auf, was genau unsere westlichen „Führer“ meinen, wenn sie von „westlichen Werten“ sprechen. Was ist von einer anachronistischen Monarchie zu halten, die sowohl in ihrer Ausstattung als auch in ihrer Weltanschauung mittelalterlich geprägt ist und deren kürzlich gekrönter König die Ansicht vertritt, der Planet sei unheilbar überbevölkert und brauche eine „großangelegte militärische Kampagne“, um eine „grundlegende wirtschaftliche Transformation“ zurück zu einer feudalen Wirtschaftsform durchzusetzen?
Gegen diesen Feudalismus richteten sich die Amerikanische Revolution und die von ihr inspirierte Bewegung von 1848, die zum Vorbild und Anknüpfungspunkt für alle späteren demokratischen Bestrebungen in Deutschland wurde. Was ist unter diesen Umständen von einem amerikanischen Außenminister zu halten, der gegenüber dem Gesandten dieser Monarchie zugibt, daß „viele Mitglieder unseres Teams am Samstag ziemlich früh aufgestanden sind, um die [Krönungs-]Zeremonie zu sehen, mich selbst eingeschlossen“, und festgestellt haben, daß sie „Millionen und Abermillionen von Amerikanern in ihren Bann gezogen hat“.
Damit steht US-Außenminister Antony Blinken bei weitem nicht allein unter den westlichen Politikern. Diese Politiker, deren Bürgerstolz offenbar verlorengeht, sobald sie vor ein gekröntes Haupt treten, haben keine Hemmungen, sondern vielmehr, wie sie sich gegenseitig eifrig versichern, den „Mut, die Entschlossenheit und die strategische Ausdauer“, sich einer Politik des feudalistischen England anzuschließen, welche die Menschheit in die bestialischen Zustände des Mittelalters zurückzuführen und möglicherweise in einen thermonuklearen Krieg zu stürzen droht.
Lyndon LaRouche traf den problematischen Kern dieses mittelalterlichen Menschenbildes in seinem im Februar 2002 erschienenen Meisterwerk „Das Ende eines Wahns”:
„Barbarische Überreste der Kultur des antiken Rom und des mittelalterlichen Feudalismus konnten sich noch im 20. Jahrhundert behaupten. Der Versuch, die Uhr der neuzeitlichen Geschichte zum Viehischen zurückzudrehen, war nach dem Zweiten Weltkrieg sogar fast ein halbes Jahrhundert lang der vorherrschende Trend in der anglo-amerikanischen Politik.
Anders ist es mit Amerikas Kriegen gegen seinen historischen Widersacher, die britische Monarchie. Hier verteidigt Amerika das Gemeinwohlprinzip gegen die Politik der britischen Monarchie seit 1714 – das neuzeitliche Relikt der Politik der feudalen Grundbesitzer und Finanziers der mit den Normannen verbündeten Seemacht Venedigs.“
In demselben Artikel schrieb LaRouche:
„Zunächst sollte man wissen, daß es Wirtschaftswissenschaft in einer vernünftigen Form vor der ,goldenen‘ Renaissance des 15. Jahrhunderts noch nicht gab. Diese Renaissance markiert den Unterschied zwischen der mittelalterlichen Geschichte der europäischen Zivilisation, zwischen 300-1400 n. Chr. und der neuzeitlichen Zivilisation nach 1400. Die Wirtschaftswissenschaft begann mit der Geburt des modernen Nationalstaats im Laufe der Renaissance des 15. Jahrhunderts mit Italien im Mittelpunkt…
In der Antike und im Mittelalter gab es keine Gesellschaft, deren Wirtschaft diesen Anspruch erfüllt hätte. Die damaligen Herrscher benutzten die unterworfene Bevölkerung als eine Art Menschenvieh zum Vorteil der herrschenden Oligarchie und ihrer Lakaien. In ihren Augen – so wie für den berüchtigten Feudalisten Dr. François Quesnay – war es göttlicher Wille, daß die Früchte der Gesellschaft dem Herrscher gehörten. Die Rechte der geplagten Untertanen beschränkten sich auf solche Rechte, wie sie ein Landwirt dem Vieh einräumt, das er jagt, züchtet oder keult. Dieses oligarchische System ist auch typisch für die Philosophie John Lockes und die radikalpositivistische Definition von ,Shareholder Value‘, die kürzlich von einer Mehrheit des Obersten Gerichtshofes der USA bestätigt wurde. Die Vorstellung einer Verantwortung für das Gemeinwohl der gesamten menschlichen Bevölkerung als Menschen im eigentlichen Sinn existierte nicht.“1
Wie Helga Zepp-LaRouche in einem Internetforum in dieser Woche kurz und bündig sagte: „Ihre Stimme ist die eines vergangenen, sterbenden Reiches... Je früher mehr Menschen aufstehen und sagen, daß das aufhören muß, desto besser.“
Ein vergleichbarer Kontrast zeigte sich am 9. Mai, als in Moskau der Jahrestag des Sieges über den Faschismus begangen wurde, während „Europa“ stattdessen den „Europatag“ feierte. Etliche ukrainische, polnische und baltische Politiker, die die Welt den Zweiten Weltkrieg – und den Blutzoll, den die Menschen in der Sowjetunion in diesem Krieg gezahlt haben – vergessen lassen wollen, nutzten die Gelegenheit, gegen Rußland und dessen Präsidenten Putin zu hetzen und für den Feldzug gegen Rußland zu werben. Man ist erinnert an Winston Churchill, der am Ende des Zweiten Weltkriegs erklärte, man habe „das falsche Schwein geschlachtet“, und der zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulation 1945 noch für den gleichen Sommer einen Feldzug gegen Rußland plante. Dazu sollten die soeben besiegten deutschen Truppen zu Verbündeten erklärt werden.
Bundeskanzler Olaf Scholz behauptete in seiner Rede anläßlich des Europatages vor dem Europäischen Parlament in Straßburg, der russische Präsident Wladimir Putin habe die diesjährige traditionelle Parade zum Tag des Sieges in Moskau genutzt, um seine militärischen Muskeln spielen zu lassen und den Krieg in der Ukraine zu fördern, und erklärte: „2200 km nordöstlich von Straßburg läßt Putin seine Soldaten, Panzer und Raketen paradieren.“ Die Europäische Union dürfe sich jedoch nicht durch das „Getue“ des russischen Staatschefs einschüchtern lassen, so der deutsche Bundeskanzler. Scholz forderte die Mitgliedsstaaten auf, „die Ukraine weiterhin zu unterstützen – so lange wie nötig“. Er sprach sich auch für eine engere Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen Verteidigung und Rüstungsproduktion aus und hob die Bedeutung der europäischen Allianz mit den USA sowie der EU-Osterweiterung mit dem möglichen Beitritt der westlichen Balkanstaaten, der Ukraine, Moldawiens und Georgiens hervor.
Rußlands Präsident Putin hingegen, der die Parade und die Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ leitete, nutzte die Gelegenheit zu versöhnlichen Tönen. Er erinnerte seine Bürger in seiner Rede am Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands an den „besseren Engel“ der Menschen im Westen:
„Die Erinnerung an die Verteidiger des Vaterlandes ist uns in Rußland heilig, und wir bewahren sie in unseren Herzen. Wir würdigen die Mitglieder des Widerstands, die tapfer gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben, ebenso wie die Truppen der alliierten Armeen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und anderer Länder. Wir gedenken und ehren die Leistung chinesischer Soldaten im Kampf gegen den japanischen Militarismus.“
Eine solche gemeinsame Anstrengung in der Geschichte sollte nicht vergessen werden. „Ich bin der festen Überzeugung, daß die Erfahrung der Solidarität und Partnerschaft während der Jahre des Kampfes gegen eine gemeinsame Bedrohung unser unschätzbares Erbe und ein sicheres Standbein ist, jetzt, wo die unaufhaltsame Bewegung hin zu einer gerechteren multipolaren Welt an Fahrt gewinnt; einer Welt, die auf den Grundsätzen des Vertrauens und der unteilbaren Sicherheit, der gleichen Chancen für eine echte und freie Entwicklung aller Nationen und Völker beruht.“
Putin prangerte zwar die Gier, den Egoismus und die Heuchelei der westlichen Führer an, die hinter der Politik des „permanenten Krieges“ stehen, aber er versäumte es nicht, diesen Versuch, „die mystischen Akkorde der Erinnerung zu berühren“, in seine Rede einzuschließen.
In ihrem Internetforum am 10. Mai kommentierte Helga Zepp-LaRouche diesen Kontrast zwischen Putins Appell an die Menschheit, die gegen Korruption und für Gerechtigkeit kämpft, und dem anhaltenden Kriegsgerede in Washington und den europäischen Hauptstädten:
„Auf der einen Seite ist es natürlich sehr gefährlich, aber auf der anderen Seite ist es auch ein Koloß auf tönernen Füßen. In gewissem Sinne geht mir das Bild dieser Königskrönung nicht aus dem Kopf, wenn man derzeit über die Briten spricht. Wenn Sie wissen wollen, wie veraltet diese Politik ist, dann sehen Sie sich nur diese Zeremonie mit einem unglücklich aussehenden König Charles und einer noch unglücklicher aussehenden Königin Camilla an. Das war eine mittelalterliche Farce!
Und damit einher geht die Verleugnung der Realität, denn es heißt immer wieder, die Ukraine werde diesen Krieg gewinnen, wir müßten nur mehr Waffen schicken.
Die Realität ist, wie die Pentagon-Leaks sehr deutlich gemacht haben, daß das arme ukrainische Volk abgeschlachtet wird, es wird bis auf den letzten Ukrainer ausgenutzt. Und der Grund, warum diese vieldiskutierte ukrainische ,Frühjahrsoffensive‘ nicht wirklich sichtbar ist, ist, daß man noch so viele Waffen in die Ukraine pumpen kann, aber Tatsache ist, daß es eine demographische Realität gibt. Sicher, man kann Söldner, Piloten und so weiter schicken, aber der Westen ist wirklich nicht so stark!
Die eigentliche Schwäche ist der Zusammenbruch des Finanzsystems. Die Bankenkrise in den USA ist in vollem Gange; der Grund, warum sie nicht genug Munition schicken können, ist, daß sie zu viel Deindustrialisierung betrieben haben, um überhaupt einen Krieg am Laufen zu halten…
Ich denke, je mehr Menschen aufstehen und sagen, daß das aufhören muß, desto besser. Die Militärparade in Moskau – ich habe einen Teil davon gesehen, und die westlichen Medien sagen wieder, oh, sie haben keine Panzer gezeigt, sie haben das nicht gezeigt. Aber offen gesagt, die Leute hätten sich besser die mit Atomwaffen bestückten Interkontinentalraketen ansehen sollen: Das ist es, was die Weltzivilisation ruinieren wird, wenn wir nicht aus dieser Dynamik herauskommen.“
Anmerkung
1. Als Serie veröffentlicht in Neue Solidarität 13-20/2002.