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Neue Solidarität
Nr. 11, 16. März 2023

„Wenn sich Hershs Vorwürfe bestätigen,
muß Deutschland aus der NATO austreten.“

Von Helga Zepp-LaRouche

Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts sowie Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität. Im Online-Seminar des Schiller-Instituts zu den Enthüllungen über die Nordstream-Sabotage am 23. Februar 2023 sagte sie folgendes (Original Englisch, Zwischentitel hinzugefügt).

Die Angelegenheit, mit der wir uns befassen, ist natürlich von enormer Tragweite. Ich denke, wenn die Weltöffentlichkeit versteht, worum es geht, ist das vielleicht die letzte Chance, die Zuspitzung der strategischen Situation hin zu einem globalen Atomkrieg zu verhindern.

Seymour Hersh hat einen langen Artikel geschrieben, in dem er sehr detailliert beschreibt, wie eine kleine Gruppe in der Biden-Administration den Angriff auf Nord Stream „geplant hat und durchführen ließ“ – und daß das sogar schon neun Monate vor der Sprengung diskutiert wurde. Das heißt, es war im Dezember 2021, zwei Monate bevor Rußland seine Militäroperation in der Ukraine begann. Er berichtet, daß diese kleine Task Force sehr gespalten war, weil sie sich Sorgen über die enormen Auswirkungen machte, die es hätte, wenn die Urheberschaft dieser Sabotage jemals bekannt würde.

Höchst erstaunlich ist, daß die deutsche, die dänische und die schwedische Regierung zugeben, daß es sich um Sabotage handelte, aber nichts von den Ergebnissen preisgeben, indem sie sagen, daß die Untersuchung noch läuft und sie aus Staatsräson nichts weiter preisgeben könnten.

Nun ist Hersh, das ist wichtig zu betonen, wahrscheinlich der am meisten ausgezeichnete Enthüllungsjournalist der gesamten transatlantischen Welt. Er ist berühmt dafür, daß er Skandale wie das Massaker von My Lai, die Folterungen in Abu Ghraib und viele andere solcher Geschichten aufgedeckt hat. Er wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Doch obwohl er diesen absolut erstaunlichen Artikel geschrieben hat, dauerte es mehr als zwei Wochen, bis endlich der erste Artikel in den Mainstream-Medien erschien; die Washington Post hat gerade darüber im Zusammenhang mit Ray McGoverns Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat berichtet.

Es gab allerdings vor zwei Wochen in Deutschland eine kurze Debatte im Bundestag, die von der Alternative für Deutschland (AfD) beantragt wurde, aber – nur um Ihnen einen Eindruck von der Atmosphäre zu vermitteln – ein junger, völlig ungebildeter, frecher, arroganter Parlamentarier namens Philipp Amthor sagte sinngemäß: „Warum sollten wir Hersh Aufmerksamkeit schenken? Er ist 85 Jahre alt, er hat vor 50 Jahren einen Preis bekommen.“

Alle Regierungsparteien und die wichtigsten Oppositionsparteien folgten im Grunde dem offiziellen Narrativ, daß völlig unklar sei, wer es war und ob es vielleicht die Russen waren. Nur ein Vertreter der Linken und die AfD nahmen Hershs Artikel ernst.

Der Ablauf

Gehen wir noch einmal kurz die Indizien für diesen Anschlag durch. Am 7. Februar 2022 gab Biden in Washington in Anwesenheit von Bundeskanzler Scholz eine Pressekonferenz und sagte dort: „Wenn Rußland in die Ukraine einmarschiert, haben wir Möglichkeiten, Nord Stream zu beenden.“ Ein Reporter fragte: „Was meinen Sie damit? Die Pipeline steht unter deutscher Kontrolle, und es ist eine russische Pipeline.“ Biden sagte: „Ich verspreche Ihnen, daß wir in der Lage sein werden, das zu tun.“ Und Scholz stand da wie ein kleiner Schuljunge und sagte kein Wort.

Die Operation sollte, nach dem Plan dieser Task Force, völlig geheim sein. Es sollte eine verdeckte Operation sein. Das hätte aber bedeutet, daß die Regierung den Kongreß hätte informieren müssen, denn der Kongreß entscheidet, zumindest offiziell, ob es Krieg gibt oder nicht. Aber angesichts der Tatsache, daß Biden damit bereits etwas dazu geäußert hatte, hieß es: „OK, jetzt ist es keine echte verdeckte Operation mehr, und wir müssen den Kongreß deshalb nicht mehr informieren.“ Nun, das sollte ein Thema für Rechtsexperten sein.

Dann sagte die berüchtigte Victoria Nuland: „Wenn Rußland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream auf die ein oder andere Weise nicht weiter vorankommen.“ Und nach dem Angriff drückte sie in einer Anhörung im Kongreß ihre Freude aus: „O, es ist nur noch ein Stück Altmetall auf dem Meeresgrund.“

Der ehemalige Außenminister Polens, Radoslaw Sikorski, sagte unmittelbar nach der Tat in einem Tweet: „Danke, Amerika!“ Liz Truss, die damalige Premierministerin Großbritanniens, schrieb wenige Minuten nach der Explosion: „Das haben wir erledigt!“ oder so ähnlich. Vier Tage nach der Explosion sagte Außenminister Blinken: „Das ist eine großartige Gelegenheit, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin die Möglichkeit zu nehmen, Energie als Waffe zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu benutzen.“ Man würde erwarten, daß der Außenminister eines befreundeten Landes sein Bedauern über den Schaden zum Ausdruck bringt, aber nichts dergleichen kam. Er sagte: „Es ist eine großartige Gelegenheit...“

Hersh berichtet also in aller Ausführlichkeit und auf der Grundlage von Quellenberichten – und Hersh ist bekannt dafür, daß er seit Jahrzehnten über ausgezeichnete Quellen verfügt –, daß dieser Anschlag von Tauchern der US-Marine während eines NATO-Manövers BALTOPS 2022 vorbereitet wurde und der Sprengsatz dann in Zusammenarbeit mit der norwegischen Marine am 26. September zur Explosion gebracht wurde.

Die Auswirkungen dieses Vorfalls sind enorm, auf vielen Ebenen. Zunächst einmal geschah es zu einem Zeitpunkt, an dem die Demonstrationen gegen die Sanktionen in Deutschland den Punkt erreichten, als die Menschen wieder forderten, daß Nord Stream 2 geöffnet werden muß, damit die Energiepreise sinken. Mit dem Angriff wurde diese Option kinetisch zerstört; sie läßt sich nicht wieder öffnen. Sie wurde praktisch kaputtgemacht.

Scholz sagte Ende Februar, nachdem die Militäroperation gegen die Ukraine begonnen hatte: „Wir werden keine schweren Waffen in die Ukraine schicken, denn das könnte eine Eskalation zu einem Dritten Weltkrieg bedeuten.“ Jetzt, ein Jahr später, fünf Monate nach der Sabotage, schickt Deutschland schwere Panzer, Deutschland bildet ukrainische Soldaten in Deutschland aus, Deutschland unterstützt die Ukraine militärisch, humanitär und wirtschaftlich mit am stärksten, und es spielt die zentrale Rolle für die US-NATO-Einsätze im Stellvertreterkrieg gegen Rußland. Das macht Deutschland zu einem Hauptangriffsziel, wenn es zu einer weiteren Eskalation kommt.

Das Ergebnis ist, daß das Verhältnis zu Rußland politisch und wirtschaftlich abgeschnitten ist, jegliches Vertrauen ist zerstört. Und anstatt billiges Gas aus Rußland zu bekommen, stecken Deutschland und die gesamte EU nun in einer sehr starken Energieabhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Sie importieren LNG-Gas, das viermal teurer ist und aus dem umweltschädlichen Fracking stammt.

Wir haben eine Preisinflation im zweistelligen Bereich, viele kleine und mittlere Unternehmen gehen in Konkurs. Wir stehen vor der Gefahr einer totalen De-Industrialisierung in Deutschland und einem damit einhergehenden sozialen Kollaps. Die Existenz Deutschlands als Industrie- und Sozialstaat steht auf dem Spiel.

Es ist sogar noch schlimmer. Deutschland ist zum Spielball der Strategie der unipolaren Weltfraktion geworden, die sich auf die anglo-amerikanische Sonderbeziehung stützt, um die unipolare Weltordnung aufrechtzuerhalten, zu einem Zeitpunkt, an dem sie de facto nicht mehr existiert. Dahinter steht der Plan, Rußland zu zerstückeln, Chinas Aufstieg einzudämmen und spätestens 2025 Krieg mit China zu führen, wie General Mike Minihan kürzlich sagte.

Die deutsche Regierung ist zum Gespött der ganzen Welt geworden, weil Deutschland alles weggenommen wird und die deutsche Regierung nicht die Interessen des deutschen Volkes verteidigt, obwohl sie bei ihrem Amtsantritt den Eid geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes werden zerstört – Ersparnisse, Arbeitsplätze, alles ist weg.

Deshalb brauchen wir eine sofortige internationale Untersuchung unter Beteiligung Rußlands. Vor zwei Tagen hat der UN-Sicherheitsrat eine von Rußland einberufene Sondersitzung abgehalten, in der Ray McGovern – den Sie gleich hören werden – und Jeffrey Sachs ausgesagt haben. Es war für uns eine Lektion, wie die Kontrolle der UNO funktioniert, denn außer dem russischen Vertreter, Botschafter Wassili Nebensja, war es nur der chinesische Vertreter, der eine unabhängige Untersuchung forderte. Alle anderen sagten, o nein, die deutschen, dänischen und schwedischen Untersuchungen reichen aus.

Die Vorgeschichte

Wir brauchen eine Neubewertung, was die Vorgeschichte dieser ganzen Sache war.

Es gab fünf Erweiterungen der NATO nach Osten. Waffensysteme kamen immer näher an russisches Territorium heran, was eine potentiell existentielle Bedrohung für Rußland darstellt. Aber um wirklich zu verstehen, was passiert ist, und das hat viel mit Nord Stream zu tun, muß man die Vorgeschichte zumindest mit dem Maidan-Putsch 2014 beginnen. Alle werden sich an Victoria Nuland erinnern, die jetzt so froh ist, daß Nord Stream unbrauchbar auf dem Grund der Ostsee liegt, und die sich damals mit „F*** die EU“ zweifelhaften Ruhm erworben hat. Und es war Ex-Ministerpräsident Asarow, der zu Recht sagte: „Wenn Sie verstehen wollen, was mit der Ukraine passiert und wo eine Lösung liegen kann, müssen Sie mit dem Maidan-Putsch im Jahr 2014 beginnen.“ Das war ein vom Westen angezettelter Putsch, und weil dann Nazi-Elemente die Macht übernommen und die russische Sprache verboten haben, gab es ein Referendum auf der Krim. Und als Ergebnis haben sich die Menschen dort entschieden, Teil Rußlands zu werden. In allen Berichten heißt es immer: „Nein, es war eine unprovozierte Übernahme der Krim.“ Das ist nicht wahr.

Dann gab es im Donbaß neun Jahre lang Angriffe des ukrainischen Militärs gegen die russischsprachige Bevölkerung, was sogar von der OECD zugegeben wurde. In den Jahren 2014-15 gab es den Minsk-Prozeß. Kürzlich haben Poroschenko, Merkel und Hollande zugegeben, daß dies nur ein Schauspiel war, um Zeit zu gewinnen und die ukrainische Armee aufzurüsten. Wenn man sich also anschaut, was im Jahr 2021 passiert ist, muß man sich fragen, ob diese Militärintervention wirklich unprovoziert war, wie es immer wieder behauptet wird. Nein, es gab das ganze Jahr über eine deutliche Eskalation.

Im Februar riet Admiral Charles Richard, Chef des STRATCOM, dem Pentagon, die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen von „nicht möglich“ auf „sehr wohl möglich“ zu ändern. Dann fanden im Frühjahr und Sommer die Manöver DEFENDER EUROPE 21 statt, eine gewaltige Aufstockung der Land- und Seestreitkräfte in der Arktis und an den russischen Grenzen. Das Manöver beinhaltete die Verlegung von 40.000 US-Soldaten über den Atlantik nach Europa, und es gab verschiedene Warnungen von Schoigu, Gerassimow und anderen, die Lage sei so angespannt, daß sofortige Schritte zur Deeskalation erforderlich seien.

Stattdessen wurden immer mehr Sanktionen gegen Rußland verhängt und russische Diplomaten des Landes verwiesen. Die Lage hatte sich im Laufe des Jahres so zugespitzt, daß Putin am 21. Oktober im Waldai-Klub sagte: „Die Ukraine muß nicht formell in die NATO aufgenommen werden, denn die militärische Erschließung des Gebiets ist bereits im Gange. Dies stellt eine Bedrohung für die Russische Föderation dar.“ Daraufhin verlegte Rußland Truppen an die Grenze.

Zu dieser Zeit wurden Reden im US-Senat gehalten, in denen gefordert wurde, daß Nord Stream 2 gestoppt werden müsse. Es gab russische Proteste gegen die wiederholten Flüge von US-Kampfjets an die russische Grenze, und all dies eskalierte so weit, daß Putin am 17. Dezember offizielle Schreiben an die NATO und die Vereinigten Staaten schickte, worin er rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien forderte.1

Im selben Monat bildete Jake Sullivan Hersh zufolge eine Task Force aus Vertretern der Stabschefs, der CIA, des Außenministeriums und des Finanzministeriums, die sich mit der Frage beschäftigte, wie man auf Putins drohende Invasion reagieren sollte.

Putin hatte nicht mit einer Invasion gedroht, sondern Sicherheitsgarantien gefordert. Da aber inzwischen klar ist, daß zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestand, Rußland Sicherheitsgarantien zu geben, gingen die offiziellen Antworten der Vereinigten Staaten und der NATO nicht auf die Kernforderungen ein, sondern nur auf einige Randfragen in Bezug auf Rüstungskontrollverhandlungen und ähnliches.

Am 19. Februar hielt Selenskyj die berüchtigte Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz und forderte die nukleare Wiederbewaffnung der Ukraine. Sie können sich vorstellen, wie die USA reagieren würden, wenn Präsident López Obrador sagen würde: „Ich möchte Atomwaffen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko aufstellen.“

Weil all dies die Umstände sind, unter denen dieser Angriff stattgefunden hat, muß die internationale Untersuchung, die wir unbedingt fordern, nicht nur Rußland einbeziehen und die Sabotage als solche untersuchen, sondern sie muß auch den militärisch-strategischen Kontext untersuchen. Denn dann könnte man feststellen, daß die Sabotage von Nord Stream 2 Teil einer größeren Strategie gegen Rußland war.

Wenn sich Hershs Vorwürfe bestätigen, hat Deutschland nur eine mögliche Antwort: Es muß aus der NATO austreten. Und ich denke, es ist schon jetzt höchste Zeit, daß wir anfangen, über die dringende Notwendigkeit einer neuen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur zu diskutieren, die die Sicherheitsinteressen jedes Landes auf diesem Planeten berücksichtigt. Ich danke Ihnen.


Anmerkung

1. https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790818/?lang=en und https://mid.ru/ru/foreign_policy/rso/nato/1790803/?lang=en