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Neue Solidarität
Nr. 45, 10. November 2022

„Was jetzt dringend gebraucht wird,
ist die Beteiligung der Massen!“

Von Donald Ramotar

Donald Ramotar war von 2011 bis 2015 Staatspräsident von Guyana. Im Internetseminar am 27. Oktober sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen, Überschriften wurden hinzugefügt.

Erlauben Sie mir zunächst, dem Schiller-Institut für die Organisation dieser wichtigen Konferenz zu diesem besonderen Zeitpunkt in der Geschichte unserer Welt zu danken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir treffen uns zu einem Zeitpunkt, an dem die Welt mit einer der schrecklichsten Aussichten auf einen Atomkrieg konfrontiert ist. Diese Krise kann sich als gefährlicher erweisen als die Kubakrise vom Oktober 1962, und sie muß um jeden Preis verhindert werden.

Die Theorie, mit der insbesondere die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich den Besitz von Atomwaffen rechtfertigten, als sie gegen die Friedensbewegung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kämpften und die Forderung nach Abschaffung der Atomwaffen ablehnten, lautete, daß Atomwaffen den Frieden in unserer Welt sichern würden.

Ich denke, die heutigen Ereignisse haben gezeigt, daß das eine Ausrede ihrerseits war, und es ist eine völlig falsche Auffassung. Sie hält die Welt mit großem Schrecken in Atem. Ich frage: Was für einen Frieden können wir haben, wenn es ein Gleichgewicht des Schreckens sein wird? Die Menschheit kann in einer solchen Atmosphäre nicht weiterleben.

Deshalb ist es unsere vordringlichste Aufgabe, die Abschaffung aller Atomwaffen auf die Tagesordnung zu setzen. Das sollte eine unmittelbare Aufgabe von uns allen sein, individuell und kollektiv zu diesem Zeitpunkt. Wir sollten eine Kampagne starten, um diese Waffen zu ächten, die nicht bloß Massenvernichtungswaffen sind, sondern die ganze Welt zerstören.

Lassen Sie mich sagen: Das wird keine leichte Aufgabe sein. Ich sage das, weil ich glaube, daß das Problem in dem imperialistischen System liegt, das in den Weltbeziehungen vorherrscht. Es liegt in der Natur dieses Systems, daß es die totale Beherrschung der Welt anstrebt, damit die Bedingungen für eine massive Bereicherung der wirklich Mächtigen geschaffen werden, also der großen Megakonzerne, von denen viele sehr vom Krieg profitieren.

Die Ereignisse in der Ukraine zeigen das deutlicher als je zuvor. In erster Linie wurde Rußland in diesen Krieg hineingetrieben. Wir haben gehört, wie der NATO-Generalsekretär sagte, daß sich die NATO ab 2014 auf einen Krieg gegen Rußland vorbereitete. Und zur Vorbereitung dieses Krieges bewaffnete sie die ukrainische Armee, bildete die ukrainische Armee aus, die drittgrößte Armee in Europa. Seitdem hat sie die Ukraine weiter mit einigen sehr wichtigen modernen Waffen ausgerüstet. Und nicht nur die ukrainische Armee, sondern auch die faschistischen Kräfte der Ukraine, die Asow-Kräfte.

Sie haben die Ukraine daran gehindert, über Frieden zu verhandeln. Wir wissen, daß es im März dieses Jahres eine gute Möglichkeit gab, Gespräche zu beginnen, um Frieden zu schaffen. Aber das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten haben das absichtlich verhindert, weil sie Rußland in diesen Krieg verwickeln wollten. Sie haben die Länder der Europäischen Union daran gehindert, den Frieden zu fördern. Ich habe das letzte Mal darüber gesprochen. Im Rahmen des Minsker Abkommens hatten Frankreich und Deutschland eine besondere Verantwortung. Aber sie ließen sich einschüchtern und haben die Umsetzung dieser Vereinbarung, die das, was heute passiert ist, hätte verhindern können, nicht zugelassen.

Außerdem haben wir seither die Zerstörung der Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 erlebt. Europa, das genauso wie Rußland unter den Schäden an den Pipelines leiden wird, ermittelt entweder nur im Geheimen oder gar nicht. Ich glaube, sie wissen sehr gut, wer das getan hat, und sie wollen sich nicht gegen ihren Verbündeten stellen. Leider verhalten sie sich wie Kolonien der Vereinigten Staaten. Sie lassen weiter moderne Waffen in die Ukraine liefern und finanzieren Söldner, die gegen Rußland kämpfen.

Wir sehen, daß sie lange vor Beginn der Feindseligkeiten die umfassendsten Wirtschaftssanktionen gegen Rußland vorbereitet haben. Präsident Biden sprach von der „Mutter aller Sanktionen“. Sie waren überzeugt, daß diese umfassenden Sanktionen in Verbindung mit der militärischen Feindseligkeit Rußland vernichten würden.

Rußland kämpft gegen ganz Europa, ähnlich wie beim Einmarsch Hitlers in die Sowjetunion 1941, denn als er in die Sowjetunion einmarschierte, hatte er die gesamte europäische Industrie hinter sich. Jetzt steht nicht nur ganz Europa hinter diesem Krieg, sondern auch Kanada und die Vereinigten Staaten und sogar Australien. Rußland kämpft gegen ganz Europa und Nordamerika.

Was den NATO-Streitkräften, den imperialen Streitkräften, jetzt am meisten Angst macht, sind die Gegenmaßnahmen, die Rußland ergriffen hat. Die Wirtschaftsblockade hat nicht die erhofften Ergebnisse gebracht, denn Rußland ist nicht, wie erwartet, vollständig isoliert worden. Außerdem verfügt Rußland über einen strategischen Rohstoff – die Energieversorgung –, der sich nicht isolieren läßt. Darüber hinaus bietet Rußland Alternativen zum US-Dollar für seinen internationalen Handel. Viele Länder finden das sehr attraktiv, und immer mehr beteiligen sich am Handel in ihren eigenen Währungen. Das verursacht in Washington eine Menge Alpträume.

Rußland hat auch eine Alternative zum SWIFT-Bankensystem geschaffen, die ebenfalls sehr wichtig ist, um den monopolistischen Würgegriff zu brechen, den die westliche Welt über das Banken- und Finanzsystem in der Welt hat. All dies würde den Würgegriff, den die USA auf die internationale Wirtschaft ausüben, aufheben. Die USA sind sehr besorgt, daß Chinas Yuan an Bedeutung gewinnen könnte. Ich glaube, das ist für sie erschreckend.

Aus diesen Gründen hofft die NATO, Rußland in die Knie zu zwingen und seine Wirtschaft ausbluten zu lassen. Es ist die gleiche Mentalität wie im Zweiten Weltkrieg, als man sich vier Jahre lang weigerte, die zweite Front gegen Hitler zu eröffnen, weil man wollte, daß Deutschland und die Sowjetunion gegeneinander kämpfen und ihre Kräfte verzehren. Danach würden sie kommen, um die Scherben aufzusammeln. Mit all den gemeinsamen Ressourcen der NATO-Länder glauben sie, sie könnten Rußland ausbluten lassen, weil die NATO-Länder wirtschaftlich viel stärker sind als Rußland. Was die Militärausgaben betrifft, so gibt Rußland wahrscheinlich weniger als ein Zehntel der gemeinsamen NATO-Streitkräfte aus. Sie glauben also, sie hätten gute Voraussetzungen, um Rußland zu vernichten. Ich denke, womit sie nicht gerechnet haben, ist wahrscheinlich der Geist des russischen Volkes.

Die Massen müssen intervenieren

Deshalb glaube ich, daß die Massen der Völker der Welt intervenieren müssen. Man kann das hier nicht den Regierungen in ihren Sitzungssälen überlassen, man kann es nicht den Büros überlassen. Natürlich sind das wichtige Dinge, über die man verhandeln muß. Aber was zum jetzigen Zeitpunkt dringend gebraucht wird, ist die Beteiligung der Massen.

Helga (Zepp-LaRouche) hat vorhin von den massiven Demonstrationen gesprochen, die wir in den 1970er und 80er Jahren gegen die amerikanische Stationierung von Waffen in Europa hatten. Und wir haben diese Massendemonstrationen auch erlebt, insbesondere in London, als die Invasion des Irak stattfand. Ich denke, wir müssen darauf zurückgreifen, wir müssen beginnen, auf diese Art und Weise aufzubauen, um zu versuchen, die Massen von Menschen in diese Aktivität einzubeziehen. Ich glaube nicht, daß es dafür eine Abkürzung gibt. Nur eine Massenaktivität kann jetzt die Aggressoren aufhalten und verhindern, was meiner Meinung nach ein schrecklicher Krieg sein würde.

Es gibt einige Gründe für Hoffnung, denn wir sehen, daß die Menschen in Europa in Bewegung sind. Die Demonstrationen in Deutschland und Frankreich, in der Tschechischen Republik und anderen Ländern sind ein gutes Zeichen. Aber auch in den Vereinigten Staaten gibt es einige positive Zeichen. Es hat sich aber noch keine Massenbewegung entwickelt. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten sollten. Denn es sind die Vereinigten Staaten, die die Aktionen der NATO-Streitkräfte bestimmen. Wo die Vereinigten Staaten hingehen, werden die anderen folgen.

Ich habe auf der letzten Sitzung darauf hingewiesen, daß die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Merkel zwar gegen die Aufnahme der Ukraine in die NATO war, aber schließlich unter dem Druck der Vereinigten Staaten nachgegeben hat. So melden sich immer mehr prominente Persönlichkeiten aus den Vereinigten Staaten zu Wort und bringen ihre Unzufriedenheit mit den Geschehnissen und dem Vorgehen ihrer Regierung zum Ausdruck. Die jüngste ist die ehemalige Kongreßabgeordnete Tulsi Gabbard, die eine sehr lobenswerte Position im Interesse des Friedens eingenommen hat.

Aber ich glaube, daß wir jetzt die Massenorganisationen wie Gewerkschaften, Bauernverbände und Friedensorganisationen erreichen müssen. Es ist an der Zeit, daß wir versuchen, einige von ihnen, die seit vielen Jahren verstummt sind, wiederzubeleben, und, soweit möglich, auch die Dritte Welt. Es ist extrem still um das, was geschieht. Mancherorts wird kaum über die Dinge berichtet. In Guyana berichten unsere Zeitungen kaum über die Vorgänge in der Ukraine und die ernsten Gefahren, die der Welt drohen.

Ich denke, es liegt in unserer Verantwortung, zu versuchen, mit allen anderen demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten, um zu versuchen, der Masse der Menschen diese Gefahr vor Augen zu führen und zu zeigen, was es für uns alle bedeutet, wenn die Situation weiter eskaliert.

Ich habe keine weiteren Vorschläge als die, die bereits gemacht wurden, und das, was ich hier gerade gesagt habe. Aber ich denke, wir müssen jetzt handeln und mehr und mehr Menschen erreichen und unser Bestes tun, um die ganze Welt zu alarmieren.

In Guyana, in der gesamten Karibik, gibt es kaum einen Kommentar in der Presse, in dem sich führende Politiker der Region zu den Vorgängen äußern. In vielen Fällen, in denen Artikel oder Briefe an die Presse geschrieben werden, um die Fakten darzustellen, ist die Verzerrung enorm. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir hauptsächlich mit den Nachrichtenmedien aus den Vereinigten Staaten konfrontiert sind – CNN, MSNBC und so weiter. Wenn einige von uns versuchen, unsere Botschaft zu verbreiten, wird sie von den Mainstream-Medien nicht aufgegriffen. Manchmal berichten sie nicht einmal über unsere eigene Presse, unsere eigenen Artikel; das zeigt, daß sie entweder egozentrisch sind oder Anweisung bekommen, einige dieser Positionen nicht zu übernehmen.

Wir brauchen zu diesem Zeitpunkt eine gemeinsame Anstrengung, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen, denen wir ausgesetzt sind. Zumindest was die Karibik betrifft, glaube ich, daß das Bewußtsein für die Gefahr weit hinter der tatsächlichen Gefahr zurückbleibt. Das war mein vorläufiger Beitrag, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.