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Von Helga Zepp-LaRouche
Die Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts hielt am 15. Oktober bei der Konferenz „Baut das Neue Paradigma, besiegt den grünen Faschismus“ die folgende Eröffnungsrede; sie wurde aus dem Englischen übersetzt.
Hallo, liebe junge und nicht mehr ganz so junge Freunde aus der ganzen Welt. Lassen Sie mich mit einer optimistischen Bemerkung beginnen: Dieser Kampf, den wir gegen eine internationale Oligarchie führen, die diese Zivilisation an den Rand der nuklearen Auslöschung getrieben hat, und für eine bessere Zukunft der Menschheit – dieser Kampf oder dieser Krieg kann gewonnen werden.
Ich möchte Ihnen das Argument entgegenhalten, das Sie schon oft gehört haben: „Man kann sowieso nichts tun. Die da oben sind zu mächtig.“ Nun, unsere beiden mutigen Mitglieder Kynan Thistlethwaite und José Vega haben vor wenigen Tagen das Gegenteil bewiesen, indem sie der Kriegshetzerin im Schafspelz AOC (der Kongreßabgeordneten Alexandria Ocasio Cortez) den Wind aus den Segeln nahmen, was dazu geführt hat, daß ein Großteil der Gegner des Krieges mit Rußland, von Tulsi Gabbard über Max Blumenthal bis hin zu Tucker Carlson und vielen anderen, ihre Intervention mit voller Unterstützung kommentiert haben. Ich denke, wir haben inzwischen etwa 7-8 Millionen Zugriffe allein auf den Tweet erreicht, aber auch andere Medien haben ihn gesendet, so wahrscheinlich 10-20 Millionen Menschen das gesehen haben.
Das ist erst der Anfang.
Wir befinden uns in der Anfangsphase einer Weltrevolution, in der der größte Teil der Weltbevölkerung bereits dabei ist, ein völlig neues Wirtschaftssystem aufzubauen. Immer größere Teile der Bevölkerung in Europa und den Vereinigten Staaten lehnen sich gegen die Politik des Establishments auf, die den meisten Menschen die materiellen Lebensgrundlagen zerstört.
Ich denke, eines ist klar: Wenn wir die Menschheit vom Abgrund eines thermonuklearen Krieges zurückholen können, dann werden die mutigen Aktivitäten der internationalen LaRouche-Jugendbewegung, die wir aufbauen, eine wichtige Rolle spielen. Unsere heutige Konferenz wird ein kraftvoller Auftakt zu diesem Kampf sein.
Es mag schwierig sein, sich vorzustellen, was es bedeutet, wenn ich sage, daß wir uns in der schlimmsten Krise der Menschheit aller Zeiten befinden – angesichts der Tatsache, daß die Weltgeschichte nicht gerade das ist, was die Menschen jeden Tag auf dem Bildschirm sehen.
Wenn Sie heute 20 Jahre alt sind, waren Sie noch nicht einmal geboren, als sich der 11. September ereignete, und das bedeutet, daß Sie Ihr ganzes Leben in einer Welt gelebt haben, die von einer USA geprägt war, in der grundlegende Aspekte und Bürgerrechte der US-Verfassung beseitigt waren. Eine Welt, in der sinnlose Interventionskriege im Nahen Osten und anderswo Millionen von Zivilisten, Frauen und Kindern das Leben kosteten. Aber es war nicht wie in der Ukraine heute, wo man stündlich Berichte über die Schrecken des Krieges sieht. Diese Kriege, in denen Millionen von Menschen starben, waren anonym. Sie wurden zu einer Art neuer Normalität; irgendwie wußte man davon, aber es hatte nicht wirklich Einfluß auf das eigene Leben.
Wenn Sie heute 30 Jahre alt sind, waren Sie noch nicht einmal geboren, als die Berliner Mauer fiel, was der Anfang vom Ende der Sowjetunion war. Sie haben also keine Erinnerung an das unglaubliche Drama, was es bedeutete, daß nach fast 70 Jahren das kommunistische System und alles, was mit ihm verbunden war – der Kalte Krieg, die Militärblöcke der NATO und des Warschauer Paktes – verschwand. Die NATO blieb bekanntlich bestehen, aber der Warschauer Pakt endete. Oder die unglaublichen Szenen von Menschen, die die Berliner Mauer hochkletterten, als sie geöffnet wurde, die sich umarmten, wo kurz zuvor noch Menschen erschossen worden waren, als sie versuchten, den Eisernen Vorhang von Ost nach West zu überwinden.
Wer im sogenannten Westen – den Vereinigten Staaten oder Europa – lebt, weiß offensichtlich wenig über den Alltag in Nigeria oder Ghana oder Indien oder Peru. Umgekehrt haben die Menschen im Globalen Süden keine klare Vorstellung davon, was in Italien oder der Slowakei heute die entscheidenden Themen sind.
Auch die Zahl der Menschen, die noch aus erster Hand wissen, was der Zweite Weltkrieg war, schrumpft rapide. In den nachfolgenden Generationen und dem kulturellen Paradigmenwandel, der sich vollzogen hat, trat an die Stelle eines realen Verständnisses des Krieges mehr und mehr die Idee der virtuellen Realität von Videospielen, bei denen man ein neues Kriegsspiel beginnt, sobald man das letzte verloren hat.
Wir befinden uns in der schlimmsten Krise der Menschheitsgeschichte überhaupt. Ich sage das, weil wir mit der unmittelbaren Gefahr konfrontiert sind, daß es aufgrund von Dummheit, Absicht oder aus Versehen praktisch jeden Moment einen thermonuklearen Krieg geben könnte. Während wir hier sitzen, könnte ein Atomkrieg beginnen, oder in ein paar Wochen oder Monaten, weil rote Linien bereits überschritten wurden. Der größte Teil der acht Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, ist sich dessen gar nicht bewußt, aber das Leben auf der Erde könnte vollständig enden. Nicht sofort, beim ersten nuklearen Schlagabtausch würden „nur“ ein paar Milliarden sterben, aber die restlichen Milliarden würden in den folgenden Wochen und Monaten an nuklearer Verseuchung, Hunger, Kälte, Verbrennungen, Raub und Verzweiflung sterben. Wie Kennedy sagte: Diejenigen, die zuerst sterben, haben dann noch Glück gehabt.
Wenn dann der letzte Mensch gestorben ist, wird es keine Erinnerung mehr geben an den Kampf all dieser Generationen für den Fortschritt, von den frühen Formen des Homo sapiens vor etwa 300.000 Jahren bis zur Gegenwart. Keine Erinnerung mehr an die wissenschaftlichen Entdeckungen der letzten Jahrtausende, an die große Poesie und Musik von Konfuzius, Beethoven oder Einstein. Auch nicht an Sie: weg, aus, gelöscht.
Das ist das unvergleichliche Verbrechen derer, die von nuklearen Präventivschlägen oder einem „begrenzten“ Atomkrieg sprechen, denn so etwas gibt es nicht. Sobald man eine Atomwaffe einsetzt, ändert sich die Art des Krieges völlig, und höchstwahrscheinlich werden dann alle verfügbaren Atomwaffen eingesetzt.
Um die Chronologie zu verstehen, wie wir an diesen Punkt gelangt sind, muß man bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion zurückgehen, wo wir – die LaRouche-Bewegung – auf diese große historische Chance mit der Idee antworteten, eine internationale Friedensordnung für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Das war die Idee, den gesamten eurasischen Kontinent durch Entwicklungskorridore zu integrieren, das war unser Vorschlag für eine Friedensordnung.
Es war eine dieser absolut seltenen historischen Chancen, und ich nannte sie damals eine „Sternstunde der Geschichte“. Doch dann übernahmen die anglo-amerikanischen Neokonservativen die sogenannte Wolfowitz-Doktrin des Projekts für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert (Project for a New American Century, PNAC), die es als Aufgabe der Vereinigten Staaten definierte, ihre Rolle als einzige verbleibende Supermacht zu sichern. Sie müsse über genügend militärische Macht verfügen, um zu verhindern, daß eine Nation oder eine Gruppe von Nationen die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten – und natürlich der Briten – jemals wieder in Frage stellen konnte. Eine ewige unipolare Welt.
Die Wolfowitz-Doktrin, man könnte auch sagen, die Wolfowitz-Cheney-Doktrin, war der eigentliche Grund dafür, daß das Versprechen von US-Außenminister James Baker III an Gorbatschow, die NATO werde sich „keinen Zentimeter“ nach Osten ausdehnen, nicht eingehalten wurde. Statt dessen rückte sie mehr als tausend Kilometer näher an die russische Grenze heran. Die Doktrin war auch die Grundlage für die „Schocktherapie“ gegen die russische Wirtschaft in den 90er Jahren während der Jelzin-Regierung, die das ausdrückliche Ziel hatte, die physische Wirtschaft Rußlands zu zerstören.
Das ist auch die Grundlage für die sogenannte deutsche Außenministerin Baerbock, wenn sie immer wieder behauptet, der Zweck der Lieferung von immer mehr schweren Waffen in die Ukraine sei es, „Rußland zu ruinieren“.
Inzwischen wird offen über die Zerstörung Rußlands gesprochen, und der ehemalige Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, John Bolton, hat gesagt, Putin sei ein „legitimes militärisches Ziel, das zu diesem Zeitpunkt auf unserer Zielliste steht“. Das heißt, er will ihn ermorden lassen.
Wenn man mit der Zerstörung eines Landes droht – Putin sagte sehr deutlich, es ist das Ziel, Rußland in drei, vier oder mehr Staaten aufzuteilen -; wenn man mit der Ermordung des Staatschefs droht; wenn man faktisch US- und NATO-Truppen an den Kämpfen in der Ukraine beteiligt; wenn man dem ukrainischen Militär Cyber-Informationen zur Verfügung stellt; wenn man ukrainische Truppen in den US-Militärbasen in Deutschland ausbildet – dann bedeutet all das, daß wir uns schon in einem Krieg zwischen der NATO und Rußland befinden. Rußlands rote Linien wurden bereits überschritten, und wir sind dem Punkt gefährlich nahe, an dem Rußland seine territoriale Existenz bedroht sieht. Und das ist nach der russischen Militärdoktrin der Punkt, an dem es Atomwaffen einsetzen wird.
Es ist also nicht Putin, der mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, sondern es ist die NATO, die Rußland an den Punkt treibt, an dem es sich entweder selbst als Nation aufgibt oder zur Selbstverteidigung in den Krieg zieht. Das ist der Punkt, an dem wir stehen.
Warum ist dieser Moment so extrem gefährlich? Es geht nicht nur um den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und die Tatsache, daß mehr als 120 Länder, die mit der Gürtel- und Straßen-Initiative zusammenarbeiten, dabei sind, die politische, wirtschaftliche und militärische Macht der USA und Großbritanniens zu umgehen, was nach der Wolfowitz-Doktrin nicht erlaubt werden darf. Noch grundlegender ist die Tatsache, daß sich das neoliberale Modell der transatlantischen Welt in einem systemischen Zusammenbruch befindet.
Wir stehen genau an dem Punkt, den Lyndon LaRouche, mein verstorbener Ehemann, vor mehr als 50 Jahren vorausgesagt hat, als Nixon das Bretton-Woods-System beendete, indem er von festen auf freie Wechselkurse überging. Damit öffnete er die Schleusen für das ungezügelte Freihandelssystem einer Profitmaximierung auf Kosten der Realwirtschaft und des Lebensstandards der Mehrheit der Bevölkerung. Wir befinden uns jetzt am Ende dieses Weges, der viele Schritte umfaßte – wie die schrittweise Deregulierung der Finanzmärkte, die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer, die Just-in-time-Produktion, die Shareholder-Value-Gesellschaft, die Derivatspekulation usw.
Als dieses System 2007-8 in eine Systemkrise geriet, griffen die Zentralbanken zu „quantitativer Lockerung“ (quantitative easing, QE) und rücksichtslosem Gelddrucken, als gäbe es kein Morgen mehr, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen, nämlich die Geldgewinne auf Kosten der Produktion. Was jetzt geschieht, ist genau das, was 1923 in der Weimarer Republik geschah: Nach mehreren Jahren, in denen viele Billionen Dollar gedruckt wurden, kommt es plötzlich innerhalb weniger Monate zu einer hyperinflationären Explosion.
Nun stecken die Zentralbanken in einer Zwickmühle: Wenn sie die galoppierende Inflation durch eine „quantitative Straffung“ (quantitative tapering, QT) eindämmen wollen, droht ein Zusammenbruch der überschuldeten Unternehmen und die Auslösung einer Krise in den Schwellenländern. Deshalb schwankt die Bank of England hektisch zwischen QE, QT und dann wieder QE. Und die lächerliche Liz Truss schwankt hektisch zwischen Steuern runter und Steuern rauf. Sie stehen vor einem Zusammenbruch des Anleihemarktes.
Der einzige Unterschied zu Deutschland 1923 ist, daß die Hyperinflation diesmal nicht nur in einem Land stattfindet, sondern in allen Ländern, die mit dem Dollar als Weltwährung verbunden sind.
Wir sind jetzt an dem Punkt, den LaRouche 1971 vorausgesagt hat: daß die Fortsetzung des monetaristischen Kurses zwangsläufig zu einer neuen Depression würde, zu einem neuen Faschismus und zu einem neuen Weltkrieg, solange man nicht eine völlig andere wirtschaftliche Weltordnung schafft.
Und genau das tut die Mehrheit der Weltbevölkerung. Die BRICS-Staaten – Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika –, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), in der sich die meisten Länder des östlichen eurasischen Kontinents zusammengeschlossen haben, die ASEAN-Staaten, die CICA (Conference on Interaction and Confidence Building Measures), die gerade in Astana tagt, und viele andere Länder des Globalen Südens sind schon sehr weit fortgeschritten bei der Schaffung einer neuen internationalen Währungs- und Wirtschaftssystems, das auf völlig anderen Grundsätzen beruht als das neoliberale System, nämlich auf der Notwendigkeit, die Armut für alle Menschen in den Entwicklungsländern zu überwinden, den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen, das Gemeinwohl an die erste Stelle zu setzen und zwischen souveränen Staaten zum gegenseitigen Nutzen aller zu kooperieren.
Die sogenannten Ökonomen des Westens, die allesamt als völlig inkompetent diskreditiert sind, sollten sich auf die Worte des besten russischen Ökonomen, Sergej Glasjew, besinnen: Wir wären nicht in dieser Krise, wenn die Menschen auf Lyndon LaRouche gehört hätten!
Jetzt komme ich zum Kern dessen, worum es in der internationalen Jugendbewegung gehen muß: Ihr, die Vertreter der Jugend von heute und aller zukünftigen Generationen, müßt euch feierlich verpflichten, den Zustand in dieser Welt zu beenden, in dem die Mehrheit der Menschheit – fünf oder sechs Milliarden Menschen – ihres vollen Potentials als menschliche Wesen beraubt wird, nur weil es ihnen an genügend Nahrung, sauberem Wasser, angemessenen Wohnungen, universeller Bildung und einem modernen Gesundheitssystem fehlt; nur damit eine Klasse von parasitären Milliardären und Millionären ihre Privilegien genießen kann. Darum ging es der LaRouche-Bewegung von Anfang an: die Überwindung von Armut und Unterentwicklung in den Ländern des globalen Südens als moralisch inakzeptables Relikt und Fortsetzung des Kolonialismus in neuem Gewand.
Als Lyndon LaRouche am Ende des Zweiten Weltkriegs im Kriegsgebiet Burma-China-Indien diente, wurde er im Winter und Frühjahr 1946 bei den Unruhen in Kalkutta Zeuge des barbarischen Verhaltens der Briten und sah das Britische Empire in Aktion. Er hörte nie auf, die imperiale Unterdrückung des Entwicklungssektors zu hassen, und wich niemals ab von seinem Engagement dafür, anstelle des bösartigen Systems des Kolonialismus eine gerechte neue Weltwirtschaftsordnung zu schaffen.
Ich schloß mich seiner im Entstehen begriffenen Organisation nach einer Reise an, die ich 1971 auf einem Frachtschiff unternommen und die mich mitten in der Kulturrevolution nach China geführt hatte, mit kurzen Zwischenstopps in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern. Wenn man mit einem Frachtschiff reist, bekommt man einen realistischen Eindruck von den Lebensbedingungen der Menschen. Man sieht die unnötige Armut, die mit westlichen Technologien so leicht zu überwinden wäre, wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre. Diese Reise hat mein Leben seither geprägt.
Ich kam mit der tiefen Überzeugung zurück, daß dieses System der unverschuldeten Unterentwicklung, in dem sich die Entwicklungsländer bis heute befinden, geändert werden muß. Als ich nach meiner Rückkehr alle politischen Organisationen in Berlin prüfte, stellte ich fest, daß LaRouche der einzige war, der über die Notwendigkeit des Aufbaus von Infrastruktur, Landwirtschaft, Industrie, Bildung, Gesundheitssystemen usw. weiter in der sogenannten Dritten Welt sprach.
Unsere Bewegung hat im letzten halben Jahrhundert an dieser Perspektive gearbeitet. Wir haben Entwicklungspläne für Afrika, Lateinamerika und Asien ausgearbeitet. Wir haben mit Indira Gandhi an einem 40-Jahres-Entwicklungsplan für Indien gearbeitet; mit dem mexikanischen Präsidenten López-Portillo an einem lateinamerikanischen Infrastrukturplan, der „Operation Juárez“ genannt wurde. Wir erweiterten den ursprünglichen Plan der Eurasischen Landbrücke und alle anderen Entwicklungspläne, die wir geschrieben hatten, zu dem Konzept „Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“, das jetzt von China mit der Gürtel- und Straßen-Initiative und der Globalen Entwicklungsinitiative umgesetzt wird, wie Sergej Glasjew in seiner eindrucksvollen Würdigung zu Lyndon LaRouches hundertstem Geburtstag geschrieben hat.
Der wichtigste Aspekt der erwähnten Weltrevolution ist die Tatsache, daß es eine Renaissance der Bewegung der Blockfreien gibt, die sich unter anderem darin ausdrückt, daß viele Länder des Globalen Südens nicht bereit sind, sich zwischen den USA, Rußland und China für eine Seite zu entscheiden und sich in eine geopolitische Konfrontation hineinziehen zu lassen, die nur in einem Atomkrieg enden kann. Der Geist von Bandung, die Entschlossenheit der afrikanischen und asiatischen Länder auf der Konferenz von Bandung 1955, dem Kolonialismus in all seinen Formen ein Ende zu setzen, der heute in Form der Fesseln eines manipulierten Währungssystems weiterexistiert, das die Entwicklung des sogenannten Entwicklungssektors unterdrückt – dieser Geist ist auf machtvolle Weise wieder zum Leben erwacht. Mahatma Gandhis Idee der Gewaltlosigkeit, die das Britische Empire besiegte und die auch die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King inspirierte, brauchen wir heute, um die Gefahr der thermonuklearen Auslöschung zu besiegen.
Wir brauchen ein völlig neues Paradigma in der Art und Weise, wie wir über die Menschheit denken. Nicht als das Interesse eines Landes oder einer Gruppe von Ländern gegen die andere, sondern als „die eine Menschheit zuerst“. Wir müssen das Denken des Zusammenfalls der Gegensätze von Nikolaus von Kues übernehmen, daß das Eine eine höhere Macht hat als die Vielen.
Das ist die gleiche Denkweise wie die von Cai Yuanpei, dem ersten Bildungsminister der Republik China und Präsidenten der Peking-Universität, der die Vision einer „großen Gemeinschaft der ganzen Welt“ hatte, die auf Chinesisch datong shijie heißt und die deutlich an Xi Jinpings „Zukunftsgemeinschaft der Menschheit“ erinnert.
Das ist dieselbe Idee, die Friedrich List von der kontinuierlichen Vervollkommnung und Integration aller Infrastrukturen und Kommunikationssysteme hatte, die die Voraussetzung für den permanenten Fortschritt aller Wissensbereiche in Wissenschaft und Kunst schaffen und den Menschen einen Austausch von Ideen ermöglichen soll, der alle ihre Talente entfaltet. Diese infrastrukturelle Integration würde schließlich zur Vereinigung aller Nationen in der einen Menschheit führen, einer „Universalrepublik“, die auf der Wirtschaft der Menschheit basiert.
Derselbe Gedanke wurde bekanntlich auch von Friedrich Schiller geäußert, der mit Nachdruck darauf hinwies, daß es keinen Widerspruch zwischen einem Weltbürger und einem Patrioten gibt, da das Interesse der Nation mit dem der gesamten Menschheit im Einklang steht.
Die erhabenste künstlerische Verherrlichung dieses Konzepts findet sich natürlich in Beethovens Neunter Symphonie, der Komposition von Schillers Ode an die Freude, wo der Chor singt: „Alle Menschen werden Brüder“. Es ist keine Utopie, zuerst an die eine Menschheit zu denken. Das wird die Voraussetzung sein, um die gefährlichste Krise in der Geschichte der Menschheit zu überwinden.
Laßt uns also eine internationale Bewegung von Weltbürgern schaffen, in der ihr, die jungen Menschen aus aller Welt, die Führung übernehmt und die Botschafter dieser Vision einer wahrhaft menschlichen Welt seid. Da viele von euch mit den Ideen eines Mannes vertraut sind, der in der ältesten Stadt Deutschlands – Trier – geboren wurde, möchte ich eine leichte Abwandlung dieser Idee vorschlagen, weil ich auch in Trier geboren bin; wir sollten sagen: „Weltbürger aller Länder, vereinigt euch, um den Dritten Weltkrieg zu stoppen und eine bessere Welt zu schaffen.“
Ich danke Ihnen und euch.
Den Mitschnitt der Konferenzbeiträge (im englischen Original) finden Sie auf der Internetseite des Schiller-Instituts.