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Von Jacques Cheminade
Jacques Cheminade hat dreimal für Frankreichs Präsidentschaft kandidiert und ist Vorsitzender der Partei Solidarité et Progrès. Im Schlußabschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 19. Juni 2022 hielt er den folgenden Vortrag. (Übersetzung aus dem Englischen.)
Es ist in den Vereinigten Staaten wenig und im Ausland noch weniger bekannt, daß die Namen der beiden NASA-Rover, die den Mars erforschen sollen, von amerikanischen Schülern im Rahmen eines nationalen Wettbewerbs stammen.
Der Name von Curiosity – Neugier –, der 2011 gestartet wurde, stammt von der zwölfjährigen Clara Ma. Sie sagte dazu: „Neugier ist die Leidenschaft, die unser tägliches Leben beseelt... Unser Bedürfnis, Fragen zu stellen und sich zu wundern, führt uns dazu, Entdecker zu werden.“
Der Name von Perseverance – Ausdauer, Beharrlichkeit –, der 2020 gestartet wurde, stammt von Alex Mather, dreizehn Jahre alt, der betonte: „Wir werden auf dem Weg zum Mars viele Rückschläge erleben. Aber mit Beharrlichkeit können wir es schaffen.“
Ich greife diese beiden schönen Beispiele für amerikanischen Optimismus aus zwei Gründen auf.
Erstens, weil es in den Vereinigten Staaten einen Schatz an positivem und rationalem Optimismus gibt, trotz des kriminellen Verhaltens der meisten Regierungsvertreter und der Zerstörung der kreativen Fähigkeiten eines Großteils der Bevölkerung.
Zweitens und vor allem, weil eine solche Erklärung etwas zum Ausdruck bringt, was in der gegenwärtigen Weltsituation von grundlegender Bedeutung ist: Wenn wir durch die überfällige Konkurssanierung des sterbenden transatlantischen Finanzsystems Frieden schaffen wollen, dann brauchen wir eine persönliche innere Inspiration für das Gute und Schöne. Ohne das ist es unmöglich, die Gegensätze zwischen den widerstreitenden Organisationen und Staaten zu überwinden, um eine menschliche, höhere Stufe des Denkens und Handelns zu erreichen. Wenn es um Krieg oder Frieden geht, um Leben oder Tod, dann kommt man nicht darum herum, sich selbst bewußt zu verpflichten, nach dem Besseren, Menschlicheren in uns zu handeln; man muß die Neugier (curiosity) aufbringen, es zu entdecken, und die Beharrlichkeit (perseverance), danach zu handeln.
Clara und Alex erteilen uns eine wichtige Lektion – unbewußt, wie immer, wenn man gute Lehren nicht durch anstachelnde Reden oder Slogans erteilt, sondern indem sie uns auf ganz natürliche Weise den Ernst ihres Engagements beweisen. Das ist es, was unsere Herzen bewegt und das schafft, was unser ehemaliger französischer Präsident Charles de Gaulle „den Zusammenhalt von Gefühlen und Gedanken“ nannte.
Genau das habe ich gespürt, als ich Lyndon LaRouche zum ersten Mal sprechen hörte und sah: jemand, der meinen Verstand ernst nahm. Das ist die Eigenschaft, die wir, wenn auch stets unvollkommen, in uns aufbringen müssen: die Neugierde, das Unbekannte in der Außenwelt und notwendigerweise auch in uns selbst zu erforschen, und diese Neugierde für das Gute aufrechtzuerhalten mit Beharrlichkeit.
Nicht weniger als das ist notwendig, um den unmöglich scheinenden Zusammenfall von Gegensätzen zu erreichen. Denn es ist das wirklich Menschliche in uns allen, das von Natur aus, jenseits des gegenwärtigen, katastrophalen Zustands des physischen Universums, die Fähigkeit besitzt, das scheinbar Unmögliche zu vollbringen, indem man Teil davon ist und gleichzeitig daraus heraustritt, und die anderen dafür gewinnt, es genauso zu machen, indem sie ihre eigenen inneren Fähigkeiten anregen.
Ein Cousin von mir, der während des Zweiten Weltkriegs aus einem Gefangenenlager entkam, erzählte mir ein schönes Beispiel dafür. Er war nur ein armer Bauer, aber er sorgte sich um seinen Hof und seine Familie und um die Welt insgesamt, und er beschloß zu fliehen. Doch nur zwei andere Gefangene entschieden sich, mit ihm zu fliehen. Er sagte: „Das Schwierigste war nicht, zu entkommen und meinen Hof zu erreichen, sondern der Moment, in dem ich die Entscheidung traf und versuchte, die anderen zu überzeugen, daß es das Richtige war, und ich so enttäuscht war, daß nur zwei es wagten, mit mir zu gehen, daß ich im Begriff war, aufzugeben.“
Der große deutsche und universelle Dichter Friedrich Schiller fordert uns auf, im Moment der Entscheidung frei zu sein, aber nicht frei, um dem allgemeinen Trend oder unseren sinnlichen Impulsen zu folgen oder sich der Situation anzupassen, sondern frei, indem wir das Erhabene spüren, wenn der unabhängige Geist sich aus dem Netz der Sinneswahrnehmungen löst, um zu einem inneren Sinn für das Gemeinwohl zu gelangen. Erst dann können wir dem Bösen wirklich entgegentreten.
Schiller sagt: „Stirne gegen Stirn zeige sich uns das böse Verhängnis. Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren – denn diese muß doch endlich aufhören –, nur in der Bekanntschaft mit denselben ist Heil für uns.“
Denken Sie von diesem Standpunkt aus darüber nach, wie wir gemeinsam eingreifen, um den Gefahren, denen wir hier und jetzt gegenüberstehen, mit unserer selbst gewonnenen Macht der Freiheit und der Vernunft zu begegnen. Schiller fährt fort:
„Die Freiheit in allen ihren moralischen Widersprüchen und physischen Übeln ist für edle Gemüter ein unendlich interessanteres Schauspiel, als Wohlstand und Ordnung ohne Freiheit, wo die Schafe geduldig dem Hirten folgen und der selbstherrschende Wille sich zum dienstbaren Glied eines Uhrwerks herabsetzt. Das letzte macht den Menschen bloß zu einem geistreichen Produkt und glücklicheren Bürger der Natur; die Freiheit macht ihn zum Bürger und Mitherrscher eines höheren Systems, wo es unendlich ehrenvoller ist, den untersten Platz einzunehmen, als in der physischen Ordnung den Reihen anzuführen.
Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, und nur aus diesem, ist mir die Weltgeschichte ein erhabenes Objekt. Die Welt, als historischer Gegenstand, ist im Grunde nichts anders als der Konflikt der Naturkräfte unter einander selbst und mit der Freiheit des Menschen, und den Erfolg dieses Kampfes berichtet uns die Geschichte.“ (Über das Erhabene)
Mit einer solchen Geisteshaltung können wir das Unmögliche erforschen und den Lauf der Geschichte von ihrem möglichen tödlichen Schicksal abbringen, auf das diejenigen hinarbeiten, die heute die physische Ordnung beherrschen: die Bidens dieser Welt und ihre Hintermänner, unsere europäische Pseudo-Führung und ihre Hintermänner – kein anonymer „Tiefer Staat“, sondern das perverse Universum des Geldes und der Waffen, die Welt der City, der Wall Street und der Algorithmen von Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft, mit denen sie operieren und die Köpfe manipulieren können. Unsere Herausforderung besteht nun darin, uns aus ihrem Netz zu befreien und unseren Mitbürgern wahre Freiheit außerhalb ihrer sinnlichen Illusionen zu bringen.
Hier muß ich an eine kleine französische Stadt denken, sie heißt Montargis, im Departement Loiret. Dort lebten kurz nach dem Ersten Weltkrieg ein paar chinesische Arbeiter und Studenten, nicht mehr als ein paar Dutzend. Konnte man in den frühen 1920er Jahren ahnen, daß ihr Engagement für die Freiheit zum Wohle Chinas das Schicksal der Welt verändern würde? Unmöglich, so wie man in jenen Jahren unmöglich glauben konnte, daß ein von Menschen gebautes Fahrzeug auf dem Mars herumfahren würde. Vielleicht so unmöglich, wie heute zu versuchen, die amerikanische und transatlantische Bevölkerung in ein Zeitalter der Vernunft zu erheben. Nichtsdestotrotz sind die ersten beiden Dinge wirklich geschehen, und die Taten von Diane Sare (unabhängige Senatskandidatin der LaRouche-Partei in New York, Red.) sind ein Grund zu der Annahme, daß auch das dritte in Kürze geschehen wird.
Wenn wir die Teilung unserer Welt in zwei Bereiche, Freund und Feind, vermeiden wollen, dann können wir nicht davon ausgehen, daß unser eigener Geist selbst gespalten ist zwischen den sinnlichen Gefühlen und dem sogenannten begrifflichen Denken. Man kann nicht für den Zusammenfall der Gegensätze in der heutigen Welt kämpfen und gleichzeitig aggressiv Ego-Shooter-Videospiele spielen.
Erinnern wir uns: Der Hofjurist des Naziregimes, Carl Schmitt, der später jeden Entnazifizierungsversuch ablehnte, war nicht nur der Theoretiker des Ausnahmezustands, er teilte auch alle persönlichen und internationalen Beziehungen zwangsläufig in Freunde und Feinde ein. Eine solche Annahme einer unumstößlichen Teilung und ihre Umsetzung in eine politische Theorie führt fatalerweise dazu, daß man immer versucht, den anderen erst einzuschüchtern und zu unterwerfen, um ihn letztlich zu eliminieren. Im eigenen Kopf und in unseren sozialen Beziehungen führt dies dazu, daß man Veränderungen zum Besten des anderen grundsätzlich ausschließt und – unweigerlich – zum Mörder, zum „Kostensenker“ oder bestenfalls zum dummen Misanthropen wird.
Denken wir an Martin Luther Kings politische Predigt „Warum wir unsere Feinde lieben sollten“, um ein Gefühl für die entgegengesetzte Denkweise zu bekommen, für die Kultur der Neugier und Beharrlichkeit, die notwendig ist, um den anderen und die Welt hier und jetzt zu verändern.
Und in Momenten des Zweifels ist es dann an der Zeit für beißenden Humor, um die herrschenden Mächte und Gewalten lächerlich zu machen – Zeit für Rabelais, Heine, Cervantes, Nasreddin Hodscha und, wage ich zu behaupten, die urkomischen Geschichten von Sun Wukong und die Paradoxien eines Zhuangzi. Sie begegnen dem Bösen mit Humor und richten ihren Angriff gegen die egoistischen und kriminellen Figuren, die so tun, als hätten sie die Macht, und erzählen lustige Geschichten, die zeigen, daß sie in Wirklichkeit selbst Sklaven der Macht sind, die aus ihnen lächerliche Puppen macht. „Der engstirnige Gelehrte“, sagt die chinesische Tradition, „ist unfähig, über das Dao zu sprechen, denn er ist Gefangener dessen, was er gelernt hat.“
Was unser lieber Nikolaus von Kues die „gelehrte Unwissenheit“ nannte, ist die wertvollste Unwissenheit von allen. Dieser engagierte Humor, mit dem man über den Respekt vor Leuten, die ihn nicht verdienen, lachen kann, ist eine sehr mächtige Waffe – so mächtig, daß in bestimmten Momenten der Menschheitsgeschichte einige menschenfeindliche Regime das Lächeln oder Lachen als Verbrechen betrachteten, es war für sie eine unerträgliche Herausforderung. Denn es öffnet unseren Geist, um sich immer tiefer mit Konfuzius und Menzius, Schiller und Dante, den Veden und den Evangelien vertraut zu machen und sie zu unseren engen und weisen Freunden in Momenten von Schmerz und Leid zu machen, so wie erhabene Musik von Bach oder Beethoven.
Schauen wir uns an, was Nikolaus von Kues in seiner letzten Schrift, De apice theoriae („Der Gipfel der Schau”), zu sagen hatte. Es handelt sich um einen selbstreflexiven Dialog über das, was er auf Lateinisch posse ipsum nennt, das „Können-Selbst“ – eine ungefähre Metapher für Gott, für die Kraft, das Beste zu erreichen. Er sagt: „Mit dem Können-Selbst ist der dreifache und einzige Gott gemeint, dessen Name der Allmächtige oder die Macht der Allmacht ist, mit der alles möglich und nichts unmöglich ist, der die Stärke der Starken und die Tugend aller Tugenden ist.“
Ich habe das nicht aus irgendeiner geheimen Bibliothek; Nikolaus selbst war ja unmittelbar in das diplomatische und politische Leben seiner Zeit eingebunden. Ich sehe es als einen Bezugspunkt unserer christlichen Kultur, in Übereinstimmung mit anderen Kulturen, die diese entscheidende Idee vermitteln, daß Dinge, die auf einer bestimmten Ebene des Denkens und Handelns unmöglich erscheinen, auf einer höheren Ebene möglich werden, die dann wieder ein anderes „unmöglich“ definiert.
Aber nun noch eine letzte Warnung an uns alle: Eine solche notwendige „unmögliche“ Verpflichtung, unsere Meinung zu ändern und den gegenwärtigen Zustand der internationalen Beziehungen zu ändern, kann nicht von außen kommen. Sie kann nur von innen kommen, indem wir uns den sozialen Herausforderungen unserer Zeit stellen und über den Tellerrand hinausschauen, dank unseres Engagements, etwas zu erreichen, und mit Hilfe unserer Freunde – manchmal Freunde aus einer fernen Vergangenheit, die die Zukunft zum Besseren verändern. Es bedeutet mit anderen Worten, daß der menschliche Verstand fähig ist, das Unmögliche zu denken, jenseits der etablierten Spielregeln, fähig, neue physikalische Prinzipien zu entdecken, und fähig, zu handeln, damit das Abenteuer unserer menschlichen Spezies fortdauern kann, wenn wir neugierig und beharrlich bleiben.
Versuchen wir also, erhaben zu sein, und wenn es uns oft nicht gelingt, dieses Niveau zu erreichen, versuchen wir es immer wieder, so gut wir können, durch Gutes, durch gute Taten. Es geht um Krieg oder Frieden, um Leben oder Tod. Und wir haben nicht mehr Zeit als eine Sekunde, über das zu lachen, was so schlecht und so gefährlich unmenschlich ist, während die Weltuntergangsuhr der Narren weiter tickt.