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Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche ist die Initiatorin der „Operation Ibn Sina“.
In der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 9. April
hielt sie den
folgenden Vortrag.
Lassen Sie mich nur kurz einige Bemerkungen zur Operation Ibn Sina machen. Als die NATO im August letzten Jahres Afghanistan überstürzt verließ, wußte jeder, daß 80 Prozent des afghanischen Haushalts durch Hilfe von sogenannten Geberländern finanziert wurden. Als die Taliban die Macht übernahmen, wurde diese Hilfe sofort gestrichen. Mit einem Federstrich wurden fast die gesamten finanziellen Mittel des Landes vernichtet. Die Zentralbank wurde geschlossen, es gab kein Geld mehr in den Banken, die Menschen konnten nicht einmal mehr Geld nach Afghanistan schicken. Das Land stürzte ins völlige Chaos; es war schon vorher in einem schlechten Zustand. Es stellte sich heraus, daß in 20 Jahren NATO-Krieg nichts in der Wirtschaft aufgebaut worden war. Vielleicht wurden ein paar Schulen und einige Straßen gebaut, aber keine funktionierende Wirtschaft.
Und dann haben die Zentralbanken der USA und Europas auch noch – um es nett auszudrücken – 9 Milliarden Dollar „eingefroren“, die dem afghanischen Volk gehören. Dieses Geld wurde gewissermaßen gestohlen. Und die Situation hat sich dann sehr schnell dramatisch verschlechtert. Innerhalb weniger Wochen wurde klar, daß 23 Millionen Menschen Gefahr liefen, den Winter nicht zu überstehen und zu verhungern. Von der gesamten afghanischen Bevölkerung hatten 98% nicht genug zu essen, die Ernährungslage war unsicher. Ich glaube, daß insgesamt 7 Millionen Kinder in großer Gefahr waren. Niemand weiß, wie viele von ihnen in der Zwischenzeit gestorben sind.
Es war also eine absolute Katastrophe. Haben Sie davon etwas in den Medien gehört? Vergleichen Sie die Berichterstattung über die Ukraine, so schrecklich die Situation dort auch ist, mit der Berichterstattung über Afghanistan, wo mehr als 50% der Menschen in Lebensgefahr waren und viele immer noch sind.
An diesem Punkt rief ich zur Operation Ibn Sina auf. Die Idee war, zunächst die Weltbevölkerung zu alarmieren, daß es sofortige humanitäre Hilfe geben muß. Inzwischen sind viele internationale Organisationen vor Ort. Aber vor allem muß man die Wirtschaft aufbauen, die Infrastruktur aufbauen, die Landwirtschaft, die Industrie, und den Mohnanbau stoppen.
Inzwischen wurde eine Menge getan. Die Taliban haben – nicht zu unserer Überraschung, aber zur Überraschung vieler – die Opiumproduktion eingestellt. Aber das Land ist immer noch in äußerster Not.
Deshalb habe ich zur Operation Ibn Sina aufgerufen. Ibn Sina war einer der größten Mediziner der Menschheit. Er lebte von 980 bis 1037, also vor etwa tausend Jahren. Er war einer der größten Mediziner der Geschichte. Er schrieb einen Kanon der Medizin, der bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein das medizinische Standardwerk in Europa war.
Er entdeckte die Bedeutung der Quarantäne zur Bekämpfung von Epidemien, was im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie äußerst wichtig ist. Deshalb habe ich die Bemühungen zur Rettung Afghanistans „Operation Ibn Sina“ genannt. Ibn Sinas Vater stammte aus Balch, im Norden Afghanistans. Er selbst wurde in Afschana im heutigen Usbekistan geboren, und er ist ein großer Held und eine große Inspiration für die gesamte Region, insbesondere aber für Afghanistan.
Ich habe betont, daß man bei einer Pandemie ein modernes Gesundheitssystem aufbauen muß, und das Gesundheitssystem – moderne Krankenhäuser usw. – kann nur aufgebaut werden, wenn man über sauberes Wasser, genügend Strom und andere grundlegende Infrastrukturen verfügt. Ich kämpfe also immer noch für diese Idee.
Ich sollte noch erwähnen, daß Ibn Sina auch ein großer Philosoph war; er entdeckte äußerst wichtige Konzepte wie den Beweis für die Unsterblichkeit der Seele. Ich kann Sie nur dazu anregen, das zu studieren, denn es ist eine wichtige Idee. Er erörterte die Frage nach der Ewigkeit des Universums; auch das ist äußerst wichtig. Hat das Universum mit einem Urknall begonnen, oder gab es etwas davor? Mit anderen Worten: Er formulierte wissenschaftliche Fragen, die auch heute noch äußerst relevant sind. Das James-Webb-Weltraumteleskop wird bald einige Antworten auf diese Frage geben.
Er war auch in Europa sehr berühmt. Er hat die europäische Philosophie beeinflußt: Thomas von Aquin, Dante, Cusa, Marsilio Ficino und viele andere. Er gilt seit jeher als einer der überragenden Giganten der Weltgeschichte.
Ich hielt es für wichtig, den Bemühungen um die Rettung Afghanistans den Namen eines so großen Arztes und Philosophen zu geben. Denn wenn ein Land durch die Hölle geht – und Afghanistan ist durch die Hölle gegangen –, dann braucht man eine Inspiration, die an die größten Traditionen der Vergangenheit anknüpft, aber auch an die Idee einer Hoffnung auf eine viel bessere Zukunft. Diese Region der Welt war einst als das „Land der tausend Städte“ bekannt. Wenn es zum Wiederaufbau Afghanistans kommt – und es gibt einige hoffnungsvolle Anzeichen dafür, daß dies im Rahmen der Belt and Road Initiative geschehen wird – brauchen Sie eine optimistische Vorstellung von einer besseren Menschheit. Ibn Sina ist genau das bestmögliche Bild, vor allem wegen seines Doppelcharakters von Medizin und Philosophie.
In der Zwischenzeit hat es einige positive Entwicklungen gegeben. Leider nicht vom Westen, nicht von den Vereinigten Staaten, nicht von Europa; all die Länder, die 20 Jahre lang mit der NATO dort waren, haben im Grunde genommen sehr wenig oder gar nichts getan. Aber in der Zwischenzeit gab es zwei wichtige Konferenzen. Die eine war die OIC-Konferenz – die Organisation für Islamische Zusammenarbeit – in Islamabad. Dort wurde ein humanitärer Fonds für die Entwicklung Afghanistans eingerichtet. Und vor ein paar Wochen fand eine weitere Konferenz in Anhui statt. In dieser wunderschönen chinesischen Provinz trafen sich die Nachbarländer mit [dem chinesischen Außenminister] Wang Yi und anderen, um eine regionale Entwicklungsperspektive für Afghanistan zu diskutieren.
Es besteht also eine gewisse Hoffnung, daß sich die Dinge bewegen. Aber die Lage ist immer noch absolut dramatisch, und wir sollten uns da nichts vormachen.
Ich wollte Ihnen von der Operation Ibn Sina erzählen, denn obwohl es sehr schwierig ist, Unterstützung dafür zu gewinnen, habe ich nicht aufgegeben. Und ich habe einige Mitstreiter, die ebenfalls nicht von der Idee ablassen, daß dies für eine bessere Zukunft des afghanischen Volkes auf die Tagesordnung gesetzt werden muß. Dies sind also meine kurzen, einleitenden Bemerkungen zu Daud Azimi, der Ihnen noch mehr erzählen wird.