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Von Alexander Hartmann
Anfang Dezember hatte Rußlands Präsident auf die Eskalation der militärischen und politischen Provokationen von Seiten der USA und der NATO mit der dramatischen Warnung reagiert, Rußlands „rote Linie“ würde überschritten und es könne sich gezwungen sehen, mit „militärisch-technischen Vergeltungsmaßnahmen“ zu reagieren. Diese rote Linie, so hat Moskau klargestellt, ist das weitere Vorrücken von US- und NATO-Truppen bis an die russische Grenze und insbesondere die Stationierung von defensiven und offensiven nuklearfähigen Raketensystemen knapp fünf Flugminuten von Moskau entfernt.
Rußland hat dazu zwei internationale Vertragsentwürfe vorgelegt – einen mit den Vereinigten Staaten, den anderen mit der NATO –, in denen rechtlich garantiert würde, daß das Vorrücken der NATO nach Osten endet, daß insbesondere die Ukraine und Georgien nicht in die NATO aufgenommen werden, und daß keine modernen Waffensysteme vor Rußlands Haustür stationiert werden. Putin und andere russische Vertreter machten ganz klar: Rußland sieht sich in einer Lage vergleichbar mit den USA zur Zeit der Kubakrise, und wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden, droht Krieg. Und Rußland will nicht endlose Gespräche und Verhandlungen, sondern schnelle Entscheidungen.
Angesichts dieser kompromißlosen Haltung sahen sich US-Präsident Biden und andere veranlaßt, die Wogen zu glätten; Putin und Biden hatten innerhalb weniger Tage eine Videokonferenz und ein Telefongespräch, es wurden für Mitte Januar Gespräche angesetzt zwischen Rußland und den USA (für den 10.1.), der NATO (12.1.) und der OSZE (13.1.).
Am 3. Januar 2022 gaben dann die Staats- und Regierungschefs der fünf Atomwaffenstaaten, die ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sind („P5“), eine Erklärung ab, in der sie gemeinsam feststellen: „Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.“ Kernwaffen dürften nur „zu Verteidigungszwecken, zur Abschreckung von Aggressionen und zur Kriegsverhütung“ eingesetzt werden, und ihre Verbreitung müsse verhindert werden. Sie bekunden ihre Absicht, „weiter bilaterale und multilaterale diplomatische Ansätze zu suchen, um militärische Konfrontationen zu vermeiden, Stabilität und Vorhersehbarkeit zu stärken, das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zu verbessern und ein Wettrüsten, das niemandem nützen und alle gefährden würde, zu verhindern“.
In ihrem Internetforum am 6. Januar 2022 kommentierte Helga Zepp-LaRouche – die Vorsitzende des Schiller-Instituts, das erst wenige Tage zuvor ein ausführliches Memorandum zu der drohenden Weltkriegsgefahr veröffentlicht hatte1 – diese Erklärung sei ein wichtiger Durchbruch: „Es war das erste Mal, daß sich diese fünf Atommächte auf eine solche Erklärung einigten – das hat es noch nie gegeben.“
Sie warnte jedoch auch: „Aber natürlich müssen alle wichtigen Beteiligten und Beobachter auch zur Kenntnis nehmen, daß den Worten auch Taten folgen müssen, und diese Erklärung als solche ist zwar äußerst wichtig, entschärft aber noch nicht die Krise um die Ukraine oder die Krise um Taiwan; aber sie ist, wie ich schon sagte, ein sehr wichtiger, erster Schritt.“
Mitten hinein in die Entfaltung dieser diplomatischen Aktivitäten platzten dann jedoch die Nachrichten über blutige Massenproteste in Kasachstan. Der Zeitpunkt dieser Ereignisse ist mehr als verdächtig. In ihrem Internetforum betonte Helga Zepp-LaRouche:>
„Hätten Sie mich vor einer Woche gefragt, ob ich eine Störung der diplomatischen Offensive erwarte, die vor allem von Rußland und China ausgeht, um das zu entschärfen, was sich mit der Entwicklung um die Ukraine und Taiwan zu einer doppelten ,Kuba-Krise‘ aufschaukelt, dann hätte ich geantwortet, man müsse auf jeden Fall mit einer Provokation rechnen, die diese Treffen stören soll. Und so kam es auch.“
Sie beschrieb den Ablauf der Vorgänge in Kasachstan:
„Die Unruhen, die innerhalb von zwei Tagen in vielen Städten auf offensichtlich koordinierte Weise ausgebrochen sind, waren in Almaty ziemlich gewalttätig, das Regierungsgebäude wurde besetzt. Auslöser war formal die Streichung der staatlichen Subventionen für die Gaspreise, die sich daraufhin verdoppelten, worauf die Bevölkerung sehr heftig reagierte, da die Inflationsrate in Kasachstan bereits sehr hoch war.
Aber dann geschah innerhalb weniger Stunden, höchstens eines Tages, etwas anderes: Zu den Demonstrationen gegen den Gaspreis gesellten sich viele Nichtregierungsorganisationen, die die typischen Forderungen einer Farbenrevolution einbrachten, wie ,Demokratie‘, ,Menschenrechte‘, ,Redefreiheit‘ – all die Dinge, die wir normalerweise von anderen Farbenrevolutionen kennen.“
Dann habe die kasachische Regierung die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) angerufen – die Sicherheitsorganisation, an der viele ehemalige Sowjetrepubliken beteiligt sind (Kasachstan, zentralasiatische Republiken, Rußland, Georgien) – und Truppen der CSTO angefordert. „Sie sind bereits vor Ort, und natürlich gibt es eine starke russische Komponente unter diesen Truppen. Aber das ist alles legal, denn der kasachische Präsident hat sie zur Verteidigung einberufen, und das ist völlig legitim. Aber es ist dennoch bedenklich, daß dies nur wenige Tage vor diesen äußerst wichtigen diplomatischen Treffen geschieht.“
Zepp-LaRouche forderte eine gründliche Untersuchung verschiedener Aspekte der Vorgänge in Kasachstan:
Sie betonte: „Wenn sich herausstellt, daß das ein vom Westen initiierter Versuch ist, diese diplomatischen Treffen zum Scheitern zu bringen, die extrem wichtig sind, weil wir am Rande einer ,Kubakrise‘ stehen – in gewissem Sinne noch viel schlimmer, weil die Menschen auf der Seite des transatlantischen Bündnisses weniger besonnen sind –, dann wird dies etwas sein, was die höchste Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der gesamten Bevölkerung erfordert.“
Sie betonte, daß es in diesem Konflikt letztlich um die Zukunftsperspektive geht:
„Es wird sehr, sehr deutlich, daß die Zusammenarbeit innerhalb Eurasiens entlang der Eurasischen Landbrücke – was dann zur Neuen Seidenstraße wurde und jetzt zur Weltlandbrücke wird und was genau das ist, wofür wir in den letzten 30 Jahren gearbeitet haben –, daß das im Eigeninteresse aller Menschen in Eurasien ist: der Industrie, der Arbeiter, der Menschen guten Willens, die einfach eine friedliche Zukunft haben wollen.
Aber es ist auch klar, daß diejenigen, die in Begriffen des Imperiums denken, der Interessen von London, der Wall Street, des Silicon Valley – und von Frankfurt, muß man hinzufügen –, eine andere Perspektive haben. Denn sie müssen das Empire ausweiten, sie müssen weiter das Blut aus den Kolonien saugen, wie wir es in Bezug auf die Dritte Welt sehen; und sie denken natürlich, daß sie diese kriegerische Haltung einnehmen müssen.“
Dies müsse deutlicher gemacht werden. „Denn all die Probleme, die wir haben, sei es das widerliche Verhalten in Bezug auf Afghanistan oder das Bemühen, die Entwicklungsländer an der Entwicklung zu hindern, oder die absolute Inkompetenz im Umgang mit der Pandemie: All das rührt daher, daß wir in den meisten Hauptstädten des Westens, in den Vereinigten Staaten und in Europa, Regierungen haben, die wirklich nicht das Interesse des Gemeinwohls verfolgen, sondern das Interesse der großen Banken, der Finanzoligarchie, der großen Agrarkartelle, der Profitmaximierung. Diese haben es geschafft, Regierungen einzusetzen, die Sprachrohre ihrer Interessen sind.“
So könne man jetzt bei der Drei-Parteien-Koalitionsregierung in Deutschland sehen, „daß es eigentlich keine Rolle spielt, wen man wählt; Sie können die Grünen wählen, Sie können die Liberalen wählen, Sie können die Sozialdemokraten wählen, und Sie bekommen alle denselben Cocktail, weil sie einen Kompromiß machen, unabhängig von den Stimmen.
Es zeigt einfach, daß das parlamentarische System und die Art und Weise, wie das präsidiale System in den Vereinigten Staaten untergraben wurde – daß das wirklich nicht das repräsentiert, was in der amerikanischen Verfassung steht, nämlich die Notwendigkeit, das Gemeinwohl zu fördern; und was auch im deutschen Grundgesetz steht, auf das der Bundeskanzler und die Minister schwören müssen, wenn sie ihr Amt antreten, daß sie das Wohl des Volkes fördern und es vor Schaden bewahren werden. Das tun sie nicht!“
Deshalb, betonte sie, brauchen wir eine Mobilisierung der Bevölkerung, „um eine Umkehr zu erzwingen, um ein neues Paradigma in der Politik zu erzwingen, das das Gemeinwohl in den Vordergrund stellt. Und das ist eine sehr praktische Frage, auch wenn die Menschen nicht gewohnt sind, so zu denken, aber wir brauchen eine hundertprozentige Umkehr, denn diese Konfrontation mit Rußland und China ist selbstmörderisch.“
Anmerkungen
1. „Schlafwandeln wir in einen thermonuklearen Dritten Weltkrieg?“, Neue Solidarität 1/2022. Auch als PDF hier zum Herunterladen.