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Von Harley Schlanger
Angesichts der harschen Worte und des schrillen Tons des Biden-Teams vor seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin am 16. Juni schien es nur realistisch, daß beide Seiten in den Verlautbarungen vor dem Gipfel die Erwartungen herunterschraubten. In den Tagen vor dem Gipfel traf sich Biden mit den G7-Staatschefs und mit NATO-Vertretern, um den Eindruck einer geeinten Front gegen die „Bedrohung durch Rußland und China“ zu erwecken. Seine Sprecher zeichneten wiederholt das Bild einer „Allianz demokratischer Staaten“, die bereit stehe, „autokratischen Regimen“ entgegenzutreten und eine willkürliche „regelbasierte Ordnung“ westlicher Werte gegen die angeblichen, bösartigen Absichten Rußlands und Chinas zu verteidigen.
Nach dem NATO-Gipfel in Brüssel sagte Biden: „Rußland und China versuchen beide, einen Keil in unsere transatlantische Solidarität zu treiben..., aber die NATO steht felsenfest und unerschütterlich.“ Im Abschlußkommuniqué werden Rußland als Aggressor und China als systemische Herausforderung bezeichnet, die beide die regelbasierte Ordnung bedrohen. Angesichts dieser Bedrohung heißt es, die NATO „steht zu ihren internationalen Verpflichtungen“, insbesondere in Bezug auf Rußland, das die in den Dokumenten über die Rußland-NATO-Beziehungen dargelegten Werte, Prinzipien, Vertrauen und Verpflichtungen wiederholt verletze.
„Amerika ist wieder da“, schwärmte Präsident Biden immer wieder, die anderen stimmten ein und erinnerten daran, daß die G7 früher dank der militärischen und wirtschaftlichen Macht der USA die globale Agenda bestimmen konnten. Nach dem Anschein von Einigkeit auf den beiden Gipfeln schien es, als könne er voller Zuversicht Putin seine „roten Linien“ aufzeigen.
Doch die zahllosen Plattitüden der Teilnehmer der G7- und NATO-Gipfel wurden durch eine simple Aussage aus der chinesischen Botschaft in London entlarvt: „Die Zeiten, in denen globale Entscheidungen von einer kleinen Gruppe von Ländern diktiert wurden, sind längst vorbei.“ Dieser Kommentar läßt eine der Illusionen des „G7-Clubs“ platzen: daß dieser Gipfel nach dem Trump-Interregnum eine Rückkehr zum „Multilateralismus“ markiere. Um die Perspektive zurechtzurücken: Als die G7 1975 gegründet wurde, umfaßten die Mitgliedsländer 80% des BIP der Welt, heute sind es laut Statista.com nur noch etwas über 30%. Und auf die sieben Länder entfallen weniger als 10% der Weltbevölkerung.
Und auch wenn die Sieben Zwerge (wie Lyndon LaRouche sie nannte) Einigkeit demonstrierten, herrschten beträchtliche Zweifel, ob man die Agenda des Gipfels dem Rest der Welt aufzwingen könnte, und unter der Oberfläche gab es einige Meinungsverschiedenheiten, vor allem darüber, wie „hart“ man gegen China vorgehen soll, was durch Widerstand Deutschlands, Frankreichs und Italiens deutlich wurde.
Die Forderung, daß sich Staaten trotz allem dieser neuen Ordnung unterwerfen sollen, diskreditiert den Anspruch auf „Multilateralismus“. Der Ablauf des G7-Gipfels folgte nicht völkerrechtlichen Grundsätzen, sondern dem willkürlichen Entwurf der Finanz-, Geheimdienst-, Sicherheits- und diplomatischen Kreise in London und Washington, im Tandem mit den Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen, die von demselben Militärisch-Industriellen Komplex finanziert werden, der die strategischen Entscheidungen trifft. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte schon vor Monaten angekündigt, das G7-Treffen werde die Coming-Out-Party für das „Global Britain“ sein – eine kaum verhüllte neue imperiale Ordnung unter dem Schlagwort der „regelbasierten Ordnung“. Das Biden-Team unterstützte dies nicht nur voll und ganz, sondern machte sich das Konzept zu eigen, wonach die liberalen Demokratien die westlichen Werte gegen die Autokraten verteidigen.
Vor diesem Hintergrund war es für die Rußlandhasser vielleicht ein Schock, daß die „Gemeinsame Erklärung der Präsidenten zur strategischen Stabilität“ nach dem Gipfel exakt die Formulierungen eines früheren amerikanisch-russischen Gipfels zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow vom November 1985 enthielt, in dem viele die Grundlage für die friedliche Lösung des Zusammenbruchs der Sowjetunion sehen. In der Erklärung von Putin und Biden heißt es: „Heute bekräftigen wir das Prinzip, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf.“ Die Erklärung beinhaltet auch die Einrichtung eines bilateralen „Strategischen Stabilitätsdialogs“ über Sicherheitsfragen beider Nationen.
Weitere positive Entwicklungen des Gipfels sind die Rückkehr der Botschafter beider Länder, nachdem sie auf dem Höhepunkt der jüngsten Krise um die Ukraine abberufen worden waren; Bidens Verweis auf das Minsker Protokoll und damit die Aussicht auf eine Wiederbelebung der Diplomatie zur Lösung der Spannungen um die Ukraine (auf der Grundlage eines Abkommens, das von der Ukraine immer noch sabotiert wird); und eine Vereinbarung, „Konsultationen über Cybersicherheit“ zu beginnen. Letzteres ist ein Zugeständnis Bidens, nachdem Putin vehement bestritten hatte, daß Rußland für wiederholte Cyber-Angriffe auf die US-Infrastruktur verantwortlich ist. Das war seine Antwort auf die Vorwürfe, Moskau fördere und schütze an solchen Angriffen beteiligte „Cyber-Terroristen“, von der Einmischung in die US-Wahlen 2016 und 2020 bis hin zu Ransomware-Angriffen auf amerikanische und verbündete Unternehmen – Vorwürfe, für die es nicht den geringsten Beweis gibt.
In getrennten Pressekonferenzen gaben beide Präsidenten vorsichtige Einschätzungen ihres Verhältnisses ab. Putin sagte: „Unser Treffen fand in einem konstruktiven Geist statt“, und „beide Seiten brachten ihre Absicht zum Ausdruck, einander zu verstehen und eine gemeinsame Grundlage zu suchen“. Biden sagte: „Der Ton des gesamten Treffens war gut und positiv“, und er habe erkannt, daß Putin keinen „Kalten Krieg“ wolle.
Diese kleinen Erfolge wurden durch mehrere Ereignisse im Vorfeld des Gipfels geprägt, die eine Flanke gegen die Standardlinie der imperialen geopolitischen Angriffe darstellten. Dazu gehörten ein zweistündiges Treffen zwischen dem russischen Außenminister Lawrow und US-Außenminister Blinken am 19. Mai in Reykjavik, das als „produktiv und herzlich“ beschrieben worden war, zur Absegnung der Pläne für den Gipfel am 16. Juni, sowie Blinkens Ankündigung am selben Tag, auf Sanktionen gegen das Hauptunternehmen der Pipeline Nord-Stream-2 und dessen Chef zu verzichten. Der russische Vize-Außenminister Rjabkow bezeichnete diese Entscheidung – die in den USA von Medien und Kriegstreibern in beiden Parteien heftig verurteilt wurde – als „einen Schimmer von Normalität in der amerikanischen Politik“, der die Aussicht auf eine „Normalisierung unserer bilateralen Beziehungen“ schaffe. Am 25. Mai gab es ein Treffen zwischen dem Sekretär des Russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, und dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, das von beiden Seiten positiv aufgenommen wurde.
Hinzu kamen Interventionen von Verbänden führender Funktionäre aus diplomatischen, politischen und militärischen Kreisen der USA, der NATO und Rußlands, die ausdrücklich auf die Gefahr eines Atomkrieges hinwiesen. Am wichtigsten war die Erklärung der Euro-Atlantic Security Leadership Group vom 6. Juni. Sie beginnt: „Heute besteht ein wachsendes Risiko – und eine potentiell katastrophale Unachtsamkeit – gegenüber einer Sicherheitskrise, die eine Eskalation oder Fehlkalkulation mit sich bringt, die zum Einsatz von Atomwaffen führt.“
Diese Erklärung und eine ähnliche vom Amerikanischen Komitee für amerikanisch-russische Verständigung rufen beide dazu auf, das Versprechen des Reagan-Gorbatschow-Gipfels zu bekräftigen, daß ein Atomkrieg „niemals geführt werden darf“. Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt mehrerer großer Konferenzen des Schiller-Instituts mit wichtigen Teilnehmern aus den USA, Rußland, China und Europa.
Die Reaktion der vereinigten Kriegspartei auf diese Entwicklungen, ablesbar an ihren Sprachrohren in britischen und US-Mainstream-Medien, zeigt ihre Absicht, den erreichten zerbrechlichen Fortschritt zu untergraben. Sie schimpften über Bidens angeblich zu weiche Haltung gegenüber Putin, was daran erinnerte, wie sie auf Präsident Trump nach seinem Gipfel mit Putin in Helsinki im Juli 2018 eingedroschen hatten.
Typisch ist die Berichterstattung des Washington Post-Schreiberlings E.J. Dionne, dieser Gipfel habe „Putins Profil“ gestärkt und drohe „Bidens Teilnahme an Gipfeltreffen mit Verbündeten zu überschatten“, die ansonsten eine „im Großen und Ganzen erfolgreiche Bemühung“ seien, die „Bündnisse der Vereinigten Staaten mit ihren langjährigen Freunden in Europa zu erneuern“. In einem Leitartikel der Zeitung hieß es: „Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß sich das Ergebnis von früheren Versuchen der USA, mit Herrn Putin zusammenzuarbeiten, unterscheiden wird.“
Noch erschreckender war das Resümee des Economist, der im Namen der neoliberalen Londoner City spricht. Putin brauche eine Entspannung mit Amerika in irgendeiner Form, „damit er sich auf die dringendere Aufgabe konzentrieren kann, abweichende Meinungen zu unterdrücken und sein Imperium wieder aufzubauen“. Putin sei der Herrscher eines kleptokratischen Regimes, „das von gewalttätigen Sicherheitsdiensten beherrscht wird, ... das sich mehr um Reichtum als um Ideologie kümmert und eher mit seinem eigenen Überleben beschäftigt ist als mit einem globalen Wettbewerb mit Amerika, geschweige denn mit den Interessen des russischen Volkes“. Putins Regime „gedeiht auf Unordnung“, Rußland habe Nachbarländer überfallen, seine Gegner vergiftet und führe einen Cyber- und Informationskrieg gegen den Westen. Der Economist warnt daher: „Die Gefahr ist, daß Mr. Bidens hart klingende Rhetorik eher ein Ersatz für hartes Handeln sein wird als ein Vorläufer davon.“
Wahrscheinlich als Reaktion auf die harsche Kritik gab Biden auf dem Heimflug eine weniger optimistische Einschätzung und verlegte sich auf das Thema einiger Falken, Rußland gegen China auszuspielen. Rußland befinde sich „in einer sehr, sehr schwierigen Lage. Sie werden von China unter Druck gesetzt. Sie wollen unbedingt eine Großmacht bleiben... Wenn man in einer Situation ist, wo die eigene Wirtschaft ums Überleben kämpft, muß man auf eine aggressivere Weise vorgehen.“ Putin wolle keinen Kalten Krieg mit den USA, räumte er ein, machte sich jedoch über Rußland lustig in einer Sprache, die an die seines früheren Chefs Barack Obama erinnert: „Sie wollen unbedingt relevant sein.“
Der „Babyschritt“ auf dem Genfer Gipfel wird nichts bewirken ohne einen radikalen Bruch mit dem Paradigma, das von der Tradition britischer Geopolitik und der Durchsetzung der neoliberalen Ökonomie geprägt ist. Das Versprechen, keinen Atomkrieg zu führen, so nützlich es auch ist, ist sinnlos, wenn die Tagesordnung weiter von denjenigen bestimmt wird, die die G7- und NATO-Gipfel zur Konfrontation zwischen „der Allianz demokratischer Staaten“ und „autokratischen Regimen“ hochspielten.
Wenn man auf den Gipfel von Reagan und Gorbatschow 1985 zurückblickt, auf dem damals dieses Versprechen gegeben wurde, dann kommt man nicht umhin, darüber nachzudenken, daß der Zusammenbruch der Sowjetunion die Chance bot, einen dauerhaften Frieden zu erreichen. Doch die wurde vertan, weil die geopolitischen Spaltungen, die den Kalten Krieg verursacht hatten, fortbestanden und im Anspruch des Regimes von Bush sen. konkretisiert wurden, daß eine „neue Weltordnung“ im Entstehen sei, die auf einer einseitigen, von der militärischen Macht der USA durchgesetzten Agenda beruht.
In einem vorausschauenden Vorstoß gegen die Bemühungen der Geopolitiker, ihr gescheitertes Paradigma aufrechtzuerhalten, entwarf Lyndon LaRouche die „LaRouche-Doktrin – Entwurf eines Abkommens zwischen den USA und der Sowjetunion“ (vgl. Neue Solidarität 33/2020). Verfaßt im März 1984, ein Jahr, nachdem Präsident Reagan LaRouches Vorschlag für die gemeinsame Errichtung eines Raketenabwehrsystems von USA und UdSSR übernommen hatte, und ein Jahr vor dem Versprechen Reagans und Gorbatschows, keinen Atomkrieg zu führen, sind seine Vorschläge für einen weiteren Aufbau auf der noch brüchigen Basis des Putin-Biden-Gipfels heute hochaktuell.
LaRouche schrieb: „Die politische Grundlage für einen dauerhaften Frieden muß sein: a) die bedingungslose Souveränität jedes einzelnen Nationalstaates und b) die Zusammenarbeit zwischen souveränen Nationalstaaten mit dem Ziel, unbegrenzte Möglichkeiten zur Teilhabe an den Vorteilen des technischen Fortschritts zu fördern, zum gegenseitigen Nutzen aller.“