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Neue Solidarität
Nr. 5, 30. Januar 2020

Franzosen protestieren gegen Rentenreform und gegen Finanzheuschrecken

Am 9. Januar kam es zu einer neuen Runde von Streiks und Demonstrationen gegen die „Rentenreform“ der französischen Regierung. Fast eine halbe Million Franzosen gingen bei der vierten landesweiten Demonstration in über hundert Städten auf die Straße. Der Streik im Transportsektor, der zu dem Zeitpunkt schon 36 Tage dauerte, wird angeführt vom Pariser Nahverkehr und von der nationalen Eisenbahn SNCF. Letzten Monat schlossen sich zahlreiche Arbeitnehmer aus anderen Bereichen zeitweise an: Polizisten, Feuerwehrmänner, Piloten und Flugbegleiter, Anwälte, Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer usw. Und der Prozeß ist noch lange nicht abgeschlossen.

In einer spektakulären Aktion warfen am 10. Januar fast hundert Juristen, deren Rentenbeiträge durch die Reform von 14% auf 28% des Einkommens steigen sollen und von denen dadurch 30% nach eigener Aussage der Ruin bevorsteht, vor laufenden Kameras ihre Roben auf den Boden des Pariser Berufungsgerichts. Am 14. Januar werden 1200 Notärzte Rücktrittsschreiben einreichen, die sich weigern, ihre Notaufnahme ohne ausreichende Finanzierung weiter zu betreiben.

Obwohl der Zorn der Franzosen über die Rentenfrage hinausgeht, ist das Rentensystem mehr als nur ein Symbol. Es heißt, die Reform solle vor allem den Sonderstatus einiger Berufe abschaffen, doch in Wirklichkeit bedeutet sie eine Kürzung der Renten um schätzungsweise 20%, weil sie sich nicht an den höchsten Einkommensjahren eines Arbeitnehmers oder am Bedarf eines Rentners orientiert, sondern an den Einzahlungen in die Rentenkasse. Menschen mit schlecht bezahlten Jobs oder Berufsunterbrechungen, besonders Frauen, wären die großen Verlierer, während die Wohlhabenden weniger einzahlen und dazu verleitet würden, in private Rentenfonds zu investieren.

Der Volkszorn richtet sich daher zunehmend gegen den räuberischen Finanzkapitalismus. Der weltgrößte Vermögensverwaltungsfonds BlackRock, der Emmanuel Macron bei der Wahl unterstützte, steht voll und ganz hinter der Rentenreform. Und Macron trifft sich regelmäßig mit privaten Vermögensverwaltern wie BlackRock-Chef Larry Fink. Es war auch ein Schlag ins Gesicht der Bevölkerung, daß Premierminister Edouard Philippe inmitten der Rentenverhandlungen den Chef von BlackRock Frankreich, Jean-François Cirelli, einen offenen Verfechter von Macrons Vorschlägen, in die Ehrenlegion aufnahm.

Schon jetzt investieren viele Franzosen angesichts der Ungewißheit von Renten und Sozialversicherung in private Versicherungen und Rentenfonds, welche die Folgen von Inflation und negativen Zinsen, die Ersparnisse, Lebensversicherungen und Einlagen untergraben, noch verstärkt.

Der jüngste „Kompromiß“, der als Zugeständnis an eine Forderung eher angepaßter Gewerkschaften wie CFDT und UNSA gewährt wurde, ist ein schlechter Witz. Danach sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Renten-Finanzierungssystem ausarbeiten, mit dem 2027 das Defizit der Rentenkassen ausgeglichen wird, dies aber ohne Lohnerhöhungen oder Rentenkürzungen. In dieser Zwangsjacke sind nur Regelungen möglich, die auf die ursprüngliche Absicht der Regierung hinauslaufen. Und wenn sie scheitern, würde die Regierung ihren eigenen Plan durchsetzen. Man sollte jedoch darauf hinweisen, daß ein Dampfkochtopf um so heftiger explodiert, wenn man die Ventile schließt.

eir