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Neue Solidarität
Nr. 41, 8. Oktober 2020

Die Wirtschaft ist kein Basar!

Ein berühmtes Wirtschaftsexperiment stellt seit 60 Jahren die falsche Frage

Von Benjamin Deniston

Kürzlich erregte ein Artikel meine Aufmerksamkeit: „Berühmtes Wirtschaftsexperiment tausendfach reproduziert“ von Whitney Clavin, California Institute of Technology.1 Der Artikel und die Studie, die ihm zugrunde liegt, demonstrieren beispielhaft die höchst problematische Natur der üblichen Debatten über Wirtschaftstheorie im heutigen Amerika. Statt endlos über Angebot und Nachfrage und freie Märkte zu diskutieren, wäre es weitaus nützlicher, den enormen weltwirtschaftlichen Nutzen eines Programms zur Kolonisierung von Mond und Mars zu untersuchen. Um dies kompetent zu tun, müssen wir die problematischen Axiome des modernen Denkens über Wirtschaft identifizieren und sie über Bord werfen und durch angemessene ersetzen.

Der fragliche Artikel beginnt wie folgt:

© Schiller-Institut
Lyndon LaRouche (links) und Wilhelm Hankel.

Ich kann mir weitaus produktivere und nützlichere Studien vorstellen, denen diese Forscher ihre Zeit widmen könnten. Lyndon LaRouche hat sein Leben lang völlig richtig betont, daß die Diskussionen über Wirtschaft viel zu sehr von Studien und Spekulationen über Märkte und Kauf- und Verkaufsverhalten dominiert sind. Solche Studien mögen ihre Berechtigung haben (denke ich), aber die weitaus interessantere (und weitaus wichtigere) Frage ist die, die LaRouche in Angriff genommen hat: Wie erfaßt man wissenschaftlich wirtschaftlichen Wert und langfristiges Wachstum?

Gibt es, von diesem Standpunkt betrachtet, einen Zusammenhang zwischen den Preisen auf einem offenen Markt und dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert?

Das ist eine Gelegenheit, besonders auf eine Schrift LaRouches hinzuweisen, in der er sich eingehend mit der Frage des Preises befaßt. Sie stammt vom August 2005 und trägt den Titel LaRouches Bemerkungen über Professor Hankel und ihn selbst. Er schreibt darin:

Das ABC der physischen Wirtschaft

LaRouche hat über die „realwirtschaftlichen (d.h. physischen) Ziele“ der Wirtschaftspolitik wahrscheinlich öfter geschrieben, als ich zählen kann, aber sein Lehrbuch der Ökonomie von 1984, Was Sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten, ist immer ein guter Bezugspunkt, ganz besonders Kapitel 4 über „Die Definition des ökonomischen Werts“. Wenn Sie kein Exemplar davon besitzen, sollten Sie sich auf jeden Fall eines besorgen.3

Abb. 1: Lyndon LaRouche stellte den Reproduktionsprozeß einer Gesellschaft mit Hilfe dieser Balkengraphik dar.

Eine wissenschaftliche Definition von wirtschaftlichem Wert erfordert, die gesamte Wirtschaft (national, regional oder international) als eine Einheit zu behandeln und als ein thermodynamisches System zu untersuchen, das seine eigene Energie produziert, die das System zur Aufrechterhaltung seines Betriebs benötigt – ein geschlossenes thermodynamisches System. Für eine Volkswirtschaft, die auf diese Weise untersucht wird, gilt: Die Energie des Systems ist nicht die Energie an sich, sondern es sind die physischen Güter, die benötigt werden, um die Bevölkerung und den Produktionsprozeß der Wirtschaft auf einem konstanten relativen Niveau der Technik und des Lebensstandards zu halten. Nahrungsmittel, Elektrizität, Autos, Kleidung, Werkzeugmaschinen, Wasserinfrastruktur, Straßen usw. – all dies sind sowohl Produkte des Produktionsprozesses als auch für den Produktionsprozeß erforderliche Inputs (die Systemenergie wird in LaRouches Analyse mit V + C + D bezeichnet – siehe Abbildung 1).4

Nur ein begrenzter Teil der Erwerbsbevölkerung, die produktiven Arbeitskräfte, ist direkt an der Produktion der physischen Güter beteiligt, die von der Gesellschaft verwendet werden. Alles, was über die vom System benötigte Energie hinaus produziert wird, bildet den Nettobetriebsgewinn (S’), d.h. die freie Energie, die für Investitionen zur Verfügung steht, um die Wirtschaft auf ein höheres Niveau über dem durch die Systemenergie aufrechterhaltenen Status quo anzuheben.

Dies definiert die maximal vereinfachte Version des Prozesses, der isoliert werden muß, bevor eine wissenschaftliche Bewertung wirtschaftlichen Werts vorgenommen werden kann: die Nutzung eines Teils der (in einem früheren Wirtschaftszyklus erzeugten) Energie des Wirtschaftssystems durch die produktiven Arbeitskräfte, um die Systemenergie plus freie Energie für den nächsten Wirtschaftszyklus zu erzeugen.

Einzelne Personen auf offenen Märkten in Dörfern oder Städten mögen sich auf einen Marktpreis für Äpfel und Kokain einigen, aber was bitteschön sagt uns das über die Fähigkeit der Wirtschaft als ganzer, die Bevölkerung zu ernähren und zu wachsen?

Wirtschaftlicher Wert

Für die (in diesen thermodynamischen Begriffen betrachtete) Wirtschaft gibt es keinen stabilen Zustand, eine Wirtschaft bewegt sich immer entweder in eine entropische oder in eine negentropische Richtung. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ (eine andere Bezeichnung für „Nullwachstum“) ist ein gefährlicher Mythos.

Jede Volkswirtschaft, die versucht, ein gleichbleibendes Existenzniveau aufrechtzuerhalten – eine Nullwachstumspolitik –, wird die relativ hochwertigsten verfügbaren natürlichen Ressourcen verbrauchen, was sie dazu zwingt, auf qualitativ schlechtere und/oder schwieriger zugängliche (d.h. teurere) Lagerstätten dieser Ressourcen zurückzugreifen.

Das bedeutet, daß die Wirtschaft mehr Anstrengungen unternehmen muß, um die gleiche Energie zu produzieren, die das Wirtschaftssystem benötigt, nur um die Wirtschaft auf dem bestehenden Niveau zu halten. Ein größerer Anteil der Systemenergie wird im Produktionsprozeß verbraucht, und ein größerer Anteil der produktiven Arbeitskräfte wird gebraucht, um das gleiche Produktionsniveau wie im vorangegangenen Zyklus zu erreichen (so daß weniger Arbeitskräfte für die notwendigen Gemeinkosten zur Verfügung stehen). Von der Gesamtproduktion steht immer weniger als freie Energie für Investitionen zur Verfügung, und am Ende kann nicht einmal mehr die Systemenergie produziert werden, was die Wirtschaft in einen Kollaps-Modus zwingt – die „nachhaltige“ (Nullwachstums-)Wirtschaft marschiert auf einen entropischen Zusammenbruch zu.

Um die Folgen der Erschöpfung bestimmter Ressourcen zu überwinden, braucht jede Wirtschaft technischen Fortschritt – der zu einer Steigerung der Produktivkräfte der Arbeitskraft führt – und wissenschaftliche Revolutionen, die das Verhältnis der Menschheit zur natürlichen Welt und zu den sogenannten natürlichen Ressourcen neu definieren. (Wie wäre es mit einem Raumfahrtprogramm?)

Das ist die einzige wissenschaftliche Grundlage, um den wirtschaftlichen Wert zu definieren, und damit auch die Art und Weise, wie man die Preisgestaltung vom wissenschaftlichen Standpunkt aus angeht.

Damit das Segment der produktiven Arbeitskräfte auf einem Niveau der physischen Produktivität arbeiten kann, das ausreicht, um die Wirtschaft in einem negentropischen Modus zu halten, brauchen diese sowohl Investitionsgüter (C), die ein ausreichendes Maß an Technologie einsetzen, als auch Konsumgüter (V), die für den Unterhalt ihrer Haushalte erforderlich sind – eingeschlossen das Heranziehen einer neuen Generation produktiver Arbeitskräfte, die fähig sind, aktuelle und zukünftige Technologien zu nutzen. (Die katastrophale Natur der Globalisierung und der Billiglohnpolitik wird vollends deutlich, wenn man die Wirtschaft von diesem Standpunkt aus richtig versteht.)5

LaRouche stellt in der oben zitierten Schrift von 2005 fest:

Und, kurz davor, in derselben Schrift:

© NASA
Der Astronaut Harrison „Jack” Schmitt war 1972 im Rahmen der Apollo-17-Mission auf dem Mond und plädiert bis heute für die Rückkehr zum Mond und die Nutzung seiner Ressourcen – wie z.B. Helium-3 als Brennstoff für die Kernfusion.

Die enormen wirtschaftlichen Vorteile des Raumfahrtprogramms der Apollo-Mondlandung wurden sowohl in konventionellen Wirtschaftsanalysen6 als auch aus LaRouches Sicht demonstriert.7

Das aufgabenorientierte Crashprogramm für die bemannte Mondlandung trieb die Entwicklung einer Vielzahl technologischer Durchbrüche an, die dann für die allgemeine Fertigung auch in allen Industriezweigen, die nicht mit dem Apollo-Programm in Verbindung standen, zur Verfügung gestellt wurden. In Begriffen von LaRouches Ansatz wurden diese neuen Technologien in die Entwürfe neuer Investitionsgüter (C) integriert, wodurch die produktiven Arbeitskräfte, die im Produktionsprozeß die fortgeschritteneren Investitionsgüter verwendeten, ihre Arbeitskraft erhöhten.

Interessant ist, daß im kombinierten Luft-, Raumfahrt- und Rüstungssektor der Wirtschaft durch die treibende Kraft des Mondlandeprogramms die Neuanschaffungen von Investitionsgütern um 90% anstiegen, in den übrigen Sektoren der Wirtschaft aber mit 130% noch schneller.8 Wenn man es richtig macht, können Weltraummissionen die gesamte Wirtschaft auf ein höheres Niveau bringen!

Zurück zum Mond und weiter zum Mars

Präsident Trumps Plan für eine neue bemannte Mondmission hat das Potential, zum wichtigsten Crash-Programm zu werden, das die Wirtschaft antreibt. Lyndon LaRouche setzte sich ab 2009 erneut für eine globale Anstrengung zur industriellen Erschließung des Mondes und für eine bemannte Marsmission ein. Dies sollte das Schlüsselprogramm einer neuen Weltwirtschaftsordnung sein, die durch die Zusammenarbeit souveräner Nationen gelenkt wird, die dem globalistischen Finanzsystem der Londoner City die Macht nehmen. Diese Mission ist auch heute noch von entscheidender Bedeutung.

Marktpreise sind, was sie sind, aber Studien darüber sollte man nicht als Wirtschaftswissenschaft bezeichnen. Die wichtige Frage ist der wahre physische wirtschaftliche Wert, definiert durch Beiträge zum negentropischen Wachstum, das für das menschliche Überleben notwendig ist. Es ist an der Zeit, daß LaRouches Wissenschaft der Ökonomie die Politik bestimmt, sonst wird die Bevölkerung weiter den Preis für schlechte Wirtschaftspolitik zahlen.

Benjamin Deniston
LaRouchePAC-Wissenschaftsteam
Ben@LPAC-Organizers.com


Fußnoten

1. Siehe https://www.caltech.edu/about/news/famous-economics-experiment-reproduced-thousands-times

2. Veröffentlicht in EIR, 2. September 2005, siehe https://larouchepub.com/lar/2005/3234on_him_n_hankel.html

3. Für fünf Euro als E-Book zu bestellen unter https://shop.eir.de/produkt/was-sie-schon-immer-ueber-wirtschaft-wissen-wollten/.

4. Dieser Beitrag erschien ursprünglich in englischer Sprache auf der Internetseite des LaRouche-Aktionskomitees LaRouchePAC, wo er durch mehrere Animationen ergänzt ist, um verschiedene Aspekte zu verdeutlichen, siehe https://action.larouchepac.com/20200817_price_v_value?recruiter_id=139893.

5. LaRouche geht in seinen „Bemerkungen über Professor Hankel und ihn selbst“ (vgl. Fußnote 2) darauf ein:

6. Z.B. in „The Economic Impact of NASA R&D Spending“, Chase Econometrics, 1976.

7. Z.B. „How defence and space programs drive economic growth“, EIR Quarterly Economic Report, 4. Quartal 1986; „Space: The Ultimate Money Frontier“, EIR, 5. Februar 1996.

8. Konkret der Vergleich des Jahrzehnts der 1950er Jahre mit dem Jahrzehnt der 1960er Jahre, erörtert in „How Defense and Space Programs Drive Economic Growth“ („Wie Verteidigungs- und Raumfahrtprogramme das Wirtschaftswachstum antreiben“), EIR Quarterly Economic Report, 4. Quartal 1986 (Seite 65).