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Neue Solidarität
Nr. 4, 23. Januar 2020

Die Weltordnung braucht dringend
neue Prinzipien, um den Weltfrieden zu sichern

Von Helga Zepp-LaRouche

In den Stunden nach dem Mord an Qasem Soleimani, dem wichtigsten General des Iran und praktisch der Nummer Zwei der iranischen Regierung, durch einen US-Drohnenanschlag nahe dem Flughafen in Bagdad hielt die Welt für Stunden den Atem an. Den meisten denkenden Menschen war bewußt, daß wir uns am Rande einer potentiell unkontrollierbaren Eskalation befanden. Dann kam die „moderate“ Reaktion der iranischen Regierung – ein Raketenangriff auf eine von US-Truppen benutzte Militärbasis im Irak, bei der dank der iranischen Vorwarnung an die irakische Regierung keine US-Truppen ums Leben kamen –, und für viele Menschen war die Krise damit vorbei. Meinen Krisen-Appell vom 3. Januar, daß nur ein Gipfeltreffen zwischen den Regierungschefs der drei wichtigsten Nuklearmächte – den Präsidenten Putin, Xi Jinping und Trump – die Grundlage für die Überwindung der akuten Gefahr und eine dauerhafte Friedenslösung für Südwestasien schaffen kann, haben Freunde des Schiller-Instituts am 15. Januar in einem internationalen Aktionstag in Kundgebungen, Pressekonferenzen und Interventionen in Dutzenden von Städten in Nord- und Südamerika, Europa und Australien an viele Hunderte von Institutionen verteilt, in der Absicht, einen weltweiten Chor von Menschen zu schaffen, die einen solchen Krisen-Gipfel fordern.

Aber während dieser Mobilisierung für den Notgipfel der drei Präsidenten trat auch ein anderes Phänomen zutage: Der allergrößte Teil der Bevölkerung in den verschiedenen Ländern hat absolut keinen Begriff davon, daß die Gefahr akut existiert, daß die strategische Lage nach wie vor zu einem dritten Weltkrieg eskalieren könnte. Diesbezügliche Warnungen seien nur „Panikmache“, Trump habe schon „alles im Griff“ oder „Es ist ohnehin schon alles zu spät, der Dritte Weltkrieg findet schon statt“: das ganze Spektrum von Realitätsverweigerung bis zu pessimistischer Resignation machte die vox populi aus, die weniger von einer durchdachten Analyse ausgeht als von diversen, meist ideologisch motivierten Annahmen, oder von einer eher kontemplativen als einer aktiv politischen Haltung herrührt.

Die Erhaltung des Weltfriedens im Zeitalter thermonuklearer Waffen ist aber für die Menschheit das existentielle Thema überhaupt. Es geht also nicht um Panikmache, sondern darum, sich die Gefahren illusionslos klarzumachen, um dann um so konsequenter nach Wegen zu suchen, den Frieden auf der Welt dauerhaft zu sichern. Erinnern wir uns daran, daß die Welt während der Kubakrise im Oktober 1962 nach der Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen auf einem NATO-Stützpunkt in der Türkei und dem darauf folgenden Transport sowjetischer Mittelstreckenraketen in Richtung Kuba für 13 Tage am Rande eines Atomkrieges stand - und die Weltöffentlichkeit sich dessen bewußt war –, daß aber die Kommunikation zwischen den Präsidenten Kennedy und Chruschtschow und militärischen Experten auf beiden Seiten und damit das Krisenmanagement auf einem ganz anderen Niveau existierte als heute, wo zwischen Juni 2019 und dem 15. Januar 2020 weitgehende Funkstille zwischen den USA und Rußland herrschte.

Während der Krise um die Mittelstreckenraketen 1983, als sich die Pershing II und die SS20- Raketen in Europa mit einer auf drei Minuten reduzierten Flugzeit permanent in einer „launch on warning“-Position befanden, sprachen Politiker wie Helmut Schmidt wiederholt von der Gefahr des Dritten Weltkriegs, und es waren viele Hunderttausende Menschen in den Straßen, die gegen diese Gefahr protestierten.

Heute ist die strategische Lage wesentlich komplexer und gefährlicher, dafür ist aber das öffentliche Bewußtsein oder gar eine Debatte darüber so gut wie nicht existent.

Es grenzt schon an Hohn und Volksverdummung, wenn westliche Denkfabriken, Politiker und Medien davon sprechen, man müsse die „regelbasierte Ordnung“ der demokratischen Staaten gegen die Diktaturen und autokratischen Regime in der Welt verteidigen. Der wesentlichste Schritt in Richtung des heutigen strategischen Chaos war die Chicagoer Rede von Tony Blair 1999, in der er das in der UN-Charta festgelegte Völkerrecht durch die Blair-Doktrin ersetzte, d.h. das Recht auf sogenannte „humanitäre Interventionen“, was in den USA zur Doktrin des „Right to Protect“ (Recht auf Schutzgewährung) führte. Rußland, China, und wie Trump in seiner UN-Rede 2019 darlegte, auch er selber, bestehen hingegen darauf, das allein der Respekt für die absolute Souveränität Garantie für ein friedliches Zusammenleben der Staaten ist.

Die Blair-Doktrin bildete den Hintergrund für die folgenden Interventionskriege, die sämtlich auf Lügen aufgebaut waren und zu Regimewechseln, Farbrevolutionen und zu dem Chaos und dem Verlust von Millionen Menschenleben führten, was wir heute in Südwestasien erleben. Unter dem Vorwand, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, unterstützen die Vertreter dieser „regelbasierten Ordnung“ bis zum heutigen Tag eine Politik der Regimewechsel gegen Regierungen, die sich nicht dem Diktat einer unipolaren Welt unterwerfen wollen, vom britischen Botschafter im Iran, der sich nicht entblödete, die Studentendemonstrationen gegen die Regierung Rohani anzuführen (!), bis zur Denkfabrik der deutschen Regierung, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die schreibt: „Erst Hongkong, dann Taiwan – die Demokratie dringt in China ein“.1 Es ist längst offensichtlich, daß die Regimewechsel-Operationen gegen die Stellvertreterstaaten letztlich auf den Regimewechsel in Rußland und China abzielen.

Wenn man die von den USA initiierten und von den Verbündeten mitgetragenen Veränderungen in der Militärdoktrin hinzunimmt, also die „Prompt Global Strike“-Doktrin der USA, die ungefähr parallel zur Blair-Doktrin eingeführt wurde, der Aufbau eines globalen Raketenabwehrsystems, das von Rußland als klare Einkreisungspolitik gesehen wird, die einseitige Aufkündigung des INF-Vertrages  über die Mittelstreckenraketen durch die USA, der einseitige Austritt aus dem JCPOA-Nuklearabkommen mit dem Iran durch die USA, die Ausweitung der NATO nach Osten und z.B. die provokative Ausrichtung des bevorstehenden Nato-Manövers „Defender Europe 20“, bei dem ab Ende Februar bis zu 40.000 Soldaten größtenteils nach Polen und in das Baltikum verlegt werden, und umgekehrt Rußland neue Waffensysteme installiert, die die Effizienz des US-Raketenabwehrsystems massiv schwächen, dann sollte jedem klar sein, wie extrem volatil der Weltfrieden ist.

Wenn die Geopolitiker vom Systemwettbewerb zwischen den angeblich so hehren Idealen der westlichen Demokratien mit den autoritativen Diktaturen sprechen, dann ist dies auch von der Panik getrieben, daß das transatlantische Finanzsystem vor einem „schrecklichen Kollaps” steht, wie George Soros’ ehemaliger Kollege Jim Rogers dieser Tage äußerte. Chinas Programm der Neuen Seidenstraße hingegen, mit dem inzwischen 157 Nationen kooperieren, ist allen Unkenrufen zum Trotz extrem erfolgreich.

Der versehentliche Abschuß des ukrainischen Flugzeugs durch die iranischen Revolutionsgarden im Gefolge der Ermordung von General Soleimani sollte jedem verdeutlichen, wie Recht z. B. der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat, der wiederholt vor der Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen durch Cyber-Attacken, Hacken, technisches Versagen und Mißverständnisse gewarnt hat.

Präsident Putin reflektierte diese Gefahr in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation und offerierte einen extrem wichtigen Vorschlag. Putin betonte:

Diese ernsthafte Diskussion über die Prinzipien, auf denen eine nachhaltige Ordnung für die gesamte Menschheit gründen muß, ist dringend notwendig. Anstatt an den rückwärtsgerichteten und gefährlichen Konzepten der Geopolitik und neuerdings auch „Geoökonomie“ festzuhalten, sollten die europäischen Staaten sich an dem Potential der Neuen Seidenstraße beteiligen.

Nur zwei Beispiele, was dies implizieren könnte: China hat in den vergangenen 40 Jahren nicht nur 850 Millionen seiner eigenen Bürger aus der Armut befreit und eine Perspektive der Hoffung auf die Überwindung der Unterentwicklung für die Entwicklungsländer in die Welt gebracht. China hat im selben Zeitraum das größte Aufforstungsprogramm in der Geschichte der Menschheit verwirklicht. Der Nationale Volkskongreß verpflichtete 1981 alle Chinesen ab einem Alter von elf Jahren, jedes Jahr drei Baumsetzlinge zu pflanzen, was zur Folge hatte, daß China mehr Bäume aufgezogen hat, als die übrige Welt zusammengenommen; allein zwischen 2000 und 2010 haben die Chinesen 56 Milliarden Bäume gepflanzt.

Die Prinzipien, auf denen die Weltordnung dringend aufgebaut werden muß, sind die gemeinsamen Ziele der Menschheit. Das liberale Establishment in Europa und den USA täte gut daran, die Prämissen des an Profitmaximierung orientierten eigenen Systems zu überdenken und mit dem Programm der Neuen Seidenstraße beim wirtschaftlichen Aufbau Südwestasiens und Afrikas zu kooperieren. Die Europäische IHK in Beijing befürchtet, daß Europa nur ein angehefteter unbedeutender Markt am Ende Eurasiens wird, wenn es nicht eine konkurrenzbetonte Rolle gegen die Neue Seidenstraße übernähme. Das genaue Gegenteil ist richtig: Europa hat nur dann eine Perspektive, wenn es die Geopolitik aufgibt und aktiv mit Rußland, China und den USA auf Grundlage der Prinzipien für eine menschlichere Weltordnung kooperiert. Es ist deshalb dringend, daß alle Kräfte in Europa, die an der Sicherung des Weltfriedens interessiert sind, den Gipfel zwischen Putin, Xi Jinping und Trump unterstützen.

zepp-larouche@eir.de


Anmerkung

1. Siehe https://dgap.org/de/node/33333

2. Siehe http://en.kremlin.ru/events/president/news/62582