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Am 20. August traf Bundeskanzlerin Angela Merkel sich mit Greta Thunberg und drei weiteren jungen Klimaaktivistinnen, der deutschen Sprecherin von „Fridays for Future“ Luisa Neubauer sowie den Belgierinnen Anuna de Wever van der Heyden und Adelaide Charlier. Anlaß war der zweite Jahrestag von Thunbergs erstem Schulstreik, aus dem sich die Fridays-for-Future-Bewegung entwickelte. Merkel hatte die Bewegung schon früh öffentlich gelobt, blieb jedoch trotz der Anbiederung nicht von deren Kritik verschont.
In einem Offenen Brief, der am Tag vor dem Treffen in Berlin im Guardian erschien, schrieben die vier Aktivistinnen: „Wir werden Merkel sagen, daß sie sich dem Klimanotstand stellen muß – zumal Deutschland jetzt die Präsidentschaft des Europäischen Rates innehat. Europa hat eine Verantwortung zu handeln... Die EU muß jetzt handeln, wozu sie sich in der Pariser Vereinbarung verpflichtet hat.“ Sie fordern ein Ende aller Investitionen und Subventionen für fossile Brennstoffe, eine „vollständig dekarbonisierte“ Wirtschaft und das internationale Brandmarken von „Ökozid“ als Verbrechen.
Es ist bezeichnend, daß Merkel in ihrem vollen Terminkalender Zeit für ein 90minütiges Treffen mit den jungen Aktivistinnen fand, während sie Anfragen anderer Gruppen wie Unternehmer und Landwirte ablehnt. Offenbar hat die Kanzlerin nicht bemerkt, daß die großzügig finanzierte Bewegung zunehmend vor der Realität zurückweichen muß. Ein Fall ist die Organisation Extinction Rebellion (XR), die im Zentrum der radikalisierten Klimaproteste in Europa steht. Im Juni wurde bekannt, daß eine der XR-Anführerinnen, Zion Lights, ihren Job dort gekündigt hat; sie erklärte: „Ich engagiere mich seit langem in Umweltkampagnen, zuletzt als Sprecherin von Extinction Rebellion UK... Jetzt habe ich die Organisation verlassen, um eine Position als Kämpferin für die Kernkraft zu übernehmen.“ Nachdem sie sich eingehend mit dem Thema Kernenergie beschäftigt habe, sei sie zu dem Schluß gelangt, daß diese sicher und die beste Möglichkeit ist, den Kohlenstoffausstoß zu reduzieren.
Auch in Deutschland wird zunehmend erkannt, daß die Energiepolitik der Regierung für die industrielle Zukunft des Landes eine Sackgasse ist. In der Wochenzeitung Die Zeit vom 16. Juli erschien ein Beitrag von Anna Veronika Wendland, einer ehemaligen Atomkraftgegnerin, die später die Seiten wechselte. Sie stellt fest, daß unter Merkels „Energiewende“ die CO2-Emissionen trotz der kostspieligen staatlichen Förderung erneuerbarer Energien wie Sonne und Wind zugenommen haben. Ohne einen Wiedereinstieg in die Kernenergie werde es unmöglich sein, die Emissionsziele zu erreichen und eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten.
Wenige Tage später kam Wendland auch im Spiegel zu Wort. Sie sagte, ihre Ansicht sei in Deutschland zwar immer noch eine Minderheitenmeinung, aber die Geschichte habe oft gezeigt, wie aus Minderheiten plötzlich Mehrheiten werden können. In der Tat mehren sich die Stimmen, die fragen, ob der Ausstieg aus der Atomenergie wirklich eine vernünftige Entscheidung war. Bislang gibt es keine Forderungen nach dem Bau neuer Kernkraftwerke, aber die Idee, die Lebensdauer der noch in Betrieb befindlichen Anlagen zu verlängern, findet immer mehr Unterstützung.
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