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Neue Solidarität
Nr. 36-37, 3. September 2020

Deutschlands Beitrag zur Entwicklung von Kernfusion und Raumfahrt

Von Michael Gründler

Deutschland braucht ein umfangreiches wirtschaftliches Aufbauprogramm. Denn wir haben eine wichtige Rolle beim Aufbau der ganzen Welt, insbesondere der Entwicklungsländer zu spielen. Diese nötige wirtschaftliche Stärke können wir durch eine dauerhafte und kräftige Produktivitätssteigerung in unserer Wirtschaft und Industrie erlangen. Grundlage dafür ist die Energieversorgung mit der höchsten Energieflußdichte, die in Reichweite ist: die Kernfusion. Zwischenzeitlich ist die Nutzung der Kernspaltung – sie hat nach der Fusion die zweithöchste Energieflußdichte – unerläßlich.

Neben der besten Energieversorgung ist die Erfindung und Entdeckung neuer wissenschaftlicher Prinzipien und neuer Technologien der zweite entscheidende Aspekt, der die nötige Produktivitätssteigerung ermöglicht. Und dafür brauchen wir ein umfassendes Raumfahrtprogramm – auch in Deutschland. Das Apollo-Mondlandeprogramm der NASA in den 60er Jahren hatte Tausende von Erfindungen gebracht, die in die allgemeine Wirtschaft eingeflossen sind. Die dadurch bedingte Produktivitätserhöhung brachte für jeden bei Apollo ausgegebenen Dollar zehn Dollar Gewinn zurück!

Wir verschaffen uns im folgenden einen Überblick über den Stand wichtiger deutscher Projekte sowie von Projekten mit deutscher Beteiligung in diesen Bereichen, um das Vorhandene als Basis für einen schnellen und umfassenden Aufbau der Kapazitäten der Kernfusion, fortschrittlicher Kernspaltungstechnologien und der Weltraumfahrt nutzen zu können.

1. Die Kernfusion

© Stephan Ossenkopp
Der Stellarator ist von einer Unmenge an Gerüsten umgeben, damit sämtliche Meßinstrumente angeschlossen und justiert werden können. 254 Stahlrohre und Stutzen geben die Möglichkeit, das Plasma zu beobachten und zu versorgen.
© EFDA JET/cc-by-sa 3.0
Der „Joint European Torus“ (JET) in Culham/England.

Deutschland hat zwei bemerkenswerte eigene Kernfusions-Forschungsanlagen. Beide werden vom IPP, dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, betrieben:

Der Wendelstein 7-X Stellarator am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. Er ist das weltweit größte Fusions-Experiment mit einem Stellarator-Reaktor. Die Experimente begannen im Jahr 2015. Dann wurden Verbesserungen durchgeführt: eine neue Innenauskleidung des Reaktors und die Verbesserung der Plasmaeinheit. So konnten jetzt Plasmapulse bis zu 26 Sekunden Länge erzeugt werden. Im Juni 2018 erzielte man im Wendelstein 7-X einen Stellarator-Weltrekord in Plasmatemperatur, -dichte und Pulslänge. Gerade wird wieder verbessert, und Ende 2021 sollen die Experimente wieder aufgenommen werden, mit dem Ziel, die Plasmapulse auf 30 Minuten Laufzeit zu erhöhen.

Der ASDEX Upgrade in Garching, ein Tokamak-Reaktor. Dort wurde 1991 das erste Plasma erzeugt. Man macht gezielt Experimente, die helfen sollen, beim ITER, der ja auch ein Tokamak ist, schneller voran zu kommen. Zwei Besonderheiten beim ASDEX sind das Divertorkonzept, das das Plasma von Verunreinigungen und Helium freihält und deshalb auch später beim JET-Reaktor eingebaut wurde, und die Innenauskleidung mit Wolfram, die sich ebenfalls als erfolgreich herausgestellt hat.

Dann ist Deutschland durch das IPP beteiligt am:

JET – Joint European Torus. Dieser Fusionsreaktor vom Prinzip des Tokamaks steht in Culham in Großbritannien. Er ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, ging 1983 in Betrieb und ist zurzeit die größte Fusionsanlage der Welt. Im JET gelang es 1991 zum ersten Mal in der Geschichte der Fusionsforschung, Energie durch Kernfusion freizusetzen. 1997 erzielte JET den noch bestehenden Weltrekord mit einer Fusionsleistung von 16 Megawatt (14MJ), etwa 2/3 der eingekoppelten Heizleistung. Ein Großteil der Experimente in den letzten Jahren diente der Vorbereitung für die Arbeit am ITER, wenn dort voraussichtlich ab 2026 mit den ersten Experimenten begonnen wird.

Deutsche Beteiligung im Verbund der EU:

Der Forschungsreaktor ITER. Die Idee für diesen internationalen Fusionsreaktor entstand 1985 bei einem Treffen des russischen Präsidenten Gorbatschow mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan (siehe dazu den Artikel in dieser Ausgabe). Der Reaktor soll beweisen, daß die Kernfusion Nettoenergie liefern kann. Es dauerte lange, bis das Projekt verwirklicht wurde. Zu den 34 Staaten, die jetzt daran beteiligt sind, gehört auch Deutschland im Verbund der EU.

Im Jahre 2007 begannen die ersten Bauvorbereitungen im Kernforschungszentrum Cardarache in Südfrankreich. Das Kontroll- und Verwaltungszentrum des ITER ist seit 2014 fertig, und im Juli 2020 wurde mit der Montage des Reaktors begonnen. Erste Plasma-Experimente sollen 2026 beginnen und die ersten echten Fusionsexperimente ab 2035 durchgeführt werden. Ziel ist es, zehnmal mehr Energie aus der Fusionsreaktion herauszuholen, als man vorher hineingesteckt hat. Nach 2035 wollen die beteiligten Staaten dann aufgrund der Ergebnisse eigene Reaktoren bauen, die Strom ins Netz liefern. Für Europa hat der Folgereaktor den Arbeitsnamen DEMO-Reaktor, und man denkt an 1500 MWe Leistung. Der könnte dann irgendwann nach 2050 ans Netz gehen.

2. Fortschrittliche Kernspaltungstechnologie

Auch, wenn es zurzeit in Deutschland schlecht um die Kerntechnologie steht, gibt es hier doch Wissenschaftler und Ingenieure, die wissen, daß es eine Technik mit Zukunft ist.

Myrrha, ein Forschungsreaktor mit Teilchenbeschleuniger. Die Vorbereitungen zum Bau von Myrrha finden im belgischen Kernforschungszentrum in Mol statt. Baubeginn des Reaktors selbst ist 2026. Im Jahre 2034 soll er dann voll funktionsfähig sein. Mit Myrrha wird die Transmutationstechnologie entwickelt und getestet: Hochradioaktiver „Abfall“ wird durch einen Protonenstrahl und dann Neutronenstrahlung unschädlich gemacht, und man kann dabei noch eine große Menge elektrische Energie erzeugen. Myrrha wird auch Radioisotope für die Medizin produzieren, und man erforscht mit ihm generell die unterkritische, von Beschleunigern angetriebene Kernspaltung.

Im Juli 2020 wurde zum ersten Mal der Protonenstrahl beschleunigt, der den Reaktor antreiben soll. Die neuartige Technologie dazu kommt vom Institut für angewandte Physik an der Goethe-Universität in Frankfurt und wurde von der deutschen Ingenieurfirma NTG gebaut.

© IFK Berlin, www.dual-fluid-reaktor.de
Konzept des Dual Fluid Reaktor (DFR).

Der Dual-Fluid Kernreaktor. Der Dual-Fluid-Reaktor (DFR) wurde am Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) in Berlin entwickelt. 2012 wurde für ihn ein Patentantrag eingereicht, der auch angenommen wurde. Der DFR ist ein Kernreaktor der vierten Generation, inhärent sicher, und bei Überhitzung fließt die Brennstoffflüssigkeit in Auffangtanks ab. Der Brennstoff liegt entweder als geschmolzenes Salz oder flüssiges Metall vor. Das Kühlmittel ist flüssiges Blei. Die Betriebstemperatur beträgt ungefähr 1000 °C.

Die hohe Temperatur (Dampf bei 1000 °C) macht die Stromerzeugung sehr kostengünstig.

Die Prozeßwärme kann in Wirtschaft und Industrie hervorragend genutzt werden, so ist z.B. die Wasserstoffherstellung bei diesen Temperaturen durchaus wirtschaftlich.

Der DFR kann mit hochradioaktiven Spaltprodukten (fälschlich „Atommüll“ genannt) beschickt werden, sie umwandeln (Transmutation) und dabei Energie gewinnen.

Der DFR ist auch hervorragend geeignet, kostengünstig medizinische Isotope herzustellen, wie z.B. das vielgebrauchte Technetium 99m.

Aufgrund der negativen öffentlichen Einstellung gegenüber der Kernenergienutzung in Deutschland gibt es leider noch keinen konkreten Zeitplan für den Bau eines Prototyps.

3. Weltraumfahrt

Alle wichtigen Weltraumaktivitäten macht Deutschland im Verbund der ESA, der europäischen Weltraumorganisation. Aktuell gehören der ESA 22 Mitgliedsstaaten an. Sie bündelt die Finanzmittel und das Know-how der einzelnen Länder. In diesem Zusammenhang vertritt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Interessen Deutschlands bei der ESA.

Deutschland ist an allen wichtigen Aktivitäten und Missionen beteiligt und zahlt ungefähr 20% des ESA-Budgets. In diesem Jahr 2020 ist der deutsche Anteil 1,4 Milliarden Euro – das sind weniger als 17 Euro pro Bürger pro Jahr.

Viele weitere Institutionen und Verbände arbeiten dem DLR zu. Mehrere Max-Planck-Institute haben sich auf Weltraumfragen spezialisiert, wie z.B. Erforschung des Sonnensystems, Astrophysik, Atmosphären- und Biosphärenchemie, Gravitationsphysik. Auch viele Hochschulinstitute haben ihren Forschungsschwerpunkt in der Raumfahrt. Hier listen wir wichtige Projekte, Missionen und technische Neuerungen mit deutscher Beteiligung auf:

Erforschung des Mars

© ESA/cc-by-sa 3.0-igo
Künstlerische Darstellung der Marssonde Mars Express.

ExoMars 2022. Der Start der ExoMars-Mission zur Erkundung des Roten Planeten ist für Mitte 2022 vorgesehen. Die ExoMars-Mission ist ein gemeinsames Vorhaben der ESA mit Roskosmos und soll herausfinden, ob es jemals Leben auf dem Mars gegeben hat. Auch will man die Geschichte des Wasservorkommens auf dem Mars genauer kennenlernen. Es wird die erste Landung eines ESA-Raumfahrzeugs auf dem Mars sein. Mit an Bord ist der ExoMars-Rover, der seit 2018 getestet wird und der bis in eine Tiefe von 2 Metern bohren kann.

Mars Express. Die Raumsonde Mars Express wurde von der ESA 2003 zum Mars geschickt, um ihn zu umkreisen und dabei, unter anderem, vollständig und genau zu kartographieren. Die Kamera dafür wurde für das DLR im Berliner Institut für Planetenforschung entwickelt und kann 3D-Farbbilder der Oberfläche aufnehmen. Die Mars-Express-Mission wird wahrscheinlich noch bis zum Jahr 2024 weitergeführt.

ExoMars 2016. Seit 2016 umkreist auch die ESA-Roskosmos-Sonde ExoMars2016 den Roten Planeten und erforscht die Atmosphäre. Leider ist die Landung des dazugehörigen Landemoduls einschließlich Rover damals fehlgeschlagen.

Robotische Rückführung von Marsproben. NASA und ESA bereiten gemeinsam die automatische Rückholung von Gesteinsproben vom Mars auf die Erde bis zum Ende dieses Jahrzehnts vor. Dafür sind insgesamt drei Missionen vorgesehen.

Verteidigung der Erde

Schutz der Erde vor Asteroideneinschlägen. Im Rahmen der AIDA-Mission soll die Esa-Raumsonde Hera im Jahr 2026 prüfen, ob und wie erfolgreich eine NASA-Umlenkaktion eines Asteroiden war.

Und die ESA läßt prüfen, ob man zur schnellen Asteroidenabwehr spezielle Raumfahrzeuge am Lunar Gateway, der zukünftigen Mondumlaufstation, stationieren sollte.

Die Lagrange-Mission. Eine Sonde soll am Ende der 2020 Jahre im Dreieck zwischen Sonne und Erde positioniert werden, um die Sonnenaktivitäten zu überwachen. Die Sonde wird in einem der beiden Lagrangepunkte L4 oder L5 geparkt und ist deshalb ungefähr gleichweit von Sonne und Erde entfernt. Von da aus kann sie potentiell gefährliche Sonnenereignisse wie koronale Massenauswürfe (CMEs) erkennen, bevor sie für uns auf der Erde sichtbar sind. So können wir frühzeitig unsere Infrastruktur schützen, wie Strom- und Kommunikationsnetze und eventuell auch Satelliten.

Eroberung des Mondes

Das „europäische Servicemodul“ ist der Beitrag der ESA zum Orion-Raumschiff der NASA, mit dem die Astronauten bald zum Mond und darüber hinausfliegen werden. Es sorgt für den Antrieb und die Versorgung der Astronauten.

Als längerfristiges Projekt: Aufbau einer permanenten, bemannten europäischen Basisstation auf dem Mond – „Lunar Village“, das Monddorf.

Grundlagenforschung

© O. Usher (UCL MAPS)/cc-by-sa 2.0
© flickr/elisabetta monacco/cc-by-sa 2.0
Ein für Testzwecke hergerichtetes
1:1-Modell des Solar Orbiter [oben].




Eine Ariane-5-ECA-Rakete vor dem Start. Derzeit wird das Nachfolgemodell Ariane-6 entwickelt.

Der Planck-Satellit kartographiert Spuren des möglichen Urknalls und des ersten Lichts im Universum.

LISA – das Gravitationswellen-Observa- torium: Ein ESA-NASA-Gemeinschaftsprojekt. Der Start soll 2034 erfolgen. drei Satelliten werden im Formationsflug im Abstand von 2,5 Millionen Kilometern fliegen. Sie sollen Gravitationswellen in der Raumzeit messen.

Die Sonne, weitere Planeten
und darüber hinaus

Der Solar Orbiter. Das ist die neue Sonnenerkundungs-Mission der ESA, unterstützt von der NASA. Die Sonde Solar Orbiter ist im Februar 2020 gestartet und hat im Juli schon außergewöhnliche Bilder von der Sonnenoberfläche gemacht. Sie lassen Miniatur-Sonneneruptionen, sogenannte „Lagerfeuer“, überall nahe der Oberfläche unseres Zentralgestirns erkennen. Aber erst ab März 2022 wird Solar Orbiter dann immer wieder „ganz nah“ an der Sonne sein, und es werden Durchbrüche in der Sonnenerforschung erwartet.

Die Merkur-Mission BepiColombo. Die Raumsonde der europäisch-japanischen Mission BepiColombo ist im Oktober 2018 zum innersten Planeten Merkur aufgebrochen. BepiColombo wird die Schwerkraft von Erde, Venus und Merkur nutzen, um sich allmählich in Position zu bringen. Im Dezember 2025 wird das Raumschiff den Orbit des Merkurs erreichen. Dann beginnen die wissenschaftlichen Messungen, um die Geheimnisse des Merkurs zu enträtseln.

Das CHEOPS Weltraumteleskop. Es wurde im Dezember 2019 gestartet und soll schon gefundene Planeten außerhalb des Sonnensystems, sog. Exoplaneten, genauer untersuchen: Ist der Planet erdähnlich? Könnte es Leben dort geben?

Raketen und Antriebe

Ariane 6 wird die neue Trägerrakete der europäischen Raumfahrt. An ihrer Entwicklung waren deutsche Ingenieure maßgeblich beteiligt. U.a. wird die Oberstufe in Bremen gebaut. Ariane 6 kann Nutzlast, von 5 bis 11,5 t, wesentlich günstiger in den Weltraum bringen als ihre Vorgänger. Der erste Start ist für Mitte/Ende 2021 geplant.

Das DEMOCRITOS-Projekt ist eine europäisch-russische Initiative, die Kernenergie als Raketenantrieb zu verwenden. Von deutscher Seite ist die DLR mit dabei. In den 2030er Jahren möchte man den Nuklearantrieb zur Verfügung haben.

 


Dieser Beitrag ist Teil der neuen BüSo-Broschüre „1,5 Mrd. neue produktive Arbeitsplätze schaffen: Deutschlands Beitrag zum Aufbau der Weltwirtschaft“, die demnächst veröffentlicht wird.