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Neue Solidarität
Nr. 31, 30. Juli 2020

„Das wichtigste ist jetzt das Leben der Menschen“

Der russische Präsident Wladimir Putin erläuterte schon im April seine Haltung in der COVID-19-Pandemie.

In einer Videokonferenz mit den Leitern der russischen Regionen über Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie erläuterte der russische Präsident Wladimir Putin bereits am 28. April seine Herangehensweise.1 Angesichts der derzeitigen Auseinandersetzungen im Westen um die Zumutbarkeit der Maßnahmen zum Schutz vor der Seuche lohnt es, seine Argumente zu studieren. Putin schloß seinen Vortrag mit den folgenden grundsätzlichen Bemerkungen.

* * *

(...) In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erläutern, worauf die von mir getroffenen Entscheidungen gründen.

Der absolute Wert der modernen Zivilisation ist natürlich die Freiheit. Ich rede von der Freiheit eines jeden Bürgers. Aber auch das Leben eines jeden Menschen ist einzigartig, ein absoluter Wert, der uns von oben gegeben wurde. Und wir müssen es schützen, damit die Menschen Freude und Liebe erfahren, Kinder erziehen, einfach leben können.

Ich möchte Sie auch an ein bekanntes Sprichwort erinnern: ,Die Freiheit eines jeden wird begrenzt durch die Freiheit der anderen.’ Es ist sehr angemessen in dieser Pandemie. Wenn einige Leute es vorziehen, sich anders zu verhalten und ihre persönliche, unbegrenzte Freiheit über die Interessen und Freiheiten anderer Menschen zu erheben, gefährden sie heute deren Leben. Und in dem Fall wird Freiheit zu Verantwortungslosigkeit, Egoismus und in gewissem Sinne zur Gewalt gegen andere, die ihnen großen Schaden zufügen kann.

Und auf noch etwas möchte ich hinweisen: auf die ethische, moralische Entscheidung, vor der wir jetzt stehen. Einige Leute auf der ganzen Welt und manchmal auch in Rußland meinen, daß wir zuerst an die Wirtschaft denken müssen, an das materielle Wohlergehen. Und das ist natürlich sehr wichtig.

Aber was wird in dieser Hinsicht vorgeschlagen? Tatsächlich wird vorgeschlagen, weiterzumachen und über sich über alles und jeden hinwegzusetzen, ohne zurückzuschauen. Das bedeutet im Grunde, auf die mit der Epidemie verbundenen Risiken keine Rücksicht zu nehmen und so schnell wie möglich alle Beschränkungen aufzuheben. Und wenn jemand krank wird, dann wird er eben krank und wird dann vielleicht behindert sein oder sogar sterben, und wenn das passiert, dann ist das eben sein Schicksal. Das läuft hinaus auf das Überleben der Stärksten, wo jeder für sich alleine steht.

Aus der Geschichte und der Weltliteratur wissen wir, daß in früheren Zeiten alte Menschen, kranke Kinder, geschwächte Menschen einfach zurückgelassen wurden, damit der ganze Stamm überlebt. Wahrscheinlich gab es damals einfach keinen anderen Weg. Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Und lassen Sie es mich ganz offen sagen: Diejenigen, die jetzt vorschlagen, Menschen zu opfern, sie ihrem Schicksal zu überlassen, rufen faktisch dazu auf, zu Wildheit und Barbarei zurückzukehren.

Legenden zufolge wurden im alten Sparta kranke oder behinderte Kinder von der Klippe Taygetos ins Meer geworfen. Heute glauben Historiker und Archäologen allerdings, daß das nur eine Legende, ein Mythos ist. Wir wissen, daß die Gesellschaft von Sparta auf wirklich strengen Regeln aufgebaut war, aber auch das hat Sparta nicht geholfen, und letztendlich verlor es seine Unabhängigkeit. Das ist eine aufschlußreiche Geschichte.

Erinnern wir uns auch ganz kurz an ein paar eindringliche Seiten der ergreifenden Geschichte von Jack London mit dem Titel Das Gesetz des Lebens. Dort geht es darum, daß ein Stamm seine alten Männer zurückließ, wenn sie zu einer Last wurden. Die Kinder gaben ihnen etwas zu essen und verließen die Eltern, die dann den wilden Tieren zum Fraß überlassen wurden, so daß sie starben. Aber der alte Vater, der von seinen Kindern am Feuer allein gelassen wurde, glaubte bis zum Ende und hoffte, daß seine Söhne zu ihm zurückkommen würden.

Können Sie sich nur für einen Moment vorstellen, daß wir unseren Eltern, unseren Großeltern, so etwas wie in dieser Geschichte antun können? Das glaube ich nie und nimmer. Das ist nicht unser genetischer Code. Denn wir haben von unseren Vorfahren etwas ganz anderes gelernt. Rußland lebt seit tausend Jahren mit den Werten der gegenseitigen Hilfe und Solidarität, und sie sind heute die tragenden Säulen unserer Staatlichkeit. Wir haben sie zusammen mit der Orthodoxie übernommen. Diese Werte bilden auch den Kern der anderen Religionen der Völker Rußlands – des Islam, des Buddhismus, des Judentums. Diese Philosophie des Humanismus hat uns Jahrhunderte lang geholfen, zu überleben. Und heute hängt das Schicksal unserer Nachbarn und unserer Lieben von unser aller Verantwortung ab.

Ich wiederhole es noch einmal: Das wichtigste sind für uns jetzt die Menschen, ihr Leben. Eine andere Wahl zu treffen, wäre für unser Volk inakzeptabel. Ich glaube fest daran, daß die absolute Mehrheit von Ihnen so denkt und nach ihrem Gewissen handelt.

Wir müssen die Menschen retten und am Leben erhalten, alles andere wird sich ergeben. Wir werden alles reparieren und aufholen, wir werden dieses Coronavirus besiegen, und wenn alles vorüber ist, werden wir mit einem ruhigen Herzen – alle zusammen – die Wirtschaft ankurbeln, den Wohlstand stärken, und wir werden mit Sicherheit diejenigen unterstützen, die ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen verloren haben, die es jetzt schwer haben. Wir werden den betroffenen Unternehmen eine Schulter zum Anlehnen geben, ihnen helfen, Arbeitsplätze zu erhalten und wieder auf die Beine zu kommen. Diese staatlichen Unterstützungsmaßnahmen werden weiter ergänzt und ausgeweitet.

Aber jetzt stärkt jeder Erfolg, sei er auch noch so klein, aber ein wirklicher Erfolg, jedes gerettete Leben unsere Hoffnung und unser Vertrauen auf den Sieg über die Epidemie.

Wir werden sie zwingen, sich zurückzuziehen. Das Leben wird wieder besser, das verspreche ich Ihnen. Und es liegt in unserer Macht, dies so schnell wie möglich zu erreichen, damit wir die gegenwärtigen Prüfungen und Bedrängnisse nicht nur überwinden, sondern auch sichere Bedingungen für die zukünftige Entwicklung schaffen.

Vielen Dank.


Anmerkung

1. Eine englische Übersetzung seiner Ausführungen finden Sie auf der Internetseite des Kreml unter http://en.kremlin.ru/events/president/news/63288