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Von Helga Zepp-LaRouche
Nach wochenlangen Gerüchten hat Präsident Trump es offiziell gemacht: Die US-Administration plant, 9500 US-Soldaten von Deutschland abzuziehen und die Gesamtzahl der hier stationierten Truppen auf 25.000 zu begrenzen. Neben zahlreichen Äußerungen der Empörung über den Stil, diesen Schritt nicht mit den „Partnern“ abzustimmen, wurden einige heutzutage meist verdrängte Tatsachen über die Gründe für die US-Präsenz erwähnt. Erhöht wurde die Aufregung zusätzlich durch die Androhung, dass Sanktionen wegen Nord Stream 2 nicht nur deutsche und europäische Firmen treffen könnten, sondern sogar staatliche Stellen, also z.B. Beamte und Regierungsvertreter der Bundesrepublik, wozu der Falke Ted Cruz sogar ein Gesetz in den US-Senat einbringen will.
Es ist also an der Zeit, sich Gedanken über die deutschen Interessen in einer komplexen und sich schnell wandelnden Welt zu machen. An sich betrachtet könnte man die Reduzierung der US-Truppen begrüßen, da jede Herabstufung der militärischen Kapazitäten die Spannungen in Europa vermindern kann und eine ganze Reihe von Militärexperten der Auffassung sind, daß ein Angriff Rußlands auf die NATO so gut wie ausgeschlossen werden kann. Anders sähe es jedoch aus, wenn diese Truppen nach Polen und in andere osteuropäische Staaten verlagert werden und damit Teil einer weiteren Einkreisungspolitik gegenüber Rußland sind.
Die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, erklärte in einer virtuellen Veranstaltung mit dem Council of Foreign Relations, die US-Truppen befänden sich nicht in Deutschland, um Deutschland zu verteidigen, sondern um Stärke der transatlantischen Gemeinschaft und der USA nach Afrika und Asien zu projizieren. Man kann sogar sicher sein: Solange die Versprechungen Trumps, die endlosen Kriege der Bush- und Obama-Administrationen zu beenden und die Truppen aus diversen Staaten abzuziehen, vom Pentagon praktisch ignoriert werden, wird es von sich aus keine Auflösung von Ramstein und den z.B. von SPD-Fraktionschef Mützenich geforderten Abzug der US-Atomwaffen geben.
Weitaus wichtiger als die Aufregung um den wenig partnerschaftlichen Stil Trumps sind die Pläne, die NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei dem jüngsten virtuellen Treffen der NATO- Verteidigungsminister über die Ausweitung der NATO in die Asien-Pazifik-Region präsentiert hat. Denn die gesamte transatlantische Falkenfraktion – wie z.B. der Atlantic Council, der German Marshall Fund, der Sohn des unseligen Zbignew Brzezinski, Ian, und diverse andere Denkfabriken – drängen auf die Globalisierung der NATO und die Verstärkung der Beziehungen zu den „globalen Partnern“ wie Australien, Japan, Südkorea und Neuseeland. Besondere Anstrengungen gelten Indien, das in die Strategie der „Indo-Pacific-Partnership“ zur Einkreisung Chinas eingebunden werden soll. Brzezinski will sogar ein NATO-Hauptquartier im pazifischen Raum etablieren, von dem aus NATO-Manöver koordiniert werden sollen und das sich keineswegs auf rein militärische Operationen beschränken solle, sondern die „gesamte Bandbreite der diplomatischen, ökonomischen, technologischen, gesellschaftlichen und militärischen Fähigkeiten und Dynamiken“ mobilisieren müsse, um die „geopolitische Macht“ des Westens zu demonstrieren. Der Economist kommentierte, die wirkliche Diskussion in der NATO, die viel wichtiger sei als die „kurzfristigen Störungen“ zwischen Deutschland und den USA, seien die Planungen, wie die NATO sich in den nächsten zehn Jahren dem Aufstieg Chinas entgegenstelle, um damit einen Daseinszweck im Jahr 2030 zu behalten.
Stoltenberg gibt sich „besorgt“ über den Aufstieg Chinas und die chinesischen Investitionen in Nuklearwaffen und Langstreckenraketen, die Europa erreichen könnten, und verschweigt dabei zum einen, daß China nicht zuletzt deshalb „aufsteigt“, weil es bereits 850 Millionen seiner Bürger aus der Armut befreit hat und dabei auf den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt setzt, den die EU mit ihrem wirtschaftspolitisch wahnsinnigen „Green Deal“ aus dem Fenster wirft. Er verschweigt auch, daß der Anstieg der chinesischen Rüstungsinvestitionen die Reaktion auf die hysterische Anti-China-Kampagne ist, wie sie von den Briten und US-Falken wie Pompeo, Esper und Co. derzeit eskaliert wird, und natürlich vergißt er auch zu erwähnen, daß China laut dem schwedischen Forschungsinstitut SIPRI gerade mal um die 5 Prozent der Anzahl der amerikanischen Nuklearwaffen besitzt.
Zu dem Grad, zu dem die anglophile transatlantische Kriegsfraktion versucht, die militärische Einkreisung Rußlands und Chinas zu eskalieren und sogar die völlige ökonomische Abkopplung Chinas beabsichtigt, zu dem Grad wird der Druck erhöht, daß sich Europa voll und ganz in die antichinesische Kampagne einbinden lassen soll. Der wahrscheinlich wüsteste Propagandist ist diesbezüglich der Vertreter der extremen Rechten in den USA, Steve Bannon, der neulich in der Zeitung Die Welt des notorischen Springer-Verlages eben diese sofortige Abkopplung des Westens von China verlangte. Dies sei kein kalter, „sondern ein heißer Krieg“, und falls die EU versuchen wolle, diesem Krieg aus dem Weg zu gehen, würden die europäischen Staaten als die „Vasallen“ Chinas enden. Ins gleiche Horn stößt der Grüne Reinhard Bütikofer, Co-Präsident der Inter- Parliamentary Alliance on China, der Bannon nicht nur politisch ähnlich sieht. Zu dieser IPAC gehören solche Kriegsfalken wie die Senatoren Marco Rubio und Bob Menendez, die sich offensichtlich nicht daran stören, mit dem ehemaligen KBW-Mitglied Bütikofer politisch gemeinsame Sache zu machen.
Der KBW war eine der zahlreichen sogenannten (kommunistischen) „K-Gruppen“ in der Zeit der 68er und des SDS, die voll auf der Linie der chinesischen Kulturrevolution und der technologiefeindlichen Rotgardisten lagen. Als sich China von diesem heute als eine der schwärzesten Perioden in der Geschichte Chinas betrachteten Jahrzehnt abwandte und mit den Wirtschaftsreformen Deng Xiao Pings seinen Aufstieg einleitete, begaben sich die diversen Anhänger des SDS und der K-Gruppen auf den „langen Marsch durch die Institutionen“, und nicht wenige wurden vom atlantischen Establishment eingesammelt und brachten es infolgedessen zu hohen Posten wie u.a. dem des Außenministers. Von da ab wurde die „Internationale“ ersetzt durch das alte Lied „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, und so singen sie noch heute.
Der ehemalige UN-Waffeninspekteur Scott Ritter – dem die Ehre gebührt, ein Whistleblower gegen die Lügen gewesen zu sein, auf dem der Irakkrieg aufgebaut war – erinnerte in einem Kommentar zu Trumps partiellem Truppenabzug aus Deutschland und die Befürchtung der US-Denkfabrik CSIS, daß die NATO eine zweite Amtszeit Trumps nicht überleben würde, an das alte geflügelte Wort, das in der NATO bis heute zirkuliert. Es wurde von Lord Ismay, dem ersten Generalsekretär der NATO formuliert – daß der Zweck der NATO sei: „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“. Ritter unterstreicht, daß die Russen niemals in die NATO hätten eintreten wollen, aber andererseits die NATO ohne die angebliche Bedrohung durch Rußland keine Existenzberechtigung habe.
Ohne hier auf die Vorgeschichte, wie es zum Kalten Krieg und der Entstehung der NATO gekommen ist, eingehen zu wollen: Diesen Daseinszweck hat die NATO seit dem Ende der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes allerdings eingebüßt. Nicht Rußland hat alle Versprechen gebrochen, die in der Zeit der deutschen Wiedervereinigung gemacht wurden, sondern die gleichen neokonservativen und neoliberalen Vertreter einer unipolaren Welt, die in Trumps Wahlsieg eine existentielle Bedrohung sahen, deshalb bis zum heutigen Tag versuchen, einen Coup gegen ihn zu inszenieren, und die jetzt nach der Dämonisierung Putins mit den gleichen Mitteln, nämlich Lügen und Fake News ein Feindbild gegen China aufbauen. Ziel dieser Politik ist in allen drei Fällen, gegen Trump, gegen Putin und gegen Xi Jinping, der Regimewechsel, um doch noch die Utopie zu verwirklichen, die Francis Fukuyama nach dem Kollaps der Sowjetunion verkündete: das „Ende der Geschichte“, bei dem alle Regierungen beseitigt sind, die sich der „regelbasierten neoliberalen Ordnung“ entgegensetzen, die die Privilegien des Establishments garantiert.
Das Problem ist, daß diese Vorstellung einer globalen NATO der Stoff ist, aus dem der Dritte Weltkrieg gemacht würde. Die Idee, den Aufstieg Chinas eindämmen zu wollen, ein Volk von 1,4 Milliarden Menschen, das eine richtige, fortschrittsorientierte Wirtschaftspolitik betreibt und mit über 150 Nationen bei der Neuen Seidenstraße kooperiert, die an diesem Fortschritt teilnehmen wollen, ist ebenso absurd wie unrealistisch. Der Politikwissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, Prof. Michael Staack, kommentierte kürzlich die Spannungen zwischen den USA und Deutschland mit der Einschätzung, deutsche und amerikanische Interessen gingen heute „in allen wichtigen Fragen auseinander“, und riet der Regierung, sie solle die „Planungsstäbe auffordern“, eigenständige Antworten auszuarbeiten.
Diese Analyse scheint einleuchtend, ist aber ungenau. Sie läßt die Axiomatik der jeweiligen politischen Fraktionen außer acht. Genauso wie sich der Rechte Marco Rubio und der „ehemalige“ Maoist Bütikofer vertragen, so einig sind sich die Anhänger des neoliberalen Paradigmas auf beiden Seiten des Atlantiks, die in ihrer Feindschaft zu Rußland und China vereint sind. Unvereinbar sind hingegen die wirklichen Interessen der souveränen Nationalstaaten USA, Deutschland, Rußland, China und aller anderen Staaten mit den Strukturen einer Weltregierung, die nur den Interessen der Oligarchie nutzt.
Es ist Zeit, daß Deutschland das sogenannte Truppenstatut und die Mitgliedschaft in der NATO aufkündigt. Eine neue Sicherheitsarchitektur, die die Interessen aller Staaten auf diesem Planeten berücksichtigt, ist überfällig.
zepp-larouche@eir.de