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Neue Solidarität
Nr. 1-2, 9. Januar 2020

Schiller-Institut und eCampus stellen den „Odysseus-Korridor“ vor

Von Claudio Celani

„Odysseus-Korridor“ ist der faszinierende Name, den Prof. Enzo Siviero einem Infrastruktur-Großprojekt gegeben hat, das in der geographischen Region verwirklicht werden soll, die Homers Held in der Odyssee bereist hat. Hauptpfeiler des Projekts ist eine Verbindung zwischen Italien und Albanien und weiter nach Griechenland (kurz GRALBeIT), die mit Hilfe einer Kombination von Brücken und Tunneln hergestellt werden soll. Siviero, der an der Universität Venedig Brückenbau gelehrt hat und jetzt Rektor der eCampus-Universität ist, hat sein Projekt auf der internationalen Konferenz des Schiller-Instituts in Bad Soden beschrieben und am 9. Dezember bei einer öffentlichen Veranstaltung in Tirana in Albanien, bei der auch der Verfasser kurz sprach, vorgestellt.

Die Veranstaltung mit dem Titel „Italien und Albanien: ein Tor zum Balkan“ wurde gemeinsam von Sivieros eCampus-Universität und dem albanischen Ministerium für die Diaspora unter Pandeli Majko organisiert. Diese Kombination kommt nicht von ungefähr: Majko hatte – woran er in einer Begrüßungsrede auf der Konferenz erinnerte – 2005 als Verteidigungsminister mit seinem italienischen Amtskollegen vereinbart, eine erste Machbarkeitsstudie für eine Brücke zu initiieren, die Albanien und Italien verbinden sollte: „Damals haben alle darüber gelacht, weil sie dachten, ich sei verrückt. Aber heute erscheint die Idee nicht mehr so verrückt.“

Sivieros Odysseus-Korridor umfaßt auch Eisenbahnverbindungen, die auf der einen Seite über den Korridor 8 durch Albanien, Nordmazedonien nach Bulgarien sowie nach Griechenland zum Hafen von Piräus führen, und auf der anderen Seite Süditalien und die Straße von Messina durchqueren, um die Westküste Siziliens zu erreichen, von wo aus eine weitere ehrgeizige Infrastruktur Italien mit Tunesien verbinden soll (TUNeIT). So ist der Odysseus-Korridor in der Sicht Sivieros Teil einer globalen Landbrücke, die von Kapstadt nach Peking führt.

Die anspruchsvollsten Teile des Korridors sind natürlich die beiden Meeresverbindungen TUNeIT und GRALBeIT. Während erstere 150 km lang und relativ flach ist, ist letztere „nur“ 85 km lang, überquert aber eine maximale Tiefe von 895 m. Italiens nationales Forschungszentrum ENEA hat bereits einen Plan für TUNeIT als Unterwassertunnel zur Durchquerung der Straße von Sizilien entworfen, der aus fünf Abschnitten besteht, die durch vier künstliche Inseln verbunden sind, die mit dem Aushubmaterial gebaut werden. Siviero spricht sich jedoch (auch aus psychologischen Gründen) für eine Brückenverbindung oder eine Tunnel-Brücken-Kombination aus, die in Modulen gebaut werden könnte, wobei das Projekt für die Messinabrücke als Modul verwendet wird.

GRALBeIT ist aufgrund der Meerestiefe (Straße von Otranto am südlichen Ende des Adriatischen Meeres) technisch anspruchsvoller. „Aber im Jahr des Leonardo sollten wir ihn ehren, indem wir seinem Beispiel folgen und das Undenkbare denken“, so Siviero.

Nach Sivieros Vortrag setzte sich die Konferenz mit Vorträgen von Vertretern italienischer und albanischer Institutionen fort, darunter der ehemalige Finanzminister und Prorektor des Tirana eCampus Prof. Arben Malaj. Er sprach das Thema der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) an, die seiner Meinung nach sowohl Chancen als auch Risiken bietet. Malaj brachte das Anliegen zum Ausdruck, daß die BRI durch internationalen Konsens und nicht durch aufgezwungene Entscheidungen unterstützt werden sollte.

Während der Odysseus-Korridor organisiert wird, könnte die Eisenbahnverbindung des Korridors 8 Vlora-Varna, der das Schwarze Meer und die Adria verbindet und den Nord-Süd-Korridor von Hamburg durch Osteuropa und die Balkanländer nach Athen und weiter zum Orient und zum östlichen Mittelmeer kreuzt, mit geringem finanziellen Aufwand fertiggestellt werden, sagte Dipl.-Ing. Kujtim Hashorva, Leiter der Direktion für Straßenverkehrspolitik im albanischen Verkehrsministerium und ehemaliger Vorsitzender der Beobachtungsstelle für den Verkehr in Südosteuropa der EU.

Die Eisenbahnverbindung entlang des Korridors 8 (der alten Via Egnatia) ist fast fertiggestellt, mit Ausnahme von zwei kurzen Abschnitten in Nordmazedonien an den Grenzen zu Bulgarien und Albanien. Dieser Abschnitt kann mit einer Investition von einer Milliarde Euro in kurzer Zeit zu einer kommerziellen Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h ausgebaut werden. Eine solche Strecke würde eine Lücke füllen, die es ermöglicht, Güter in kürzerer Zeit und in kleineren Dimensionen als auf Schiffen zu transportieren, was auch die Ausweitung des lokalen Handels ermöglicht.

Der EIR-Redakteur Claudio Celani, der zusammen mit Feride Gillesberg als Vertreter des internationalen Schiller-Instituts eingeladen war, wurde gebeten, die Konferenz mit einem kurzen Vortrag über das Schiller-Institut und dessen Bad Sodener Konferenz abzuschließen. Ausgehend von Prof. Malajs Bezug auf die BRI unterstützte Celani dessen Vorschlag, einen globalen Konsens zu schaffen, dafür setze sich das Schiller-Institut ein. Die derzeitige Skepsis und Opposition gegenüber der BRI in Europa sei jedoch vor allem auf mangelnde Kenntnisse sowohl der BRI als auch der chinesischen Mentalität zurückzuführen. Celani beschrieb die von Helga und Lyndon LaRouche 1989 gestartete Kampagne zum Aufbau von Entwicklungskorridoren zur Integration West- und Osteuropas, woraus die Konzepte der Eurasischen Landbrücke, der Neuen Seidenstraße und der Weltlandbrücke entstanden. Wenn man China einmal beiseite läßt und an die beiden europäischen Korridore von Süditalien nach Berlin und von Athen nach Hamburg denkt, stehe der Odysseus-Korridor in einem Kontext, in dem eine Infrastruktur wie GRALBeIT nicht mehr utopisch oder nur eine lokale Verbindung ist, sondern regionale und globale strategische Bedeutung erhält. Dies spiegle den globalen Konsens bzw. das Interesse wider, dies im Rahmen der BRI vorzuschlagen. Celani kündigte an, daß das Schiller-Institut 2020 in Tirana eine internationale Konferenz zu diesem Thema veranstalten will. Feride Gillesberg wurde von der bekannten Journalistin Suzana Zyrakja, die an der Konferenz teilgenommen hatte, für die populäre Sendung „Dite e mbare“ auf dem nationalen albanischen Fernsehsender RTSH interviewt.

Im Anschluß an die Konferenz führte die Delegation des Schiller-Instituts weitere Gespräche mit Vertretern albanischer Institutionen und der Zivilgesellschaft. Albanien stehe an einem Scheideweg, sagte der Vertreter einer prominenten Denkfabrik. Seit Jahren unterwirft sich das Land harten Sparauflagen, in der Hoffnung, daß die Europäische Union ihr Versprechen einlöst, einen Aufnahmeprozeß für Albanien zu starten. Diese Hoffnungen wurden im Oktober zunichte gemacht, als Frankreich sein Veto gegen die Verhandlungen einlegte. Nun wird der Druck für einen „Plan B“ oder C immer stärker, was in der Praxis bedeutet, die EU zu vergessen und auf China und/oder Rußland zu schauen.

Die Zusammenarbeit mit China und Rußland bedeutet jedoch nicht den Bruch mit dem EU-Mitglied Italien, dessen Beziehungen zu Albanien geographisch, wirtschaftlich und historisch sehr eng sind. Albanische Gemeinschaften in Italien (arbëreshë) existieren seit dem 15. Jahrhundert, als viele Albaner vor der osmanischen Invasion flüchteten. Seit dem Sturz des kommunistischen Regimes 1991 sind mehr als eine halbe Million Albaner ausgewandert und haben sich in Italien niedergelassen, viele von ihnen haben die italienische Staatsbürgerschaft angenommen. (Dies war Teil einer riesigen Auswanderungswelle, durch die eine europäische Diaspora entstand, die genauso groß ist wie die verbleibende Bevölkerung von 2,8 Millionen in Albanien.)

Als am 26. November ein schweres Erdbeben die Küstenregion um Durres erschütterte, schickte Italien lebenswichtige Hilfe, allem voran Hunderte Katastrophenschutz-Spezialisten, mit Ausrüstung, Zelten und Rettungshunden, die innerhalb weniger Stunden vor Ort waren und halfen, Menschen lebend aus den Trümmern zu bergen und die Obdachlosen zu versorgen. Die italienische Regierung hat Wiederaufbauhilfe und Unterstützung für eine internationale Geberkonferenz zugesagt.

Damit sind wir beim kritischen Punkt angelangt: Albanien ist ein armes Land, dessen Entwicklungspotential durch die selbstauferlegte Austerität gelähmt wurde. Selbst bei der Erdbebenhilfe muß die Regierung darauf achten, daß die bereitgestellten Gelder – bisher ca. 50 Mio. von 1 Mrd. Euro, die gebraucht werden – keine Neuverschuldung erzeugen!

Aber Italien ist durch die gleiche Politik gelähmt, sie verhindert bisher, daß der Süden (Mezzogiorno) entlang der TEN-V-Korridore infrastrukturell erschlossen wird. Dazu gehört der Ausbau der Eisenbahnverbindungen südlich von Salerno, das sizilianische Bahnnetz, die Messina-Brücke, Häfen – ganz zu schweigen von den TUNeIT- und GRALBeIT-Verbindungen. Und doch verfügt Italien als Industrienation – es hat in Europa nach Deutschland die zweitgrößte produzierende Wirtschaft – über ein großes Kapital und produktives Kreditpotential zur Finanzierung dieser Infrastruktur.

Somit haben Italien und Albanien (wie auch Griechenland, Nordmazedonien etc.) das gleiche dringende Interesse, einen Kurswechsel in der europäischen Politik durchzusetzen, sowohl in der Haushaltspolitik als auch gegenüber China. Die Alternative ist, sich entweder dem durch die BRI getriebenen Aufschwung anzuschließen oder einen unausweichlichen Niedergang zu akzeptieren.