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Von Ulrich Scholz1
„Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.” Diese Vorhersage von Albert Einstein wird immer aktueller. Wir bewegen uns nämlich gerade auf den dritten Weltkrieg zu. Den Eindruck erwecken täglich Fachleute in Medien und Politik, wenn sie eine russische Bedrohung beschwören. Putins Eroberungspolitik am Schwarzen Meer, die Militärintervention in Syrien zur Stützung des Diktators Assad, seine aggressive Rüstungspolitik, die ungenierte Verletzung von bestehenden Nuklearwaffenverträgen, für die informierte Öffentlichkeit kann es keinen Zweifel geben. Wenn man den russischen Aggressor jetzt nicht in die Schranken weist, wird er sich morgen Europa einverleiben. – Ohne einer Verschwörungstheorie Vorschub leisten zu wollen, den sogenannten Atlantikern in den USA und in Europa kommt die Angst vor einer russischen Bedrohung gerade recht. Militärausgaben der NATO-Staaten sollen jetzt drastisch erhöht werden. Neues militärisches Großgerät wird bei der Industrie in Auftrag gegeben. NATO-Truppen und -Kampfflugzeuge werden auf dem Gebiet der baltischen Staaten stationiert. Atomwaffen-Verträge werden gekündigt und die Einführung/Stationierung neuer Waffen in Aussicht gestellt. Jede Erklärung aus Moskau wird als zynische Ablenkung vom aggressiven Tun und damit als Bestätigung der eigenen Wahrnehmung gewertet. Da kann einem schon angst und bange werden.
Ich habe auch Angst … nicht vor Rußland, sondern vor der verantwortungslosen Angst-Hysterie, die über die letzten Jahre im Westen von Politikern und Journalisten initiiert wurde und bis heute gepflegt wird. Dabei ist es unerheblich, ob Angst die Ursache der Hysterie ist oder „nur“ als Mittel benutzt wird, um Rußland aus geostrategischen Gründen zu isolieren. Die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen folgen schon längst wieder den altbekannten Mustern des Kalten Krieges. Wenn wir den endlich begraben und einen heißen nachhaltig verhindern wollen, müssen wir diese endlich zur Kenntnis nehmen. Es sind meines Erachtens drei:
1. Die beherrschende Ursache allen Denkens und Handelns ist Angst.
2. Die Kommunikation zwischen den Protagonisten erfolgt in einer Zirkularität.
3. Wir sind immer Co-Erzeuger des Problems.
Daß es diese Angst tatsächlich gibt und woran wir sie erkennen können, sagt uns Sigmund Freud. Der ist zu dem heute allgemein anerkannten Schluß gekommen, daß alle Denk- und Handlungsweisen einer Kultur aus der Sublimierung von Trieben entstanden sind. Der Mensch hat sie in geistige Leistungen und gesellschaftlich anerkannte Verhaltensweisen übertragen. Die Triebe der Angst, die sich beim Menschen in grauer Vorzeit als Überlebensstrategien entwickelt haben, bestimmen nach wie vor unser Leben.
Das gilt natürlich auch für unsere Außen- und Sicherheitspolitik. Unsere Sprache verrät uns. Begriffe wie Bedrohungen, Schurkenstaaten, Terroristen, Humanitäre Intervention und Selbstverteidigung sind Indizien heutiger kultureller Ausprägungen von Angst.
Das eigentliche Grundübel steht ihnen aber voran: Es ist die Wahrnehmung der Welt durch unsere tiefverwurzelten Angstfilter. Bedrohungen und Schurkenstaaten sind eben nicht objektive Phänomene einer Außenwelt, sondern unsere Konstruktionen. Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern immer nur so, wie wir sind. Philosophen der Antike haben schon vor 2500 Jahren solche Gedanken gedacht. Neurobiologen und Hirnforscher haben sie inzwischen bestätigt. Solches Denken kann dramatische Auswirkungen auf die Kommunikation zwischen Staaten haben, wie der andauernde Konflikt zwischen Rußland und dem Westen zeigt. Die Gefährlichkeit besteht in ihrer Zirkularität.
Die NATO-Osterweiterung in Form des Beitretens der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten zum westlichen Militärbündnis hat der Westen als Akt souveräner, demokratischer Staaten kommuniziert, die das Recht haben, sich kollektiven Sicherheitsbündnissen anzuschließen. Nun sagen uns Kommunikationswissenschaftler, daß die Bedeutung einer Nachricht nicht der Sender festlegt, sondern beim Empfänger entsteht. Für Rußland bedeutete die NATO-Osterweiterung eine Aggression, der man entgegengetreten ist, als die Ukraine anstand, NATO-Mitglied zu werden. Die russische Antwort – der Anschluß der Krim an Rußland – hat man dann dem Westen als eine souveräne Entscheidung der mehrheitlich russischen Bevölkerung auf der Krim kommuniziert. Für Amerikaner und Europäer als Empfänger dieser Botschaft war das russische Agieren eine Aggression. Ihren Unmut haben sie dadurch kommuniziert, daß sie Rußland mit Wirtschaftssanktionen belegt haben. Für Rußland sind diese aber nichts anderes als die Fortführung einer lang angelegten Aggression der USA, die zum Ziel hat, Rußland zu strangulieren usw, usw, usw.
Die Gefährlichkeit einer solchen, von Angst getriebenen zirkulären Kommunikation besteht in ihrem Eskalationsautomatismus. Irgendwann marschieren tatsächlich Truppen auf, rollen Panzer und kommt es zu Begegnungen von Kampfflugzeugen. Man muß ja als Opfer einer Aggression glaubhaft bleiben. Die letzte Eskalationsstufe wäre dann der Einsatz von Nuklearwaffen.
Wenn Sie Angst als unterschwellige Konflikt-Ursache und Zirkularität in der Kommunikation zusammennehmen und verstehen, ist es nicht schwer, auch eine gewisse eigene westliche Verantwortung für den Konflikt zu akzeptieren. Die Feststellung, daß wir Co-Erzeuger des Problems sind, möchte ich aber noch viel radikaler verstanden wissen.
Wir sind Co-Erzeuger des Problems allein durch die Art und Weise, wie wir denken.
Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit, Gesetz und Ordnung sind eben keine universellen Begriffe, sondern entspringen westlichem Dogma (griechisch/römisch/christlich). Sie werden in jedem Konflikt, wie auch in diesem, instrumentalisiert und ignorieren die regionalen und überregionalen geschichtlich gewachsenen Unterschiede zwischen Völkern und Staaten. Wenn wir das Rußland von Herrn Putin mit unserer deutschen Demokratie- und Ethik-Brille anschauen und bewerten, wird es durchfallen. Durchfallen würden aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika, wenn wir unseren großen Bruder durch dieselbe Brille anschauen. Angriffskriege, Drohnen- Exekutionen, Todesstrafe und Folter sind für uns weder legal noch legitim. Toleranz und Verständnis, die wir den USA gegenüber zeigen, sollten wir auch anderen entgegenbringen. Wenn wir mit Rußland einen Konflikt gewaltfrei lösen wollen, dann geht das nur, wenn wir aufhören, uns selbst und unser Denken als Maß aller Dinge zu begreifen. Schließlich und endlich wollen wir doch uns und den anderen das Leid von Krieg ersparen.
Wenn wir die Muster des Kalten Krieges endlich begraben würden, könnten wir eine Macht zur Geltung bringen, die keine Armee der Welt besitzt: Die universelle Macht von Moral und Anstand. Wenn die politischen Führungen der USA und der NATO-Länder sich in diesem Geist der russischen Regierung zuwenden würden und westliche Journalisten über Wege und Chancen gewaltloser Konfliktlösungen berichteten, wir könnten eine Welt erschaffen, die man in Amerika, Europa und Rußland gleichermaßen als unsere Welt anerkennen würde.
Sie glauben, diese Vorstellung sei naiv? – Mag sein. – Ich glaube nur, daß wir in Anbetracht der Alternative – Krieg – keine andere Wahl haben. Lieber naiv und eine Hand voll Möglichkeiten, als super schlau und tot.
Anmerkung
1. Oberstleutnant a.D. Ulrich Scholz war Luftwaffenoffizier (Phantom/Tornado-Pilot), NATO-Planer und Dozent für Luftkriegführung und ist heute Berater und Dozent in Angelegenheiten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Coach für Führung und Management mit Schwerpunkt Veränderung. In seinem Internetblog (http://www.kamus-quantum.de/category/verteidigung-und-sicherheit) veröffentlicht er Kommentare zur Sicherheitspolitik, darunter auch den folgenden, den wir mit freundlicher Genehmigung des Verfassers übernommen haben.