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Neue Solidarität
Nr. 52, 26. Dezember 2019

„Mensch sein heißt, kreativ zu sein“

Ein Interview mit Lyndon LaRouche über die Rolle und Bedeutung der klassischen Musik

Lyndon LaRouche gab am 26. Dezember 2010 das folgende, bisher unveröffentlichte Interview zu dem Themenkomplex Musik, Kultur und Bildung. Die Fragen stellte Sergej Strid. Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt und leicht bearbeitet.

Lyndon LaRouche: Zunächst einmal, weil ich einfach so lebe. Ich lebe gerne inmitten von Kreativität. Ich hasse es, nicht inmitten von Kreativität zu leben. So einfach ist das. Und ich weiß, daß das moralisch gesehen das Richtige ist, weil sich das Universum ständig weiterentwickelt. Der Mensch muß ständig Fortschritte machen. Die Natur des Menschen ist anders als die eines Tieres. Der Mensch entdeckt, wie er Veränderungen im Universum bewirken kann, die kein Tier bewirken kann, und deshalb müssen wir Kreativität in jedem uns möglichen Aspekt entwickeln, weil das unsere Funktion als Mensch ist. Wir können keine Geschöpfe der Stagnation sein, wie ein Tier, das schnell stirbt und dann durch andere Tiere ersetzt wird, die auf die gleiche Weise sterben.

Wir sind Menschen. Wir müssen uns als Vertreter der menschlichen Gattung entwickeln und unser Bestes dazu tun. Und das Beste, was wir tun können, ist jede Art von Kreativität, zu der wir fähig sind.

LaRouche: Zunächst einmal ist Musik ein Produkt der Kräfte menschlicher Erfindung. Wir wissen, daß tierische Lebensformen ein Verhalten haben, das wir musikalisch nennen würden – Vögel und andere. Aber was wir Musik nennen, basiert auf zwei Dingen: auf der menschlichen Singstimme – dem, was die menschliche singende Stimme sein kann. Und gleichzeitig basiert es auf der Fähigkeit, Ideen der Art auszudrücken, die kein Tier ausdrücken kann, das ist menschliche Kreativität.

Die Menschheit ist die einzige Gattung, die auf kreative Weise ihr eigenes Verhalten ändern kann. Und was gut und schön für die Menschheit ist, ist, menschlich zu sein, das heißt kreativ zu sein, anstatt immer nur das gleiche zu tun. Fördern wir also das, wozu die Menschheit fähig ist!

Und in der Musik ist das beste Beispiel dafür natürlich Bach. Wenn man aus Bach lernen möchte, sollte man Dinge wie die Präludien und Fugen [aus dem Wohltemperierten Klavier] nehmen. Das ist das beste Beispiel eines kreativen Künstlers, der eine Idee der Wohltemperierung entwickelt hat, die es den Menschen ermöglicht, kreativ zu sein. Und wenn man hört, wie kompetente Musiker die Bach-Präludien und -Fugen spielen, dann bekommt man ein Gefühl dafür, was Kreativität ist.

Und man hört auch, was ein Formalist mit einer mechanischen Aufführung der Präludien und Fugen anstellt, man sieht, wie schlecht es sein kann.

Bachs Präludien und Fugen sind also tatsächlich ein Maßstab für Schönheit, aber die Schönheit liegt in der Fähigkeit des Interpreten, sie lebendig werden zu lassen.

LaRouche: Nun, kennengelernt habe ich Andras Schiff natürlich durch meinen Freund Norbert Brainin, und ich erkannte eine Verwandtschaft zwischen ihnen, obwohl er und Brainin natürlich verschiedene Persönlichkeiten sind. Auch ich spürte diese Verwandtschaft.

Wenn Sie also seine Aufführungen hören – die Aufnahme, die digitalisiert ist, gefällt mir nicht –, aber wenn Sie ihn live hören, dann bekommen Sie anders als bei den digitalisierten Aufnahmen ein Gefühl für die Schönheit seines Geistes.

LaRouche: Furtwängler ist eine einzigartige Persönlichkeit. Ich meine, es gibt viele gute Dirigenten, die ich kenne, aber er war absolut außergewöhnlich oder wurde außergewöhnlich, und man konnte es im Laufe seiner Arbeit sehen.

Das beeindruckendste Orchesterwerk, das ich von ihm gehört habe, war Schuberts Neunte Symphonie, die er in der Nachkriegszeit in London eingespielt hat. Diese Aufführung war ein wahres Meisterwerk.

Aber Furtwängler hatte ein Gespür dafür, was Kreativität ist – es ist das gleiche wie bei Bach, seinen Präludien und Fugen. Das „Spielen zwischen den Noten“, wie er sagte. Die meisten Leute wußten nicht, was das bedeutete. Aber er tat das auf jeden Fall. Und das war die Qualität von Furtwänglers Dirigieren, und man sieht, wie er daran arbeitet, wenn man verschiedene seiner Versuche damit hört. Man hört dann, wovon er spricht bei diesem „zwischen den Noten“.

Genau daran denke ich zum Beispiel auch bei Bachs Präludien und Fugen. Oder bei Mozart. Viele Mozart-Interpreten würdigen die Tiefe und Stärke Mozarts nicht. Wenn Sie das Gefühl haben, „zwischen den Noten“ zu sein, wie Furtwängler es auf einzigartige Weise definiert, dann haben Sie ein Gefühl, was Mozart wirklich ist.

Mozart ist einer der machtvollsten Komponisten, die ich kenne. Und die meisten Menschen verstehen heute diese Kraft Mozarts nicht.

LaRouche: Er hat etwas demonstriert, was ich als Konzept, aber noch nicht als konkreten Ausdruck hatte. Es ist nämlich eine Sache, etwas zu hören, und man hört darin ein Konzept. Doch es ist eine andere, zu verstehen, wie man diesen Ausdruck erzeugt, wie man ihn in seinem eigenen Geist erschafft, im eigenen Geist erzeugt.

Ein großartiger Interpret, der wie er ein Gespür für Motivführung hatte, was ich von verschiedenen Gelegenheiten wußte, eröffnet einem dann tatsächlich etwas, das diese Idee kommuniziert, wenn er es einem vorführt. Dann weiß man es.

Das ganze hat in Paris angefangen. Ich war zu der Zeit nicht in Paris, aber ich war sehr wütend über einige Dinge, die damals passierten. Ich war sauer auf Lotte Lehmann, die einige Schüler in Kalifornien unterrichtete, es ging um Florestans Arie aus dem zweiten Akt [von Fidelio], und das war schrecklich! Was sie tat, war absolut obszön! Und das war nur ein Beispiel von vielen für das, was ich an Aufführungen von vielen anderen Orten hörte.

Und so schrieb ich einen kurzen Text darüber, eine Flugschrift, um gegen diesen Mangel an Verständnis und Wertschätzung für das, was klassische Komposition und Kunst ist, zu protestieren.

Dieses Flugblatt wurde in Paris verteilt, und eines davon fiel Norbert in die Hände. Norbert las es und mochte es und bestand darauf, daß er mich treffen mußte, daß ich eine sehr wichtige Person war, nachdem er diese Flugschrift gelesen hatte. Weil ich etwas ausdrückte, was ihm gefiel.

Also kamen wir zusammen. Und er ging dann später, auf meine Ermutigung hin, auf die Violine und auf die Frage der Stimmung ein. Er ließ die Geige testen, er spielte sie für einen Test.

Norbert hatte übrigens ein exzellentes Gespür für Tonhöhe. Bemerkenswert! Er verblüffte die Menschen mit der Perfektion seiner Tonhöhe. Und er hat mir erzählt, wie es dazu kam: er hat nämlich viele Jahre daran gearbeitet.

Er nahm also die Eine-Million-Dollar-Stradivari, die er besaß, und testete sie. Und sie sagten ihm, daß der Test gut war und daß er seine Geige retten würde, wenn er bei der Verdi-Stimmung bleibt.

Deshalb widmete er sich dem und war ein überzeugter Anhänger meiner Vorstellung von der richtigen Stimmung.

Und dann wandten wir uns zur gleichen Zeit an die führenden Musiker dieser Zeit, insbesondere Sänger, in Italien und Deutschland usw. Und alle waren sich einig. Die meisten führenden Sänger jener Zeit haben sich unserer Verteidigung dieser Stimmung angeschlossen, gegen die höhere Stimmung, die tatsächlich sehr destruktiv ist.

LaRouche: Damals hatte ich noch ein besseres Gehör als heute. Ich hatte ein sehr gutes Gehör als Heranwachsender und als Erwachsener. Deshalb wußte ich genau, wovon ich sprach. Ich wußte genau, was der Effekt sein mußte, was der Unterschied sein würde.

Und ich kannte Mozart sehr gut. Er war einer meiner Lieblingskomponisten. Deshalb wußte ich, was erforderlich war. Weil ich die Musik kannte. Ich wußte, was man dazu braucht, denn die Musik basierte auf der menschlichen Singstimme, der menschlichen Singstimme im Chor.

Singstimme und Chorstimme sind bekanntlich nicht immer das gleiche. Denn die Frage ist: Wie kann man das, was ein einzelner Sänger in dem Moment verstehen kann, auf den Chor übertragen? Wenn man dirigiert, merkt man sofort, daß die Solisten es vielleicht ganz gut machen, aber der Chor es verderben kann, weil die Stimmen nicht kohärent sind. Sie werden ein bißchen anarchistisch und wissen nicht immer, welche Stimme sie im Gesamtzusammenhang singen oder welche Stimme gerade zu hören ist.

Für mich war das sehr wichtig, um diese absolute Transparenz des Kontrapunktes zu erhalten. Die Stimmen müssen vereint werden, eine Gruppe von Stimmen muß zu einer einzigen Stimme verschmelzen. Aber die Amateursänger in der Chorarbeit verstehen das nicht. Jeder hat seinen eigenen Gesangsstil, und das Endresultat ist ein großes Durcheinander!

LaRouche: Natürlich war Mozart immer ein Genie. Dabei hatte er zwei Phasen: vor den Sonntagssalons und danach; und es war natürlich Haydn, der ihn dort hinein holte.

Was ihn von Anfang an auszeichnete, war: Er hatte Damen mit sehr hohen und sehr starken Stimmen, insbesondere aus einer ganz bestimmten Familie, in die er schließlich heiratete. Und er hat damit viel gearbeitet. Auch seine Arbeit an der Geige, zum Beispiel seine Violinkonzerte, ist typisch dafür.

Dann lernte er Bachs Musik wirklich kennen. Haydn und er kannten Bach bis dahin nicht direkt, sie kannten nicht Johann Sebastian Bach, nur andere Bach-Werke. Das war für ihn eine Revolution, als er wie Haydn in van Swietens Salons ging. Haydn hatte natürlich seine Quartette unter dem Einfluß van Swietens komponiert. Mozart kam ins Bild und tat das gleiche. Und er schrieb als Antwort auf Haydn seine Quartette, die er Haydn widmete, weil der ihn dazu gebracht hatte, diese höhere Stufe zu verstehen.

Zu der Zeit komponierte Mozart fanatisch Fugen. Und er brachte auch seine Schwester in diese Fugenbegeisterung hinein. Und von da aus machte Mozart eine große Veränderung durch. Er blühte auf in neue Richtungen, was mit seiner Ehe zu tun hatte. Ich glaube nicht, daß die Ehe an sich die Inspiration war, aber er blühte auf und erreichte als Person eine höhere Ebene.

Und seine Einsicht! Wenn Menschen versuchen, die Noten anzuhören, verpassen sie das, was zwischen den Noten liegt, was der Ausdruck der Einsicht ist. Ihnen fehlt der Sinn für den Kontrapunkt, den vokalen Kontrapunkt. Sie hören es nicht. Es berührt sie nicht.

Man sieht das an der Art und Weise, wie Menschen sprechen. Die Art und Weise, wie die Menschen heute sprechen, und die Art und Weise, wie sie beispielsweise vor zwei Generationen gesprochen haben, als es noch gebildete Menschen gab, ist ganz anders. Heute sind selbst gebildete Leute Schwachköpfe, wenn es ums Sprechen geht. Sie verwenden Sprache nicht als Kommunikationsmittel für Ideen. Sie bringen nur Tiergeräusche oder so etwas hervor.

Und so drückte Mozart diese Einsicht aus. Und wenn manche Leute denken, was er tut, sei einfach – es ist nicht einfach. Denn es erfordert eine Sauberkeit in der Ausführung. Und diese notwendige saubere Ausführung Mozarts steigert das Ergebnis so, daß es mehr wird, wenn man weniger tut. Um den Kontrapunkt und die Ironie in der Tiefe herüberzubringen, lenkt es nur ab, wenn man zuviel hört und zuviel macht.

Mozart hat diese Präzision, und der Ausführende, der Mozart aufführt oder dirigiert, muß diese Präzision schätzen, die erforderlich ist, um die Ironie kraftvoll zu vermitteln.

Das ist wie beim Sprechen. Schon die Art und Weise, wie die Menschen beim Schreiben interpunktieren, zeigt, daß sie nicht richtig sprechen können. Sie verwenden zuwenig Kommas oder keine Struktur im Sinne der Kommas. Denn die kleine Pause, ein leichtes Zögern, ist entscheidend für die Vermittlung von Ideen. Eine Veränderung der Qualität der Intonation ist Ironie.

Es ist, wie wenn Leute denselben Satz zweimal verschieden lesen – dann ist es ein anderer Satz! Die Wörter sind dieselben. Die Struktur ist die gleiche. Aber es ist ein ganz anderer Satz, weil er anders gesprochen wird.

Und das sieht man bei Mozart. Entscheidend ist die Art und Weise, wie er richtig aufgeführt wird, wenn man einen Einblick in das hat, was er geschrieben hat. Dann gibt es diesen Rubato-Effekt: ein leichtes Zögern, Änderung der Intonation, Veränderung in der Musikalität. Das ist es, was es zum Funktionieren bringt.

Und das will man nicht mit allem möglichen Verwirrenden überladen. Es sollte nur Sinnvolles sein. Damit haben viele Komponisten Probleme. Sie müßten irgendwie sparsamer sein – so wie Autoren bei dem, was sie sagen, sparsam sein müssen, um die Aufmerksamkeit nicht von dem abzulenken, was sie sagen wollen. Sie sagen zuviel. Und deshalb wird die Idee nicht vermittelt.

LaRouche: Nun, nehmen wir den Fall Shelley und denken wir an seine Poesie; und denken wir auch an die Poesie von Keats. Dort stößt man auf etwas, das eine besondere Bedeutung hat.

Normalerweise heißt es, es gebe fünf Medien für die Kommunikation von Ideen zwischen Menschen – bellen und pfeifen nicht mitgerechnet. Aber das ist ein Fehler. Denn unsere vier oder fünf Sinne sind nicht die Grenze der Kommunikation von Ideen. Es ist sehr vieles daran beteiligt, viele Dimensionen.

Nun, die Noten in der Musikalität bzw. das Äquivalent von gesungenen oder auch nur gesprochenen Noten in der Sprachkommunikation finden in einem Medium kosmischer Strahlung statt, das Resonanz hat.

Lassen Sie mich kurz erklären, was das ist, weil einige es möglicherweise nicht verstehen.

Zugvögel zum Beispiel fliegen mit den Jahreszeiten nach Norden und Süden. Meistens schaffen sie es recht erfolgreich, nach Norden und Süden zu Orten zu gelangen, an denen sie schon einmal waren. Wie machen sie das? Nichts in der normalen Sinneswahrnehmung, wie man etwa menschliche Sprache versteht, kann das erklären.

Die Vögel fliegen – außer wenn das Magnetfeld gestört ist, was unter bestimmten Bedingungen der Fall ist – anhand einer Sinneswahrnehmung, die sie leitet, und diese Sinneswahrnehmung ist das Magnetfeld.

Wir Menschen glauben also, wir haben fünf Sinne, aber tatsächlich haben wir mehr. Wenn wir intelligent genug sind, lernen wir, was einige dieser Arten von Kommunikation sind. Die meisten Menschen sind sich ihrer nicht bewußt. Sie können von ihnen beeinflußt sein, aber sie sind sich ihrer nicht wirklich bewußt. Aber Vögel sind es! Alle möglichen Geschöpfe reagieren auf Formen der kosmischen Strahlung, die ein Medium der Kommunikation sind. Diese kommunizieren nicht nur die Richtung; sie kommunizieren auch Stimmungen.

Was Shelley in den letzten Absätzen seiner Verteidigung der Poesie erwähnt, ist genau dies; daß es eine Situation gibt, in der Menschen, die in einem bestimmten Bereich der kosmischen Strahlung stecken, auf eine Weise aufeinander reagieren, die man mit den Funktionen der Sprache nicht erklären kann. Und sie sind gezwungen, darauf zu reagieren – obwohl es etwas ist, von dem sie meinen, sie hörten es gar nicht.

Und hier öffnet man die Tore zu dem, was emotional und so weiter mit den Menschen im Allgemeinen nicht stimmt. Sie sind von etwas berührt, was in ihrem Bewußtsein nur Chaos zu sein scheint. Und dennoch kann dies, wie Shelley in den abschließenden Abschnitten seiner Verteidigung der Poesie anmerkt, das allerwichtigste sein.

Und man wird feststellen, daß in der Komposition der Poesie und in der Komposition der Musik genau dieser Aspekt, dieser Aspekt der Resonanz, für die Kommunikation entscheidend ist.

Und wir tun das am besten in der klassischen Musik, denn genau das ist das Prinzip der Komposition. Bach beherrscht das: einen Effekt zu erzeugen und in der Lage zu sein, diesen Effekt zu erkennen und zu wissen, wie man ihn korrekt und wirksam erzeugt. Und genauso ist es auch mit der Poesie.

In der Poesie, so wie Shelley und andere es ausdrücken, besteht die Struktur der Poesie darin, wie die Sprechstimme in einer Weise verwendet werden soll, die mehr ist als bloßes Aussprechen der Wörter oder andere Geräusche, Gerüche und Sinneswahrnehmungen. Es entspricht etwas, das ein anderes Medium ist: der kosmischen Strahlung.

Und das ist der große Spaß an der Sache, denke ich. Ich genieße das.

LaRouche: Das ist genau der Grund, eben weil es Mozart ist. Mozart ist vertrautes Terrain, auch wenn er sich während seines ganzen Lebens stets veränderte, er ist immer vorangeschritten und hat sich weiterentwickelt.

Aber deshalb weiß man, daß da etwas ist. Und man kann es erkennen. Die Furtwängler-Aufführung hat mir die Augen geöffnet, als ich hörte, wie Furtwängler es bei diesem besonderen Anlaß leitete. Ich habe genau verstanden, was es war. Und danach suchte ich nach anderen Dirigenten und anderen Versionen der Aufführung, und ich war sehr unzufrieden, weil es nicht da war.

Darüber hinaus gibt es eine einheitliche Idee, die die meisten Regisseure entweder ignorieren oder bewußt kaputtmachen wollen, und das ist auch offensichtlich.

Was mich reizte, mich dieser Sache zu widmen und sie durchzuarbeiten, war, daß der Mißbrauch dieses Werkes durch viele Dirigenten und viele Inszenierungen für mich bewies, daß da ein Problem ist, das unsere Leute verstehen sollten. Denn der moralische Charakter der Regie der Aufführungen ist das, woran es am meisten scheitert.

Da ist – Mozarts Absicht ist hier ganz klar – eine verkommene Gesellschaft, worüber er sich damals sehr bewußt war. Und er möchte den Eindruck dieser Verkommenheit auf sehr ironische Weise vermitteln, als eine, sagen wir, moralisch-therapeutische Übung. Und alle [Regisseure] drücken sich davor.

Es gibt zwei Teile, mit denen sie nicht allzu viel falsch machen können. Der Mord am Komtur zur Eröffnung ist offensichtlich. Es ist sehr schwierig, das völlig zu vermasseln. Dann ist da die Szene der Statue des Komturs mit Don Giovannis Höllenfahrt. Das ist höchst wirkungsvoll. Schon daß der Baß dabei richtig funktioniert, ist eine solche Herausforderung, daß es an diesem Punkt sehr schwierig ist, allzu viel Unordnung daraus zu machen.

Aber der ganze Rest wird immer vermasselt! Es wird nämlich als Opera seria [ernste Oper] gemacht. Es ist ein Chaos. Das Wesentliche ist nämlich, daß Mozart es so komponierte, um die vorherrschende Unmoral der damaligen Gesellschaft anzugreifen. Und was passiert, ist, daß gerade diese Unmoral, die er verabscheute, die meisten Inszenierungen dieses Werks durchzieht.

Und deshalb sage ich, wir wollen uns rächen. Machen wir uns ein Bild von Mozarts Absicht, von der einheitlichen Wirkung, die diese Oper haben muß. Ich glaube zwar nicht, daß die Beteiligten es ganz schaffen werden, aber ich denke, der Versuch ist lobenswert.

LaRouche: Ich denke, die beste Einstellung ist, sich die beiden Bücher des Wohltemperierten Klaviers von Bach vorzunehmen. Man stellt sich die Frage: Was sind diese Werke? Sind es nur Möglichkeiten, Kompositionen für Tasteninstrumente zu spielen, oder gibt es da einen Entwicklungsprozeß, der Bach in jedem dieser Fälle geleitet hat und den er anwendet, um den Reichtum der verschiedenen Ausdrucksarten zu erforschen, die auftreten können, wenn er diesen Prozeß vollständig durchläuft? Nun bekommt man ein Gefühl für diesen ganzen Bereich.

Aber der Punkt ist, daß die Leute versuchen, eine algebraische Lösung z.B. für die Bedeutung jeder der Fugen zu finden. Und das ist sinnlos. Entscheidend ist, man muß über den Kompositionsprozeß nachdenken und nicht, wie man die Noten spielt. Denn der Prozeß der Komposition besteht darin, daß Bach sozusagen die Regeln anwendet, um zu erforschen, wie man sie auf die wohltemperierte Stimmung anwendet. Wie benutzt man diese Regeln und verfeinert damit diese wohltemperierte Ordnung, um darin Ideen zu entwickeln?

Man darf es nie als „Rätsel“ auffassen. Die meisten Leute nehmen Bach als Rätsel. Wenn man es als Rätsel auffaßt, das man zu lösen versucht, ist das nicht kreativ.

Kreativität bedeutet, daß man mit einem Ausgangspunkt anfängt, der in eine bestimmte Richtung weist. Wie kann man nun eine Idee präsentieren, die sich auf diese Entwicklung bezieht? Und in jedem Fall passiert folgendes: Hier ist eine Idee, die ich in dieser Tonart ausdrücken kann. Hier ist eine Idee, die ich hier ausdrücken kann. Hier kann ich das machen.

Aber wesentlich ist, daß in jedem dieser Werke eine eigene Kreativität steckt. Die Kreativität bei allen klassischen Kompositionen ist, daß man mit etwas beginnt, mit einem Samen. Man legt den Samen in den Boden, und er wächst. Dann kommt es als Stiel heraus. Dann kommen Blätter heraus. Und dann wächst es und ändert sich in anderer Hinsicht. Obst wächst, Knospen wachsen, Früchte kommen und fallen, Blätter fallen, und dann kommt es wieder für eine neue Saison.

Das wesentliche ist also, daß Bachs wohltemperiertes System ein System der Kreativität ist und kein mechanisches Rätsel löst.

Und man kann nicht gegen Regeln verstoßen, es sei denn, man tut es mit Absicht. Und das wird Kreativität. Man hat vor, gewisse Regeln zu verletzen. Man testet das System aus, indem man gegen das System verstößt. Kann man das so entstandene Problem selbst lösen? Damit sich dieser Verstoß im Endergebnis als notwendig erweist?

LaRouche: Der Lehrplan insgesamt war wichtig, aber im wesentlichen ging es natürlich um das klassische Griechenland als Bezugspunkt. Denn wir sprechen über die europäische Zivilisation als solche. Das beste Verständnis dieser Zivilisation muß sich auf die aktive Kommunikation beziehen; das kann nicht bloß symbolisch sein.

Der aktive Ausdruck ist Poesie und Musik; das ist das klarste Beispiel dafür, denn das ist es, was Menschen machen.

Also greift man auf das klassische Griechenland zurück und das, was sich daraus ableitet, alle alten europäischen Sprachen sind vom Denken des klassischen Griechischen beeinflußt.

Damit arbeitet man. Deshalb muß der Geist verstehen, wie die besten unter den klassischen griechischen Denkern denken. Dann weiß man genau, wohin man will. Man braucht ein Medium, durch das man kreative Ideen ausdrücken kann.

Zum Beispiel ist das große Problem heute, daß die Leute versuchen werden, Wissenschaft in Begriffen der formalen Mathematik zu definieren. Man kann aber die Wissenschaft nicht durch Mathematik definieren. Das geht nicht, jedenfalls nicht kompetent.

Deshalb muß es uns darum gehen, wie man den Sprachgebrauch für viele Zwecke, einschließlich physikalisch-wissenschaftlicher Zwecke, transformiert und ihn verwendet, um das kreative Schaffen einzubeziehen. Also versucht man jetzt, die Sprache dafür zu verwenden.

Und das tut man in der Wissenschaft. Man bekommt das zum Beispiel von Platon. Genau das. Wie entwickelt man den Sprachgebrauch als Medium echter Kreativität? Der einzige Weg dazu besteht darin, Kreativität zu entwickeln und herauszufinden, was es möglich macht. Und Menschen haben von Natur aus einen Hang zur Kreativität, selbst kleine Kinder haben, wenn sie nicht gerade dauernd verprügelt werden, tendenziell ein Gefühl für Kreativität.

Was ist also die klassische Physik? Mein Ziel war es, die klassische Physik in den Köpfen junger Menschen neu zu erschaffen. Das ist menschlich.

So trafen wir ungefähr im Jahr 2000 eine Reihe von Studenten, die noch nicht durch die Umstände verdorben waren, die sich in den letzten zehn Jahren entwickelt haben. Und ein Freund von mir, Phil Rubinstein von der US-Westküste, nahm sich einiger dieser Studenten an und sie durchliefen bei ihm ein Bildungsprogramm auf der Grundlage des klassischen Griechenland in den Naturwissenschaften.

Und das hat sich wunderbar entwickelt.

Ich habe dann selbst in diesen Prozeß eingegriffen, aber zu einem späteren Zeitpunkt; vor nicht allzu langer Zeit wurde ich mehr in diesen Prozeß involviert, und so kam das zustande.

Es geht um die Schönheit – genau gesagt das Gefühl der Schönheit der Kreativität. Und man findet einen Weg, das auszudrücken. Es gibt eine Orientierung auf ein Ziel; man will etwas Gutes in der Gesellschaft erreichen. Aber der entscheidende Ausgangspunkt ist nicht, was man für die Gesellschaft leistet, was die Physik und so weiter betrifft, sondern man denkt an die Entwicklung des Menschen als schöpferisches Wesen und nutzt die Zielorientierung als Medium, um den Menschen als menschliches Wesen zu entwickeln.

Am Ende paßt alles gut zusammen. Und das macht dich zufrieden, weil es eine Sicht des Lebens ist, die von selbst befriedigend ist.

LaRouche: Ich denke, es gibt keinen Ersatz für eine wissenschaftliche klassische künstlerische Ausbildung als solche. Das muß Essen sein, das ihnen schmeckt. Dann funktioniert es.

Sie brauchen eine Zielorientierung. Sie dürfen sich nicht damit zufrieden geben, nur eine Regel mechanisch zu wiederholen. Sie brauchen den Wunsch, etwas Kreatives zu tun, etwas Neues zu erschaffen, von dem sie wissen, daß es einen Wert hat. Man muß sich die Welt ein bißchen eröffnen, um Dinge zu sehen, die man vorher nicht gesehen hat. Und wissen und entdecken, daß diese Dinge wahr sind.

Das ist das Wesen der Musik. Denn Musik nimmt im wesentlichen die Form der vom Menschen gesungenen Sprache an. Und dazu gehört die Idee des Dialogs, der Kommunikation – Dialog über die Idee der Schönheit als solche. Man definiert, was Schönheit eigentlich ist: Kreativität ist Schönheit, Mangel an Kreativität ist Häßlichkeit.

Die Menschen werden danach hungern. Dann entwickeln sie gewisse kombinierte Instrumental- und Gesangsfähigkeiten. Und sie merken, daß diese Art der Sprache und Kommunikation schön ist.

Um das zum Laufen zu bringen, braucht es etwas Zeit, etwas Arbeit, um an diesen Punkt zu gelangen. Und sie hoffen, daß sie im Laufe ihres Lebens, bevor sie zu alt sind, es richtig zu würdigen, in der Lage sein werden, kompetent etwas in diese Richtung zu tun.

Die Vorstellung, eine gewisse Kompetenz in dieser Richtung zu haben, ist eine Befriedigung. Es macht das Leben angenehm.

Schließlich ist das Wichtigste am Leben, es zu genießen. Und Musik heißt, das Leben genießen. In gerechtfertigter Weise.

Und haut den Kindern nicht zu oft auf die Finger!