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Neue Solidarität
Nr. 51, 19. Dezember 2019

Neue Denkfabrik will globalen Dialog mit China fördern

In Peking wurde jüngst eine neue Denkfabrik gegründet, an deren Eröffnungsveranstaltung auch das Schiller-Institut teilnahm.

Am 4. Dezember gab der mehrsprachig ausstrahlende Nachrichtensender China Global Television Network (CGTN) in Peking den Startschuß für die Schaffung eines neuen internationalen Expertengremiums, das unter dem Namen „CGTN Think Tank“ firmieren soll. Zur Eröffnungsveranstaltung wurden 300 Gäste, darunter rund 30 Vertreter führender Denkfabriken des In- und Auslands eingeladen, einschließlich der Gründerin und Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, um der Zeremonie ein gebührendes Gewicht zu verleihen.

Durchs Programm führte die weit über Chinas Grenzen hinaus bekannte Moderatorin Liu Xin, die erklärte, der CGTN Think Tank solle in der Zukunft aus einem globalen Netzwerk von ca. 2000 Fachleuten bestehen, die die an ein wachsendes internationales Publikum gerichteten Programminhalte durch ihre Kommentare und Lösungsvorschläge bereichern sollen. China, so Liu Xin, wolle sich einerseits vermehrt die unterschiedlichsten Meinungen anhören, andererseits seine eigene Stimme deutlicher in die Welt hinaustragen.

Shen Haixiong, der Vorsitzende der China Media Group, zu der die sechs TV-Sender von CGTN und weitere Medienunternehmen gehören, erwähnte in seiner Eröffnungsrede nicht nur, daß er die technischen Möglichkeiten der 5G-Technologie voll zu nutzen beabsichtige, sondern auch, daß globale Medien konstruktive Beiträge für die Entwicklung der Menschheit und für die globale Stabilität leisten sollten.

Der Vorsitzende des China Institute for Innovation and Development Studies (CIIDS), Zheng Bijian, betonte in seiner Rede, daß sich China in einer Phase der Transformation zu einem qualitativ höherwertigen Wachstum befände, wobei die „Entfesselung der produktiven Kräfte“ und die Verbesserung des Lebensstandards von 1,4 Milliarden Menschen mit Hilfe wissenschaftlicher Kompetenz und Innovation im Mittelpunkt stünden. Er sei davon überzeugt, daß sich eine wechselseitig vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen China und dem Rest der Welt durchsetzen werde, selbst wenn einige Länder sich durch kontraproduktives Verhalten diesem historischen Trend entgegenzustellen versuchten. Die Belt & Road Initiative („Neue Seidenstraße”, BRI) und die Regional Comprehensive Economic Partnership, ein Handelsabkommen zwischen den ASEAN-Staaten, China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland, seien wichtige Durchbrüche auf dem Weg dahin, ein inklusives Modell für weltweite Entwicklung zu realisieren.

Yves Leterme, der ehemalige Premierminister Belgiens, stellte in seiner Rede heraus, daß einige der größten Errungenschaften der jüngeren Geschichte, zu denen das Erreichen der UN-Millenniumsziele in Sachen Armutsreduktion gehörten, auf das Konto Chinas gingen. Heute sei das Land der Hauptmotor der Weltwirtschaft und wolle durch friedlichen Fortschritt dazu beitragen, daß die Menschheit sich zu einer Schicksalsgemeinschaft mit gemeinsamer Zukunft entwickle. China strebe danach, ein globales System der Regierungsführung zu errichten, das die Souveränität der Staaten voll respektiere und eine Kooperation auf gleicher Augenhöhe ermögliche. Dazu benötige man auch Einsichten und ausgewogene Berichterstattung, so Leterme, um eine konstruktive Debatte und den friedfertigen Dialog zu fördern, die der „Lebenssaft“ für jedwede multilaterale Ordnung darstellten. Eine solche Denkfabrik sei ein wichtiger Schritt in Richtung einer objektiveren weltweiten Meinungsbildung.

Ein etwas düstereres Bild zeichnete der britische Bestsellerautor Martin Jacques („When China rules the world“), der den wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg Chinas mit dem zwangsläufigen Ende des Westens in Beziehung setzte. 200 Jahre lang sei China ignoriert und verhöhnt worden, doch nunmehr sei es in der historisch gesehen kurzen Zeit von vier Jahrzehnten schlagartig ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit emporgestiegen, so Jacques. Der Westen habe bislang nur wirtschaftliches Interesse an China gehabt, doch sein Verständnis von Chinas Zivilisation, Sprache und Kultur sei im besten Falle oberflächlich, woraus sich Skepsis und Ängste speisten. Während China einem neuen Paradigma internationaler Beziehungen folge, wobei die Belt & Road Initiative mit ihren bereits 140 Staaten und Organisationen als Mitglieder den dramatischsten Ausdruck dieser erfolgreichen „neuen Logik“ darstelle, würden zentrifugale Kräfte den Westen und seine Institutionen auseinandersprengen, von der EU bis zur NATO. Jacques, der in Manchester und Cambridge studierte und in zahlreichen Universitäten Asiens gastiert hat, beließ es bei der Feststellung, die Welt befände sich in „tiefer Unsicherheit“ und in „völliger Unkenntnis“ über den notwendigen Lernprozeß zwischen Ost und West.

Mit den Worten „Technologie kann dein Freund sein, aber auch dein Feind“ begann John Pullman, der Videosparten-Chef des Britischen Medienkonzerns Reuters, seinen Vortrag über den Einsatz künstlicher Intelligenz in Nachrichtenagenturen. Seine weltweit 600 angestellten Journalisten wolle man in „kybernetischen Redaktionen“ einsetzen, in denen mit großen Datenmengen gespeiste Computerhirne Trends und Fakten zu „neuen Blickwinkeln für die Reporter“ zusammenstellen sollen. Reuters wolle quasi ein Vertrauensverhältnis zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz erzeugen, aus denen dann „kluge Entscheidungen“ erwachsen könnten, so Pullman. Bereits heute würden Fußballberichte in wenigen Sekunden nach Spielende von Rechnern erzeugt, die die von Redakteuren verfaßten chronologischen Daten und Bilder zusammenbauten. Millionenschwere Investitionen gingen in das Reuters-Interface, um Dienste wie Amazon, Twitter, Google News, Facebook und viele andere mit 45.000 Stories im Monat zu beliefern, wobei die „kybernetischen“ Redakteure angeblich darauf achten würden, daß nur „verifizierte Quellen“ für die Lieferung des Inhalts in Frage kommen.

Glückwünsche und Grußbotschaften erreichten die Veranstaltung auch per Videobotschaft vom chinesischen Botschafter in den USA, Cui Tiankai, dem Präsidenten der Asian Infrastructure Investment Bank, Jin Liqun, ehemaligen Premierministern wie Romano Prodi, Esko Aho, Han Seung-soo und Jenny Shipley, und vom ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.

Im Anschluß tauschten die anwesenden Think-Tank-Mitglieder in Form von Diskussionsrunden kurze Statements über ihre Einschätzungen zur aktuellen Situation aus. Helga Zepp-LaRouche brachte hierbei als einzige Rednerin die Gefahr eines unkontrollierbaren Zusammenbruchs des transatlantischen Finanzsystems auf. Neokonservative Eliten, wie Francis Fukuyama von der Universität Chicago, hätten 1992 verfrüht das „Ende der Geschichte“ ausgerufen und Rußland und China zu Untergebenen einer unipolaren Welt herabgestuft. Das System der Gewinnmaximierung für Spekulanten und die Interventionskriege des Westens hätten in die Weltkrise von 2008 geführt, die dann jedoch mit Bankenrettung, quantitativer Lockerung, Negativzinspolitik und nunmehr mit der Verteilung von „Hubschraubergeld“ beantwortet wurde. Inzwischen haben die massiven Sparmaßnahmen gegen die Bevölkerung weltweit zu Massenstreiks gegen den Neoliberalismus geführt.

„Dies erfordert dringend eine Umstrukturierung des gesamten transatlantischen Finanzsystems“, erklärte Zepp-LaRouche, und zwar durch die Einführung einer globalen Bankentrennung nach dem Glass-Steagall-System und den Übergang zu einem neuen Bretton-Woods-System, dessen Kredite sich auf die Industrialisierung der Entwicklungsländer konzentrieren müßten. Die Vereinigten Staaten und Europa müßten dazu gebracht werden, mit der Belt & Road-Initiative im Rahmen einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie, der „Weltlandbrücke“, zusammenzuarbeiten, um so auch eine neue internationale Sicherheitsarchitektur schaffen.

Frau Zepp-LaRouche schloß ihre Ausführungen damit, für „ein neues Denken vom Standpunkt eines neuen Paradigmas“ zu werben, nämlich wie die Menschheit in hundert Jahren aussehen solle. „Wir sollten die Kernfusion entwickelt und eine internationale Zusammenarbeit bei der Erkundung des Weltraums beschlossen haben. Wenn wir eine solche Sichtweise haben, können wir die Probleme der heutigen Welt auf eine völlig andere Art und Weise angreifen.“

Der CGTN Think Tank plant bereits im kommenden Jahr weitere internationale Veranstaltungen.

sko