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Neue Solidarität
Nr. 26-27, 27. Juni 2019

Italien erwägt Schritte in Richtung Währungssouveränität

Falls die EU-Kommission versucht, Italien ähnlich zu erpressen wie Griechenland, könnte es zur Einführung einer Art nationaler Zweitwährung kommen.

Eine Initiative zur Durchsetzung finanzieller Souveränität in Italien treibt die supranationalen Institutionen der EU und einige europäische Regierungen in den Wahnsinn. Es geht um ein vorgeschlagenes Zahlungsmittel, genannt „Minibot“, das formal keine Währung und keine Staatsschuld ist, aber im Falle einer akuten wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung Italiens mit der EU zur souveränen Währung werden könnte.

Die Abgeordnetenkammer stimmte am 28. Mai einem unverbindlichen Antrag zu, welcher der Regierung die Einführung eines neuen Zahlungsmittels im Umfang von bis zu 53 Mrd. € empfiehlt. Diese „Minibots“ oder Mini-Schatzanleihen (Buono Ordinario del Tesoro) wären kein staatlicher Schuldschein im eigentlichen Sinn, sondern ein Instrument, mit dem die öffentliche Hand Verkäufer bezahlt, die damit wiederum ihre Steuern begleichen könnten.

Die Minibot-Erfinder hoffen jedoch, daß auch Dritte dieses Instrument auf freiwilliger Basis nutzen können, wodurch sich die Liquidität in der Realwirtschaft erhöht. So könnte z.B. ein Lebensmittelhändler von einem Kunden einen Minibot annehmen, wenn er weiß, daß er damit seine Steuern zahlen kann. Und im Notfall könnte der Minibot in ein gültiges Zahlungsmittel umgewandelt werden.

Ein solcher Notfall kann näher sein, als man denkt.

Die italienische Regierung hat klargestellt, daß sie für 2020 an einem Haushalt ohne Austerität festhält. In der Vergangenheit mußte die griechische Regierung, als sie einen ähnlichen Kurs anstrebte, letztlich eine brutale Kürzungspolitik akzeptieren, die von den Aufsehern der „Troika“ (EU-Kommission, EZB, IWF) durchgesetzt wurde. Griechenland blieb keine andere Wahl, nachdem die EZB 2015 plötzlich die notleidenden griechischen Banken von der Liquidität abschnitt. Da in der Eurozone allein die EZB zur Währungsemission befugt ist, konnte die griechische Zentralbank die erforderliche Liquidität nicht bereitstellen.

In Italien ist es heute ein offenes Geheimnis, daß die Regierung den Minibot als Ersatz für die EZB-Liquidität für Banken einsetzen könnte, wenn die EZB die gleiche Erpressung versucht.

Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario? Für eine Prognose ist es wegen der bevorstehenden wichtigen personellen Veränderungen noch zu früh. Das neue Europaparlament muß einen neuen Parlamentspräsidenten und eine neue EU-Kommission wählen, und für die EZB muß ein neuer Präsident bestimmt werden, und alle diese Entscheidungen erfordern einen schwierigen Ausgleich zwischen den maßgeblichen Regierungen in der EU. Im Oktober könnte die Lage zwischen der Kommission und Italien schon ganz anders aussehen.

Austerität und das Risiko einer Finanzkrise

Antonio Maria Rinaldi (r.) mit dem Autor Claudio Celani während einer Veranstaltung in Ascoli Piceno im Dezember 2018.

Wir sind jetzt in einer Phase, in der die scheidende EU-Kommission eine harte Linie gegen Italien angekündigt hat und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land wegen übermäßiger Schulden und Defizite fordert. Die Italiener nehmen dies jedoch gelassen. Die Regierung gibt Lippenbekenntnisse ab und verspricht Zusammenarbeit. „Wir streiten uns nicht mit Leuten, die gerade ihre Koffer packen“, sagte der Ökonom Antonio Maria Rinaldi, der zusammen mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses im Parlament, Claudio Borghi, zu den geistigen Vätern der Mini-BOT-Idee zählt. Dies bezog sich auf die Kommissare Moscovici und Dombrovskis, die beide demnächst abgelöst werden.

In einem Interview mit dem Journalisten und Blogger Luca Telese am 11. Juni erklärte Rinaldi, der gerade für die Lega (mit dem besten Ergebnis nach Lega-Chef Salvini) ins Europaparlament gewählt wurde: „Italien muß wieder wachsen, statt mit Austerität weiterzumachen. Die Höhe der Staatsverschuldung ist nicht entscheidend: Entscheidend ist das Verhältnis zum BIP. Und wir müssen das BIP steigern. Dafür brauchen wir Investitionen und somit Ausgaben.“

Italien werde nur aus dem Euro aussteigen, wenn es „durch eine Implosion des Systems dazu gezwungen wird“, sagte Rinaldi. Für diesen Fall brauche man einen Plan B. Die Architekten des Eurosystems „haben ein Schiff ohne Rettungsboote auf See gesetzt. Neue Stürme könnten ausbrechen... Als die weltweite Subprime-Blase platzte, gab es 4,8 Billionen Euro an Ramschpapieren. Heute ist es das Doppelte, 9,6 Billionen. Dies ist ein klares Indiz für das Scheitern der EU-Politik.“

Rinaldis Freund und ehemaliger Lehrer Paolo Savona ging am 11. Juni in seiner ersten Rede als Leiter der Börsenaufsicht (Consob) – wozu er kürzlich nach einem Zwischenspiel als Minister für EU-Angelegenheiten der Regierung Conte ernannt worden war – ebenfalls auf dieses finanzielle Risiko ein. „Trotz der Finanzkrise von 2008 ist die Zahl der offenen Derivatekontrakte auf den Weltmärkten immer noch hoch, und das Problem der genauen Berechnung ihres Marktwerts wurde nicht gelöst, was einen dunklen Schatten auf die Bilanzzahlen wirft.“ Staatsschulden seien kein Problem, betonte Savona, solange die Wirtschaft wachse. So betrage in Japan das Verhältnis von Schulden zum BIP über 200%. Savona forderte einen „Investitionsschock“ von mindestens 20 Mrd. Euro, um die italienische Wirtschaft nach einer jahrzehntelangen Depression neu anzukurbeln.

Der Grund für diese Depression lag darin, daß Italien den EU-Vorschriften für „verschuldete“ Länder folgen und seine Staatsausgaben immer weiter senken mußte, während andere EU-Mitglieder ihre Ausgaben erhöhten. Der Vorsitzende des Senats-Finanzausschusses Alberto Bagnai, der als Savonas Nachfolger als EU-Minister im Gespräch ist, hat betont, solche „prozyklischen“ Regeln müßten geändert werden.

In einem Artikel in der Financial Times vom 6. Juni fordert Bagnai eine „radikale Kursänderung“ der EU-Wirtschaftspolitik und insbesondere die Abschaffung der katastrophalen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wachstum und Beschäftigung und nicht Preisstabilität sollten das Ziel der Wirtschaftspolitik sein, argumentiert Bagnai und  fordert einen „europäischen New Deal“.

Die Positionen Italiens und der Kommission sind derzeit unvereinbar. Sollten Italien die geforderten Kürzungen weiter ablehnen und die EU-Institutionen weiter darauf bestehen, könnte die Konfrontation soweit eskalieren, daß die EZB mit einer Neuauflage der Erpressung wie bei Griechenland droht. Dann könnte Rom seinen Joker ausspielen – ob Minibot oder Lira oder etwas anderes, es wird eine souveräne Parallelwährung sein. An dem Punkt würde sich ein völlig neues Szenario entfalten.

Claudio Celani