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Neue Solidarität
Nr. 30, 26. Juli 2018

Aktuelle Lage und Herausforderungen für den Frieden im Jemen

Von Abdullatif Elwashali und Dr. Aiman Al-Mansor

Zwei Vertreter der Organisation INSAN für Menschenrechte und Frieden berichteten am 30. Juni bei der Konferenz des Schiller-Instituts über die Lage im Jemen.

Abdullatif Elwashali: Mein Name ist Abdullatif Elwashali, und ich werde mit meinem Kollegen Dr. Aiman Al-Mansor von der Organisation INSAN für Menschenrechte und Frieden einen schnellen Überblick über die aktuelle humanitäre Lage im Jemen und die Herausforderungen des Friedens im Jemen geben.

Der Jemen ist ein uraltes Land, das 5000 Jahre Geschichte hat, ein Land, das in der Geschichte den Namen „Felix Arabia“ hatte. Im Jemen leben fast 28 Millionen Menschen, und 19% davon gehören zu der Bevölkerungsgruppe, die unter 15 Jahre alt sind. Die Arbeitslosigkeit aktuell ist ungefähr 64%, vor dem Krieg war die Arbeitslosigkeit 37%.

Der Anteil der Bevölkerung, der in Armut lebt, ist aktuell 85%, vor dem Krieg waren es 54%.

Das ist die Lage der Bevölkerung. Es stimmt vielleicht nicht 100% überein mit der aktuellen Situation im Land, aber dies sind Zahlen, die ungefähr reflektieren, wie das Land im Moment dasteht.

Das Land Jemen liegt an der Südwestseite der Arabischen Halbinsel, und es steht heute vor dem „Dreieck des Schreckens“: Krieg, Hunger und Epidemien.

Für den Krieg wurde eine Kriegskoalition gebildet, sie besteht aus 17 Staaten, diese Koalition wird von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführt.

Welche Gründe hat dieser Krieg? Der vorgeschobene Grund für den Krieg ist die Rückkehr des von Saudi-Arabien abhängigen Präsidenten Hadi und seiner Regierung nach Sanaa, um ihn wieder an die Macht zu bringen.

Welche Folgen hat dieser Krieg für uns? Aktuell, nach drei Jahren Krieg, ist das Land komplett zerstört, über 36.000 Zivilisten sind über drei Jahre Opfer dieses Krieges, 14.000 davon sind tot. Die Infrastruktur ist zum großen Teil zerstört, es besteht bis heute eine Luft- und Seeblockade, es wird ein Wirtschaftskrieg geführt, und das Versagen des Finanzsystems zeigt sich an der Zahlungsunfähigkeit der Zentralbank in Sanaa. Die Gehälter können für viele, viele Menschen nicht gezahlt werden.

Nicht nur das Einkommen der Menschen ist eingeschränkt, sondern auch das Gesundheitssystem ist zum großen Teil funktionsunfähig. Laut UN sind 55% der Gesundheitseinrichtungen teilweise oder komplett zerstört. 22 Millionen Menschen sind von Epidemien und Hunger bedroht.

Das (Abb.1-4) sind Bilder vom Krieg, wir möchten mit diesen Bildern niemand erschrecken, aber es sind schreckliche Bilder, die zeigen, wie massiv der Krieg die Zivilbevölkerung trifft.

Abb. 1: Eine zerstörte Schule im Jemen.
Abb. 2: Ein zerstörter Markt in Saada.
Abb. 3: Eine zerstörte Krankenstation der Ärzte ohne Grenzen.
Abb. 4: Der Hafen von Al-Hodaidah.

Auf dem ersten Bild sehen Sie einige Kinder, die in einer zerstörten Schule stehen. Wenn man die Statistiken betrachtet, wie viele Schulen und Institute wurden zerstört? Das waren über drei Jahre schon jede Menge an Bildungsinstituten, die aktuelle Zahl ist 869 Schulen und Institute, die durch diesen Krieg zum Teil oder komplett zerstört wurden (Abbildung 1).

Auf dem nächsten Bild ist ein Markt in Saada, der letztes Jahr zerstört wurde, um ein Uhr nachts (Abbildung 2). Was hat dieser Markt mit dem Krieg zu tun? Das ist ein großes Fragezeichen.

Das untere Bild links (Abbildung 3) ist eine Krankenstation, sie wurde von Ärzte ohne Grenzen genutzt, um den Menschen dort zu helfen. Sie wurde am 16. August 2016 durch einen Luftangriff zerstört, viele Menschen kamen ums Leben oder wurden verletzt, darunter auch das Team der Ärzte ohne Grenzen.

Zur Zerstörung der Infrastruktur könnte man vieles sagen, aber eine der größten und ganz aktuell ist der Hafen Al-Hodaidah (Abbildung 4), er wurde mehrfach durch Luftangriffe angegriffen, ebenso wie Brücken, Zivileinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen, Flughäfen, auch diese wurden durch diesen Krieg zum großen Teil getroffen.

Die humanitäre Lage ist katastrophal. 22 Millionen Menschen stehen vor einer großen Katastrophe, einem großen Mangel an medizinischer Versorgung, es herrscht großer Mangel an Lebensmitteln, und die Einkommen sind extrem gering, die Gehälter werden nicht gezahlt. Was resultiert daraus? Ein Zusammenbruch des Finanzsystems, Zerstörung von zivilen Einrichtungen, Zusammenbruch der Wasserversorgung in großen Teilen des Landes. Das Gesundheitssystem ist, wie schon erwähnt, zum großen Teil auch funktionsunfähig, dazu kommen verzögerte humanitäre Hilfe und das Zurückhalten der internationalen Gemeinschaft.

Für diesen Krieg werden viele Gründe angeführt. Was wurde da behauptet? Mit diesem Krieg will man angeblich dem Jemen als Land helfen, der Bevölkerung helfen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand von uns hier bei dieser Konferenz diese Behauptung glaubt.

Deswegen wird der Kollege Aiman Al-Mansor jetzt weiterführen und über die Herausforderung für den Frieden und die unsichtbaren Gründe für diesen Krieg sprechen. Vielen Dank. [Applaus.]

Dr. Aiman Al-Mansor: (Ich finde es etwas lustig, daß wir, die aus dem Jemen kommen, die einzigen sind, die in dieser Konferenz deutsch sprechen; das ist toll.)

Mein Kollege hat schon erwähnt und auch gezeigt, was jetzt im Jemen passiert ist, und ich glaube, man braucht Tage und vielleicht Monate, um alles zu zeigen, was da passiert ist, es ist schrecklich. Wir haben noch unsere Familien da, und wir kämpfen jeden Tag damit, welche Nachrichten wir bekommen.

Die Behauptung, dem Jemen zu helfen, indem der schon zurückgetretene Präsident Hadi wieder an die Macht gebracht werden soll, die Behauptung, daß Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate die Demokratie in den Jemen zurückbringen wollen, das ist zum Lachen. Daß zwei Länder, die mit Demokratie überhaupt nichts zu tun haben, wo die Frauen erst jetzt, vor einer Woche oder vor einigen Tagen, Auto fahren dürfen, die Demokratie im Jemen befestigen wollen, das ist einfach zum Lachen. [Applaus.]

Den Jemeniten dadurch zu helfen, daß man ihre Infrastruktur zerstört und die Krankenhäuser bombardiert und die Kinder erschreckt und die Schulzeiten verändert, so daß viele Kinder gar nicht zur Schule gehen können – das kann man nicht glauben! Ein normaler Mensch, der ganz normal denken kann, der kann das nicht glauben.

In diesem Krieg gibt es, wie mein Kollege gezeigt hat, 35.000 Zivilopfer. Das ist die größte humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts, laut UN.

Deswegen: Warum findet dieser Krieg statt?

Die unsichtbaren Kriegsgründe sind folgende: Sie wollen das jemenitische Militär schwächen, sie wollen die politische Kontrolle durch die Saudis und indirekt auch durch die Amerikaner nicht verlieren. Saudi-Arabien hat sich schon immer eingemischt in die jemenitischen Angelegenheiten, schon seit Ewigkeiten – 1934, 1967 und jetzt 2015 -. und sie können es einfach nicht zulassen, daß die Jemeniten selber entscheiden, wie die politische Situation sich entwickeln soll, wer gewählt wird. Die Saudis haben immer entschieden, wer Minister wird und wer der Stellvertreter wird und welcher Bürgermeister in welcher Stadt gewählt wird; aber seit 2015 haben sie diese Entscheidungen verloren, und das ist auch einer der unsichtbaren Gründe, warum der Krieg begonnen wurde.

Auch die geopolitische Lage des Jemen ist immens wichtig für die Saudis und für die Emirate, weil sie diese Win-Win-Situation nicht verstehen, daß wenn der Jemen seine wirtschaftliche und geopolitische Lage gut nutzen kann, dann auch die anderen alle davon profitieren können. Das verstehen sie nicht, das ist eine egoistische Denkweise, wie die beiden Länder damit umgehen.

Auch die wirtschaftlichen Interessen sind sehr groß, denn an der Grenze zu Saudi-Arabien und auch an der Küste zum Roten Meer dürfen die Jemeniten nichts machen, sie dürfen nicht selber entscheiden, was da passiert und welche wirtschaftlichen Fortschritte da begonnen werden könnten.

Abb. 5: Lage des Jemen am Roten Meer, an der Bab-el-Mandab-Straße und am Golf von Aden.

Ich komme nun zu der Karte (Abb.5), die auch mein Kollege schon gezeigt hat, wo der Jemen liegt und welche wichtige Rolle diese geographische Lage für den Jemen bedeutet. Denn der Jemen liegt am Roten Meer, der Verbindung zwischen dem Suezkanal und dem Golf von Aden und weiter zum Arabischen Meer, als Verbindung zwischen Europa und Asien und Afrika. Weil der Jemen auch diese Mandab-Meerenge und den Golf von Aden hat, darf Jemen nicht angegriffen werden, schon um die internationale Wirtschaft zu schützen. Damit alle diese Win-Win-Situation haben, darf der Jemen nicht angegriffen werden, und wir dürfen einfach nicht zulassen, daß die Saudis und die Emirate sich naiv und wie Kinder verhalten in dieser Region. Denn das bedroht die internationale Wirtschaft.

Was wir hier von dieser Konferenz erhoffen oder uns wünschen, was wir machen könnten, bevor wir Jemen in die Seidenstraße einbeziehen: Der Jemen hat jetzt die größte humanitäre Katastrophe. Die Menschen müssen die Empathie der internationalen Gemeinschaft spüren, damit der Jemen mitmacht. Der Jemen selbst muß gar nicht überzeugt werden, aber die Saudis und die Emirate müssen überzeugt werden, den Jemeniten diese Entscheidung zu überlassen. Und dann werden die Jemeniten auch mitmachen. Der Kollege, der chinesische Diplomat, hat ein Sprichwort gesagt: Wenn du reich werden willst, mußt du eine Straße bauen. Und wir sagen: Wenn wir die Teilnahme des Jemen an den wirtschaftlichen Plänen für notwendig halten, dann sollten wir den Jemen aus dieser Katastrophe herausholen.

Deswegen ist dies eine Herausforderung für uns alle. Denn wir alle als Menschen müssen auch an uns alle als Menschen denken. Wer seine Familie hier hat und gut essen kann und ruhig ins Bett gehen kann, der muß einfach daran denken, daß die Menschen im Jemen und in vielen anderen Ländern wie in Syrien das nicht können. Und wir dürfen nicht so lange zuschauen, wie wir es in Syrien gemacht haben, wir haben zu lange einfach zugeguckt. Wir haben so lange gewartet, bis die Katastrophe zu uns kam, und dann erst haben wir die Augen aufgemacht, als wir uns selber und unsere Wirtschaft bedroht gefühlt haben. Deswegen darf man einfach nicht so lange zuschauen, und der Krieg muß beendet werden.

Das ist das Hauptkriterium, eine Voraussetzung für wirtschaftliche Interessen, und man muß Jemen auch als souveränes Land sehen. Es muß ein offener Dialog für alle politischen Probleme im Land geführt werden, wir brauchen Volksgerichte, eine Verfassung und Neuwahlen, die katastrophale humanitäre Lage muß bewältigt werden, es muß ein Wiederaufbauplan vorbereitet werden, und wir brauchen die Bereitschaft und Beteiligung der internationalen Gemeinschaft am Wiederaufbau des Jemen.

Das ist die allgemeine Herausforderung eines Friedens. Was wir z.B. von den BRICS-Staaten wollen, von China oder Rußland oder jedem, der einfach wirtschaftliche Interessen hat, der vielleicht nicht an die menschliche Situation im Jemen denkt, aber Länder, die einfach wirtschaftlich denken, müssen eine eigene Friedensinitiative bilden. Man muß nicht auf die UN warten, wir müssen nicht darauf warten, wie die EU reagiert. Wir müssen selber etwas machen und eine eigene Friedensinitiative bilden.

Wir müssen auch die unabhängigen weltweiten Medien erreichen. Es wird so wenig gezeigt über den Jemen, obwohl die UN gesagt hat, es ist die größte humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Aber es wird wenig gezeigt. Das muß gezeigt werden, das ist auch ein Druckmittel, daß die Saudis damit aufhören, es ist auch ein Druckmittel, daß die Emirate damit aufhören.

Und wir brauchen eine schnelle Bewältigung der humanitären Katastrophe. Wir müssen uns die Probleme im Jemenan anschauen – was die Leute brauchen. Sie brauchen Schulen, sie brauchen Straßen, sie brauchen medizinische Hilfe, sie brauchen unsere Empathie. Wir müssen schnell reagieren, und selbst etwas tun, und nicht warten, was die UN macht und was sie vorbereitet hat, wir müssen selbst etwas tun. Die Medien müssen das auch spüren. Und den Wiederaufbau des Landes, das kann vielleicht Herr Askary erklären.

Vielen Dank.