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Neue Solidarität
Nr. 28, 12. Juli 2018

Rußlands Rolle in der Neuen Weltordnung

Von Wladimir Morosow

Wladimir Morosow ist Programmkoordinator des Russian International Affairs Council (RIAC), Moskau.

Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut und Frau Zepp-LaRouche persönlich für diese große Gelegenheit danken, hier heute bei Ihnen zu sein und mit den interessanten und hochgeschätzten Gästen über die Zukunft der globalen Weltordnung und die Rolle zu diskutieren, die verschiedene Länder, Regionen und auch Nationen darin spielen können.

Ich teile auch die Idee, daß es angesichts der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Dynamik sowohl im globalen wie im regionalen und nationalen Maßstab höchste Zeit ist, daß wir offen über die Zukunft der internationalen Beziehungen diskutieren, und darüber, welche Prinzipien den Umgang zwischen den Staaten und Regionen leiten sollten.

Lassen Sie mich zunächst einmal einige Schlüsselideen darstellen, über die ich mit Ihnen sprechen möchte.

Erstens gibt es, auch wenn wir annehmen, daß die unipolare Welt mit der absoluten Vorherrschaft einer Supermacht schon bald enden wird, bisher keine Alternative, die klar und machbar und in greifbarer Nähe ist. Eine multipolare Welt, für die sich viele Länder schon lange einsetzen, kann keine bessere Alternative sein.

Zweitens wird Rußlands Rolle in der neuen globalen Ordnung mehr von der inneren Dynamik bestimmt sein als von der Komposition der Weltordnung selbst. Aber Rußland wird eine wichtige Rolle in all den verschiedenen Regionen und möglicherweise auch global spielen, und versuchen, nicht nur seine unmittelbare Nachbarschaft zu stabilisieren, sondern auch als eines der Bindeglieder in Eurasien wirken, sowie als Garant der globalen Sicherheit und Stabilität.

Drittens, und ich denke, das ist ein entscheidender Punkt, können wir die globale Ordnung nicht über Nacht ändern. Wenn wir eine evolutionäre Änderung wollen, anstelle einer revolutionären Änderung, die einen globalen Krieg implizieren würde, dann müssen wir uns zunächst darauf konzentrieren, das Vertrauen wieder herzustellen. Aber Vertrauen ist etwas, was wir nicht über Nacht wieder aufbauen können.

Es wird oft angenommen, daß die einzige Alternative zum gegenwärtigen Status quo eine multipolare Welt sei. Wenn wir über die Zukunft der Weltordnung sprechen, dann stimmt fast jeder in Rußland, in Europa, in China, im Nahen Osten überein, daß die wünschenswerte Weltordnung multipolar sein sollte. Aber die Idee der Multipolarität reicht zurück in die 1970er Jahre, mit dem Aufstieg der asiatisch-pazifischen Länder, mit der Schaffung der Trilateralen Kommission etc., und diese Ideen waren bis Mitte der 1990er äußerst populär.

Aber unsere Welt ist im Grunde immer noch nicht multipolar. Und wenn wir über Polarität sprechen – Multipolarität, Unipolarität – dann tendieren die Menschen dazu, verwirrt zu sein in Bezug auf die Definition, was Polarität ist.

Tatsächlich ist Multipolarität eine andere Version des Wiener Kongresses, eine Weltordnung, die beherrscht ist von einem Gleichgewicht der Mächte und die in mehrere Machtzentren geteilt ist, die miteinander um die begrenzten globalen Ressourcen konkurrieren. Auch wenn eine solche Ordnung auf den Interessen von mehr als einem Staat gründet, berücksichtigt sie nie die Interessen der kleineren Staaten, und die Staaten, die nicht Teil des globalen Gleichgewichts sind, werden von den global players übersehen. Diese Ordnung wird gewissermaßen eine Rückkehr zur Geopolitik sein – das, was wir alle vermeiden wollen, wenn wir über die Zukunft der globalen Ordnung sprechen.

Multilateralismus

Aber was kann die Alternative zur unipolaren und multipolaren Weltordnung sein? Es gibt eine wachsende Debatte in Rußland darüber, und wir haben kürzlich einen neuen Artikel unseres Generaldirektors veröffentlicht, in dem gesagt wird, eine Alternative zur Multipolarität könne der Multilateralismus sein. [„Warum die Welt nicht multipolar werden wird“, von Andrej Kortunow]. Dies könne die beste Alternative sein, die verhindert, daß die Welt in eine Konfrontation und damit in einen Weltkrieg abgleitet.

Der wesentliche Unterschied zwischen Multipolarität und Multilateralismus ist, daß der Multilateralismus auf einem Ausgleich der Interessen anstatt auf einem Gleichgewicht der Macht beruht. Eine solche Ordnung kann nur unzureichend auf den existierenden Strukturen des Westens aufgebaut werden, wie der NATO, der Europäischen Union, NAFTA, etc., sondern sie muß auch die UN, die G-20, die OECD, die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation, und möglicherweise – möglicherweise! – können wir auch zu einer Art kollektivem Sicherheitssystem im Nahen Osten und Afrika gelangen.

Aber wir sollten berücksichtigen, daß das, was Donald Trump tut, ein Symptom institutioneller Ermüdung ist, nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Und deshalb müssen wir uns, wenn wir zu einer multilateralen Welt übergehen wollen, nicht nur auf die Institutionen konzentrieren, sondern auch auf die Regeln, die internationalen Regeln, und vor allem auf die Nichtweiterverbreitung [von Nuklearwaffen] und Hilfe bei der Entwicklung.

Wenn wir über Rußlands Rolle in der neuen globalen Ordnung sprechen, dann denke ich, daß Rußlands Rolle vor allem von seiner inneren Dynamik bestimmt sein wird. Putin hat seine letzte Amtszeit angetreten, und nun wird er sich wahrscheinlich mehr auf die einheimische Agenda konzentrieren als auf die internationale. Das bedeutet mehrere große wirtschaftliche Reformen, den Umgang mit den Pensionen, mit der Wirtschaftsleistung etc., und natürlich der Frage des Übergangs der Macht und der politischen Stabilität nach 2024.

Aber das bedeutet nicht, daß Rußland von der internationalen Bühne abtreten wird. Wir brauchen uns nicht in alle Fragen einmischen, die sich uns auf der Welt bieten, aber wesentlich für Rußlands Außenpolitik und Rußlands Position in der Welt ist, daß Rußlands höchste außenpolitische Priorität die innere und äußere Sicherheit ist. Das bedeutet, daß Rußland selbst nicht bereit ist, die Regionen an den Grenzen von Rußland zu destabilisieren, wie ihm immer wieder vom Westen vorgeworfen wird, sondern vielmehr bereit ist, seine militärische Macht einzusetzen und sogar nach Übersee zu projizieren, etwa im Nahen Osten, wie im Fall von Syrien, um die Stabilität zu fördern und die nationalen Interessen des Landes zu fördern.

Das ist etwas, was Rußland deutlich von der EU und China unterscheidet, die sich militärisch nicht in Übersee engagieren, aber auch von den Vereinigten Staaten, die sich ständig in globale Angelegenheiten einmischen, um kurzfristige Interessen zu verfolgen.

Zweitens ist Rußland zwar daran interessiert, seine Grenzregionen zu stabilisieren, insbesondere die gemeinsame Nachbarschaft zwischen der Europäischen Union und Rußland, zwischen Rußland und China, etc., aber Rußland wird mehr Gewicht auf die chinesische Gürtel- und Straßen-Initiative legen. Die Gürtel- und Straßen-Initiative ist für Rußland kein reines Wirtschaftsprojekt, das Rußlands Position als Umschlagsplatz und Bindeglied in Eurasien stärkt, sondern auch ein Weg, seine gefährlichste Nachbarschaft zu stabilisieren, was die zentralasiatischen Länder und Afghanistan betrifft, die möglicherweise explodieren könnten, wenn wir die Ausbreitung des Extremismus dort nicht aufhalten, und wenn wir den Menschen keine geeignete wirtschaftliche Alternative zum Drogenanbau und zum Terrorismus bieten. Und deshalb wird Rußland auch weiterhin mit China kooperieren, insbesondere durch diese gemeinsame Entwicklungs-Initiative, die Präsident Putin und Präsident Xi Jinping mit der gemeinsamen Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Gürtel- und Straßen-Initiative gefunden haben.

Wenn wir über die außenpolitische Identität Rußlands sprechen, dann bin ich eher skeptisch gegenüber der Idee des „Eurasianismus“ in der russischen Außenpolitik. Ich persönlich ziehe den Begriff der Europazifischen Macht vor; d.h., daß wir davon ausgehen müssen, daß Rußland ein europäisches Land ist. Aber es hat Zugang zur Pazifik-Region, es wird an allen Fragen und an allen Problemen, an allen Konflikten beteiligt sein, die sich in der Pazifikregion abspielen, und es kann auch als eine der Parteien dienen, die daran interessiert sind, diese Konflikte beizulegen, insbesondere im Fall von Nordkorea. Und noch wichtiger: durch seinen Zugang zur Asien-Pazifik-Region hat Rußland nicht nur eine besondere Beziehung zu China, sondern auch zur Republik Korea, Japan und auch zu den Vereinigten Staaten.

Wir können auch davon ausgehen, daß Rußland sich weiter in Syrien engagieren wird, insbesondere nachdem die Lage stabilisiert und der Terrorismus besiegt ist. Was Rußland immer wieder vorschlägt, abgesehen natürlich vom Wiederaufbau von Syrien unter Beteiligung der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und natürlich auch Chinas, ist die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems für den Nahen Osten, das nicht nur Syrien umfassen sollte, sondern auch Israel, Saudi-Arabien, Iran, China, die USA und die Europäische Union, und natürlich Rußland, als Garanten eines dauerhaften Friedens in der Region.

Die Idee der Eurasischen Landbrücke gefällt mir, aber sie ist nicht nur ein Infrastrukturprojekt, bei dem schnelle Bahnlinien von Deutschland nach Moskau gebaut werden, es geht auch um die Kontakte von Mensch zu Mensch. Solange wir immer noch Visaregelungen zwischen der Europäischen Union und Rußland haben, behindert dies die Kontakte von Mensch zu Mensch und den Austausch der Kulturen, den Austausch der Ideen und den Austausch von Chancen.

Und last but not least: Auch wenn wir alle verstehen, daß die globale Ordnung nicht über Nacht geändert werden kann, können wir doch einige Sofortmaßnahmen vorschlagen, die in der Zwischenzeit helfen können, die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen und insbesondere zwischen Rußland und den USA zu stabilisieren.

Das Gipfeltreffen von Helsinki

Ich denke, daß viele hier sehr viel von dem bevorstehenden Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Helsinki im Juli erwarten - vielleicht nicht soviel, wie man vom Trump-Kim-Gipfel erwartet hat, aber ich denke trotzdem, daß wir nicht zuviel von diesen Gesprächen erwarten sollten, vor allem, weil die beiden Länder mit ausdrücklichen Plänen kommen, die bilateralen Beziehungen wiederherzustellen und die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen wieder ins Gleis zu heben.

Aber ich denke, wenn dieses Gipfeltreffen stattfindet, dann wird dies ein großer Durchbruch sein gegenüber den letzten vier oder fünf Jahren, denn ich glaube, das letzte solche Gipfeltreffen war das vor sechs Jahren, 2012 zwischen Obama und Medwedjew. Und diese Gespräche können eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, und eine Atmosphäre der Kooperation, die helfen kann, die Beziehungen wieder auf Kurs zu bringen. Das gilt auch hinsichtlich des möglicherweise bevorstehenden Besuchs von Vertretern des US-Kongresses in Rußland.

Was könnten solche Sofortmaßnahmen sein?

Zunächst einmal müssen wir die diplomatischen Vertretungen der Vereinigten Staaten in Rußland und Rußlands in den Vereinigten Staaten wieder herstellen, denn die Ausweisung von Diplomaten behindert nicht nur den politischen Dialog, sondern auch Kontakte zwischen den Menschen – bis ein russischer Bürger ein Visum für die Vereinigten Staaten erhält, vergeht jetzt oft ein halbes oder ein ganzes Jahr, und ich denke, in den Vereinigten Staaten ist es genauso.

Sobald wir einen politischen Dialog haben, ist die wichtigste Frage, über die die beiden Präsidenten reden sollten, die Erhaltung der strategischen Stabilität. Dies umfaßt nicht nur den neuen START-Vertrag und seine mögliche Verlängerung, und die weitere nukleare Abrüstung, sondern auch die Zukunft des INF-Vertrags [über die nuklearen Mittelstreckenraketen]. Die Erhaltung des letzteren ist wesentlich für die Sicherheit in Europa, wenn wir einen immer größeren Rüstungswettlauf und eine mögliche, beispiellose Eskalation vermeiden wollen. Wir brauchen einen offenen Dialog nicht nur zwischen den Politikern, sondern auch zwischen den technischen Spezialisten einschließlich der Militärs über die Probleme, die wir bei der Umsetzung dieser Verträge haben und was wir tun können, um unsere Differenzen beizulegen.

Der nächste Schritt werden natürlich die Gespräche über Syrien und die Stabilisierung dieses Landes sein und natürlich darüber, den Terroristen die Kontrolle zu nehmen und an die legitime Regierung zurückzugeben. Und mit dem Problem der Ukraine umzugehen. Ich erwarte nicht, daß in Bezug auf die Ukraine viel geschehen wird, aber wenn wir diese Atmosphäre des Vertrauens haben und wenn wir diese Atmosphäre der Kooperation haben, dann werden wir in der Lage sein, sie zu lösen.

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen.