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Wer Lyndon LaRouches beständige Angriffe auf das „Britische Empire“ in dessen historischer und heutiger Form eher skeptisch sah, der sollte lesen, was die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, dazu zu sagen hat. In ihrer regulären Pressekonferenz am 19. April 2018 antwortete sie auf die jüngste Welle britischer Vorwürfe – Rußland habe sich staatlich angeordneter Morde, Giftgasattacken in Syrien und allgemein schwerer Völkerrechtsbrüche schuldig gemacht – mit einem ausführlichen Überblick über die zahlreichen Vergehen, deren sich Großbritannien in der Geschichte wie der Gegenwart schuldig gemacht hat. Wir dokumentieren hier die diesbezüglichen Teile ihrer Ausführungen in der Übersetzung des russischen Außenministeriums. Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion zur leichteren Lesbarkeit hinzugefügt, einige sprachliche Unebenheiten der Übersetzung wurden geglättet. Das offizielle Transkript des Vortrags in deutscher Übersetzung finden Sie auf der Internetseite des Ministeriums unter: http://www.mid.ru/de/foreign_policy/news/-/asset_ publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/3178301
(...) Jetzt würde ich alle bitten, „den Gurt anzulegen“, Der Botschafter Großbritanniens in Rußland, Laurie Bristow, sagte bei einem Pressebriefing für das diplomatische Korps anläßlich der Veröffentlichung des OPCW-Berichts, daß Rußland an „mehreren Morden im staatlichen Auftrag, darunter in Großbritannien beteiligt war”. Das ist natürlich nicht die erste eindeutig rußlandfeindliche Erklärung einer offiziellen britischen Person. Und erst recht nicht die erste Erklärung der britischen Seite, die außerhalb des Wirkungsbereichs des Rechtes, Verhaltensnormen, Moral ist.
Doch darum geht es überhaupt nicht. Schieben wir Moral und Recht beiseite und reden wir über etwas anderes. Vielleicht kennt der britische Botschafter nicht sehr gut die Geschichte seines Landes, dessen Rolle und Einbeziehung in die Prozesse der Jahrhunderte in anderen Ländern. Ich denke nicht, daß man Bristow etwas anderes vorwerfen sollte – das Fehlen des Rechtes –, vielleicht kennt er seine Geschichte tatsächlich nicht. Der britische Schriftsteller indischer Herkunft Salman Rushdie schrieb einst: „Das Problem der Briten besteht darin, daß sie die Geschichte ihres Landes aus dem einfachen Grund nicht kennen, daß die meisten Ereignisse außerhalb des Landes stattfanden. Die Insellage, die die Grundlage des imperialen Status Großbritanniens bildete, wurde zum Grund dafür, daß es zur Distanzierung von allen Aspekten, die diese Geschichte begleiten, kam.” Ich denke, daß der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir gerade von dieser Tribüne dieses kognitive Vakuum füllen und uns in die Geschichte Großbritanniens und seine aktive internationale Tätigkeit mit allen Folgen vertiefen können. Sprechen wir über Staatsaufträge, mehrere Morde, das Renommee dieses Staates im Ganzen.
Eine neue Geschichte. Darüber wird nicht so oft gesprochen, doch Großbritannien war eine der härtesten Metropolen hinsichtlich der repressiven Maßnahmen gegenüber seinen Kolonien und abhängigen Territorien. Bemerkenswert ist der Gedanke der britischen Journalistin und Schriftstellerin Afua Hirsch in der Zeitung The Guardian vom 22. November 2017, die schreibt, daß die Engländer seit der normannischen Eroberung Irlands im 12. Jahrhundert begannen, sich als „neue Römer” wahrzunehmen. Ihre große Bestimmung: neue Missionare zu sein und die Zivilisation in „rückständige Stämme” zu tragen. Doch dabei bekommen sie auch das Recht, Ressourcen, Boden und Arbeit in diesen „beglückten“ Gebieten auszunutzen. Die Briten betrachten die Schaffung des Britischen Imperiums als große moralische Errungenschaft und den Zusammenbruch dieses Imperiums – als Akt großer Großzügigkeit.
Vor dem Hintergrund dieser verbreiteten Sicht auf diese Geschichte gehen unbequeme Fakten verloren. Das wichtigste ist die Motivation, Details sind nicht mehr notwendig. Wir wollen heute nicht über Details sprechen. Die Einrichtung der Konzentrationslager während des Englisch-Burischen Kriegs, die anschließend die Nazis zur Schaffung ihrer Todeslager inspirierte, die völlige kulturelle Vernichtung der Staaten im Raum von Aschanti in Afrika bis China, blutige Gewaltakte der britischen Armee in Irland, Ausplünderung Bengalens, Ausbeutung der Bodenschätze im industriellen Ausmaß, Sklavenhandel – das sind nur die auffallendsten Fakten.
Allein Indien hat so viel unter den Vertretern Großbritanniens gelitten. 1930 erschien das Buch des US-Historikers Will Durant The Case for India, das der Geschichte und dem Alltag dieses Landes gewidmet ist und in dem der Autor zum Schluß kommt: „Je mehr ich lese, desto mehr bin ich von der offenen, bewußten und absichtlichen Ausbeutung Indiens durch England im Laufe von 150 Jahren überzeugt! Ich beginne zu spüren, daß ich mit dem schrecklichsten Verbrechen in der Weltgeschichte zu tun habe.”
Großbritannien hinterließ auf der ganzen Welt Spaltungslinien, die am akutesten auf dem südasiatischen (Indischen) Subkontinent zu spüren sind, wo 1947 das einheitliche Volk gewaltsam in zwei Teile geteilt wurde. Jetzt überwindet jeder davon selbstständig die Folgen des britischen kolonialen Erbes.
Der Abgeordnete und ehemalige stellvertretende Generalsekretär der UNO Shashi Tharoor – ein erfahrener Staatsmann, er kandidierte einst für den Posten des UN-Generalsekretärs und wird zu Recht in der ganzen Welt respektiert – erklärte mehrmals, daß die britischen Behörden an historischer Amnesie hinsichtlich ihrer imperialen Gewaltakte leiden. Man sollte dem zustimmen. Er sagte unter anderem am 22. Juli 2015 in Oxford: „Der Anteil Indiens an der Weltwirtschaft, als Großbritannien an seine Küste kam, machte 23 Prozent aus. Nach dem Weggehen Großbritanniens sank er auf weniger als vier Prozent. Warum? Weil Indien im Interesse Großbritanniens geleitet wurde. Das britische Wachstum im Laufe von 200 Jahren wurde durch die Ausplünderung Indiens finanziert.“ Laut Shashi Tharoor erfolgte die britische industrielle Revolution dank der Deindustrialisierung Indiens.
Großbritannien provozierte mehrmals Hungersnöte in Indien, bei denen 15 bis 29 Mio. Menschen ums Leben kamen. Die bekannteste in Bengalen 1943 forderte 4 Millionen Leben der Inder. Man kann wohl denken, daß dies nur publizistische Berichte sind. Aber nein. Indiens Premier Narendra Modi sagte am 24. Juli 2015 beim Seminar „Speakers Research Initiative“, daß alles von Tharoor Gesagte den Meinungen der Staatsbürger des Landes entspricht. Das sage ich Ihnen, Herr Bristow.
In seinem Buch Inglorious Empire, das im vergangenen Jahr erschien, erinnerte Tharoor an die Grausamkeiten des Britischen Imperiums und sagte, daß der ehemalige Premier Winston Churchill als einer der härtesten Diktatoren des 20. Jahrhunderts gilt. Der sagte im Gespräch mit dem Minister für Indien und Burma, Leopold Amery: „Ich hasse Inder. Das ist ein bestialisches Volk mit einer bestialischen Religion. Dieser Hunger ist ihr eigener Fehler, sie vermehren sich wie Kaninchen.” Das sagen nicht wir. Das ist ein Fakt.
Der russische Maler Wassili Wereschtschagin schuf ein bekanntes Bild, Höllischer Wind (Hinrichtung von Sepoys). Das ist kein symbolischer Vergleich. Darin ist die im 19. Jahrhundert in Indien verbreitete Hinrichtungsmethode abgebildet, die von der britischen Führung zur Unterdrückung des Sepoyaufstandes ausgedacht wurde. Sie bestand darin, daß der Verurteilte an die Mündung einer Kanone gefesselt wurde.
Das ist eine der barbarischsten Hinrichtungsarten in der Geschichte der Zivilisationen, sie diente nicht nur der physischen Vernichtung, auch der Einschüchterung. Die britischen Behörden hatten ohnehin zahlreiche Foltermethoden, so daß diese Variante auch nicht so originell erscheint und, ehrlich gesagt, wenn man die Briten kennt, für sie ziemlich aufwendig war. Aus der religiösen Sicht ist eine solche Form der Ermordung kategorisch unannehmbar für Inder. Ihre Körper wurden in Teile zerrissen. Unabhängig von der Kaste wurden sie alle zusammen beerdigt, was den Traditionen der Inder völlig widersprach.
Noch eine Episode: Am 13. April 1919 eröffneten 50 Soldaten unter Führung von Brigadegeneral Reginald Dyer in Punjab am Baisakhi-Tag, dem Neujahrs- und Erntedankfest, unangekündigt das Feuer auf friedliche Einwohner im Park Jallianwala im Zentrum der Stadt. Unter den Versammelten waren vor allem Frauen und Kinder. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß das keine Frage von Handlungen einzelner Briten ist. Das ist die Erfüllung der direkten Befehle der britischen Führung. Die Zahl der Opfer lag laut britischen Einschätzungen bei 379 Toten und 1500 Verletzten. Der Indische Nationalkongreß meldete 1000 Tote und 1500 Verletzte. Leider wurden im Laufe von mindestens einigen Jahrzehnten nach den damaligen schrecklichen Ereignissen Millionen weitere Einwohner Indiens zu Opfern der Handlungen der britischen Behörden, darunter Massenerschießungen.
Großbritanniens Behörden gingen in verschiedenen Perioden auch gegen Afrika grausam vor. Etwa 13 Mio. Menschen wurden von diesem Kontinent als Sklaven entführt (soviel zum Renommee, da der Botschafter Großbritanniens etwas gegen unseren Staat hatte). Die Zahl der Toten dabei war um das drei- bis vierfache größer als die Zahl der Entführten. Die Gesamtzahl der Opfer erreichte Dutzende Millionen Menschen. Auffallend ist, daß der Gründer der Theorie der Zivilgesellschaft, der englische Philosoph John Locke, bei der Erstellung der Verfassung der Vereinigten Staaten half und alle seine Ersparnisse in den Sklavenhandel investierte. Das ist auch ein Fakt.
Britische Truppen nutzten als eine der ersten in der Weltgeschichte Konzentrationslager gegen friedliche Bevölkerung während des Englisch-Burischen Kriegs 1899/1902. In diese Lager wurden Zivilisten gebracht, die Sympathien für die Aufständischen verdächtigt wurden, dabei wurden ihre Farmen von britischen Behörden niedergebrannt und das Vieh vernichtet. Frauen und Kinder wurden von Männern getrennt. Das war vor dem Zweiten Weltkrieg. Männer wurden in entfernte Orte in britische Kolonien verbracht – Indien, Ceylon.
Sobald die Weltgemeinschaft von dieser „Erfindung“ des Oberbefehlshabers der britischen Truppen Lord Kitchener erfuhr, ließ die Regierung Großbritanniens eine offizielle Erklärung veröffentlichen, daß das Ziel der Schaffung dieser Lager die „Gewährleistung der Sicherheit der friedlichen Bevölkerung der Burenrepubliken“ war, und die Lager in „Rettungsstandorte“ umbenannt wurden. Das ist ungefähr wie mit den White Helmets (Weißhelmen) – Extremisten nehmen, sie mit weißen Helmen ausstatten, auf denen das Wort „Frieden“ geschrieben wird, und mit ihren Händen Provokationen organisieren, die man danach mit der Handykamera aufnimmt und als Beweise dafür vorlegt, daß die friedliche Bevölkerung dringend gerettet werden soll. Jahrzehnte sind vergangen – nichts hat sich geändert. Festgenommene heißen „Gäste der britischen Regierung“. Insgesamt wurde in den Lagern die Hälfte der weißen Bevölkerung der Burenrepubliken festgehalten – 200.000 Menschen, von denen rund 30.000 durch Krankheiten und Hunger ums Leben kamen.
Von den späten 1930er Jahren bis 1948 gab es britische Lager in Zypern und Palästina, in die jüdische Flüchtlinge getrieben wurden (Juden wurden dort auch hingerichtet).
Und ein weiteres trauriges Kapitel der britischen Geschichte ist mit dem SAS (Special Air Service) verbunden, der bei mehr als 30 lokalen Konflikten zum Einsatz kam, hauptsächlich in den Ländern, die früher britische Kolonien gewesen waren (insbesondere in Kenia und einigen südafrikanischen Ländern). So gehörten etwa 50 frühere SAS-Militärs dem Rhodesien-Regiment an, das die Schlüsselrolle bei einer Verschwörung während der Machtübergabe an die Urbevölkerung Rhodesiens (jetzt Simbabwe) spielen sollte.
Historiker vermuten, daß Großbritannien der Weltrekordler des Völkermords ist. Es ist schrecklich, sich einmal vorzustellen, wie viele Millionen unschuldige Menschen in britischen Kolonien vernichtet wurden.
Nach verschiedenen Einschätzungen wurden auf Anordnung der britischen Führung bis zu 95 Prozent der Aborigines Australiens während seiner Kolonialisierung vernichtet. Dabei wurden australische Ureinwohner nicht einfach getötet – an ihnen wurden auch Versuche durchgeführt: Es wurden dorthin absichtlich diverse Infektionen eingeführt, vor allem Pocken.
Und der bewaffnete Konflikt zwischen den britischen Kolonisten und der Urbevölkerung Tasmaniens Anfang des 19. Jahrhunderts, der als „Black Line“ bekannt ist, führte dazu, daß die Bevölkerung der Insel fast total vernichtet wurde. Selbst in Großbritannien betrachten einige Historiker diesen Krieg als Völkermord. Britische Kolonisten durften offiziell Tasmaniens Einwohner töten, und für jeden Toten wurden sie belohnt. Soviel zum Thema internationales Image. Die Ureinwohner Tasmaniens wurden vergiftet, in die Wüste getrieben, wo sie an Hunger und Durst starben. Sie wurden gejagt, als wären sie wilde Tiere. Bis 1835 waren nur etwa 200 Menschen am Leben. Sie wurden einfach auf andere Inseln gebracht.
In den 1870er Jahren wurden auf Verfügung der britischen Behörden Zulus in der Kapkolonie massenweise getötet; und zwischen 1954 und 1961 fand der Völkermord an der Kikuyu-Ethnie in Kenia statt. Nach dem Mord an 32 weißen Kolonisten durch einheimische Rebellen vernichteten die Briten 300.000 Vertreter dieser Völkerschaft, und weitere 1,5 Millionen Menschen wurden in Lager getrieben. Diesen Ereignissen ist das Buch Imperial Reckoning: The Untold Story of Britain‘s Gulag in Kenya von Caroline Elkins gewidmet.
Es gilt als unangebracht, darüber in westlichen Medien zu sprechen bzw. zu schreiben, aber kennzeichnend ist auch die persönliche Geschichte des früheren US-Präsidenten Barack Obama: Wie wir gelesen haben, wurde sein Vater von Briten während des Aufstands in Kenia gefoltert. Oder stimmt das etwa nicht?
Erwähnenswert sind auch die berüchtigten „Opiumkriege“: Im Grunde vergiftete London jahrzehntelang chinesische Bürger mit Drogen. England lieferte Opium nach China und verdiente dadurch kolossale Gelder. Zugleich wurde auch ein strategisches militärisches Ziel verfolgt: Die chinesische Armee und das chinesische Volk wurden dadurch quasi zerstört, denn sie verloren den Willen zum Widerstand. Der chinesische Kaiser wollte sein Land retten und begann 1839 einen großen Einsatz zur Beschlagnahme und Vernichtung von Opiumvorräten in Kanton. London reagierte darauf mit einem Krieg: So begannen eben die „Opiumkriege“. Am Ende wurde China bezwungen und mußte die knechtenden Bedingungen der Briten akzeptieren. „Solange China eine Nation der Drogensüchtigen bleibt, müssen wir keine Angst haben, daß dieses Land zu einer Großmacht aufsteigt, denn diese Sucht saugt die Lebenskraft der Chinesen aus“, erklärte der britische Konsul in China, Richard Hurst, in einer Sitzung der Königlichen Kommission für Opium im Jahr 1895. Erst 1905 konnten die chinesischen Behörden ein Programm zum allmählichen Verbot des Opiums verabschieden und umsetzen.
Und hier sind einige Beispiele aus der neusten Geschichte, als London sich schon vorlaut als „Stütze der Demokratie und Freiheit“ positionierte und sich für die Verteidigung der Menschenrechte engagierte.
Wir sprachen schon darüber, was Indien von den Briten alles dulden mußte. Das ist nicht unsere Frage – das ist ja „common sense“. Und was alles mußten die Einwohner des Nahen Ostens von den britischen Behörden erdulden? Muß ich eigens daran erinnern, daß Großbritannien, das kurz vor der Zerstörung des kolonialen Systems seine Einflußkraft in dieser Region maximal beibehalten wollte, einige Schritte unternahm, die die Kluft zwischen Arabern und Juden noch viel tiefer machten? Ich muß wohl nicht über einzelne historische Details sprechen – es reicht ja, wenn man einen Blick auf die Weltkarte wirft und die Grenzen zwischen den Ländern in dieser Region sieht, die nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches festgelegt wurden, woran sich die britische Führung maßgeblich beteiligte. Niemand dachte an die Grenzen in dem Sinne, daß es sich nicht um Linien auf der Weltkarte handelt, sondern um Schicksale ganzer Völker. Diese Linien wurden einfach mit einem Lineal auf die Weltkarte aufgetragen. Dadurch wurden Stämme, ethnische und konfessionelle Gemeinschaften und ganze Völker gespalten. Mit den Folgen dieser Nahost-Politik muß sich die ganze Welt immer noch auseinandersetzen. Aber selbst in dieser Frage bleibt Großbritannien sehr aktiv.
Und hier ist noch eine interessante Tatsache: Laut einigen Dokumenten aus dem Nationalarchiv Großbritanniens, die seit 2014 nicht mehr vertraulich sind, setzten die britischen Behörden bei der Unterdrückung eines arabischen Aufstands in Mesopotamien (jetzt Irak) im Frühjahr 1920 auf Chemiewaffen. Winston Churchill sprach sich als Kriegsminister für den „Gaseinsatz gegen unzivilisierte Stämme“ aus. Aus den Archivdokumenten geht hervor, daß Churchill Befehle zum Einsatz von Senfgasgeschossen gegen die Rebellen abgegeben habe. Während dieses antibritischen Aufstands im Irak kamen laut verschiedenen Quellen zwischen 6000 und 10.000 Menschen ums Leben. Aus Londons Sicht muß das, gemessen am Umfang von Einsätzen in anderen Regionen, erst gar nicht berücksichtigt werden.
Auch die Griechen mußten sehr unter den Briten leiden. Im Frühjahr 1944 kam es zu einer Revolte in den griechischen Truppenteilen in Ägypten, die von den Briten grausam unterdrückt wurde. Viele Historiker glauben, daß dies eine Art „Vorspiel“ der britischen Intervention in Griechenland im Dezember 1944 und des Bürgerkriegs (1946 bis 1949) war. Etwa 20.000 bis 22.000 von insgesamt 30.000 griechischen Militärs im Nahen Osten wurden in britische Lager in Eritrea, Ägypten, im Sudan und in Libyen geworfen.
In den späten 1960er und den 1970er Jahren siedelten die britischen Behörden 1500 Ureinwohner des Archipels Chagos im Indischen Ozean von diesen Inseln aus. Zu diesem Zweck stellten die britischen Diplomaten in der UNO das Urvolk Ilois als „Vertragsarbeiter“ vor. Der Grund dafür war die Absicht der USA, auf einer der Inseln dieses Archipels ihren Stützpunkt zu bauen. Alles war ganz einfach.
Noch mehr als das: Der ganze Archipel wurde zu einem Naturschutzgebiet erklärt. 2009 wurden auf Wilkileaks Informationen veröffentlicht, denen zufolge die britische Regierung dieses Projekt unterstützt hatte, denn dann könnte sie sicher sein, daß die ständigen Versuche der deportierten Inseleinwohner zur Heimkehr scheitern würden. Eine Ironie des Schicksals war, daß der US-Stützpunkt auf der Insel Diego Garcia einige Zeit lang den Namen Camp Justice (also Camp Gerechtigkeit) trug. So war das nun einmal!
Und hier ist noch ein Beispiel aus der neusten Geschichte: Der Geheimdienst der britischen Streitkräfte fälschte absichtlich seine Berichte über Kriegsverbrechen zwischen 2010 und 2013, um Informationen über Morde an friedlichen Einwohnern Afghanistans zu verbergen. Unbewaffnete Zivilisten, die als potentielle Taliban-Kämpfer galten, wurden bei Durchsuchungen ihrer Häuser nicht festgenommen, wie man berichtete, sondern getötet.
Die Ermittlung von Kriegsverbrechen in Afghanistan zwischen 2010 und 2013 wurde 2014 unter dem Codenamen „Operation Northmoor“ begonnen. Es wurde dabei festgestellt, daß der britische Geheimdienst Dokumente gefälscht hatte, um die afghanische Armee für die Morde an unbewaffneten Zivilisten verantwortlich zu machen. – Das hat auch Bedeutung für die Frage vom internationalen Image, Herr britischer Botschafter. – Die Untersuchungsrichter bekamen Videos in ihre Hände, die mithilfe von Drohnen gemacht worden waren und den Namen „Kill TV“ bekommen hatten, und darauf ist zu sehen, wie ausgerechnet britische und nicht afghanische Soldaten auf unbewaffnete Afghanen schießen. Laut der Times (Ausgabe vom 2. Juli 2017) wollte das britische Verteidigungsministerium diese Kriegsverbrechen vor den Medien verbergen, und zwar, weil die Veröffentlichung von Einzelheiten der Ermittlung nach seiner Auffassung „der nationalen Sicherheit, dem Vertrauen der Öffentlichkeit und der Kooperation mit den Verbündeten schaden könnte“. Dabei nannten britische Generäle die im Laufe der Ermittlung gesammelten Beweise für die „Massenmorde“ „zuverlässig und sehr ernst“ und fanden, daß durch diese Informationen „der Regierung eine Katastrophe drohen könnten“. Es kam nicht zur Katastrophe – die britischen Behörden haben immer etwas, worauf sie die Öffentlichkeit ablenken können, meine lieben Journalisten.
Am 19. November 2017 veröffentlichte die Sunday Times einen weiteren Beitrag über von SAS-Soldaten begangene Morde, in dem einige Details des Verhörs von Major Chris Green angeführt wurden, laut dem eine SAS-Abteilung im Jahr 2012 im Rahmen eines Einsatzes im Dorf Rahim bei Nahr-i-Saraj drei friedliche Einwohner, die überhaupt keine Kontakte mit den Taliban hatten, im Hof ihres eigenen Hauses getötet hatte.
Jetzt zum Irak. Laut Informationen aus offenen Quellen wurden während des Irak-Kriegs zwischen 2003 und 2011 insgesamt 326 Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen seitens britischer Militärs eingeleitet, wobei insgesamt mehr als 1500 Personen angeklagt wurden. Und die Entschädigung der Betroffenen belief sich auf schätzungsweise 20 Mio. Pfund Sterling. Man könnte sagen, das wären Einzelheiten, aber es geht zugleich auch um eine Art Strategie des Staates, die am Anfang nirgendwo sichtbar geworden war. Aber später wurden auch diese Taten ermittelt. Das Problem ist aber, daß Ermittlungen stattfinden und einige Personen auch bestraft werden - aber nie der britische Staat. Und besonders schlimm ist, daß sich solche Geschichten immer wiederholen, von Jahr zu Jahr von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert.
Besonders intensiv wurde in den Medien eine Situation geschildert, die 2003 in Basra entstand, als britische Militärs nach der Hinrichtung von zwei britischen Scharfschützen zwei Iraker, die vermutlich damit verbunden gewesen waren, gefaßt und mehrere Jahre ohne jegliche Ermittlungen festgehalten hatten. Erst 2006 wurden sie des Mordes angeklagt. Doch der Oberste Kriegsgerichtshof des Iraks annullierte diese Anklage wegen ausbleibender Beweise.
Wegen der Zahl der potentiellen Klagen gegen britische Militärs für ihre Kriegsverbrechen wurden auf einem Parteitag der Conservative Party im Oktober 2016 in Birmingham Pläne der britischen Regierung veröffentlicht, die Bestimmungen des Europäischen Menschenrechtsübereinkommens für ihre Streitkräfte, die an Konflikten im Ausland beteiligt sind, für ungültig zu erklären.
Jetzt zum Thema Spionage und zu einzelnen Diversionsangriffen. Die Briten waren schon immer große Anhänger von diversen „geheimen Einsätzen“ und Diversionen gegen konkrete Personen zu politischen Gunsten Großbritanniens. Diese Einstellung spiegelte sich unter anderem in verschiedenen „Kunstwerken“ wider, beispielsweise in der „goldenen Kollektion“ von James-Bond-Filmen. Man könnte darüber nur lachen – wenn man nicht wüßte, daß der Autor Ian Fleming unter anderem in Archiven arbeiten durfte und daß James Bond wahre Vorbilder hatte. Wer sich für die Geschichte nicht interessiert und glaubt, der vorige Teil könnte langweilig gewesen sein, oder denkt, daß Archivdokumente unterschiedlich gedeutet werden könnten und zusätzlich überprüft werden sollten, dann gibt es für solche Menschen eine „Light-Version“ – als belletristisches Lesebuch des Schriftstellers und Ex-Offiziers der Marienaufklärung, Ian Fleming. Natürlich sind die James-Bond-Bücher und -Filme ein sehr kennzeichnendes Beispiel für die Vorliebe der britischen Regierung für solche Aktivitäten. Ian Fleming starb 1964, aber was er beschrieb, besteht weiter. Auf britischen Bildschirmen erscheinen immer neue und neue James-Bond-Streifen – alle haben sich an den Superhelden gewöhnt. Die Zeiten ändern sich, die Schauspieler werden immer neue, aber die Idee bleibt konstant: Der britische Agent im Dienst des Königreichs bekommt nicht irgendwas, sondern die „Lizenz zum Töten“. Wie gesagt: Das sind keine Erfindungen – da geht es um die Arbeit mit Archivdokumenten. De facto passiert alles, was wir in den James-Bond-Filmen sehen, unter der „Schirmherrschaft“ der Geheimdienste MI5 und MI6.
Dank James-Bond-Filmen haben die Menschen grundsätzlich erfahren, daß es die „Lizenz zum Töten“ gibt. Dieser Begriff bedeutet die offizielle Erlaubnis der Regierung bzw. einer Behörde, die ein Agent, der dieser Behörde dient, bekommt, so daß er selbst entscheiden darf, ob er jemanden im Interesse eines gewissen Ziels töten soll oder nicht. Und nachdem der Agent seinen Auftrag erfüllt hat, kehrt er immer auf seinen „Stützpunkt“ zurück – das sahen wir ebenfalls.
Es ist bedauerlich, daß im alltäglichen Leben, zu dem wir jetzt wieder zurückkehren, alles nicht so schön und würdig ist. Ian Fleming machte ein geniales Ding: Er nahm Fakten und „verpackte“ sie sehr attraktiv. Wir sehen ein sehr schönes Bild.
Aber jetzt zurück zur Realität. Bei den folgenden historischen Episoden handelt es sich nicht mehr um eine Erfindung, sondern um Fakten. Einige von ihnen wurden bewiesen, einige andere gelten als sehr glaubwürdige historische Hypothesen. Aber die Hauptsache ist, daß wir noch vor anderthalb Monaten bei unseren offiziellen Auftritten nichts verwendeten, was eigentlich nur Hypothese war – aber nachdem Theresa May den Begriff „highly likely“ (höchstwahrscheinlich) so populär gemacht hat, um uns ein sehr schweres Verbrechen vorzuwerfen – warum sollten wir das nicht tun?
Historiker, die sich auf die Geschichte des Scotland Yard spezialisierten, behaupteten, die britischen Behörden wären in den Mord an Grigori Rasputin verwickelt gewesen. Der Historiker, Experte für die britischen Geheimdienste, Michael Smith, schrieb in seinem Buch SIX: A History of Britain’s Secret Intelligence Service, daß ein Resident der britischen Geheimdienste in Petrograd 1916, als der Erste Weltkrieg tobte, gehört hätte, Grigori Rasputin würde durch die russische Zarin versuchen, einen separaten Frieden mit Deutschland zu erreichen. Die Briten wurden darüber sehr beunruhigt. Nach Petrograd wurde der MI6-Hauptmann Oswald Raymer geschickt, der den Auftrag hatte, von Rasputin Informationen über die Verhandlungen zu bekommen und ihn notfalls zu beseitigen. Michael Smith zufolge wurde der dritte Schuß (der Kontrollschuß) in Rasputins Kopf (über den es keine Aussagen der „offiziellen“ Killer gab) aus dem englischen Revolver Webley 455 gemacht, während aus den Erinnerungen der Verschwörer bekannt ist, daß Jussupow aus seiner Browning-Taschenpistole und Purischkewitsch aus der Savage-Pistole geschossen hätte. Auffallend ist, daß es unter dem freigegebenen Briefwechsel britischer Geheimdienste einen Brief von einem Freund Oswald Rayners an den britischen Geheimdienstler John Scale vom 24. Dezember 1916 gibt, in dem geschrieben stand: „Nicht alles verlief nach dem Plan, aber unser Ziel wurde erreicht… Rayner vernichtet die Spuren, und wird mit Ihnen sicherlich Kontakt aufnehmen, um Ihnen entsprechende Hinweise zu geben.“ Manche Historiker sind überzeugt, daß es in diesem Brief ausgerechnet um den Mord an Grigori Rasputin geht. 2004 wurde im BBC ein Dokumentarfilm unter dem Titel Who Killed Rasputin? gezeigt. Laut den britischen Journalisten stammte die Idee zu diesem Mord ausgerechnet von Großbritannien, und die russischen Verschwörer waren für die Briten nichts als Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen.
Ähnliche Versionen gibt es auch bezüglich des Mordes am russischen Kaiser Paul I., aber ich denke, das ist eine Frage für Historiker.
Diese schreiben auch über die sogenannte „Lockhart-Verschwörung“, die 1918 ausgerechnet durch britische, französische und US-amerikanische Diplomaten im Sowjetischen Rußland organisiert wurde, um die Bolschewiken zu stürzen. An der Verschwörung beteiligten sich der Leiter der britischen Mission Robert Lockhart sowie die Botschafter Frankreichs und der USA, Joseph Noulens und David Francis.
Robert Lockhart versuchte, die in Moskau weilenden lettischen Scharfschützen, die den Kreml bewachten, zu kaufen. Die weitere Geschichte kennen Sie. Es war geplant, daß man die Letten nach Wologda schicken würde, wo sie sich mit den britischen Truppen vereinigen würden, die in Archangelsk landen und ihnen helfen sollten. Das ist nur eine kurze Zusammenfassung; ausführlich können Sie gerne darüber selbst lesen.
2013 wurden Informationen veröffentlicht, denen zufolge MI6 der Auftraggeber für den Mord (hier „reisen“ wir mit ihnen in eine andere Region der Welt) am ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Kongos, Patrice Lumumba, gewesen wäre.
Ein Mitglied des House of Lords von der Labour Party erzählte, daß die Baronin Daphne Park einige Monate vor ihrem Tod im März 2010 ihm gegenüber zugegeben hätte, 1961 den Mord an Patrice Lumumba organisiert zu haben, und zwar aus Angst, daß dieses neue demokratische Land eine Allianz mit der Sowjetunion bilden würde.
In seinem Brief an die Redaktion der Zeitschrift London Review of Books teilte Lord Lee mit, daß Daphne Park das bei ihrem Gespräch am Teetisch zugegeben hätte. Von 1959 bis 1961 war Park Konsulin und Erste Sekretärin in der Hauptstadt von Belgisch-Kongo, die nach der Errungenschaft der Unabhängigkeit dieses Landes in Kinshasa umbenannt wurde. Lord Lee schrieb: „Ich erwähnte das Aufsehen wegen der Entführung und Ermordung Patrice Lumumbas und erinnerte mich noch an die Theorie über die Verbindung des MI6 zu diesem Fall. ‚Ja, wir taten das‘, sagte sie. ‚Ich habe das organisiert.‘“
Mit der Zeit wurde Londons Vorliebe für die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten und die Einflußnahme auf deren politische Regimes immer größer. Lassen Sie uns wenigstens an die Ereignisse des 20. Jahrhunderts erinnern, als die britischen Geheimdienste seit 1953 an der Organisation des Umsturzes im Iran teilnahmen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts war die iranische Ölindustrie vom britischen Kapital kontrolliert worden, und zwar durch eine Konzession, die sich den größten Teil der nationalen Öleinnahmen aneignete. Diese Situation provozierte soziale und politische Spannungen im Iran, die Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre immer größer wurden. 1951 wurde Mohammad Mossadegh zum Ministerpräsidenten des Iran ernannt, der auf einmal eine souveräne Außen- und Innenpolitik ausübte. Der Premier bemühte sich um die Beseitigung von ausländischen Monopolen im Iran, die den nationalen Interessen sehr schadeten.
Zum wichtigsten Symbol der unabhängigen Linie Mossadeghs wurde die Bewegung für die Nationalisierung des iranischen Öls, denn die Einnahmen aus dem Ölhandel waren bis dahin unfair verteilt worden, und zwar zugunsten der Anglo-Persian Oil Company (jetzt British Petroleum), deren größter Aktionär die britische Regierung war. Mossadegh konnte mit Hilfe des Parlaments ein Gesetz zur Nationalisierung der iranischen Ölindustrie voranbringen. Das war schmerzhaft für die britischen Interessen. Seit diesem Moment wirkte London gegen die iranische Regierung und setzte dabei unter anderem den Mechanismus zum internationalen Boykott von iranischen Ölprodukten ein, was eine Wirtschaftskrise im Iran auslöste.
Die britischen Diplomaten, die in Moskau arbeiten, sitzen jetzt wohl da, hören und schreiben das auf: Sie müssen das heute noch nach London schicken. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben – es sind insgesamt 17 Seiten. Ich habe eine Frage: Sind Sie stolz auf diese Geschichte? Dann müssen Sie sich entscheiden: Entweder treten Sie für die Menschenrechte, für das Völkerrecht und die Demokratie ein, oder Sie sind stolz darauf, was Sie früher taten und immer noch tun.
Im August 1953 führten die CIA und der britische Nachrichtendienst eine gemeinsame Operation „Ajax“ zur zwangsweisen Entmachtung der Regierung Mohammad Mossadeghs durch. Die neue iranische Regierung unterzeichnete ein neues Abkommen, das die Bildung eines Konsortiums von amerikanischen und britischen Unternehmen vorsah, die einen Teil der Öleinnahmen des Irans und das Recht auf die Erschließung von Ölfeldern in diesem Land bekamen.
Das Vorgehen Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs läßt sich auch nicht gerade eindeutig beurteilen, auch wenn es einer der Alliierten war. Da gibt es wiederum eine ganze Reihe von Faktoren. Einige historische Episoden rufen große Fragen bezüglich der britischen internationalen Politik hervor. Beispielsweise hatte Rudolf Hess kurz vor dem deutschen Angriff gegen die Sowjetunion Großbritannien besucht. In der Geschichte jedes Landes gibt es unangenehme Fakten, für die künftige Generationen zahlen und die moralische Verantwortung tragen müssen. Aber das Problem ist, daß die britischen Geheimdienste alle damit verbundenen Dokumente 100 Jahre unter Geheimhaltung gestellt haben, sie bleiben also immer noch vertraulich. Während der Nürnberger Prozesse wollte Rudolf Hess etwas über seinen England-Besuch erzählen, aber der britische Staatsanwalt, der den Vorsitz hatte, ordnete sofort eine Pause an. Während der Pause besuchten Vertreter der britischen Geheimdienste Hess‘ Zelle, und danach simulierte er einen Gedächtnisschwund. Auf Beschluß des Nürnberger Tribunals wurde Hess in ein internationales Gefängnis in Spandau überführt, wo er lebenslang sitzen sollte und 1987 unter unklaren Umständen starb – drei Monate vor seiner Freilassung. Dann wurde alles wieder verheimlicht; und jetzt ist alles wieder unklar. Alle Fakten sind einerseits vorhanden, aber die Umstände bleiben geheim.
Im 5. Band der Geschichte der russischen Militäraufklärung wurde eine weitere sehr interessante Episode aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs geschildert: Im Oktober 1998 wurde ein gemeinsamer Plan Großbritanniens und der USA zum Überfall auf die Sowjetunion freigegeben – es wurden entsprechende Dokumente des britischen Staatsarchivs veröffentlicht. Laut diesem Plan sollten die Truppen ihres sowjetischen Verbündeten, die nichts ahnten, von zehn deutschen und 47 amerikanischen bzw. britischen Divisionen angegriffen werden. Die Geheimdienstler verfügten über Informationen, daß die Alliierten schon nach der Kapitulation Deutschlands entsprechende Vorbereitungen begonnen hätten. Das Ziel dieses Einsatzes bestünde darin, Rußland zu Zugeständnissen an die USA und Großbritannien zu zwingen. Aber angesichts der Verhältnisse der Kräfte und der Technik kamen die neuen Verbündeten zum Schluß, daß „ein schneller beschränkter Erfolg unmöglich wäre“ und daß sie „in einen längeren Krieg gegen uns überlegene Kräfte involviert werden könnten“.
Und noch ein Beispiel für Diversionsaktivitäten: Sehr interessante Informationen sind in Kim Philbys Buch My Silent War enthalten. Im April 1951 fand in London eine Beratung von britischen und amerikanischen Nachrichtendienstlern statt, die der Nutzung von ukrainischen nationalistischen Organisationen durch die USA und Großbritannien gewidmet war. Da stimmt wieder alles zusammen. Bis dahin hatten die Geheimdienste schon seit vielen Jahren die Kämpfer aus der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unterstützt, die für sie ihrerseits nach neuen Agenten suchten und ihnen diverse Aufklärungsinformationen über die Sowjetunion bereitstellten. Die Kooperation zwischen den Kämpfern Stepan Banderas und dem „Intelligence Service“ wurde immer intensiver. Schon 1949 und 1950 wurden auf das Territorium der Ukraine mehrere Diversionsgruppen gebracht. In der Nacht zum 15. Mai 1951 setzten die britischen Geheimdienstler drei Gruppen von Fallschirmdiversanten ab. Für welche Greueltaten die Bandera-Kämpfer verantwortlich waren, ist allgemein bekannt: Sie töteten massenweise Zivilisten, folterten und töteten Hunderttausende Männer, Frauen, Greise und Kinder, egal ob sie Russen, Ukrainer, Weißrussen, Juden, Polen, Tschechen, Slowaken oder Jugoslawen waren. Der Massaker in Wolhynien, die Ermordung von polnischen Professoren, die Tragödie von Chatyn, die „Bestrafungseinsätze“ in der Slowakei, in Warschau und Prag sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert.
Im Rahmen der Diversionsaktivitäten griffen die britischen Geheimdienste oft auf die „Dienste“ von „Profi-Verbrechern“ zurück. Erinnern Sie sich noch daran, daß man uns erzählte, Rußland wäre ein Verbrecher-Land, mit dem man gar nicht zusammenwirken sollte. Dabei aber wirken die britischen Behörden mit Verbrechern hervorragend zusammen. Dabei müssen wir nicht einmal über die sogenannten „Weißhelme“ und die Personen reden, die sie in diese Organisation aufgenommen haben und seitdem unterstützen. Lassen Sie uns über „weltliche“ Dinge reden: 1973 räumte die britische Regierung offiziell ein, die Brüder Kenneth und Keith Littlejohn hätten mehr als ein Jahr lang Banken in Irland beraubt, um die „offizielle“ Irische Republikanische Armee zu diskreditieren. Das ist ja „ein Klassiker des Genres“. Kenneth Littlejohn persönlich behauptete, er wäre auch beauftragt worden, Sean MacStíofáin, den früheren Stabschef dieser Armee, zu töten.
Und noch ein Beispiel: Howard Marx, Absolvent der Oxford University, der zum Drogenhändler wurde, wurde angeworben und sollte Informationen über die Waffenlieferanten der Irisch-Republikanischen Armee liefern. Dafür wurde ihm versprochen, ihn für den Drogenhandel nicht zu bestrafen. Das sind einzelne Beispiele.
Übrigens schaffen die britischen Behörden auf ihrem Territorium komfortable Lebensbedingungen für Verbrecher aus anderen Ländern. Zwischen 2005 und 2012 stellte das britische Innenministerium beispielsweise fest, daß in diesem Land mehr als 700 Kriegsverbrecher lebten.
Außerdem greifen die britischen Behörden gerne auf verbotene Methoden zur Behandlung von Häftlingen zurück, um von ihnen die nötigen Informationen zu bekommen. Und natürlich – die „Lizenz zum Töten“ setzte noch niemand außer Kraft.
Hier ist ein neues Beispiel: Der libysche Feldkommandeur Abdelhakim Belhaj, der 2004 von den US-Geheimdiensten unter Mitwirkung der britischen Seite festgenommen wurde. 2009 wurde Belhaj freigelassen, und er wirft London vor, seine Entführung organisiert und ihn später gefoltert zu haben. Seit 2011 verlangt er von der britischen Regierung eine offizielle Entschuldigung für ihr Vorgehen. Die größte Verantwortung liegt nach seinen Worten bei Ex-Außenminister Jack Straw und einigen MI6-Offizieren, insbesondere auf dem früheren Chef der Anti-Terror-Abteilung, Mark Allen, dessen Mailwechsel mit Vertretern der libyschen Geheimdienste nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis veröffentlicht wurde. Und daran, wie Gaddafi gestürzt wurde und wie man in London der Tötung des Oberhauptes dieses souveränen Staates applaudierte, können wir uns alle erinnern.
Im Dezember 2013 stellte das Hohe Gericht von England und Wales fest, daß dieser Fall in Großbritannien „unmöglich behandelt werden könnte“. Im Juli 2016 bestätigte der britische Königliche Staatsanwaltschaftsdienst seine Entscheidung, die betreffenden MI6-Mitarbeiter freizusprechen.
Laut dem Beschluß des britischen Obersten Gerichtshofs vom 17. Januar 2016 sollte die Ermittlung dieses Falls wiederaufgenommen werden, „weil die Festnahme und die Folterung Abdelhakim Belhajs die in der Magna Carta vorgesehenen Rechte verletzten“. Dementsprechend „sollten die jeweiligen Beschuldigungen von britischen Gerichten behandelt werden“.
Im Februar 2018 wurde bekannt, daß die nächste Gerichtsverhandlung bestenfalls 2019 stattfinden wird. Das gilt für die Frage, daß „die Geschichte eben die Geschichte ist“, aber es gibt nun einmal Ermittlungsverfahren, und diese müssen weiter gehen. Hier ist ein Beispiel: Das britische Außenministerium besteht auf ihrer Fortsetzung hinter geschlossenen Türen (das ist auch quasi klassisch) – wegen der „Interessen der nationalen Sicherheit“.
2015 erschien in Serbien das Sachbuch The Third Bullet: The Political Background of the Assassination of Zoran Djindjic (dieser wurde 2003 getötet), in dem die Autoren die britischen Geheimdienste unmittelbar beschuldigen, den Politiker beseitigt zu haben. Sie behaupten, mit dem Mord am Ministerpräsidenten könnte ein Mitarbeiter des britischen Nachrichtendienstes namens Anthony Monckton verbunden sein, der Kontakte zum sogenannten Zemun-Clan hatte, dessen Mitglieder in Bezug auf diesen Fall in erster Linie angeklagt werden.
Für wieviel solche Geschichten die britische Regierung verantwortlich ist, weiß wohl nur der liebe Gott. Am 21. März 1985 wurde in Delhi der sowjetische Mitarbeiter des dortigen Kernkraftwerkes, Valentin Chitritschenko, von einer afghanischen terroristischen Gruppierung getötet. Auf den ersten Blick ist völlig unklar, was Vertreter der britischen Geheimdienste in Delhi damit zu tun haben könnten, wenn man bedenkt, daß er von afghanischen Terroristen getötet wurde. Die Personen, die Kontakte zu dieser Gruppierung hatten, wußten über die Vorbereitung des Anschlags Bescheid, taten aber nichts, um dieses Verbrechen zu verhindern.
Und zum Abschluß dieses Thema stelle ich Ihnen kurz und knapp den „Mordkalender“ vor, in dem die Fälle enthalten sind, wo seit Anfang des 21. Jahrhunderts in Großbritannien bekannte und einflußreiche Menschen unter merkwürdigen Bedingungen ums Leben kamen.
Über einige Todesfälle will ich nicht einmal sprechen. Lassen Sie uns nur die bekanntesten erwähnen. Im November 2006 starb in London der frühere FSB-Beamte Alexander Litwinenko. Ich werde jetzt nicht an diese Geschichte erinnern – sie bleibt streng vertraulich. Im Januar 2007 starb in London einer der Mitbegründer des Konzerns Yukos, Juri Golubew. Im Februar 2008 starb Badri Patarkazischwili an Herzinfarkt in seiner Villa in Leatherhead (Surrey). Im August 2010 kam der frühere Mitarbeiter des Government Communications Headquarter (des Digitalen Nachrichtendienstes), Gareth Williams, unter unklaren Umständen ums Leben. Er wurde nämlich tot in einem von außen geschlossenen Kleiderbeutel aufgefunden. Im Rahmen der Ermittlung kam die Polizei zu dem Schluß, daß sein Tod ein Unfall war – wäre er etwa zufällig in den Beutel gestiegen, hätte ihn zugemacht und es nicht mehr geschafft, hinauszusteigen? Warum lachen Sie denn? Das ist doch gar nicht lustig. Das stand in dem britischen offiziellen Ermittlungsbericht.
Im April 2012 starb in Salisbury Richard Holmes, der im geheimen Labor Porton Down gearbeitet hatte. Laut den Ermittlungsbehörden hatte er einen Monat zuvor gekündigt. Laut Gerichtsmedizinern starb er an einem Schlaganfall. Dabei behaupteten seine Kollegen, er wäre durchaus fit gewesen und hätte keine Gesundheitsprobleme gehabt. Das müßte etwas mit Porton Down zu tun haben. Gibt es dort vielleicht Umweltprobleme? Ist die Atmosphäre dort vielleicht vergiftet?
Im November 2012 kam in Weybridge (Surrey) der russische Finanzier Alexander Perepelitschny ums Leben. Auch diese Geschichte ist völlig unklar. Im Dezember 2012 starb in London der Millionär und Immobilienmagnat Robert Curtis. Laut der Ermittlung warf er sich vor einen Zug. Im März 2013 starb in Ascot Boris Beresowski. Da gibt es nichts zu kommentieren – noch immer weiß niemand, was passiert ist. Im Dezember 2014 kam in London Beresowskis naher Freund, der Unternehmer Scot Young, ums Leben. Als Todesursache wurde ein Sturz aus dem vierten Stockwerk genannt. Es kommt schon vor, daß Menschen aus dem vierten Stockwerk fallen – aber das war nicht der einzige solche Tod in dieser Zeit.
2016 kam in Oxfordshire der bekannte britische Wissenschaftler, Experte für radioaktive Stoffe, Matthew Puncher, ums Leben, der sich an der Ermittlung der Todesumstände Alexander Litwinenkos beteiligt hatte und einer der Schlüsselexperten war. Es hieß, er hätte Selbstmord begangen. Der Fall wurde von den Rechtsschutzorganen ganz schnell geschlossen.
Ich muß sagen, daß es um eine echte „schwarze PR-Kampagne“ geht, die die britische Regierung gegen Rußland gerichtet hat – das ist ja ihre Lieblingsmethode. Das gilt auch für das Thema „internationales Image“. Und dabei reden die Briten ja ständig von unserem Image! Das war eine relativ kurze Liste. Und ganz dicke Bände wurden darüber geschrieben, was die britische Regierung und ihre Untertanen in der Welt im Laufe von Jahrhunderten anstellten, auch im 20. und 21. Jahrhundert. Das ist alles gar nicht überraschend für die Menschen, die sich da auskennen. Eine andere Sache ist, daß viele darüber gar nichts wissen.
Die Gewohnheit des britischen Establishments, die Konkurrenz zu „beschmutzen“, hat ihre Wurzeln schon im 16. Jahrhundert. Der spanische Historiker Julian Juderias beschrieb das Vorgehen der britischen Behörden (wenn man über „schwarze PR“ in Bezug auf Großbritannien redet, wird der spezielle Begriff Schwarze Legende verwendet) wie folgt: „Das ist eine Atmosphäre, die durch in allen Ländern erschienenen fantastischen Geschichten über unser Land geschaffen wurde, durch die grotesken Beschreibungen des spanischen Charakters – sowohl der Menschen als auch der Gesellschaft; durch die Verneinung oder wenigstens systematische Verschweigung der Schönheit und Vielfalt unserer Kultur und Kunst; durch die ständigen Anschuldigungen gegen Spanien, die sich auf übertriebene, falsch interpretierte oder völlig falsche Fakten stützten; und schließlich durch die in vielen Büchern wiederholte Behauptung (die auf den ersten Blick respektiert und wahr waren), die in ausländischen Medien besprochen und verstärkt wurde, daß unser Land aus der Sicht der Toleranz, Kultur und des politischen Fortschritts eine traurige Ausnahme unter den europäischen Völkern wäre.“ Wie gesagt: Der Spanier schrieb das über die Anwendung dieser Schwarzen Legende.
Jetzt Schluß mit der Lyrik – ich gehe zu konkreten Dingen über. Was die Motive angeht, von denen London bezüglich des „Falls Skripal“ und auch von der langjährigen Staatspolitik redet, die der britische Botschafter in Rußland, Laurie Bristow, uns gegenüber verfolgt, so war diese Provokation gegen die russischen Staatsbürger in Salisbury vermutlich für die britischen Geheimdienste nützlich (möglicherweise wurde sie auch von ihnen organisiert), um Rußland und seine politische Führung zu kompromittieren. In der Vergangenheit tat Großbritannien öfter und regelmäßig solche Dinge. Dieser Schritt paßt durchaus in die allgemeine antirussische Linie der konservativen Regierung zur Dämonisierung unseres Landes.
Weitere Beweise dafür sind die britische nationale Sicherheitsstrategie und die Bankettrede der Ministerpräsidentin Theresa May Ende des vorigen Jahres.
Die vehemente Weigerung, mit Rußland bei der Untersuchung des Giftanschlags in Salisbury zusammenzuwirken, die Verletzung aller möglichen Verpflichtungen im Sinne des „konsularischen Übereinkommens“ durch London, seine Weigerung, mit der OPCW zu kooperieren, und die Verheimlichung von für eine objektive Ermittlung erforderlichen Dokumenten sind ebenfalls Beweise dafür. (...)