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Auszüge aus dem Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit den französischen Fernsehsendern Europe-1 und TF-1 am 4. Juni.
Putin: Hier ist unser Standpunkt. Was ist eigentlich dort [in der Ukraine] geschehen? Es gab einen Konflikt, und dieser Konflikt entstand, weil der frühere ukrainische Präsident sich weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Rußland hatte in dieser Frage eine bestimmte Haltung. Wir waren überzeugt, daß es wirklich unvernünftig wäre, dieses Abkommen zu unterzeichnen, weil es schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft gehabt hätte, auch für die russische Wirtschaft. Wir haben 390 Wirtschaftsabkommen mit der Ukraine und die Ukraine ist ein Mitglied der Freihandelszone in der GUS. Wir wären nicht in der Lage gewesen, diese wirtschaftliche Beziehung zur Ukraine als Mitglied der Freihandelszone beizubehalten. Wir sprachen darüber mit unseren europäischen Partnern. Statt mit legitimen und diplomatischen Mitteln die Gespräche fortzusetzen, unterstützten unsere europäischen Freunde und unsere Freunde aus den Vereinigten Staaten den verfassungswidrigen bewaffneten Putsch. Das ist passiert. Wir haben diese Krise nicht verursacht. Wir waren gegen diesen Lauf der Ereignisse, aber nach dem verfassungswidrigen Putsch - seien wir doch ehrlich… Der Punkt ist, niemand sollte durch einen bewaffneten, verfassungswidrigen Putsch an die Macht gebracht werden und das gilt ganz besonders für den postsowjetischen Raum, wo die staatlichen Institutionen noch nicht völlig ausgereift sind. Als es passierte, haben einige dieses Regime akzeptiert und waren glücklich damit, während andere, etwa in der Ost- und Südukraine es einfach nicht gelten lassen wollten. Und es ist ganz entscheidend, mit diesen Menschen zu reden, die diesen Machtwechsel nicht billigen, statt Panzer dorthin zu schicken, wie Sie selbst sagten, statt aus der Luft Raketen auf Zivilisten abzufeuern und nichtmilitärische Ziele zu bombardieren.
Frage: Aber Herr Präsident, die Vereinigten Staaten und das Weiße Haus behaupten, sie hätten Beweise dafür, daß Rußland in den Konflikt eingegriffen, seine Soldaten geschickt hat und Waffen liefert. Sie behaupten, sie hätten dafür Beweise. Glauben Sie das?
Putin: Beweise? Warum zeigen sie die nicht? Die ganze Welt erinnert sich daran, wie der amerikanische Außenminister die Beweise für die Massenvernichtungswaffen des Irak präsentierte, wie er im UN-Sicherheitsrat mit irgendeiner Teströhre mit Waschpulver herumfuchtelte. Am Ende sind die US-Truppen im Irak einmarschiert, Saddam Hussein wurde gehängt, und später stellte sich heraus, daß es niemals Massenvernichtungswaffen im Irak gegeben hatte. Wissen Sie, es ist eine Sache, etwas zu behaupten, und eine andere, ob man sie beweisen kann. Ich sage es Ihnen nochmals: Keine russischen Soldaten…
Frage: Behaupten Sie, daß die USA lügen?
Putin: Es gibt keine Streitkräfte, keine russischen „Instrukteure“ in der Südostukraine. Und es gab niemals welche.
Frage: Sie wollen also nicht die Ukraine annektieren, und Sie haben nie versucht, die Lage dort zu destabilisieren?
Putin: Das haben wir nie getan. Die ukrainische Regierung muß sich jetzt hinsetzen und mit ihren eigenen Menschen reden, statt Waffen einzusetzen, Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber. Sie müssen den Verhandlungsprozeß einleiten...
Frage: Erkennen Sie die Souveränität der Ukraine an und ihre neutrale Haltung in Bezug auf die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen?
Putin: Ja, wir erkennen ihre Souveränität an. Mehr noch, wir hätten gerne, daß die Ukraine wie ein souveräner Staat handelt. Sich einem Militärblock oder einem anderen strikten Integrationsbündnis anzuschließen, läuft auf einen teilweisen Verlust von Souveränität hinaus. Aber wenn ein Land sich dafür entscheidet und einen Teil seiner Souveränität abgeben will, dann steht ihm das frei. Was die Ukraine und Militärblocks betrifft, das ist es, was uns Sorgen macht, denn sagen wir mal, die Ukraine tritt der NATO bei, dann wird die Infrastruktur der NATO unmittelbar an die russische Grenze verlegt, und das kann uns nicht gleichgültig sein.
Frage: Herr Präsident, russische Truppen haben kürzlich die Krim annektiert. Werden Sie die jemals zurückgeben?
Putin: Daß russische Truppen die Krim annektiert hätten, ist Einbildung. Russische Truppen haben nichts dergleichen getan. Offen gesagt...
Frage: Aber die Krim wurde Teil der Landkarte Rußlands, auf den Landkarten, wie wir sie in der Schule benutzt haben. Sie ist jetzt ein Teil Rußlands. Was war das, Annexion oder Wiedervereinigung? Welches Wort sollte man verwenden?
Putin: Wenn Sie mich ausreden lassen, dann denke ich, werden Sie sehen, was ich meine. Russische Truppen waren auf der Krim unter dem internationalen Vertrag über die Stationierung der russischen Militärbasis. Es stimmt, daß russische Soldaten den Menschen der Krim dabei halfen, ein Referendum abzuhalten, über ihre a) Unabhängigkeit und b) ihren Wunsch, sich der Russischen Föderation anzuschließen. Niemand kann diesen Menschen verbieten, ein Recht auszuüben, das in Artikel 1 der UN-Charta festgelegt ist, das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung.
Frage: Mit anderen Worten, Sie werden die Krim nicht zurückgeben? Die Krim ist Rußland, oder nicht?
Putin: In Übereinstimmung mit dem Ausdruck des Willens der Menschen, die dort leben, ist die Krim Teil der Russischen Föderation und sein Bestandteil. Ich möchte, daß alle das klar verstehen. Wir führten einen ausschließlich diplomatischen und friedlichen Dialog - das möchte ich betonen - mit unseren Partnern in Europa und den Vereinigten Staaten. Als Reaktion auf unsere Bemühungen, einen solchen Dialog zu führen und eine akzeptable Lösung auszuhandeln, unterstützten sie den verfassungswidrigen Staatsstreich in der Ukraine, und danach konnten wir nicht sicher sein, daß die Ukraine nicht Teil des nordatlantischen Militärblocks würde. In dieser Situation konnten wir nicht zulassen, daß ein historischer Teil des russischen Territoritums mit einer überwiegend ethnisch russischen Bevölkerung in ein internationales Militärbündnis eingegliedert wird, ganz besonders, weil die Menschen der Krim zu Rußland gehören wollten. Es tut mir leid, aber wir konnten nicht anders handeln...
Frage: Herr Präsident, der syrische Staatschef Baschar Assad wurde ziemlich mühelos als Präsident wiedergewählt. Können Sie ihn beeinflussen? Können Sie ihn bitten, seiner Armee zu befehlen, mit den Greueltaten aufzuhören, nicht mehr das eigene Volk zu bekriegen?
Putin: Alle Seiten dort haben sich Greueltaten schuldig gemacht, aber in erster Linie die extremistischen Organisationen, die in Syrien gedeihen. Wir sind vor allem besorgt über…
Frage: religiöse, islamische…
Putin: …die Organisationen, die direkt mit Al-Kaida verbunden sind. Es gibt dort viele davon, das bestreitet inzwischen niemand mehr. Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Aber was uns am meisten Sorge macht, ist dies, daß man mit einem falschen Vorgehen aus Syrien ein zweites Afghanistan machen könnte, einen völlig unkontrollierbaren Nährboden für die terroristische Bedrohung, auch für europäische Länder. Alle die Terroristen, die dort jetzt aktiv sind, werden schließlich in andere Länder gehen, auch nach Europa.
Frage: Wir verstehen nicht ganz, warum Sie, Wladimir Putin, der Mann, der Rußland modernisieren will, eine Person unterstützt, die das eigene Volk ermordet, die über und über mit Blut befleckt ist. Wie kann das sein?
Putin: Ich werde es ganz einfach und klar erklären und ich hoffe, daß die Mehrheit der Franzosen, die dieses Interview sehen und hören, mich verstehen werden. Wir befürchten sehr, daß Syrien auseinanderfallen wird wie der Sudan. Wir fürchten sehr, daß Syrien in den Fußspuren des Irak oder Afghanistans gehen wird. Dies ist der Grund, warum wir möchten, daß die legale Autorität in Syrien an der Macht bleibt, damit Rußland gemeinsam mit Syrien und mit unseren Partnern in Europa und den Vereinigte Staaten daran arbeiten kann, über mögliche Methoden nachzudenken, wie man die syrische Gesellschaft verändern kann, wie man das Regime modernisieren und es lebensfähiger und menschlicher machen kann...