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Neue Solidarität
Nr. 36, 4. September 2013

Wieviel Pioniergeist steckt noch in NRW?

Die Bundestagswahl könnte kaum in einer spannenderen Zeit stattfinden. Alle Ereignisse, vor denen die BüSo seit vielen Jahren warnt, insbesondere die Kriegsgefahr und der komplette Zusammenbruch des Weltfinanzsystems, rasen immer rascher auf uns zu. Kein vernünftiger Mensch kann den Tempelvorstehern Glauben schenken, wenn sie erklären, die Krise sei bald gelöst, oder daß überhaupt ein ernsthafter Wille besteht, die Krise zu lösen. Warum? Weil dieses monetäre Finanzsystem hoffnungslos bankrott ist - moralisch wie praktisch. Die Finanzelite weiß selbst, daß ihr System keinerlei Chance hat, wiederbelebt zu werden, auch wenn man in diesen Kreisen von einer zeitweiligen Krise spricht, aus der man sich raussparen könne. Ihre Bestrebungen richten sich darauf, nach dem Supercrash ein neues System, eine neue Weltordnung zu errichten, worin sie wieder eine massiv reduzierte Bevölkerung für ihre Zwecke arbeiten lassen kann.

Seit der Abschaffung des Bretton-Woods-Systems im Jahre 1973, und damit der festen Wechselkurse, hat sich verstärkt mit dem Deregulierungsprozeß des Bankensystems der letzten Jahrzehnte dieses globalisierte System wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet und immer weitere gesunde Bereiche der Realwirtschaft angegriffen.

In wohl kaum einem anderen Bundesland sind die verheerenden Folgen dieser gewollten Deindustrialisierungspolitik sichtbarer als in Nordrhein-Westfalen. In dem einst von Pioniergeist erfüllten Land, wo Produktivitätssteigerung und Wohlstand der Bevölkerung erklärtes Ziel der Wirtschaft war, wurde in den letzten Jahrzehnten und ganz besonders in den letzten Jahren ein von grüner Ideologie bestimmter Kurs eingeschlagen, der Deutschland als wichtigsten Industriestandort Europas fast schon zur Geschichte macht. Allein in den letzten fünf Jahren lag die durchschnittliche Anzahl der beantragten Insolvenzverfahren in NRW bei weit über 37.000 pro Jahr. Fast ein Drittel davon Unternehmen.

Auch die katastrophale Finanzlage der Kommunen in NRW hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Schulden stiegen 2012 gegenüber dem Vorjahr um über 53% auf 58,1 Mrd. Euro an. Die Kassenkredite, ohne die sich viele Kommunen gar nicht mehr finanzieren könnten, erreichten in Deutschland einen negativen Rekord von 48 Mrd. Euro, davon entfällt allein etwa die Hälfte auf Städte in NRW - insbesondere auf das Ruhrgebiet: Essen 2,2 Mrd. Euro, Duisburg 1,7 Mrd. Euro oder Wuppertal mit 1,5 Mrd. an Kassenkrediten sind nur einige der traurigen Beispiele.

Diese Beträge werden nur für die Deckung laufender Kosten in Anspruch genommen und für keinerlei Investitionen benutzt. So warnt der deutsche Städte- und Gemeindebund vor dem Verfall der Infrastruktur, da wegen des Sparzwangs der Kommunen keine Investitionen getätigt werden. Bundesweit herrscht bereits ein Investitionsstau von etwa 100 Mrd. Euro.

Welches Ausmaß eine derartige Selbstmordpolitik bereits erreicht hat, spiegelt sich in der Warnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands wieder: Dieser hat im März dieses Jahres wiederholt auf die erschreckende Armut im Ruhrgebiet hingewiesen, wo jedes vierte Kind in Armut lebe.

Das ist das Ergebnis einer Politik, die sich von schwarz-gelb bis rot-grün hingezogen hat und aus gut bezahlten Arbeitsplätzen im produktiven Bereich - also echter Wertschöpfung - schlechtbezahlte Jobs in der Dienstleistungsbranche machte.

Und wie begegnet man diesem Problem? Wie es die Bankenoligarchie verlangt!

Ganz „systemkonform“ wird als Hauptproblem die „erdrückenden Last der Sozialausgaben“ (NRW-Innenminister Ralf Jäger, SPD), Gesundheitswesen, Renten etc. angegeben und in den Medien dementsprechend Stimmung gemacht. Auch der Städte- und Gemeindebund NRW sieht den Hauptgrund für den Schuldenanstieg in den explodierenden Sozialausgaben etwa für Pflege, Behindertenbetreuung sowie Unterkunft und Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger. So wird nun prominent über die Schließung von Schulen, die Privatisierung von Polizeiaufgaben, der Verkauf von Parkanlagen und weiteres dergleichen diskutiert, und man glaubt, mit einem „Stärkungspakt“ der finanzstärkeren Kommunen das Problem lösen zu können - natürlich in Verbindung mit einer disziplinierteren Haushaltspolitik, ganz nach der Parole der 30er Jahre.

Schon vor etwa zehn Jahren hatte man sich des Finanzierungsproblems mit denselben Argumenten, wie bessere Wettbewerbsfähigkeit, Kosteneffizienz, Haushaltskonsolidierung etc., mit hübsch verpackten Finanzinstrumenten wie dem Cross Border Leasing zu entledigen versucht, als Köln z.B. seine Kanalisation für insgesamt 2 Mrd. Euro verkaufte oder Gelsenkirchen zahlreiche Schulen und öffentliche Gebäude veräußerte.

Auch die Swap-Geschäfte haben einen großen Teil zu der Finanzmisere beigetragen. Die Beispiele der Stadt Bergkamen und des Kreises Unna, die gegen die Geschäfte mit der ehemaligen WestLB klagten, worauf das Dortmunder Landgericht diese Geschäfte für sittenwidrig erklärte, oder der gewonnene Prozeß des Paperherstellers Ille gegen die Deutsche Bank zeigen eindeutig, daß es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, sondern um eine Methode, wie man systematisch die Kommunen als sichere Geldquelle über den Tisch zog.

Selbst schuld?

Nicht die Kommunen sind schuld, daß sie betrogen wurden:

Die zum Finanzkrach 2007-08 Anfang 2011 veröffentlichten Untersuchungsberichte in den Finanzausschüssen beider Häuser des US-Kongresses (FCIC-Bericht von Phil Angelides und im Senat von Carl Levin) machten es ganz klar: Die Deregulierung des Bankensektors und insbesondere die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes sind im hohen Maße für die Krise verantwortlich. Der FCIC-Bericht dokumentiert zudem die Kampagne, die zur schrittweisen Deregulierung der Finanzmärkte in den 80er und 90er Jahren führte, wobei ständig argumentiert wurde, man brauche mehr „Wettbewerb“ und „Innovation“. Beide Berichte haben in den USA dazu beigetragen, daß Institute wie die Deutsche Bank mit zahlreichen Klagen von Pensionskassen, Kommunen und sogar anderen Banken konfrontiert sind. Die beständige Forderung der BüSo, eine dementsprechende Untersuchung in Deutschland einzuleiten, wurde bisher vom Bundestag ebenso wie von der Regierung ignoriert. Auch der wachsenden Unterstützung für das Glass-Steagall-Trennbankengesetz, das mittlerweile als Resolution in 25 US-Landtagen vorliegt und von 75 Kongressabgeorndeten unterstützt wird, wird hier kaum Rechnung getragen. Man hält die Bevölkerung im dunkeln, verspricht mit Muckefuck-Versionen der Bankenregulierung und schärferen Kontrollen oder der Kampagne für eine Bankenunion das Blaue vom Himmel, während man stur am Slogan des damaligen Federal-Reserve-Vorsitzender Alan Greenspan ideologisch festhält: „Entfesselte Märkte erzeugen einen Grad des Wohlstands, der eine zivilisierte Existenz ermöglicht.“ Von welchem Wohlstand ist hier die Rede?

Eine neue Industrialisierung!

Zur Lösung der Krise ist eine absolute Entschlossenheit notwendig, d.h. eine kompromißlose Abkehr von der grünen Schrumpfungsideologie und der finanzfaschistischen Freihandelsdoktrin.

Die wichtigste politische Initiative dafür ist die Einführung der Glass-Steagall-Bankentrennung, womit die Geschäftsbanken von den Investment-Aktivitäten abgetrennt und nur noch sie staatlich geschützt werden. Damit würde dem Bankensektor wieder der angesehene Charakter von Industriebanken gegeben und man verhinderte den Zugriff auf private Spareinlagen zum Zwecke der Spekulation oder zur Rettung der Spekulanten, wie es in Zypern durchgeführt wurde.

Das „Investmentbanking“ würde in ein wohlverdientes Insolvenzverfahren gezwungen. Wenn dies durchgeführt ist, würde der zweite Schritt in Kraft treten: produktive Kreditschöpfung, um den realwirtschaftlichen Bereich wieder in Gang zu bekommen.

Insbesondere für NRW würde das bedeuten, daß man qualifizierte Arbeitsplätze schafft und Ausbildungsprogramme gezielt auf die Schaffung einer neuen Generation von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Forschern ausrichtet. Abgesehen von den vielen Bereichen, die in den letzten Jahren verstärkt vernachlässigt worden sind, wie die Abwassersysteme, Autobahnen, Gleisnetze, Brücken, Kanäle, etc. die in großem Umfang erneuert oder ganz ersetzt werden müssen, sind weitere Bereiche zu fördern. Wir müssen hochtechnologische Wissenschaftsprogramme anregen, bestehende Kapazitäten ausbauen und neue entwickeln: Kerntechnik, Magnetschwebetechnologie, Raumfahrt, Medizintechnik, Werkstoffentwicklung sind dabei die wichtigsten Herausforderungen, vor die uns eine wachsende Bevölkerung stellt.

Nur durch eine gezielte Ansiedlungspolitik von produktiven Betrieben kann die Dauerkrise der Kommunen überwunden werden. Durch die dadurch gesteigerten Gewerbesteuereinnahmen und die Schaffung vieler neuer produktiver Arbeitsplätze, die eine echte Erleichterung in den Kassen bedeuten würde, wäre die Finanzkrise auf langfristiger Basis gelöst.

Bis dahin muß zusätzlicher Finanzierungsbedarf durch langfristige und niedrigverzinste Kredite erfüllt werden. Damit können die Kommunen nicht nur in NRW wieder ihre Funktion bei der Strom- und Wasserversorgung, im Wohnwesen und öffentlichen Verkehr gerecht werden.

Die Finanzierung der Renten, gutbezahlte Arbeitsplätze, ein der Menschenwürde gerechtes Sozial- und Gesundheitswesen sowie eine hochqualifizierte und zukunftsorientierte Bildung stellen keinerlei Schwierigkeiten dar, sobald man die menschliche Kreativität wieder in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stellt. Wohl in kaum einem anderen Bundesland wurde dies in der Geschichte Deutschlands mehr unter Beweis gestellt als in NRW. Gerade von diesen vielen Pionieren, die entscheidend zur Industrialisierung Deutschlands und der Schaffung einer hohen Lebensqualität und Lebenserwartung beigetragen haben, sollte man heute lernen.

Die politische Führung in Europa und Deutschland hat versagt und wie sich im Wahlkampf der etablierten Parteien abzeichnet, ist keinerlei politischer Wille zu sehen, eine grundlegende Veränderung in der Wirtschaftspolitik herbeizuführen! Deswegen ist jetzt eine Bürgerrechtsbewegung unbedingt notwendig, um das Trennbankensystem auf die Tagesordnung zu setzen!

Ist es der Wall Street, der Londoner City und ihren europäischen Ablegern und Lobbyisten gestattet, unseren „Volksvertretern“ die politische Richtung weiter zu diktieren und die Interessen der Bevölkerung ihrem Willen zu opfern? Diese Frage wird von Ihrem Tun und Lassen beantwortet! Also unterstützen Sie unsere Kampagne tatkräftig mit!

Katarzyna Kruczkowski,
BüSo-Landesvorsitzende NRW