|
|
Interview. Oberst Lawrence Wilkerson war Assistent des späteren US-Außenministers Colin Powell im Nationalen Sicherheitsrat, im US-Generalstab und Leiter von Powells Stab während dessen Zeit als Außenminister.
Nach mehr als dreißig Jahren im aktiven Dienst der US-Armee und ab 1989 als Assistent von Colin Powell, als dieser noch Nationaler Sicherheitsberater unter Bush sen. war, folgte Oberst Lawrence Wilkerson Powell in gleicher Funktion in den Generalstab und später als Leiter von dessen Stab ins Außenministerium. Nachdem er sich zunächst hatte täuschen lassen, sprach sich Wilkerson später mit deutlichen Worten gegen den Irakkrieg aus, kritisierte den Afghanistaneinsatz und prangerte öffentlich die verschiedenen Verletzungen der amerikanischen Verfassung an, wie sie von den Regierungen unter Bush jun. und jetzt Obama begangen wurden. Am 22. Dezember 2011 sprach Oberst Wilkerson mit Jeffrey Steinberg von Executive Intelligence Review (EIR) unter anderem über die Gefahren, die ein Angriff auf den Iran heraufbeschwören würde. Es folgen Auszüge aus dem Interview.
Steinberg: Zunächst zwei Fragen: Erstens, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen neuen Krieg im Nahen Osten anzufangen, und zweitens, was wären die Konsequenzen, wenn Israel die Nuklearanlagen im Iran bombardieren würde?
Wilkerson: Zunächst denke ich, daß es ein höchst unpassender Augenblick ist, einen erneuten Krieg in Westasien oder, wie wir sagen, dem Nahen Osten zu beginnen. Wir haben gerade einen beendet - und das Land zerfällt vor unseren Augen; und ein anderer läuft, ohne daß ein Ende absehbar ist - der Krieg in Afghanistan. Dann den globalen Krieg gegen den Terror, der vom Horn von Afrika über Somalia bis in den Maghreb und andere Regionen Afrikas reicht und der, nach meinem Kenntnisstand, weltweit geführt wird. Wir brauchen keinen vierten Krieg.
Israel stellt hier einen unberechenbaren Faktor dar. Erstens hat Israel hat nicht die militärische Kapazität, großen Schaden im Iran hervorzurufen. Sie könnten einige Langstreckeneinsätze fliegen und einige Bomben abwerfen, aber das würde nur geringen Schaden anrichten. Bezüglich des angerichteten Schadens wären es gerade einmal Nadelstiche. Aber wie würde der Iran darauf reagieren? Würden sie Raketen gegen Tel Aviv, Haifa oder andere Ziele in Israel abfeuern? Und dann - was würden wir [die USA] tun, als Reaktion darauf?
Die reale Gefahr besteht darin, daß Israel diese Nadelstiche verabreichen könnte, weil sie darauf bauen, daß wir dann eingreifen und es dann mehr als nur Nadelstiche sind - das ist es, was ich befürchte. Die Antwort auf Ihre Frage ist, daß Israel allein nicht viel ausrichten kann, aber daß wir dann wahrscheinlich folgen werden - und dann großen Schaden anrichten.
Und zweitens: Wir brauchen sicherlich keinen neuen Krieg im Nahen Osten...
Steinberg: Mit der außergerichtlichen Tötung von Anwar al-Awlaki und einem zweiten amerikanischen Staatsbürger zu dem Zeitpunkt sowie der Ermordung seines Sohnes eine Woche später bei einem Drohnenangriff im Jemen haben wir es mit drei Fällen zu tun, bei denen amerikanische Staatsbürger getötet wurden. Aber wir kennen sicherlich nicht die Gesamtzahl der amerikanischen Staatsbürger, die inzwischen ohne rechtstaatliche Verfahren hingerichtet wurden. Könnten Sie etwas dazu sagen?
Wilkerson: Ich denke, wenn man so etwas macht - amerikanischen Staatsbürgern, ohne rechtstaatliche Verfahrenswege einzuhalten, das Leben nimmt, egal wie abscheulich ihre Taten oder was ihre kriminellen Vergehen gewesen sein mögen - dann ist das ein offener und eindeutiger Verfassungsbruch. Es gibt Leute in dieser Regierung und auch in der vorhergehenden Administration - ich habe ihr ja angehört -, die der Meinung sind, daß die ersten zehn Zusätze zur Verfassung nie hätten verabschiedet werden dürfen, weil sie eine Einschränkung ihrer Macht darstellten.
Das ist alles offen verfassungswidrig. Aber der Kongreß, von dem man annimmt, daß er die Exekutive in so einem Falle kontrolliert und auch der Gerichtshof, der die Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens sicherstellen soll, sie alle scheinen nur aus Lakaien der Regierung zu bestehen. An wen soll man sich jetzt noch wenden? Ich sage es Ihnen: An das Volk! ...
Steinberg: Wie ich weiß, sind Sie mit einer ganzen Reihe von Offizieren im Ruhestand aus Militär und Geheimdiensten in Kontakt - wie würden sie den jetzigen Moment der Krise charakterisieren? Was sollten wir unternehmen, damit wir zu unserem ursprünglichen republikanischen Erbe zurückfinden?
Wilkerson: Ich glaube das, was meine ehemaligen Kollegen, die teilweise noch aktiv sind, sei es für die Regierung, als Berater der Regierung, oder in Beobachtung dieser Regierung oder an anderer Stelle, also das was sie am meisten beschäftigt, ist die wirtschaftliche Lage. Weil jeder, vom Soldaten bis zum Akademiker, versteht, daß ohne eine starke und funktionierende Volkswirtschaft, die die Zukunft garantiert, alles andere nichtig ist. Es fehlt das Wohlergehen großer Teile unserer Bevölkerung, das aber notwendig ist - darum sprach Eisenhower immer wieder über die Mittelschicht, darum hat er die Steuern für die Reichsten auf über 90 Prozent festgesetzt, und das über seine gesamte achtjährige Amtszeit - ein guter Republikaner, nicht wahr!
Es fehlt das Gespür für das psychologische Wohlbefinden [der Bevölkerung], auf das Eisenhower bei jedem Treffen mit dem Nationalen Sicherheitsrat zu sprechen kam, oder wie er sogar oft sagte, das geistige Wohlbefinden. Wenn sich also ein großer Teil der Bevölkerung nicht in einem Arbeitverhältnis befindet, in sinnvoller Arbeit, so daß sie sich mit Zuversicht der Zukunft zuwenden können und wissen, daß es ihre Kinder einmal besser haben werden als sie selbst, sie also für solch ein Leben und auch die Zukunft arbeiten - wenn das alles fehlt, wenn es diese grundlegende stabile Volkswirtschaft nicht gibt, dann ist man verloren!
Ich glaube, dieses Problem beschäftigt meine Kollegen zur Zeit am meisten.