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Die Europäische Raumfahrtbehörde veranstaltete in Darmstadt einen spannenden Abend mit dem Raumfahrer Ulf Merbold.
Schiller: Wissenschaft
"Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt".
„Wie steigt man in ein Raumschiff ein?“ - „Wie fühlt sich die Beschleunigung beim Start der Rakete an?“ Diese und andere Fragen beantwortete der Wissenschaftsastronaut Dr. Ulf Merbold am 15. Februar in der „Langen Nacht der Raumfahrt“ in Darmstadt. Der zweite Star des Abends war „Johannes Kepler“, ein ATV-2, „automatic transport vehicle II“ (Automatisches Transportfahrzeug), das vom Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana zur internationalen Raumstation ISS gestartet werden sollte. „Johannes Kepler“ soll am 23. Februar an der ISS andocken und nach Abschluß der 109-tägigen Mission, beladen mit dem Müll der Raumstation, in der Erdatmosphäre verglühen. (Leider mußte der Start kurzfristig um einige Stunden verschoben werden, sodaß die Live-Übertragung ausfiel.)
An Bord des ATV-2 befindet sich die nächste Versorgungsfracht für die ISS; etwa 7 t Frischluft und Nahrungsmittel für die an Bord der ISS befindlichen Astronauten, sowie Treibstoff, Geräte und Anlagen für neue wissenschaftliche Experimente. Auch muß das ATV die Raumstation wieder (um ca. 40 km) in die richtige Bahn „anheben“.
Die ISS ist ein gemeinsames Projekt der Raumfahrtgesellschaften NASA (USA), Roskosmos (Russ. Föderation), ESA (Europa), CSA (Kanada) und JAXA (Japan) und seit dem Jahr 2000 permanent mit Astronauten besetzt. Im Dienste der Wissenschaft wird auf verschiedenen Gebieten wie Biologie & Medizin, Physik & Materialforschung und Astronomie & kosmische Strahlung geforscht. Allein Deutschland ist im Moment an ca. 50 Experimenten beteiligt.
„Johannes Kepler“ sowie sein Vorgänger „Jules Verne“ sind die ersten europäischen Versorgungsmissionen für die ISS und die ersten Gelegenheiten für die ESA, das Zusammenkommen zweier Raumfähren, ein sogenanntes „Rendezvous“ mit anschließendem Andocken des ATV an die ISS durchzuführen; gleichzeitig ist es die zweihundertste Mission der ESA-Trägerrakete „Ariane“.
Interessanter noch, als den Vorträgen der Astronauten und Raumfahrt-Experten zu lauschen, war es, die Begeisterung der Menschen im Publikum zu erleben. Wissenschaftler, Pensionäre, Studierende sowie Kinder samt ihren Eltern verfolgten gebannt die eindrucksvollen Schilderungen der Referenten, begleitet von im Weltall aufgenommenem Bild- und Filmmaterial, und schienen selbst emporgehoben zu sein. Was ist es, das die Menschen an der Raumfahrt begeistert und inspiriert? Und jeden Pessimismus und alle Fortschrittsfeindlichkeit unschädlich macht? Denn nicht allen Anwesenden ist bewußt, welche Bedeutung die Raumfahrt für unsere Gesellschaft und Wirtschaft hat. Die Raumfahrt ist ein Unterfangen, das den Menschen vor scheinbar unüberwindbare Probleme stellte und heute noch stellt. Daß diese Hürden von den Ingenieuren bislang gemeistert worden sind, ist nicht nur ein eindrucksvolles Zeugnis für die unbegrenzte menschliche Vorstellungskraft, sondern auch ein Segen für die Gesellschaft als Ganzes.
Ein oft übersehener Aspekt ist die Materialforschung. Um extremen Bedingungen wie Temperaturschwankungen von -200 bis +800° Celsius standzuhalten, ist die Entwicklung widerstandsfähiger, leichter Materialien erforderlich. Diese Herausforderung führt zur Entwicklung verbesserter Hochleistungsmaterialien und Fertigungsmethoden, u.a. auch im All, denn ohne Schwerkraft lassen sich besondere chemische Verbindungen und Metallschmelzen herstellen, die dann als Proto-Typ für die irdische Forschung benutzt werden. Nach und nach werden diese Werkstoffe in anderen Industriezweigen angewandt. So wurde schon durch die Apollo-Mission der Automobilbau revolutioniert sowie sämtliche Baugewerbe durch verbesserte Schweißtechnik, leichtere und robustere Verarbeitungsmaterialien und verbesserte Produktionsprozesse weiterentwickelt und Gebäude und Infrastruktur stabiler, günstiger und sicherer gemacht. Auch das oft gepriesene Zeitalter der Informationstechnologie hätte wohl niemals verkündet werden können, hätten die Raumfahrzeuge keine sicheren Kontrollsysteme gebraucht. Der größte Nutzen liegt wahrscheinlich in den Satellitenbildaufnahmen und Wetterkarten, mit deren Hilfe man Unwetter und andere Naturkatastrophen schneller vorhersehen kann.
Aber, wie gesagt, nicht nur Katastrophen können auf diese Weise beherrschbar sein, auch der alltägliche Flugverkehr z.B. wäre ohne diese Warnsysteme ein riskanteres Unterfangen. Auch andere Großprojekte, wie die Wiederauffüllung des Tschadsees in Afrika, können durch die Vermessung und Erkundung der geographischen Gegebenheiten aus dem Weltall viel schneller realisiert werden, als man es vor 50 Jahren je für möglich gehalten hätte.
Allein monetär betrachtet kam schon durch jeden für das Apollo-Vorhaben verwandten Cent das Zehnfache an Gewinn für die Gesamtwirtschaft heraus, sei es durch neue Patente oder neue Industriezweige. Aber gerade auch Dinge, die sich nicht direkt durch einen Geldwert ausdrücken lassen, wie die Verbesserung der Lebensqualität oder eine hoffnungsvollere Zukunftsvision würden durch das nie endende Wissenschaftsprojekt Raumfahrt entstehen.
Anstatt jedoch Einzelheiten zu betrachten, sollten wir die Raumfahrt als Teil des Prozesses menschlichen Fortschritts betrachten. Ähnlich wie die industrielle Revolution die ganze Gesellschaft, den Lebensstandard der Menschen, ihre Art zu produzieren und über Wirtschaft und Ressourcen nachzudenken um einen gewaltigen Sprung vorwärts gebracht hat, muß nun ein ebenso bedeutender Sprung erzeugt werden. Und hier weist uns die Raumfahrt den Weg.
Indem wir uns nämlich den bemannten Flug zum Mars zum Ziel setzten, werden wir viele Hürden meistern müssen, wie etwa den kernfusionsgetriebenen Antrieb, denn mit einem Verbrennungsmotor würde die Fahrt drei Jahre dauern. Die nächste Frage eröffnet sogleich ein neues Gebiet der Wissenschaft: Welchen Einfluß üben kosmische Prozesse und Strahlungen auf das Leben auf der Erden aus, und wie kann man diese Strahlenverhältnisse künstlich im Raumschiff und langfristig auch auf anderen Planeten kontrollieren und erzeugen? Dadurch wird allmählich unser Verständnis über die lebenden Prozesse zunehmen, sodaß wir diese aktiv steuern können, z.B. durch die Schaffung eigener Wetterkreisläufe oder die Erzeugung eines kontinuierlichen Niederschlags, wo früher nur Wüste war. Aber auch ein tieferes Verständnis des menschlichen Organismus in Zusammenhang mit kosmischen Strahlungen wird uns neue Einsichten in die Therapie von Krankheiten wie Krebs oder Osteoporose bringen.
Wie der Astronaut Ulf Merbold, angesichts der Privatisierungspläne Obamas für die NASA, richtig feststellte, sollten wir Europäer nicht warten, bis uns die Amerikaner oder die Russen ins All befördern, vor allem, da die europäische Technologie auf dem Gebiet überlegen ist. Stattdessen können wir mit der Entwicklung eigener bemannter Missionen voranschreiten und neue Wissenschaftszentren samt Millionen neuer Arbeitsplätze in Forschung und Produktion erschaffen.
Gerade in der heutigen moralischen Krise unserer Gesellschaft kann die Raumfahrt der Rettungsanker sein, um besonders die Jugendlichen zu inspirieren, die Welt mit anderen Augen zu sehen: Als eine Welt voller Möglichkeiten, sein kreatives Potential für das Wohl der Gesellschaft zu nutzen und die durch die Globalisierung nahezu verlorengegangenen Werte bei der heutigen Jugendgeneration zu festigen. Dann kann die Entwicklung der Kultur nicht mehr aufgehalten werden und die wahre Natur des Menschen als größtem Entdecker und Wissenschaftler im Universum zur vollen Entfaltung gelangen.
Eugenia Fix