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Am 29. September veröffentlichte die Wochenzeitung Corriere della Sera den Wortlaut des geheimen Briefes der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 5. August an die italienische Regierung. Er zeigt schonungslos, wie ungeheuerlich die supranationale „Governance“ jetzt schon über den Kopf demokratisch gewählter Regierungen hinweg entscheidet, und gibt einen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten ist, wenn dieses System, wie von den EU-Institutionen und Finanzmärkten geplant, ausgebaut wird.
Der EZB-Vorsitzende Jean-Claude Trichet und sein designierter Nachfolger Mario Draghi haben den Brief unterzeichnet. Trichet antwortete noch bei einer Pressekonferenz am 8. September auf eine Frage von EIR, ob der italienischen Regierung in dem Brief Maßnahmen diktiert würden: „Das sind Mitteilungen - wir diktieren oder zwingen zu gar nichts.“
Aber wenn man den Text liest, ist „Diktat“ eher noch eine Untertreibung. Er ist in Ton und Inhalt unverschämt, Corriere nennt ihn „sicherlich außerhalb des Rahmens der klassischen Zentralbankliturgie“ und „sehr scharf, an Zynismus grenzend“.
Trichet und Draghi fordern die „völlige Liberalisierung lokaler öffentlicher Dienstleistungen und professioneller Dienste“, vor allem durch „umfangreiche Privatisierungen“, den Ersatz von Tarifverträgen durch „Vereinbarungen auf Unternehmensebene“, Lockerung des Kündigungsschutzes, Erreichung eines 1%-Defizits 2012 durch Haushaltskürzungen im Umfang von 3% des BIP, Erhöhung des Rentenalters für Frauen in der Privatwirtschaft, „beträchtliche Senkung der Kosten für Staatsbedienstete..., notfalls durch Gehaltskürzungen“, Abschaffung von Provinzregierungen, Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung und „Leistungskataloge“ in Gesundheits-, Bildungs- und Justizwesen.
Besonders ominös ist die Empfehlung, dies durch Exekutivanordnungen zu bewirken: „Angesichts des Ernstes der aktuellen Finanzmarktlage halten wir es für wesentlich, alle oben in Abschnitt 1 und 2 aufgelisteten Maßnahmen so bald wie möglich per gesetzlichem Dekret zu beschließen, gefolgt von parlamentarischer Ratifizierung bis Ende September 2011. Eine Verfassungsreform zur Verschärfung der Ausgabenpolitik wäre ebenfalls angemessen.“
Die EZB hat nach eigenen Angaben früher ähnliche Briefe an andere Regierungen verschickt, u.a. Spanien, Irland und Portugal. Die EU-Demokratien stehen praktisch also schon seit längerem unter Zwangsverwaltung, obwohl deren Irrsinn z.B. im Falle Griechenlands offensichtlich ist, wo sich die Haushaltslage durch die EZB-Therapie nur noch weiter verschlechtert hat. Auch die Zinsen italienischer Staatsanleihen erreichen trotz der Aufkäufe durch die EZB wieder Krisenniveau.
Mehr EU-„Governance“ wird alles nur noch verschlimmern. Der Großspekulant George Soros forderte kürzlich, die EZB solle als „europäisches Finanzministerium“ agieren, bis ein solches durch einen neuen EU-Vertrag geschaffen wird. Die EZB würde dann nicht nur Großbanken übernehmen und direkt deren Kapital und Vermögenswerte refinanzieren, sondern auch den Haushalt von Ländern wie Italien und Spanien verwalten. Sonst sei der Euro nicht zu retten, meinte Soros.
eir