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Neue Solidarität
Nr. 31, 3. August 2011

Wie die Deregulierung unsere Landwirtschaft zerstört hat -
und wie wir sie retten können

Erwin Schöpges, Präsident der belgischen Vereinigung der Milchbauern (MIG), hielt auf der Rüsselsheimer Konferenz des Schiller-Instituts den folgenden Vortrag.

Guten Tag! Bonjour à tout le monde! Es tut mir leid. Leider kann ich kein Englisch, also werde ich auf Deutsch sprechen.

Kurz zu meiner Person: Ich heiße Schöpges Erwin, ich komme aus Belgien, aus dem deutschsprachigen Gebiet Belgiens. Ob es überhaupt noch ein Belgien gibt, stellt sich momentan auch die Frage - wir haben seit über einem Jahr keine Regierung mehr. Deswegen muß man sich wirklich die Frage stellen, ob es Belgien überhaupt noch gibt.

Ich bin von Beruf aktiver, hauptberuflicher Milchbauer. Ich bewirtschafte einen Milchbetrieb mit einer Quote von 500.000 Liter. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, einen Sohn, der 19 ist, und eine Tochter, die 16 ist.

Ich möchte euch kurz mal erklären: Das Thema Landwirtschaft ist im Endeffekt ein Thema, das viel, viel wichtiger ist, als ihr euch vielleicht bewußt seid. Zuerst mal ein bißchen Historie, wie ich meinen Betrieb aufgebaut habe und wie man mich erzogen hat:

Als ich vor 25 Jahren den Betrieb meiner Eltern übernommen habe, hatten wir 25, 30 Milchkühe. Wir produzierten damals 125.000 Liter Milch auf dem Hof. Mein Vater, meine Mutter und die ganze Familie lebte von diesem Betrieb.

Als ich den Betrieb dann übernommen habe, war das erste, was man mir sagte damals: Dein Betrieb ist zu klein, er ist nicht überlebensfähig. Du mußt ihn so schnell wie möglich verdoppeln. Ich war jung; also, was habe ich gemacht? Ich habe meinen Betrieb von einer 125.000-Liter-Quote auf eine 300.000-Liter-Quote erhöht, d.h. ich habe meine Produktion innerhalb von 10-15 Jahren verdoppelt.

Als ich meinen Betrieb verdoppelt hatte, kamen wieder die traditionellen Bauernverbände und die Politik und haben mir gesagt: „Hör mal zu, dein Betrieb ist immer noch zu klein. Du mußt wieder verdoppeln. Dann hat vor 5-6 Jahren mein Nachbarbetrieb aufgehört. Was habe ich gemacht? Er hatte eine Quote von 200.000 Litern Milch. Also habe ich diesen Betrieb auch noch übernommen Das heißt, ich habe mich in den letzten 25 Jahren fast verdreifacht in meiner Produktion.

Heute ist mein Sohn 19. Heute will mein Sohn den Betrieb übernehmen. Heute sagt man meinem Sohn: „Tut mir leid. Mit deinem Hof hast du absolut keine Chance. Du mußt ihn mindestens verdoppeln, d.h. du mußt mindestens 1 Millionen Liter Milch auf deinem Hof produzieren - und das mit einer Arbeitskraft.

Und irgendwann stellt man sich dann die Frage: Will ich diesem ganzen System folgen, oder gibt es da noch was anderes? Also habe ich mich vor fünf Jahren entschlossen, politisch aktiv zu werden und mal nachzudenken und mal nachzuforschen. Und seit fünf Jahren habe ich mich jetzt dem Euopean Milkboard angeschlossen, einer Organisation, wo Milchbauern aus 14 Ländern zusammen sind und die mittlerweile über 100.000 Mitglieder hat.

Wie ist die Situation auf den Höfen? Fast europaweit sind die Höfe verschuldet. In Dänemark sind die Höfe mittlerweile soweit verschuldet, daß die Bauern kein Kapital mehr zurückzahlen können, sondern es werden nur noch Zinsen gezahlt. Und da sieht man wieder, wo die gesamte europäische Politik hin will: Man soll kein Kapital zurückzahlen, sondern es sollen nur noch Zinsen gezahlt werden.

Und die Entwicklung auf den Höfen ist mittlerweile so, daß die Betriebe so stark verschuldet sind, daß viele Betriebe - ich will nicht sagen „alle“, aber die meisten Betriebe - mittlerweile den Banken gehören. Die Betriebe gehören nicht mehr den Bauern. Die Betriebe gehören der Industrie - Nestle, Danone. Alle diese Industriebetriebe kaufen mittlerweile die Höfe mit 1000, mit 2000 Kühen auf, und die Bauern bleiben nur noch auf den Höfen als Arbeiter, als Sklaven auf Höfen, die ihnen nicht mehr gehören.

Und hinter diesem ganzen System steckt System. D.h. die Banken, das Großkapital, die Industrie will sich die Nahrungsmittelproduktion in Zukunft unter den Nagel reißen. Sie wollen Herrscher über die Nahrungsmittelproduktion weltweit werden. Die Banken, so wie dieses Großkapital, kaufen überall Land auf. Selbst in den kleinsten Gemeinden wird Boden, der verkauft wird, von diesen Banken und Industriellen eingekauft. Und ich glaube, es muß jedem bewußt sein, daß sie die Energie in ihren Händen verheizen. Wenn diese Leute auch noch Herrscher werden über die Nahrungsmittelproduktion, dann ist das nächste, was sie sich aneignen werden, das Wasser. Sie werden Herrscher. Das Wasser wird privatisiert werden. Und wenn man diese drei Sachen in seiner Hand hat, dann beherrscht man die ganze Welt.

Die Bauern sind da, um die Bevölkerung zu ernähren. Und man hat uns mittlerweile eine Abhängigkeit geschaffen, Abhängigkeit von Banken und Abhängigkeit von Subventionen - von Prämien, die wir bekommen. Ohne diese Prämien können wir unsere Höfe nicht mehr erhalten. Dies hat die Politik auch ganz schlau gemacht. Somit sind wir abhängig. Sobald wir irgendwelche Normen nicht erfüllen, bekommen wir sofort wieder Prämien abgezogen. Und so ist es ein Leichtes, uns dahin zu bringen, daß wir nichts mehr zu sagen haben.

Und deswegen ist unsere Position, die wir ganz klar verteidigen: Wir brauchen kostendeckende Erzeugerpreise für den Bauern. Egal in welchem Sektor. (Applaus.)

Wir wollen diese Prämien nicht und wir wollen diese Subventionen nicht.

Heute morgen hat man von der Bankenkrise gesprochen. Ich glaube, es war keine Bankenkrise. Es war nur eine Krise für den „kleinen Mann“, für die Bevölkerung. Und wir hatten eine Milchkrise, und man hat damals davon gesprochen, daß es eine Molkereikrise ist. Nein! Die Molkereien haben ihre Gewinne gemacht.

Die Einzigen, die dafür bezahlt haben, waren wir Bauern. Wir haben Milchpreise bekommen von 20, 18 bis unter 15 Cent für einen Liter Milch. Und wenn man bedenkt, daß uns ein Liter Milch 40 Cent kostet und die Molkereien haben den gleichen Gewinn gemacht - wer hat bezahlt? Das waren wir Bauern und sonst niemand! Es war also eine Krise der Bauern und nicht der Molkereien.

Also haben wir beschlossen: Was machen wir jetzt? Als der Milchpreis so tief war - wir mußten ja irgendwie reagieren. Wir haben uns europaweit gebündelt, wir haben Aktionen gemacht, wir haben das ganze europäische Viertel in Brüssel während zwei Tagen mit Schleppern besetzt. Wir sind tagelang quer durch Europa mit den Schleppern nach Brüssel gefahren. Ich weiß nicht, wie oft wir in Brüssel waren, um Druck zu machen, eine Umkehr von diesem Liberalismus zu erreichen.

Aber wir haben gesehen, daß alles nichts genützt hat. So haben wir uns irgendwann im September 2009 entschlossen, einen Lieferstreik zu machen, d.h. wir haben 14 Tage lang keine Milch mehr abgeliefert, weil wir wirklich keinen Ausweg mehr sahen. Der Höhepunkt dieses Streikes war in Belgien, als wir in Ciney an einem Tag drei Millionen Liter Milch während einer halben Stunde bis zwei Stunden auf die Felder gefahren haben.

Man muß sich vorstellen: Leute hungern. Leute hungern in Afrika. Leute hungern in Europa, und man zwingt uns, unsere Milch auf die Felder zu fahren!

Wir hatten damals erwartet, daß wir jetzt so scharf von den Dritte-Welt-Organisationen attackiert werden, welche Frechheit das wäre. Und ich selbst, der sich um die Organisationen gekümmert hat, ich konnte es kaum fassen, daß wir die meiste Unterstützung von diesen Organisationen bekommen haben.

Und warum? Weil die Politik unsere Milch mit Exportsubventionen nach Afrika, in diese schwächeren Länder exportiert hat und dort den kleinen Bauern zerstört hat. Weil wir das Pulver billiger anbieten konnten als der kleine Bauer mit seinen 3-4 Kühen. Und so haben wir Bauern mit unserem tiefen Milchpreis - wir gingen vor die Hunde, aber auch dieser kleine Bauern, der ums Überleben kämpfte, den haben wir gleich mit zerstört. Und deshalb war das wirklich ein Zeichen, daß diese Politik, diese europäische Politik, absolut falsch ist. (Applaus).

EU als Nahrungsmittelspekulant

Welche Reaktionen hat die Politik noch gezeigt? Sie macht Interventionen. Was heißt „Intervention“? Intervention heißt Lagerhaltung. Das heißt, die EU-Politik, oder die EU Kommission, kauft Milch zu Dumpingpreisen, wenn sie ganz tief ist, aus dem Markt, lagert sie ein, und sobald sich der Preis erhöht - irgendwann ist eine Knappheit da, dann steigt der Preis. Und sobald der Preis ein bißchen steigt, verkauft diese EU-Kommission diese Milch wieder zu einem höheren Preis.

Uns hat man gesagt, diese Intervention ist da, um euch zu helfen, den Milchpreis nach oben zu bringen. Aber gleichzeitig hat sich die EU-Kommission mit dieser Spekulation - die EU ist für mich einer der größten Spekulanten mit Milchprodukten - sie hat sich selber durch die Krise, die wir hatten, bereichert, weil sie die Milch billig eingekauft hatte, sie eingelagert hat und hinterher zu höheren Preisen wieder verkauft hat. So arbeitet die europäische EU-Politik.

Was will die Politik jetzt machen? Im Endeffekt hat sie beschlossen, sie will sich aus der Verantwortung zurückziehen. Das heißt, im Moment haben wir eine Milchquote, was für jeden Hof ein Lieferrecht bedeutet, d.h. du hast die Sicherheit: Diese bestimmte Menge kannst du produzieren. Und jetzt haben sie beschlossen, daß dieses absolut liberalisiert werden soll.

Jetzt sind die Molkereien natürlich da und sagen: Wir können nicht Unmengen von Milch aufnehmen. Jetzt wird diese Regulierung der Produktion an die Molkereien übertragen werden.

Jetzt müßt ihr wissen: 60-70% der Molkereien sind Genossenschaftsmolkereien. Genossenschaftsmolkereien gehören ja im Endeffekt uns Bauern. Also müßte das ja eigentlich perfekt sein. Doch das Komische daran ist mittlerweile, daß Molkereien, die Genossenschaften sind, das operative Geschäft ausgelagert haben aus den Molkereien, und diese in Aktiengesellschaften umgewandelt haben. Also die Bauern sind nur noch zuständig für das Einsammeln der Milch, die Vermarktung machen nur noch diese Aktionäre.

Diese Aktionäre wollen natürlich den größtmöglichen Profit davon haben. Und so wird in Zukunft immer mehr - man sieht es jetzt schon mit Getreide -, es wird in Zukunft immer mehr spekuliert werden mit Milchprodukten. Und mit den Nahrungsmitteln. Mit dieser Spekulation ist immens viel Geld zu verdienen. Und deshalb ist der Sinn davon: steigende Preise kurzfristig und dann langfristig relativ tiefe Preise. So kann der Spekulant sein bestes Geschäft machen. Und das ist etwas, womit wir absolut nicht einverstanden sind.

Wir werden auch in eine Vertragslandwirtschaft hinein gezwungen. Das heißt, wir müssen Verträge machen über unsere Liefermengen, die wir produzieren können. Ein Beispiel: Ich mache jetzt einen Vertrag mit meiner Molkerei über 100.000 Liter Milch, die ich für dieses Jahr liefere, zu einem festgesetzten Preis - nehmen wir mal an: 30 Cent. Jetzt liefere ich aber nur 90.000 Liter, weil ich Probleme habe, meine Produktion zu erreichen. Die Kühe sind keine industrielle Maschine, da kann das passieren.

Jetzt sagt die Molkerei: Hör mal zu, du hast einen Vertrag gemacht für 100.000 Liter. Uns fehlen 10.000 Liter. Dann werden wir dazu gezwungen werden, Strafe zu bezahlen für Milch, die wir nicht geliefert haben. Liefern wir jetzt aber 110.000 Liter Milch, weil die Kühe ein bißchen mehr gegeben haben, sagt die Molkerei: Wir hatten einen Vertrag von 100.000 Litern, jetzt lieferst du uns 10.000 Liter zu viel. Die müssen wir am Weltmarkt wieder absetzen. Dann müssen wir für diese 10.000 Liter wieder Strafe zahlen. Und so hat es die Industrie immer leicht, an billige Milch zu kommen, weil wir sie ihnen vertraglich ja zusichern müssen. Und diese Milch, die sie billig einkaufen, die können sie wieder exportieren. Mit der können sie wieder Spekulationen machen.

Wer wird am Ende diese Zeche zahlen? Es werden viele Bauern aufhören. Man sieht es ja bei uns. Immer mehr geben auf. Ich bin selbst am überlegen, ob ich meinem Sohn den Hof noch weitergeben soll, weil er sich dann noch tiefer verschulden muß und sich noch tiefer in die Abhängigkeit reinbringen muß und uns hinterher nichts mehr gehört. Es werden viele Bauern verschwinden.

Okay, dann sind eben weniger Bauern da, Hauptsache die Nahrungsmittel werden produziert werden. Nur eins ist Fakt, das ist sicher und das ist auch so gewollt: Die Zeche zahlt der Verbraucher, denn wenn diese Kontrolle von den Nahrungsmitteln erst mal da ist, dann wird der Verbraucher für ein Produkt - egal welches Produkt - mehr bezahlen müssen und der Produzent wird immer weniger kriegen. D.h. diese Industriellen werden das große Geschäft machen, und der Verbraucher wird uns hinterher vorwerfen: Schaut mal, was wir für eure Produkte bezahlen müssen. Und wir können hinterher nicht mehr dagegen setzen, daß wir nichts dafür bekommen. Und ich glaube, dazu ist es wirklich wichtig, daß sich die Bauern mit den Verbrauchern, mit dem Volk zusammen tun, um diesen Industriellen Paroli zu bieten. (Applaus)

Der Ausweg

Wie kommen wir jetzt da raus? Ich denke, nur kritisieren, nur sagen: Ja, das ist Scheiße, nur jammern, nur weinen - das haben wir lange genug gemacht, wir Bauern. Wir müssen uns wirklich überlegen, wie wir da raus kommen. Und es ist ganz klar unsere Position des European Milk Board: Wir brauchen einen Systemwechsel, wir brauchen eine Agrarrevolution.

Es war wichtig, aktive Aktionen zu machen, um unseren Verband bekannt zu machen. Es ist natürlich auch wichtig, als Organisation seriös zu sein. Als unseriöse Organisation wird man kein Gehör bei der Politik finden. Es ist natürlich wichtig, im Moment Lobbyarbeit zu machen. Ich habe zuletzt Lobbyarbeit gemacht. Ich habe mich mit 20-30 EU-Parlamentariern getroffen, ich habe mit EU-Kommissar Ciolos geredet, mit Karel De Gucht, der für den Handel zuständig ist.

Ich frage mich, wie es möglich ist: Diese Lobbyarbeit ist das Schlimmste, was man machen kann in seinem Leben. Das ist Arschkriecherei. Die Leute versprechen dir alles. Sie geben dir ihr Wort: Ja, ja du hast recht, das ist wichtig. Du hast die Tür noch nicht hinter dir zugemacht, da steht da schon die Milchindustrie oder irgendwelche Banken, und die haben so viel Geld. Ich habe es heute morgen schon gehört. Es hat mir nicht gefallen. Die haben so viel Geld, ihre Lobbyarbeit zu machen. Wir haben kein Geld. Wir können die Politik nur überzeugen, indem wir mit vernünftigen Argumenten kommen.

Und wir haben jetzt ein klares Konzept. Wir brauchen in Zukunft eine flexible Mengenregulierung. Das Angebot muß an die Nachfrage angepaßt werden. Es nützt nichts, irgendwelche Produkte zu produzieren, die man nicht braucht und dann zu Dumpingpreisen absetzt. Um eine Menge zu regulieren, brauchen wir ein einzelbetriebliches Lieferrecht. Wie will man eine Menge, eine große Menge an Milch, 1,35 Milliarden Liter Milch - wie will man die regulieren, wenn man nicht pro Hof eine einzelne Menge hat, die man alle drei bis vier Monate anpassen kann. Ist zu viel Milch da, geht man ein halbes Prozent nach unten, ist zu wenig Milch da, dann steigert man eben seine Produktion um ein Prozent.

Wir brauchen absolut in Europa ein einheitliches System. Die Europäer, die europäische Politik will in Zukunft jedes Land sein eigenes System machen lassen wie es will. Jedes Land soll sich entscheiden können ob es ein total liberales System macht. Aktuell haben die Deutschen gesagt: Unsere deutschen Bauern können liefern soviel wie sie wollen. Wir werden alles irgendwie absetzen. Die Franzosen wollen eine Vertragslandwirtschaft machen, die Belgier wissen es noch nicht, die Holländer sagen auch „Wir werden produzieren soviel wie wir wollen“. Die anderen wollen eine Mengenregulierung haben.

Und wenn wir in Europa kein einheitliches Mengenregelsystem machen, wird er wieder von vorne anfangen, der Kampf zwischen den deutschen Bauern und den holländischen Bauern und den französischen Bauern. Wir werden uns wieder gegenseitig unsere Preise kaputt machen und im Endeffekt brauchen wir kein Europa mehr. Dann sollen sie Europa abschaffen. Wenn nur noch jedes Land in Europa seine eigene Politik machen kann, dann denke ich mir, sind wir dabei, Europa zu zerstören, und ich denke, das ist absolut nicht der Sinn der Sache.

Wie können wir dies regeln? Wir brauchen als Dachorganisation eine Monitoringstelle. Dort müssen wir Bauern vertreten sein. Wir Bauern müssen unseren kostendeckenden Preis dort festlegen. Es ist absolut machbar für Europa, einen Preis, einen Minimumpreis, den die Bauern haben für ihre Kosten, zu ermitteln. Wir brauchen die Molkereien, die dort vertreten sind, und die sagen, wieviel Milch benötigt wird. Die Molkereien müssen auch mitbestimmen, wenn zuviel Milch da ist, müssen sie uns Bauern sagen „Leute, ihr produziert  zu viel. Wir müssen die Menge ein bißchen runterfahren oder ein bißchen rauffahren.“

Was absolut wichtig ist: Auch die Verbraucher müssen dort anwesend sein, damit wir kein Kartell zwischen Bauern und Molkerei machen und im Endeffekt der Verbraucher wieder die Zeche zahlt, weil wir uns überhöhte Preise machen. Deswegen müssen wir den Verbraucher auch mit einbeziehen.

Aber die Politik soll sich auch nicht herausstehlen. Sie soll den Rahmen schaffen, damit wir dies legalisieren können. Es ist absolut wichtig, daß die Produktion von Nahrungsmitteln nicht in die Hand von diesen Industriellen, von Großkapital und von Banken kommt. Das muß absolut verboten werden. Das Land soll den Bauern gehören, die darauf arbeiten, und nicht diesen Großkapitalisten, die uns alles wegnehmen, so daß uns nachher nichts mehr gehört.

Für den Verbraucher ist es absolut wichtig, daß er in Zukunft Nahrungsmittel kriegt zu zahlbaren Preisen. Aber dem Verbraucher muß auch klar sein, daß diese Preise beim Bauern ankommen müssen. Die Industrie, die Geschäfte, die sollen ihren Gewinn machen. Aber einen vernünftigen, einen korrekten Gewinn...

Nur eine kurze Erläuterung: In Kanada bekommt der Bauer mehr für seine Milch als in Amerika. In Kanada bezahlt der Verbraucher weniger für seine Produkte als in Amerika, wo die Preise für den Bauern tiefer sind. Hier sieht man, daß es absolut nicht nötig ist, daß der Verbraucher mehr bezahlt, wenn wir Bauern den Preis bekommen der unsere Kosten deckt. Wenn die Gewinnspanne richtig verteilt ist, glaube ich, kann jeder dafür liefern.

Genauso ist es wichtig, daß wir Bauern unabhängig und frei bleiben. Und ich denke, das gleiche gilt für die Politik. Ich habe es jedesmal zu hören bekommen, daß die Politik abhängig ist von diesen Leuten, die die Nahrungsmittel in den Händen halten. Die Politik ist abhängig von diesem Geld. Weil so viel Geld bezahlt wird, daß es sich die Politik im Moment nicht mehr erlauben kann, auf dieses Geld zu verzichten. Und wenn wir in Zukunft eine unabhängige, freie Politik haben wollen, dann muß sie auch dafür sorgen, daß die Bauern, daß die Bevölkerung, daß die Industrie unabhängig arbeiten können.

Ein anderer Punkt, was wir machen, ist - wenn wir Druck auf die Politik ausüben wollen, wenn wir Bauern, wenn wir alle unser Schicksal noch mal selbst in die Hand nehmen. ich denke, immer nur Jammern, Kritisieren, das kann jeder. Das ist das Leichteste. Aber aktiv werden, sich bewegen, mit neuen Ideen zu kommen, dies ist viel schwieriger.

Also haben wir jetzt in Belgien beschlossen: Wir haben eine neue Genossenschaft gegründet, eine Genossenschaft, an der inzwischen 450 Bauern in ganz Belgien beteiligt sind. Und diese Genossenschaft heißt FAIRCOOP. Wir haben unsere eigene Marke kreiert, unser eigenes Label. Unsere Marke heißt FAIRBEL. Das ist im Endeffekt zweideutig - „FAIR“ für fair, und BEL für Belgien, aber auch für „faire“ und für „rebel“. Wer Französisch spricht, der weiß, „faire“ heißt „machen“, und „rebel“, das weiß, glaube ich, jeder. Deshalb haben wir dieses Wortspiel ausgesucht. Und es ist absolut wichtig, daß wir diese Marke „FAIRBEL“ auf den Markt bringen. Faire Milch, bei der von jedem Liter, der verkauft wird, 10 Cent an die Bauern bezahlt wird und dies hinterher an alle Bauern der Genossenschaft verteilt wird.

Auch bei uns Bauern muß ein Umdenken kommen. Wir müssen nochmals den Kontakt zu den Verbrauchern suchen. Wir sind es mittlerweile gewöhnt gewesen, und das hat man mir oft genug vorgeworfen: Ihr Bauern stellt eure Milch am Hof ab, hier wird sie abgenommen und ihr könnt sicher sein, daß sie abgenommen wird. Ein schöneres Leben gibt’s nicht.

Das stimmt. Wir sind sicher, daß wir sie abgenommen bekommen. Man nimmt unsere Milch ab. Aber ich weiß erst sechs Wochen später, was ich für diese Milch bekomme. Wo gibt es noch einen solchen Handel, daß man ein Produkt verkauft wo man erst in sechs Wochen erfährt, was man für dieses Produkt bekommt? Wir haben mittlerweile die halbfette Milch, wir haben mittlerweile die Schokoladenmilch, wir haben mittlerweile unser eigenes Eis bekommen.

Und ich glaube, daß wir wirklich gemerkt haben: Mit diesem Konzept können wir enormen Druck auf die Politik machen. Denn auf einmal stellt sich die Frage: „Wie, die Bauern machen das selbst? Halt! Da müssen wir aufpassen!“

Wir haben in Belgien eine Molkerei gesucht, die uns diese Milch verpackt und die wir dann an den Einzelhandel weiterverkaufen können. Keine Molkerei in Belgien hat sich bereit erklärt, für 400 Bauern in Belgien die Milch abzupacken. Das zeigt uns wieder, wie weit wir gekommen sind. Und deswegen sind wir gezwungen worden, nach Luxemburg  zu gehen; dort haben wir eine Molkerei gefunden, die die Milch für uns abfüllt, die wir dann wieder in den Einzelhandel reingeben können...

In Belgien ist es auf jeden Fall so: 80-90% der Produkte, die ihr in den Geschäften kauft, sind unter der Marke des Einzelhandels. Geht in den Aldi rein, geht in Carrefour, geht in den Lidl rein - 90% der Produkte, die Marken, die dort stehen, gehören dem Einzelhandel. Und dadurch, daß sie die Besitzer dieser Marken sind, können sie jeden Produzenten, der da liefert, egal welches Produkt es ist, beliebig ausspielen. Und durch diese Marken haben sie sich den ganzen Lebensmittelsektor gesichert. Und dort reinzukommen mit einer eigenen Marke, das versucht der Einzelhandel natürlich zu verhindern.

Aber dadurch, daß wir diese ganzen Aktionen gemacht haben, diese Blockaden des Einzelhandels während einer oder zwei Wochen, der Zentrallager, da wir diese Aktionen in Brüssel gemacht haben, fürchtet mittlerweile der Einzelhandel, wir könnten nochmals in Aktion treten und nochmals Druck auf sie ausüben und sie nochmals besetzen.

Und deswegen ist es absolut wichtig: Wenn man die Politik verändern will, und wir können die Politik verändern, wir sehen es. Es fängt langsam ein Umdenken an, und das heißt: Wir müssen in Aktionen sein, mit seriösen Aktionen, mit aggressiven Aktionen. Aber wir dürfen keine Schlägertypen werden, keine brutalen Menschen werden, sondern wir müssen diese Leute unter Druck setzen, daß sie zu einem Umdenken gezwungen werden. Nur lauter Reden halten und nur mit der Fahne schwenkend durch die Gegend laufen, damit werden wir keine Politik verändern.

So, ich denke, das reicht. Ich denke, es ist schon spät. Ich bin froh, daß ich unter diesen ganzen Professoren, Studenten, Akademikern als einfacher Bauer hier die Chance bekommen habe zu reden, und ich habe hier so viele junge Menschen in dem Saal getroffen. Ich wußte im Endeffekt nicht, worauf ich mich eingelassen habe, heute hierher zu kommen. Karel kenne ich sehr gut, ich habe einen sehr guten Kontakt mit ihm. Er hat mich gefragt, „Kommst du hierhin?“, und ich habe gesagt „Okay, ich komme.“

Ich habe so viele junge Menschen hier gesehen, und ich will diesen jungen Menschen wirklich Mut zusprechen, sich zu engagieren. Es lohnt sich! Es ist ein harter Weg. Es ist ein schwerer Weg. Es kostet  viel Kraft, viele Emotionen. Aber ich möchte wirklich diesen jungen Menschen - natürlich auch allen Älteren - die jetzt hier sind, Mut zusprechen, weiter zu kämpfen. Aber gerade den Jungen. Kämpft um eure Zukunft, denn die Zukunft gehört euch! Und wenn wir diese Zukunft, die wir jetzt haben, in den Händen von diesen Banken, diesem Großkapital lassen, dann werdet nicht nur ihr, dann werden eure Kinder hinterher die Zeche zahlen. Und ich denke, wir sind unseren Kindern, unseren Eltern, unseren Großeltern schuldig, uns einzusetzen, damit dies nicht passieren kann.

So. Danke.


Den ersten Teil der schriftlichen Dokumentation der Konferenz des Schiller-Instituts finden Sie in der Neuen Solidarität 28/2011, den zweiten Teil mit den Beiträgen über die Notwendigkeit einer Rückkehr zum Glass-Steagall-Trennbankensystem in der Neuen Solidarität 29/2011. In der Neuen Solidarität 30/2011 erschienen Beiträge zur Frage der wissenschaftlichen Methode. Die Video-Mitschnitte der Konferenzbeiträge finden Sie auf der Internet-Seite des Schiller-Instituts.