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Von Eric Verhaeghe
Eric Verhaeghe, Ökonom, Absolvent der angesehenen Nationalen Verwaltungsakademie (ENA) und früheres Vorstandsmitglied des französischen Unternehmerverbandes Medef, sprach auf der Konferenz des Schiller-Instituts über den Einfluß des Bankensektors auf die Politik.
Ich bin sehr froh, heute hier bei Ihnen zu sein... Ich möchte heute morgen über Frankreichs Bankensystem und Finanzkrise sprechen, als Beispiele dafür, warum wir in Frankreich ein Glass-Steagall-Gesetz brauchen.
Zunächst einmal möchte ich etwas ganz allgemeines über meinen Vortrag sagen und präzisieren, daß ich hier keine wirtschaftliche Analyse machen will, sondern eine politische. Denn ich denke, daß das Glass-Steagall-Gesetz in Frankreich und der übrigen Welt ein politisches Problem ist, eine Frage politischer Entscheidungen, und nicht des wirtschaftlichen Systems oder Prozesses.
Ich möchte heute morgen zwei Punkte ansprechen. Sie sehen hier (Tabelle 1) eine Darstellung der Rangfolge der Banken der Welt. In den Zeitungen lesen wir normalerweise ihre Rangfolge nach dem Marktwert, d.h., nach dem Wert ihrer Aktien. Rot unterstrichen sind hier vier chinesische Banken, grün vier amerikanische Banken. In der Liste der zehn größten Banken der Welt nach ihrem Marktwert finden wir also vier chinesische und vier amerikanische Banken. Man sollte also meinen, daß das Weltbankensystem von den USA und China beherrscht wird, und man hat das Gefühl, daß die mächtigsten Bankensysteme der Welt die von China und den USA seien. Chinas System ist noch recht neu; sie wollen ein mächtiges Bankensystem haben.
Aber wenn wir die Reihungsmethode ändern und die Rangfolge nach dem Vermögen, d.h., dem wirtschaftlichen Besitz der Banken, aufstellen (Tabelle 2), sehen wir, daß Chinas Banken weniger mächtig sind, und daß die erste amerikanische Bank in dieser Liste der Banken der Welt mit dem größten Vermögen, die Bank of America, erst an sechster Stelle steht. Die nach ihrem Vermögen mächtigsten Banken sind hier blau unterstrichen: Die BNP Paribas (Frankreich) mit 3300 Mrd. Dollar, dann kommt die Royal Bank of Scotland (Großbritannien) mit fast 3000 Mrd. Dollar Vermögen. An dritter Stelle stehr HSBC Holdings (Großbritannien), an vierter Stelle Crédit Agricole (Frankreich) und an fünfter Stelle Barclay’s Bank (Großbritannien).
Sie sehen, daß unter den führenden 20 Banken der Welt vier britische und vier französiche Banken sind. Was ich Ihnen mit dieser Grafik zeigen will, ist, daß wir die Illusion haben, daß das heutige Finanzsystem von China und den USA dominiert sei, während tatsächlich europäische Banken - französische und britische Banken - die mächtigsten der Welt sind. Die Realität des heutigen Finanzsystems ist, daß es von europäischen Banken und Finanzunternehmen beherrscht wird.
Betrachtet man diese Zahlen, so ergibt sich, daß die französischen Banken insgesamt ein Vermögen von acht Billionen Dollar haben, die britischen Banken etwa neun Billionen Dollar, und die Banken der USA insgesamt etwa sechs Billionen Dollar.
Wir sehen also, daß Frankreich und Großbritannien eine sehr mächtige Finanzindustrie aufgebaut haben. Diese Weltklasse-Finanzindustrie ist das Ergebnis eines politischen Programms, das bis in die achtziger Jahre zurückreicht. Heute haben wir eigentlich keinen internationalen Wettbewerb mehr zwischen dem europäischen Finanzsystem, das sehr mächtig geworden ist, und den übrigen Systemen, weil der europäische Finanzsektor ein so großes Vermögen hat, daß er sehr, sehr wichtig ist.
In dieser Grafik möchte ich einen Vergleich zwischen den Banken anstellen, die „zu groß zum Scheitern“ sind, und der Volkswirtschaft des Landes. Wir sehen, daß die Bilanzsumme der BNP Paribas 3300 Milliarden Dollar entspricht, während Frankreichs BIP nur 2260 Milliarden Dollar umfaßt. Die Bilanzsumme von BNP Paribas ist also größer als das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Frankreich. Das gleiche sehen Sie an dieser Zahl: Die Bilanzsumme des gesamten britischen und französischen Finanzsektors ist größer als das BIP der Vereinigten Staaten. Mit anderen Worten: die Größe der französischen und britischen Banken ist heute wichtiger als die gesamte amerikanische Volkswirtschaft, und man kann die Macht der Finanzindustrie nicht verstehen, wenn man sich nicht an die Bedeutung der Bilanzen der Banken erinnert. Sie sind heute wichtiger als das gesamte jährliche Produkt aller Länder, sogar als das der Vereinigen Staaten.
Dieser kurze Überblick wirft einige Fragen auf, und ich möchte hier nur zwei dieser Fragen behandeln, weil ich mich kurz fassen muß. Erstens ist es wichtig, zu verstehen, durch welchen historischen Prozeß Frankreich und Großbritannien diese Weltklasse-Finanzindustrie entwickelt haben, sodaß sie heute keine wirklichen Konkurrenten mehr haben.
Die zweite Frage lautet: Was ist die Rolle der Finanzelite, der Finanzoligarchie, der finanziellen Mächte in jedem einzelnen Land, in dieser Revolution, bei der Geburt dieser Finanzmacht?
Ich habe hier nicht genügend Zeit, um auch auf das wichtige Problem des Bankensystems und der öffentlichen Schulden einzugehen, aber wenn wir Zeit hätten, würden wir sehen, daß diese öffentlichen Schulden das Resultat, eine natürliche Konsequenz, der Entwicklung der weltweiten Finanzindustrie sind. Wir werden hier auch nicht auf die Verbindung zwischen den öffentlichen Investitionen und dem Bankensystem eingehen. Wir werden uns ganz auf den historischen Prozeß des Aufbaus einer Finanzmacht konzentrieren und auf eine historische Erklärung der Rolle der Elite.
In Frankreich dreht sich die Geschichte der Finanzindustrie um drei Momente. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg lebten wir in einer Zeit der Vormachtstellung des Staates. Alle Banken in Frankreich waren nationalisiert und Eigentum des französischen Staates. 1966 begann die französische Regierung eine relative Deregulierung, und 1984, unter Mitterrand, wurde beschlossen, eine richtige Industrie aufzubauen, die älteren Nationalisierungsgesetze aufzuheben und eine völlige Deregulierung des französischen Bankensystems durchzuführen.
Zunächst also das Nationalisierungsgesetz von 1945. Warum? Aus zwei Gründen. Erstens wußte die Regierung, daß die französischen Bankiers mit den deutschen Besatzern zusammengearbeitet hatten, und beschloß, sie durch die Nationalisierung zu bestrafen. Der zweite - und wahre - Grund war, daß das Bankensystem durch die Krise vor dem Krieg und durch den Krieg selbst völlig ruiniert war und daß die französischen Banken in diesem Zustand nicht in der Lage waren, die notwendigen Bemühungen für den Wiederaufbau nach dem Krieg zu finanzieren.
1945 beschloß also General de Gaulles Regierung, ein Gesetz zu verabschieden, das die Trennung der Banken aufgrund ihrer unterschiedlichen Aktivitäten vorschrieb. Das ist das französische „Glass-Steagall-Gesetz“ von 1945. Und es war ein gutes Gesetz, weil dieses System einen wirklichen und wirksamen Wiederaufbau erlaubte, der völlig vom französischen Staat gesteuert war. Die Leute, die damals über den Wiederaufbau, die staatlichen Bemühungen und die öffentlichen Investitionen entschieden, waren nicht die Bankiers; es war eine Abteilung des Finanzministeriums, das Schatzamt. Das war eine sehr wichtige Abteilung, und dort wurde damals alles beschlossen, was Frankreichs Finanzsektor betraf, und sie war sehr effizient.
1966 kam die erste Deregulierung, ein Gesetz in Frankreich, das den Banken erlaubte, ihre Aktivitäten zu entwickeln - zunächst, indem man die Trennung zwischen den verschiedenen Aktivitäten der Banken abschwächte und die erneute Entwicklung eines privaten Bankensystems in Frankreich erlaubte.
1984 beschloß die Regierung ein Gesetz - der zuständige Minister war damals Pierre Beregovoy, der in Frankreich sehr bekannt ist, weil er vor zehn Jahren Selbstmord begangen hat, was immer noch mysteriös ist. Er beschloß, die gesetzliche Trennung zwischen den Investmentbanken und den Geschäftsbanken - unser Glass-Steagall-Gesetz - aufzuheben und eine völlig Deregulierung des Bankensystems durchzuführen.
Das war ein Projekt der sehr großen Finanzunternehmen und die französische Regierung beschloß damals Banken und Versicherungsunternehmen zu schaffen, die wirklich Weltklasse-Größe haben und auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sein sollten. Es war der Ehrgeiz des französischen Staates, eine Finanzindustrie in Weltmarktgröße zu haben.
Damals, nach der Verabschiedung des Gesetzes von 1984, beschloß die französische Regierung, das Finanzsystem und unsere öffentlichen Banken zu privatisieren. Es gab eine Frist von zehn Jahren für die Privatisierung der öffentlichen Banken, und genau zu dieser Zeit schufen wir in Frankreich ein System privater Banken. Man erinnere sich: Noch 10 oder 20 Jahre zuvor waren die französischen Banken staatliche Banken gewesen, und wir beschlossen, dem privaten Sektor diese Banken zu geben, um ein Finanzsystem im Weltklasseformat auf der Grundlage dieser privatisierten Banken aufzubauen.
Wie war das möglich? Es war die Rolle der Eliten. Ich bezeichne dies als die Bildung einer Finanzmacht, weil alle diese öffentlichen und politischen Entscheidungen von einer französischen Aristokratie getroffen wurden. In Frankreich haben wir die Tradition eines Adels der Talare, einen Beamtenadel, eine Tradition von Beamten, die sich wie Adlige verhalten. Und sie beschlossen, das französische Bankensystem zu privatisieren und eine private Industrie im Weltformat zu schaffen.
Es gibt eine Konzentration dieses französischen „Beamtenadels“, dieser republikanischen Aristokratie, in der Generalinspektion des Finanzwesens (IGF), einer Abteilung des Finanzministeriums, die für die Volkswirtschaft und das private Bankensystem zuständig ist.
Ich habe zwei Beispiele dieser Generalinspekteure, die beschlossen, die öffentlichen Banken in Frankreich zu privatisieren und in Frankreich eine Finanzindustrie von Weltformat aufzubauen.
Das eine Beispiel ist Jean-Yves Haberer. Er wurde 1932 geboren, ein Absolvent der Nationalen Verwaltungsakademie (ENA). Er war Generalinspekteur und 1966 Berater des Finanzministers, der das Gesetz von 1966 entwarf, das erste Deregulierungsgesetz in Frankreich. Er war es, der dieses Gesetz erdachte, der es verfaßte und es durchsetzte.
1978 war er Direktor des Schatzamtes und an der Schaffung des Europäischen Währungssystems beteiligt, 1982 wurde er Vorsitzender der Banque Nationale de Paris (BNP), und an ihm sieht man die Brücke zwischen den Staatsdienern, die über die französische Politik in der Frage der Banken entschieden, und den privaten Banken, deren Vorstandsposten sie einnahmen, sodaß sie die Arbeitsweise des Finanzsystems in Frankreich bestimmten, nachdem sie bereits über seine Verfassung entschieden hatten.
Jean-Yves Haberer ist in Frankreich sehr bekannt, weil er Vorsitzender der Crédit Lyonnais war, als diese zusammenbrach, was die französischen Bürger 15 Mrd. Euro kostete.
Ein weiteres Beispiel dieser französischen Aristokratie, die über den Aufbau des privaten französischen Bankensystems entschieden hat, ist Michel Pébereau. Er wurde 1942 geboren - ENA, IFG, Berater des Finanzministers - und heute Vorsitzender der BNP Paribas.
Michel Pébereau und Haberer sind gute Beispiele, die zeigen, wie der Finanzadel aus dem Beamtenadel heraus geboren wurde. Und eben diese Aristokratie beschloß, die öffentlichen Banken zu privatisieren, und leitet heute diese privatisierten Banken, die ehemals staatliche waren. Die gleichen Leute beschließen die Gesetze und ziehen dann ihren Nutzen aus diesen Gesetzen.
Es ist sehr wichtig, dies vor Augen zu haben, denn wir haben oft die Illusion, daß das „zu groß zum Scheitern“, daß dieses internationale Banken- und Finanzsystem sozusagen eine natürliche Schöpfung wäre, eine Art unvermeidliches Produkt der menschlichen Gesellschaft. Tatsächlich ist dieses System das Ergebnis politischer Entscheidungen, die von Leuten getroffen wurden, die beschlossen, das Interesse der Allgemeinheit und der allgemeinen Politik zu ihrem persönlichen Vorteil zu nutzen und ihre eigenen Vorstellungen von der Wirtschaft und der Gesellschaft durchzusetzen.
Zum Schluß meines kurzen Vortrages möchte ich noch sagen, daß wir heute in Frankreich ein System von Banken haben, die zu groß zum Scheitern sind, ein System von Weltformat, das mächtiger ist als das amerikanische Bankensystem und eher dem britischen Bankensystem vergleichbar ist. Dieses System wurde schon vor 30 Jahren beschlossen. Es war zunächst ein öffentliches System, ein staatliches System, und es wurde durch politische Entscheidungen und Beschlüsse zu einem privaten System. Das war eine Entscheidung der Oligarchie, und heute müssen wir uns daran erinnern, daß die Finanzkrise zunächst einmal die Krise dieses Systems der Privatisierung des öffentlichen Interesses ist, und dieser Entscheidung einer Minderheit, die 30 Jahre lang von diesem System profitiert hat.
Ich wollte Ihnen dies präsentieren, weil Frankreich ein interessantes Beispiel der finanziellen Entwicklung ist, und weil es ein interessantes Gebiet ist, um das Glass-Steagall-Gesetz der Zukunft auszutesten.
Vielen Dank.
Den ersten Teil der schriftlichen Dokumentation der Konferenz des Schiller-Instituts finden Sie in der letzten Ausgabe, die Video-Mitschnitte der Konferenzbeiträge finden Sie auf der Internet-Seite des Schiller-Instituts.