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Neue Solidarität
Nr. 49, 8. Dezember 2010

Warum die Schuldenbremse Unfug ist

Hessen. Alexander Hartmann, Landesvorsitzender der Bürgerrechtsbewegung Solidarität in Hessen, gab die folgende Erklärung zu dem Vorschlag ab, die sogenannte „Schuldenbremse“ in der hessischen Landesverfassung zu verankern.

Zyniker könnten sagen, daß ja nichts Gutes dabei herauskommen kann, wenn sich CDU, SPD, Grüne und FDP einig sind, und sie hätten in diesem Fall gar nicht so unrecht. Denn die Vereinbarung der hessischen Landtagsparteien, die sogenannte „Schuldenbremse“ in der Landesverfassung zu verankern, würde, wenn ihr die hessischen Wähler am 27. März kommenden Jahres zustimmen, eine tragische wirtschaftliche Katastrophe für Hessen herbeiführen - wenn wir uns nicht schon inmitten einer viel umfassenderen, weltweiten Wirtschaftskatastrophe befänden, die ihre Ursache in genau jener Denkweise hat, die auch dem Vorschlag der Schuldenbremse zugrunde liegt. Von dieser Denkweise ist aber auch die „Linke“ nicht frei, denn die Gründe, aus denen sie die Schuldenbremse ablehnt, zeigen, daß auch sie nichts von der Arbeitsweise der Realwirtschaft versteht.

Wenn die hessischen Landtagsparteien irgend etwas von Realwirtschaft verstünden, dann würden sie nicht nur erkennen, daß die bisherige Regelung, wonach das Land Hessen nicht mehr Geld an Schulden aufnehmen darf, als es investiert, viel weiser ist als das, was nun vorgeschlagen wird - sie würden sie auch einhalten. Und das sagt uns leider auch etwas darüber, wie wenig eine solche verfassungsmäßige Regelung im Ernstfall wert wäre, wenn sie denn zustande käme.

Wohin eine solche Schuldenbremse führt, kann man beispielsweise in Kalifornien sehen: Laut US-Verfassung dürfen die amerikanischen Bundesstaaten gar keine Haushaltsdefizite haben - was auch kein Problem wäre, wenn US-Regierung und Kongreß das Recht des Staates auf produktive Kreditschöpfung wahrnehmen würden und das Privileg der Geldschöpfung nicht an ein Kartell privater Banken abgetreten hätten, das sich Federal Reserve System nennt.

Aber nun ist Kalifornien in der Krise, weil die Realwirtschaft kollabiert, und damit auch die Staatseinnahmen. Dadurch entstand allein in diesem Jahr ein Defizit von 20 Mrd. $, für das kommende Jahr werden weitere 25 Mrd. $ Defizit erwartet. Bei einem Ausgabenvolumen von gut 86 Mrd. $ muß also aufgrund der bestehenden Gesetzeslage etwa ein Viertel der Ausgaben gestrichen werden: Bei den Sozialausgaben ebenso wie bei der Polizei und - trotz ständiger Waldbrandgefahr - bei den Feuerwehren, etc. etc. Ganze Kommunen lösen sich faktisch auf, weil sie sich keine Stadtverwaltung mehr leisten können.

Diese Politik hat der bisherige Gouverneur Arnold Schwarzenegger verfolgt und durchgesetzt, und sich mit seinen brutalen Kürzungsmaßnahmen derart den Zorn der Bevölkerung zugezogen, daß es den Demokraten bei der Novemberwahl gegen den nationalen Trend gelang, fast alle wichtigen Positionen in Kalifornien zu halten oder hinzuzugewinnen.

In einer solchen Lage hilft auch eine papierene Verantwortung der Landesregierung nicht weiter, für „angemessene Einnahmen“ zu sorgen. Soll Kalifornien inmitten einer Wirtschaftsdepression die Steuern um 25% erhöhen? Das würde wahrscheinlich die tatsächlich eingehenden Steuereinnahmen kaum erhöhen, wohl aber die Zahl der Insolvenzen von Personen und Firmen, die unter der höheren Steuerlast zusammenbrächen.

Natürlich ist es keine Alternative, den Staat endlos weiter zu verschulden, ohne an der Arbeitsweise der Volkswirtschaft etwas grundlegendes zu ändern. Aus diesem Grund ist auch die im linken Lager geführte Diskussion über ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ fehlgeleitet, denn worauf es eigentlich ankommt - und hier liegt der Denkfehler, der allen Landtagsparteien von ganz links bis ganz rechts gemein ist -, ist die Frage, ob die Volkswirtschaft als ganze „schwarze Zahlen“ schreibt. Und das ist keine Frage des Geldes, sondern der physischen Produktion - eben jener Produktion, die man im Namen der „nachindustriellen Gesellschaft“, der „Dienstleistungsgesellschaft“, der „Ökologie“ und der „Globalisierung“ weitgehend beseitigt hat.

Tatsache ist, daß die bisherige Regelung, wenn man sie nicht aus der monetaristischen Sicht versteht, sondern aus der Sicht der physischen Wirtschaft, den Weg aus der Krise weist. Der einzige Weg, die Staatsschulden in ein angemessenes Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes zu bringen, ist es, die Staatseinnahmen durch eine Ausweitung der physischen Wirtschaft zu vergrößern, was ja auch zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit und damit der zwar notwendigen, aber an sich nicht produktiven Ausgaben für soziale Zwecke führt.

Eine solche Ausweitung der physischen Wirtschaft bewirkt der Staat weder durch Steuersenkungen, wie sie die Liberalen fordern, noch durch größere Zahlungen an nicht oder nur unproduktiv beschäftigte Menschen, wie sie die Linken und z. T. die Sozialdemokraten fordern (auch wenn die Hartz-4-Sätze definitiv zu gering bemessen sind), sondern nur durch Aufträge an die Wirtschaft, die zu einer Ausweitung der produktiven Beschäftigung der Menschen führen. Also vor allem durch vermehrte Ausgaben für die Infrastruktur - die die in den etablierten Parteien leider überall vorhandenen und zum großen Teil vorherrschenden, vorgeblichen „Umweltschützer“ entschieden ablehnen. Und deshalb darf es nicht überraschen, wenn sich diese Parteien auf einen Vorschlag einigen, der völlig untauglich ist, mit der Verschuldungskrise umzugehen. Tatsache ist, daß sich die Arbeitslosigkeit mit der Halbierung der Infrastrukturausgaben - gemessen am Anteil am BIP - seit den achtziger Jahren mehr als verdoppelt hat!

Hier zeigt sich die Weisheit der derzeitigen Regelung - wenn man sie denn ernst nähme: Ist die Neuverschuldung größer als die aus diesem Haushalt finanzierten Investitionen, dann heißt das nichts anderes, als daß die staatlichen Investitionen vor allem in die Infrastruktur zu gering sind! Sie müssen dann so stark ausgeweitet werden, daß ihre Beschäftigungswirkung die unproduktiven Ausgaben, beispielsweise für Sozialhilfe, so weit reduziert, daß das Verfassungskriterium wieder erreicht und eingehalten wird. Die gleiche Denkweise lag dem äußerst erfolgreichen Stabilitätsgesetz von 1967 zugrunde.

Eine bloße Beschränkung der Staatsausgaben zur Herstellung eines ausgeglichenen Haushalts beispielsweise durch die sog. „Schuldenbremse“ hingegen ist das sicherste Mittel, einen Kollaps der Realwirtschaft herbeizuführen, der den Staat handlungsunfähig machen würde.

Eine solche Selbstzerstörung würde den Staat an der in Art. 27 der Landesverfassung geforderten Sozialpolitik hindern, die „auf der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen“ beruht und daran, den „notwendigen Unterhalt“ für Arbeitslose und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen sicherzustellen - wäre also verfassungswidrig.

Nun, einige mögen einwenden, daß es sich bloß um die hessische Landesverfassung handelt, und um die Anpassung dieser hessischen Landesverfassung an das ihr übergeordnete EU-Recht. Aber wenn das so wichtig ist - warum steht dann noch immer in der Landesverfassung, daß die Todesstrafe verhängt werden kann, obwohl das Grundgesetz diese abgeschafft hat? Wenn man es nicht einmal in diesem völlig eindeutigen Fall für richtig erachtet hat, die Landesverfassung an „übergeordnetes Recht“ anzupassen - warum muß man dann in einem Kotau jeden Unsinn, den Brüssel verlangt, in das eigene Recht übertragen, und sich dadurch selbst knebeln - selbst für den Fall, daß die EU mit dem Euro unterginge?

Denn die Weltwirtschaft insgesamt steht vor einem hyperinflationären Kollaps. Jeder, der es sehen will, kann sehen, daß die europäischen Regierungen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit in der Lage sein werden, die Schulden der privaten Spekulanten zu schultern - selbst mit Hilfe drakonischster Sparmaßnahmen (für die, nebenbei gesagt, die „Schuldenbremse“ in der Verfassung den Vorwand liefern soll).

Die vorhersehbare Folge wird der Kollaps der Regierungen sein, die sich auf diese Weise zu Bütteln der Banken machen lassen. Und wenn auch nur eine einzige der betreffenden Regierungen, wie beispielsweise und wahrscheinlich die irische, sich weigert, dies zu tun, dann ist der Spuk vorbei, und die finanziellen Kartenhäuser lösen sich in Luft auf - und mit ihnen der Euro und wahrscheinlich auch die EU.

In diesem Falle wäre der „Finanzplatz Frankfurt“ - neben London - wohl mit am schlimmsten von diesem Zusammenbruch betroffen, und dann wäre auch ein Zusammenbruch der inzwischen von den Steuern dieses Finanzsektors abhängigen hessischen Staatsfinanzen die logische Folge. Daher ist zu erwarten, daß schon bei Inkrafttreten der Verfassungsänderung die darin vorgesehene Ausnahme für Krisenzeiten zur Anwendung kommen müßte.

Es wäre der Treppenwitz der Weltgeschichte, wenn die Landtagsparteien eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung für den 27. März ansetzen, um das hessische Landesrecht an die Beschlüsse einer EU anzupassen, die es dann vielleicht gar nicht mehr gibt. Das würde auch dem letzten Wähler, sofern er sich irgendwelche Gedanken zu dieser Frage macht, die Absurdität des Vorschlages verdeutlichen.

Wir Hessen haben jetzt viel wichtigeres zu tun: wir müssen das derzeitige Bankensystem durch ein Trennbankensystem ersetzen, in dem die Guthaben der Sparer und der Realwirtschaft vom Staat geschützt und getrennt sind von den Spekulanten. Und dann brauchen wir ein Programm zum Wiederaufbau der hessischen Realwirtschaft, die durch die Politik der schwarz-gelb-rot-grünen Landesregierungen der letzten Jahrzehnte zerstört wurde!