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Neue Solidarität
Nr. 4-5, 27. Januar 2010

Nordsee: Viel Wind um nichts

Ökostrom. In der Nordsee werden riesige Windkraftparks und ein Netz von Hochspannungsleitungen geplant, um die Stromversorgung Europas auf „ökologischer“ Basis zu ermöglichen.

Nachdem mittlerweile sogar die „Europäische Vereinigung für erneuerbare Energien“ Eurosolar das Saharaprojekt zur Strombeschaffung für Europa als Fata Morgana bezeichnet hat, und ihr Chef, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, erklärte, „Die Initiatoren selbst wissen: daraus wird nie und nimmer etwas“, die Kosten seien in Wirklichkeit viel höher, künstlich heruntergerechnet, und die technischen Möglichkeiten bei weitem überschätzt, so wurde jetzt ein neues Windei geboren, um den Run auf Ökostrom-Aktien mit neuem Optimismus zu beleben: Im wahrsten Sinne des Wortes geht es jetzt um viel Wind -  sehr viel Wind und dessen Koordinierung!

In einem Milliardenprojekt mit geplanter 10-jähriger Bauzeit soll ein Netz von Hochspannungsseekabeln in der Nordsee verlegt werden, um Windparks, die vor der britischen und deutschen Küste in großem Stile gebaut werden, mit Pumpspeicherkraftwerken in Norwegen, Gezeitenkraftwerken in Dänemark und Belgien sowie den Wind- und Solaranlagen in Gesamteuropa zu verbinden und so die Koordinierung des vom Wetter abhängigen Stromflusses gewinnbringend zu lösen. Ohne daß man genaue Zahlen und konkrete echte Versorgungspläne für Städte und Gemeinden hat, nur auf der Basis von „Computersimulationen“, die Forscher an der Uni Kassel durchführten, wird diese Idee des „super-smart-grid“ derzeit als Superidee und superintelligente Lösung gefeiert.

Insgesamt wollen die neun Nordsee-Anrainerländer Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Niederlande, Irland, Luxemburg und Norwegen bis Ende 2010 entsprechende Absichtserklärungen und Pläne unterzeichnen.

Zusammen mit dem Solarprojekt in der Sahara soll dieses Supernetz gar in Zukunft den Stromverbrauch ganz Europas durch erneuerbare Energie decken. Die Illusionäre dieses Plans meinen also, je größere Anlagen, Windparkaufgebote, etc. man in diese Idee einbringt, desto eher würden sich die grundlegenden Probleme irgendwann wie von alleine lösen. Irgendwann könne man die physikalischen Grundgesetze austricksen. Man muß nur genug Wind machen!

Einige Überlegungen zeigen, daß dies mal wieder schönste Baby-Boomer-Träumerei ist:

1) Die erneuerbare Energie wie Windkraft oder Sonnenenergie ist extrem wetterabhängig. D.h., wenn kein Wind weht, fließt kein Strom, und auch nicht, wenn die Sonne nicht scheint. Die Erträge bei Windkraftwerken gehen sogar in der dritten Potenz zurück, weht der Wind mal schwächer, also wenn er nur halb so stark wie optimal weht, ist der Stromertrag nur 1/8, weht der Wind nur ein Viertel so stark, ist der Ertrag nur 1/64 der Soll-Leistung. Generell rechnet man deshalb bei einer Windanlage, daß sie im Schnitt 1/8 der Energie tatsächlich liefert, die sie ihrem Bau nach bei ständig optimalen Verhältnissen liefern könnte... das nur am Rande!

Bei dem im Bau befindlichen Windpark der Nordsee, der insgesamt eine „Soll-Leistung“ von 100 GW haben soll, wären das gerade mal 12-13 GW. Wenn Greenpeace also hier jetzt schon in den höchsten Tönen von den Unmengen an Strom schwärmt, deren Kapazitäten unsere Netze sprengen würden, so weiß man, was man davon zu halten hat. Zur Erläuterung kann man nur sagen: die Baukosten alleine des britischen Windparks in der Nordsee werden auf insgesamt 330 Mrd. Euro geschätzt. Die gleiche Menge an Strom - zuverlässigen Strom! - würden 10 Kernkraftwerke liefern, zu einem Preis von rund 100 Mrd. Euro.

2) Diese tatsächliche 1/8-Leistung an Strom fließt aber nicht regelmäßig. Manchmal weht tagelang ein sehr starker Wind, dann fließen tatsächlich die Netze voll und man weiß nicht wohin mit dem Strom, manchmal hat man eine lange Flaute. Das Grundproblem der Elektrizität ist bekannt: man kann sie nicht speichern. Deshalb muß ein ständiger Fluß garantiert sein, um Strom immer bereitstellen zu können. Als einzigartige, intelligente „Superlösung“ wird nun geplant, bei Überangebot das Wasser der norwegischen Pumpspeicherwerke hochzupumpen und dann bei Bedarf herunterfließen zu lassen, so daß man den Stromfluß dadurch gewissermaßen etwas kontrollieren kann.

Tatsächlich funktioniert die Energieversorgung Deutschlands schon seit Jahrzehnten auf diese Weise, seit der Nutzung des elektrischen Stromes in allen Lebens- und Arbeitsbereichen. Aus der langjährigen Erfahrung entstandene Tabellen geben daher alle Monate des Jahres hindurch, Tag für Tag den ungefähren Strombedarf im Voraus an. Dieser Strombedarf wird durch Kraftwerke vollständig gedeckt, erreicht im Tagesverlauf „Peaks“, und wird zu diesen Höchstanspruchszeiten genauso zuverlässig gedeckt.

Das bedeutet: das Angebot ist sehr oft, vor allem nachts, höher als die Nachfrage und muß es auch per Gesetz sein wegen der Sicherheit in Zeiten unerwartet hohen Bedarfs. Deshalb wird der Strom seit eh und je nachts beispielweise dazu benutzt, Wasser in Pumpspeicherwerken hochzupumpen.

Diese Idee, Überangebote von Strom für andere nützliche Verrichtungen einzusetzen, ist  schon alt, sie wurde von dem „Vater der Strom-Verbundwirtschaft“ Arthur Koepchen ins Leben gerufen, der 1927-30 am Hengsteysee in Nordrhein-Westfalen nahe Dortmund das nach ihm benannte erste Pumpspeicherkraftwerk errichtete. In den Schwelgereien über den Ökostromverbund wird diese Idee als „neue“ superintelligente Lösung verkauft.

Wenn aber nun alles Wasser wieder unten ist, d.h. die Motoren der Pumpspeicherwerke alle gespeicherte Energie schon wieder abgegeben haben, trotzdem aber noch eine Windflaute herrscht, was dann? Man kann ja nicht einige Industrieanlagen einfach abschalten, oder die Heizungen, oder den Bahnverkehr... Oder?

Schon diese beiden Überlegungen zeigen: dieses intelligente Supernetz muß Jongleurkunststücke oder gar echte Wunderwerke vollbringen! Gerade Norwegen mit seinem hohen Energiebedarf von 24.000 KWh pro Kopf, der vor allem durch die sehr energieintensive Aluminiumproduktion hervorgerufen wird, wird sicher nicht seine Zukunft ganz auf diese Unwägbarkeiten setzen.

Aber wenn die Windkraftwerke faktisch nur etwa ein Achtel der Einsatzzeit tatsächlich Strom liefern, und nur in einem Bruchteil dieser tatsächlichen Einsatzzeiten Strom-„Überschüsse“, dann wird deutlich, daß das mit riesigem Finanzaufwand zu errichtende Nordsee-Leitungsnetz, dessen Kapazität natürlich auf die Spitzenleistung ausgerichtet sein muß, letztendlich verhältnismäßig nur sehr geringe Strommengen transportieren wird - eine gigantische Verschwendung, die der Stromkunde bezahlen soll. Fazit: bei diesen Zukunftsspekulationen schwirren so viele, auf Sand gebaute, Überlegungen herum, die Annahmen beruhen auf so vielen sich widersprechenden Faktoren, daß bei allen Schlüssen, die man dann einfach daraus ziehen will und die sich dann so herrlich „easy“ anhören, immer noch der Satz gilt, den schon der große Gottfried Wilhelm Leibniz der Wissenschaft zugrunde gelegt hat: „Wenn A nicht gilt, dann gilt auch B nicht“. In der heutigen neudeutschen Umgangssprache würde man das ungefähr so ausdrücken: „Garbage in - garbage out.“ (Wenn man Schwachsinn reingibt, kommt auch Schwachsinn raus.)

Das scheint  die Strippenzieher solcher Projekte aber nicht im geringsten zu interessieren. Es geht nämlich in Wirklichkeit um die begehrten Aktien, die man damit verkaufen kann an die, die dann sehen: Aha, da wird das Klima geschützt! Die RWE-Ökostromsparte Innogy ist, wie ihr Chef Fritz Vahrenholt bekannt gibt, höchst interessiert und würde von den Projekten profitieren, ebenso die MüRü (Münchener Rück-Versicherung), die zum Beispiel - man staune über die Umweltbeflissenheit solcher Institute - als Initiator des Saharastromprojekts Desertec gilt. Und nicht zuletzt einige durch die Finanzkrise hart gebeutelte Banken, wie die Deutsche Bank, die interessiert ist, einige Ökostromprojekte „federführend zu begleiten“. Man kann sich so auf optimistische, zukunftsorientierte Weise gesundstoßen. Wie war das noch mit dem Kampf der „Umweltschützer“ gegen die „Energielobby“???

            Caroline Hartmann

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