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Neue Solidarität
Nr. 39, 29. September 2010

„Die Politik sieht die Polizei nur als Kostenfaktor“

Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, Matthias Kubitz, gab Karsten Werner und Stefan Tolksdorff von der BüSo Sachsen am 13. September das folgende Interview.

Frage: Herr Kubitz, wie sieht eigentlich die tatsächliche Lage bei der Polizei aus? Man hört ja einiges in den Medien vom Aufschwung, aber neulich ist im Landtag entschieden worden, daß es eher in eine ganz andere Richtung geht, und da ist die Polizei ja auch sehr von betroffen. Können Sie mal sagen, wie das genau aussieht: Wie wirkt sich das bei Ihnen konkret aus, aber auch beim Bürger?

 

Kubitz: Wir haben in Sachsen natürlich eine sehr schwierige Situation für die Polizei insgesamt. Seit 2002 wird in der sächsischen Polizei systematisch Stellenabbau betrieben, und das merken die Bürger natürlich, aber vor allen Dingen merken wir es in erster Linie als Polizisten, denn wir müssen immer mehr arbeiten, mit immer weniger Leuten, und das ist eine schwierige Situation. Für die Bürger wird es dahingehend deutlich werden, daß der letzte Beschluß der sächsischen Staatsregierung ja besagt, daß bis zum Jahr 2019 2441 Stellen in der Polizei abgebaut werden sollen, und nach dem Jahr 2019 nochmal 800. D.h., ein Viertel der sächsischen Polizei, die wir heute noch haben, soll dann ganz einfach nicht mehr da sein.

 

Frage: Sie haben ja auch in Interviews davon gesprochen, daß Sie dann Prioritäten setzen müssen. Ganz abgesehen davon, daß Sie aus der Fläche verschwinden, werden da auch bestimmte Aufgaben einfach wegfallen?

 

Kubitz: Die aufgabenkritische Untersuchung der sächsischen Polizei haben wir ja gefordert von der sächsischen Staatsregierung. Diese aufgabenkritische Untersuchung wird verweigert, d.h., die sächsische Staatsregierung sieht die Polizei nur als Kostenfaktor, und deshalb hat sie den Stellenabbau beschlossen, ohne Aufgabenkritik zu machen. Und das ist für die Bürger das schlimmste, was es in Zukunft geben wird, denn wir werden tatsächlich Aufträge, die wir erhalten - also Notrufe - priorisieren müssen, und das bedeutet dann letzten Endes, wenn also in einem bestimmten Gebiet nur zwei Funkwagen da sind, daß logischerweise dort, wo Gefahr für Leib und Leben besteht, diese Funkwagen als erstes eingesetzt werden.

Wir haben jetzt teilweise bereits in verschiedenen Bereichen Wartezeiten bei Wildunfällen bis zu anderthalb Stunden, und das kann sich zukünftig natürlich noch weiter ausdehnen, wenn zwischendurch irgendwo ein Auftrag kommt mit Gefahr für Leib und Leben. Dann wartet der Bürger natürlich noch länger bei einem Wildunfall.

Das erzeugt dann nicht nur beim Bürger Frust, sondern auch bei uns als Polizisten, weil logischerweise der Bürger von der Polizei Hilfe erwartet. D.h., alle 10 Minuten ruft er wieder an, wo denn die Polizei nun endlich bleibt, das erzeugt einen Frust bei demjenigen, der hier diesen Anruf über Notruf entgegennimmt, und wenn dann irgendwann die Polizei endlich eintrifft, dann ist natürlich das Gespräch mit dem Bürger auch nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig, denn der Bürger sieht ja nicht unbedingt ein, daß die Polizei ihn so lange hat warten lassen.

 

Frage: Kann es denn sein, daß die Lage durch die Kürzungen so dramatisch wird, daß tatsächlich Leib und Leben auf dem Spiel steht?

 

Kubitz: Wir gehen ganz einfach als Polizei davon aus, daß sich das Bild der Polizei insgesamt vollkommen wandeln wird. Im Augenblick haben wir als Polizei den Vorteil, daß die Bürger unsere Arbeit sehr hoch schätzen, weil wir auch noch sehr viel präventiv, also vorbeugend tätig sein können. Wenn ein Viertel weniger Polizisten da sind, wird also die Prävention, die Vorbeugung, kaum noch eine Rolle spielen, und die Polizei wird sich zu einer reinen Interventions-, also Auftragspolizei wandeln.

Bei dem Wandel zu einer Auftragspolizei wird natürlich die Akzeptanz beim Bürger auch sinken, denn wenn Polizei nur noch mit Strafen in Verbindung gebracht wird, und nicht mehr mit dem normalen Gespräch oder mit der Vorbeugung bei bestimmten Gefahrensituationen, dann wird auch die Akzeptanz der Polizei anders sein, und das ist die größte Gefahr, die wir sehen.

Soziale Spannungen und Zunahme der Gewalt

Frage: Herr Kubitz, Sie haben ja bereits öfters in verschiedenen Interviews vor der Gefahr sozialer Spannungen gewarnt, wenn sich die wirtschaftliche Lage nicht ändert. Können Sie das mal genauer beschreiben?

 

Kubitz: Wir haben in Sachsen ja zu verzeichnen, daß es eine sehr hohe Arbeitslosigkeit gibt. Dazu ziehen viele Bürger aus Sachsen weg, weil sie ganz einfach der Arbeit hinterherziehen. Sie gehen nach Bayern und Baden-Württemberg, das sind so die Hauptländer, wo die Sachsen hinziehen. Damit kommt es zu einer Vergreisung in bestimmten Bereichen, wo also die Bevölkerung ganz einfach überaltert. Und wir haben das Problem, daß die wenige Arbeit, die noch da ist - egal, ob das mittelständische Firmen sind oder große Firmen -, daß die natürlich ihre Sitze hier damit lukrativ machen, daß ein Niedriglohnsektor in Sachsen entstanden ist, wo ganz einfach Arbeit nicht entsprechend bezahlt wird. D.h., viele Bürger sind zwar berufstätig, können noch einer Arbeit nachgehen, müssen aber zusätzlich von Sozialhilfe oder von Hartz-4, also von Unterstützung des Staates leben.

Dazu kommt im Gegensatz, daß immer weniger Leute sich immer mehr Geld zuschanzen. Man nennt das so schön „Management“, das ist also einfach Verwaltung, das sind nicht mal unbedingt Eigentümer von irgendwelchen Betrieben, sondern nur diejenigen, die das verwalten, und dort ist es nicht so, daß sich die nur das Vier- oder Fünffache eines Facharbeiters oder eines Ingenieurs gönnen, sondern das ist ja extrem mehr. Und daraus entsteht natürlich eine erhebliche Schere im sozialen Umfeld, und aus dieser Schere heraus entstehen Spannungen. Und diese Spannungen werden sich an irgendeinem Punkt entladen.

Wir sind Deutschland so gestrickt, daß das sehr lange dauert, weil die Deutschen sehr viel mit sich machen lassen. Aber wir brauchen nur in ein Nachbarland zu gucken; ich gucke da sehr gern und sehr oft nach Frankreich, denn dort gibt es ja ähnliche Probleme, und dort entladen sich die Spannungen - und natürlich sehr heftig und auch sehr früh.

Und genau diese Befürchtung habe ich auch für Deutschland, daß sich irgendwann die Spannungen entladen, und dann ist es wieder die Polizei, die in der Mitte steht, denn die Polizei ist nun mal derjenige, der für Sicherheit und Ordnung sorgen soll. Sie ist erkennbar für den Staat, und das heißt ganz einfach, daß wir davon ausgehen müssen, daß sich dann die Spannungen natürlich in erster Linie gegen die Polizei entladen, denn die Polizei ist nun mal der Repräsentant des Staates.

 

Frage: Sehen Sie denn in den letzten Jahren, vor allem seit Ausbruch der Finanzkrise - sehen Sie da ein Ansteigen dieser Spannungen?

 

Kubitz: Wir haben ganz deutlich zu verzeichnen, daß insgesamt die Gewalt gegen die Polizei zunimmt, und wenn man dann an bestimmten Tagen in bestimmte Brennpunkte guckt, egal ob es in Dresden die „bunte Republik Neustadt“ ist, wo sich immer wieder mal in der Nacht Spannungen gegen die Polizei entladen - obwohl das natürlich noch nicht so massiv ist wie an anderen Brennpunkten, wenn wir an Berlin oder Hamburg denken -, dann glaube ich, daß wir hier in Deutschland insgesamt auf einem sehr negativen Weg sind. Gerade diese Gewalt hat zugenommen in den vergangenen Jahren, und ich habe die Befürchtung, daß sie immer weiter zunehmen wird.

 

Frage: Können Sie ungefähre Zahlen nennen, wie sehr das gestiegen ist?

 

Kubitz: Es wird derzeitig eine Studie durchgeführt durch das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen, zur Gewalt gegen Polizei insgesamt. Sachsen selbst hat sich an der Studie nicht beteiligt, weil Sachsen wahrscheinlich ganz einfach auf wissenschaftliche Erkenntnisse keinen Wert legt oder Angst davor hat, daß in Konsequenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse wahrscheinlich ein Gegensteuern notwendig wäre, und die Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts mit den Ergebnissen, die bisher vorliegen, zeigen, daß die Gewalt in den letzten Jahren um mehr als 50% gestiegen ist.

 

Frage: Ich habe jetzt auch in mehreren Interviews gelesen - eben den Punkt, den Sie gerade ansprachen -, daß nämlich die Polizei, die früher als Ordnungshüter auftrat und auch als solche respektiert wurde, immer mehr zum Angriffsziel wird. Da gibt es ja mittlerweile wilde Szenen, gerade in Berlin. Können Sie dazu etwas sagen?

 

Kubitz: Ja, wir haben ja genau dieses Problem, daß Polizisten als Repräsentanten des Staates zu erkennen sind, und während es also - da können wir auch weiter zurückgehen - früher tatsächlich so war, daß der Polizist seine Rechte dementsprechend durchsetzen konnte, also die Rechte des Staates, für Ordnung zu sorgen, und als Respektsperson behandelt wurde, dann ist es ja mittlerweile so, daß durch viele Anwälte immer wieder Verfahren gegen Polizisten gemacht werden, und bei kleinsten Ansatzpunkten der Polizist eben nicht recht kriegt und damit natürlich auch der Respekt vor der Polizei immer mehr schwindet, und parallel dazu natürlich der Polizist als Repräsentant des Staates nicht akzeptiert wird, weil in weiten Teilen die Politik - und das ist der Staat - nicht akzeptiert wird, und es damit auch zu Reibungspunkten kommt.

 

Frage: Der Polizist steht ja tatsächlich in der Mitte: Einerseits haben wir die zunehmenden sozialen Spannungen, d.h., die Bürger sind zunehmend frustriert, weil der Staat sich scheinbar nicht um das Gemeinwohl kümmert, sondern eher um die Banken, die derzeit gerettet werden, aber die Polizei, die dann trotzdem die Befehle ausführen muß, sieht sich ja selber betroffen durch diese Kürzungen. Was geht da im Kopf eines Polizisten vor, wenn er weiß, er hat den Staat gar nicht hinter sich?

 

Kubitz: Für Polizisten ist das Leben in diesem Spannungsfeld sehr schwierig, denn Polizisten wollen natürlich für die Bürger da sein, wollen Recht und Gesetz durchsetzen und umsetzen, und müssen oftmals am eigenen Leib spüren, daß sie selbst im Stich gelassen werden, wenn etwas ist. Und das macht natürlich nicht unbedingt Tag für Tag Spaß.

Zuerst bekommen das meistens unsere Kolleginnen und Kollegen in der Bereitschaftspolizei zu spüren, bei Einsätzen zu Veranstaltungen, zu Demonstrationen und ähnlichem, aber das spiegelt sich schon bis in das tägliche Leben eines Polizisten, bis hin zu Einsätzen bei Familienstreitigkeiten oder ähnlichem hinein.

Das ist für uns immer wieder Anlaß, ganz deutlich zu sagen, daß wir sehr viel Wert auf Aus- und Fortbildung legen, um weiterhin dahingehend wirken zu können, daß wir unseren Kollegen die de-eskalierenden Auftritte erleichtern, ihnen Grundlagen in Psychologie vermitteln, um mit diesen Spannungen umgehen zu können - nach außen, aber auch für sich selbst.

 

Frage: Aber das ist nicht der Idealfall.

 

Kubitz: Nein, das ist beim besten Willen nicht der ideale Fall, denn die heile Welt haben wir leider nicht.

Rechtsfreie Räume in Deutschland?

Frage: Wir haben es ja schon mehrfach angesprochen; ich will das einfach mal auf den Punkt bringen und Sie fragen: diese rechtsfreien Räume, die in den Medien kursieren, die von Sarrazin angesprochen werden, aber auch von der Jugendrichterin Heisig: Gibt es die? Wie wirkt sich das aus? Was kann man dagegen machen?

 

Kubitz: Ich denke, rechtsfreie Räume gibt es in Deutschland noch nicht. Aber es gibt natürlich Bereiche, wo es sehr schwierig ist, Tag für Tag und Stunde für Stunde Recht und Ordnung durchzusetzen und aufrecht zu erhalten.

Das hängt ganz einfach mit Schwierigkeiten der deutschen Politik insgesamt zusammen, aber auch mit Schwierigkeiten der Integrationspolitik, denn ich glaube, wir haben hier in bestimmten Bereichen sehr große Probleme und packen die einfach nicht an.

Nun ist es in Sachsen so, daß wir zum Glück mit Integrationspolitik noch nicht die großen Schwierigkeiten haben. Wir haben einen Ausländeranteil in Sachsen von ca. 2%, wir haben auch nicht - noch nicht - zu verzeichnen, daß es eine Gettoisierung gibt, wie es in anderen Städten ist, so daß mit diesem Problem durchaus umgegangen werden kann.

Wir haben ein ganz anderes Problem, vor welchem die Politik die Augen verschließt: Wir haben eine erhöhte Grenzkriminalität. Denn nach wie vor ist es so, daß auch im vereinten Europa das Wohlstandsgefälle gerade zu Polen und Tschechien riesig groß ist, was Begehrlichkeiten weckt, und teilweise diese Begehrlichkeiten durch kriminelle Bürger genutzt werden, um sich ganz einfach zu bereichern und am Eigentum von anderen zu vergreifen. Damit haben wir in Sachsen die großen Probleme.

Ich hoffe ganz einfach, daß wir das in den Griff kriegen, aber die deutsche Politik macht nach meiner festen Überzeugung zuwenig, um die Nachbarländer in die Lage zu versetzen, ihren Lebensstandard dem deutschen Standard anzugleichen, denn mit einer Angleichung nach unten, wie es die sächsische Regierung ab und zu versucht, wird es wohl nicht gelingen.

Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren?

Frage: Sie haben ja in der Vergangenheit auch die Befürchtung geäußert, daß die Sparpolitik so schlimm werden könnte, daß dann die Polizei als Folge so unterbesetzt ist, daß man das als Ausrede nimmt, vielleicht die Bundeswehr im Innern einzusetzen, und das ist jetzt ein ganz heißes Eisen. Denn jetzt kommt noch dazu, daß der Herr zu Guttenberg, unser Verteidigungsminister, gerade den Vorstoß gemacht hat, zu sagen: die Wehrpflicht wird eventuell ganz abgeschafft, und wir kommen zu einer Berufsarmee.

Wie sehen Sie das, gerade in Hinblick auf die sozialen Spannungen, von denen wir gerade geredet haben?

 

Kubitz: Also ich muß ganz einfach sagen, es ist ja kein Zufall, daß seit 2002 in der Polizei massiv abgebaut wird. Das ist ja nicht allein ein sächsisches Problem, sondern das ist ja bundesweit zu verzeichnen. Nahezu in allen Bundesländern wurde zum damaligen Zeitpunkt begonnen, Polizei abzubauen, und als erstes kam ja aus Bayern der Ruf, daß man doch die Bundeswehr im Landesinneren einsetzen sollte, um bestimmte Objekte zu schützen.

Zum Glück konnte das immer wieder vereitelt werden, denn ich denke ganz einfach, die Aufgaben einer Armee und der Polizei sind völlig unterschiedlich. Während die Polizei ein ziviler Dienstleister ist, der de-eskalierend wirkt, hat ja eine Armee den Auftrag, ihr Land nach außen zu schützen und, falls es schlimme Situationen gibt, diese zu bereinigen. Das ist ein völlig anderer Ansatz.

Aber aufgrund dessen, daß hier bestimmte Politiker nur Kostenfaktoren hinter der Polizei sehen, und daß sich zum Glück der Ansatz, die Bundeswehr im Landesinnern einzusetzen - was für mich übrigens auch der Weg in Richtung eines Militärstaates wäre -, nicht verwirklichen ließ, weil die entsprechenden Grundgesetzänderungen nicht stattfinden konnten, weil sich ganz einfach die Mehrheiten dafür nicht gefunden haben: da ergibt sich natürlich ganz automatisch der Verdacht, daß man die Polizei jetzt flächendeckend so schwach machen, dermaßen ausbluten will, um zukünftig andere Argumente ins Feld führen zu können, um doch die Armee im Landesinneren einzusetzen.

Das ist für mich eine sehr große Gefahr, die ich sehe, und das paßt natürlich auch in das Bild, jetzt zu einer Berufsarmee zu schreiten, um auch dort sagen zu können: mit einer Berufsarmee, die kann ich halt so einsetzen, wie ich das möchte, und ihr den Auftrag im Landesinneren geben, und brauche dann nicht mehr auf ein Argument einzugehen, nämlich auf die notwendige Qualifikation, auf die Ausbildung für bestimmte Situationen, die natürlich bei einer Freiwilligenarmee mit entsprechend kurzen Dienstzeiten so nicht gegeben wäre.

Also hier sehe ich schon eine Gefahr und ich befürchte, daß diese Entwicklung damit unterstützt wird. Wir hoffen ganz einfach, daß wir die Bürger davor bewahren können, denn es sähe schlimm damit aus, wenn beispielsweise bei einem Fußballspiel die Bundeswehr mit Panzern das Stadion bewacht.

Der Polizist ist ja ein Dienstleister am Bürger, Polizei ist eine Dienstleistung - das ist keine paramilitärische Einheit oder ähnliches -, wo ganz einfach zivil miteinander umgegangen und trotzdem für Recht und Ordnung gesorgt wird.

Eine Armee sehe ich da etwas anders, dort ist eine knallharte Hierarchie notwendig, dort ist eine Befehlsstruktur notwendig, um bestimmte Aufgaben im Ernstfall, also im Falle eines Angriffs auf das Land, erledigen zu können, die eben nicht auf De-Eskalation, nicht auf Zusammenarbeit mit den Bürgern setzt, sondern natürlich aus der Aufgabenstruktur völlig anders ist. Das ist der gravierendste Unterschied, und eine Vermischung in dem Bereich wird nie funktionieren. Übrigens sagen unsere Kollegen vom Bundeswehrverband selbst, daß sie keinesfalls für die Armee Aufgaben im Landesinneren wahrnehmen wollen.

 

Frage:... weil ja auch der Polizist immer als Helfer des Bürgers gilt.

 

Kubitz: Das ist dieses De-eskalierende, dieses Bürgerfreundliche, was wir als Polizisten als Dienstleistung für den Bürger gerne erbringen.

Sparpolitik ist Angriff auf den Staat

Frage: Im Grunde genommen ist ja diese Sparpolitik fast ein Angriff auf den Staat an sich - der verschwindet ja damit.

 

Kubitz: Man kann das Thema natürlich unter dem Demokratiegesichtspunkt diskutieren, weil ich der festen Überzeugung bin: zur Demokratie gehört Freiheit. Die Freiheit muß natürlich von Recht und Ordnung begleitet sein, und dafür hat der Staat die Polizei, denn das ist die vornehmste Aufgabe, diese Freiheit zu schützen und zu gewährleisten.

Und wenn man das unter dem Demokratiegesichtspunkt nimmt, schafft sich der Staat im Augenblick ein riesiges Problem, denn mit der immer weiteren Schwächung der Polizei wird es natürlich nicht nur die Idee geben, die Bundeswehr im Landesinneren einzusetzen, sondern es besteht die ganz große Gefahr, daß Sicherheit ein käufliches Gut wird.

In bestimmten Wohnbereichen, wo Leute wohnen, die sich das leisten können, werden sich Bürgerwehren gründen, werden private Sicherheitsfirmen in das Geschäft gehen und dort auf jeden Fall Gefahrenvorbeugung übernehmen, also Streifen laufen und möglicherweise in Form einer Nahezu-Selbstjustiz auch Angriffe auf diese Sicherheit zu ahnden versuchen. Und das ist vom Demokratiegesichtspunkt natürlich der größte Crashkurs, den eine Demokratie überhaupt fahren kann. Aber die Ansätze dafür sehe ich in Deutschland durchaus gegeben - und in Sachsen sehr deutlich.

 

Frage: Genau diese Entwicklung gibt es ja bereits in Brasilien, wo man verschanzte Reichenviertel hat, die nur mit Hubschraubern von Haus zu Haus fliegen, während sie gleichzeitig absolute Gettos haben, wo Banden und Drogenbanden die Sachen regieren. Und dann haben wir die zunehmende Tendenz zu Privatarmeen, Blackwater war berühmt und berüchtigt geworden in den Medien, im Irak, in Afghanistan. Ihrer Meinung nach besteht die Gefahr auch hier?

 

Kubitz: Die Gefahr besteht. Hier müßte man tatsächlich von vornherein gegensteuern, hier müßte die Politik bereit sein, gegenzusteuern, nach der Devise, „Wehret den Anfängen!“, denn die Anfänge sind ganz deutlich zu merken.

Ich komme aus einer sehr strukturschwachen Region, ich stamme aus der Lausitz, und ich weiß, daß die Diskussionen sehr intensiv - gerade in den Grenzbereichen - dahingehend laufen, daß man Bürgerwehren gründen will, weil das die Polizei einfach nicht schafft, weil sowohl die Bundespolizei als auch die Landespolizei der Grenzkriminalität ja nicht so intensiv begegnen kann, wie sie gerne will, weil ganz einfach das Personal fehlt.

 

Frage: ...was ja letztendlich das Auseinanderbrechen des staatlichen Gefüges bedeuten würde.

 

Kubitz: Genau dort liegt das Problem: Wenn die Bürger anfangen, sich selber zu schützen, dann besteht natürlich das große Problem, daß der Staat in diese Bereiche dann nicht mehr reinkommt. Und damit wäre die Entpolitisierung und damit der Weg in eine Privatisierung der entsprechenden Bereiche geöffnet.

Radikalisierung und Integration

Frage: Wenn man sich dann noch die allgemeine Lage anschaut, eben mit dem bereits angesprochenen Problem Integration, aber vor allen Dingen die Wirtschaftskrise insgesamt, dann sind wir eigentlich gar nicht weit weg von dem Zustand der dreißiger Jahre, wo wir eine massive Arbeitslosigkeit gesehen haben, und als Folge dessen eine Radikalisierung auf beiden Seiten des Spektrums - links wie rechts.

 

Kubitz: Die Radikalisierung ist doch in bestimmten Bereichen in Sachsen schon sehr deutlich zu merken. Es ist ja nicht nur das Erstarken der NPD mit ihren flachen Parolen, ohne daß tatsächlich Lösungen dahinter stehen, es ist auch in der autonomen Szene immer deutlicher zu merken, daß sich zusammengeschlossen wird, daß es also auch im linken Spektrum immer mehr in die Richtung zum Extremismus geht, und dem wird entschieden zuwenig und nicht mit aller Härte entgegnet.

Die Parolen von Sarrazin kommen ja nicht irgendwo her, sondern sie sind ja tatsächlich teilweise aus dem Leben gegriffen - wenn man mal seine „genetischen“ Ausführungen wegläßt, die natürlich totaler Schwachsinn sind, denn da hat es ja in Deutschland schon mal Ansätze gegeben, die ja hin bis zur Euthanasie geführt haben. Wenn man diesen Schwachsinn wegläßt, aber das Problem der sozialen Spannungen und das Problem der sehr halbherzigen Integration von Migranten nimmt, dann hat man die Ansätze überall. Vor diesem Hintergrund muß man ganz einfach dazu sagen: daß die Diskussion dazu stattfindet, ist sehr gut, aber ich hoffe, daß nicht nur diese Diskussion dazu stattfindet, sondern daß endlich mal vernünftig reagiert wird, denn ich denke, Integration ist etwas anderes, als irgendwelche Fragebögen ausfüllen zu lassen, sondern Integration muß gelebt werden.

Nicht die Ausgaben, die Einnahmen sind das Problem

Frage: Was ich als großes Problem sehe, ist dieses Triage-Denken - daß man sagt, wir haben immer bloß Geld für eines von zwei Dingen: entweder kümmern wir uns nur um die deutschen jungen Leute, oder wir kümmern uns um die Integration, entweder bauen wir jetzt diese Brücke, oder das Krankenhaus. Aber wenn wir uns mal die Gelder ansehen, die jetzt für die Banken herausgeschmissen worden sind - und das werden ja immer mehr, jetzt waren es 480 Mrd. Euro an Bürgschaften für die deutschen Banken: mit den Geldern hätte man ja fundamental hier Infrastruktur aufbauen können, gerade junge Leute da reinziehen können, qualifizierte wie unqualifizierte Leute, und damit einen positiven Trend schaffen.

 

Kubitz: Ich denke ganz einfach, gerade das Finanzthema ist ein sehr spannendes in Deutschland, denn ich glaube, wir haben in Deutschland kein Ausgabe-Problem, wir haben ein Einnahme-Problem, und zwar ein selbstgeschaffenes Einnahme-Problem.

Ich denke hier an den Beginn der 2000er Jahre oder die letzten neunziger Jahre, wo ja Milliardengeschenke an Steuergeldern an Großunternehmen gemacht wurden, indem Steuererleichterungen in diesem Bereich gemacht wurden. Im Gegenzug dazu versucht man, von den einfachen Bürgern immer mehr Steuern einzunehmen, die aber das, was an Geschenken gemacht wurde, niemals kompensieren können.

Zusätzlich kommt, daß Politik in ihrer Überheblichkeit Landesbanken, Zentralbanken geschaffen hat, die spekulativ tätig geworden sind, und damit wurde das Steuergeld der Menschen, was eigentlich für den Staat zur Verfügung steht, um ein funktionierenden Staatssystem zu erhalten - das wurde ganz einfach verzockt. Und unter diesem Problem haben wir jetzt zu leiden. Ich denke da an die Landesbank in Sachsen, welche ja als eine der ersten zusammengebrochen ist, wo heute noch Millionenbürgschaften fällig werden und in den nächsten Jahren weiterhin fällig werden, und notwendige Konsequenzen nicht im erforderlichen Umfang gezogen sind.

Ich denke, kein Staat hat das Recht, mit den Einnahmen aus den Steuern zu spekulieren, sondern hier muß ein System geschaffen werden, daß der Staat eben nicht spekulativ tätig werden kann, sondern seine Finanzen zielgerichtet einsetzt.

Spekulantentum, das wird ja auch von bestimmten politischen Kreisen gefördert. Ich denke da an bestimmte Steuergeschenke in einzelne Bereiche - nach den letzten Bundestagswahlen wurde es ja sehr deutlich, daß ein bestimmtes Gewerbe aufgrund guter Lobbyarbeit Steuergeschenke erhalten hat. Das ist etwas, was sich kein Staat leisten kann auf Dauer, denn diese Steuergeschenke sind ja nicht tatsächlich dort angekommen, wo sie ankommen sollten, sie sind also zum größten Teil nicht in Investitionen gegangen oder an die Beschäftigten weitergegangen, sondern die haben sich diejenigen, die die Steuergeschenke erhalten haben, in die private Tasche gesteckt.

Und das ist ungesund. So etwas kann man einfach nicht machen, das ist keine Politik im Sinne der Bürger und im Interesse des Staates, sondern das ist einfache Lobbypolitik, die zum Scheitern verurteilt ist. Der Markt reguliert an dieser Stelle sehr wenig, denn der Markt ist nicht das Instrument, was tatsächlich etwas vernünftig regulieren kann, sondern hier muß Politik die Entscheidungsspielräume, die sie hat, ausnutzen und den Mut haben, zu entscheiden und nicht nur Lobbypolitik machen, weil die eben der einen Partei etwas mehr zukommen lassen als der anderen, dann auch noch deren Politik tragen und im Prinzip damit einen Beitrag dazu leisten, Politik gegen die Bürger zu machen.

Unterstützen Sie das Trennbankensystem?

Frage: Wir als BüSo fordern ja seit langem dieses Trennbankensystem, wo wir sagen: Um der Spekulation Einhalt zu gebieten, muß man generell einen Teil des Bankensektors komplett von jeglicher Spekulation abschirmen, daß man sagt: Hochrisikopapiere, Derivate, Hypothekenpapiere, die zweitrangig sind und über irische Zweckgesellschaften laufen wie im Fall der Sachsen-LB - das geht einfach nicht, wir haben einen Sektor, der sich um realwirtschaftliche Aktivitäten und die Ersparnisse der Leute kümmert, und der andere Sektor, Investment- und Risikobanking, ist rein privat und auf eigene Faust. Wenn wir das gemacht hätten, wäre der Großteil dieses faulen Zaubers wahrscheinlich 2007 sang- und klanglos untergegangen. Unterstützen Sie diesen Vorschlag?

 

Kubitz: Ich denke, dieser Vorschlag macht sehr viel Sinn, denn wenn ich sage, der Staat darf nicht spekulativ tätig werden, führt genau dieses Trennbankensystem zu dem, was wirklich zielführend in der Zukunft ist.

Wenn der Staat nämlich nicht spekulativ tätig wird, dann müssen die Bürger auch nicht dafür herhalten, wenn eine Privatbank pleite geht, weil der Staat einen ganz anderen Gestaltungsspielraum hat und eben nicht irgendwelche Privatbanken, die sich irgendwo verzockt haben, stützen muß, oder so, wie es im Augenblick ist, mit den sogenannten „Bad Banks“, die Risikopapiere als Staat übernimmt und natürlich mit den Steuergeldern der Bürger dafür steht, während sich die Privatbanken weiterhin im Geschäftsfeld tummeln und mit staatlichen Geldern gestützt und unterstützt werden, um weiter zu spekulieren. Das ist ja die Situation, die wir augenblicklich haben, und die muß bekämpft werden.

Und damit löst sich natürlich auch das Einnahmen-Problem des Staates ein Stück weit auf. Da muß man nicht nach hinten kucken, sondern ich denke, da muß man nach vorn kucken.

Und vor diesem Hintergrund ist es dann für mich natürlich um so verwunderlicher, daß bestimmte Politiker nicht einmal mehr bereit sind, für Solidarität der Bürger zu werben, sondern mit unverschämten Angeboten in schwierigen Notsituationen wie beim Hochwasser in der Lausitz noch zusätzlich die Bürger belasten wollen, indem sie sagen: Wir geben euch zinsgünstige Kredite. Das ist für mich unverschämt und nicht nachvollziehbar.

 

Frage: Also wenn man sich das mal vergegenwärtigt: Es ist ja wirklich eine absurde Situation. Die Personen, die das Recht gebrochen haben - und nicht nur im kleinen Maße, sondern die Banken, die Steuergelder in höchstem Maße verzockt haben -, die bekommen sofortige Hilfe, in Form der Rettungspakete, und die Leute, die eigentlich das Recht verteidigen sollen - Sie als Polizei z.B. - da wird brutal gekürzt.

 

Kubitz: Die Polizei wird von den Verantwortlichen nicht als Dienstleister gesehen, sondern ganz einfach nur als Kostenfaktor. Und wenn man eine Dienstleistung am Bürger nur als Kostenfaktor sieht, wenn also der entsprechende Politiker, der so etwas zu verantworten hat, nur Eurozeichen im Auge hat, dann arbeitet er nicht für die Bürger, sondern gegen die Bürger und damit gegen den Staat.

 

Frage: ... und müßte eigentlich ersetzt werden.

Ich würde gerne noch einmal auf diese Rettungspakete zu sprechen kommen. Wir hatten gerade dieses Paradox angesprochen: Auf der einen Seite sehen wir, die Banken haben fundamentale Fehler gemacht, haben uns in die größte Wirtschaftskrise mindestens seit den dreißiger Jahren gestürzt - diese Leute bekommen Geld. Und die Realwirtschaft auf der anderen Seite wird ausgesaugt; die wenigen Gelder, die wir noch im realwirtschaftlichen Sektor finden, die zieht man ab, und immer mehr Gelder gehen in diesen fiktiven Bereich, was wir gerade daran sehen können, daß jetzt sowohl von der Europäischen Zentralbank wie auch von der amerikanischen Zentralbank entschieden worden ist, weitere Schrottpapiere in Höhe von Billionen Dollar aufzukaufen.

Das ist ja eigentlich eine Politik, die wir in Deutschland schon einmal erlebt haben, und zwar 1923, als wir gesagt haben, wenn nichts mehr geht, dann schmeißen wir die Druckerpresse an, was ja dann zur absoluten Geldentwertung...

 

Kubitz: ... Inflation, richtig...

 

Frage: ... zur Hyperinflation von 1923 geführt hat. Was ist denn davon zu halten?

 

Kubitz: Na, ich denke, der Weg, der momentan finanzpolitisch beschritten wird, ist ein Irrweg, denn wenn man tatsächlich als Staat alle negativ belasteten Papiere übernimmt und die Bürger damit belastet, und die privaten Banken weiter spekulieren läßt und sie sogar noch dabei unterstützt, dann kann das nicht gut gehen. Denn zu irgendeinem Zeitpunkt werden Bürgschaften und Hypotheken in irgendeiner Weise fällig, und wenn man die dann nicht bezahlen kann, dann ist der Ausweg tatsächlich nur noch eine Inflation, indem man mehr Geld druckt. Und genau das ist ja die Politik, die dann gegen den Bürger gehen würde, weil Eigentum dann nichts mehr wert ist. Dem muß gegengesteuert werden, und hier müssen viele noch munter werden und viel aktiver gegensteuern.

Große Projekte und die Einigung Europas

Frage: Wir haben uns ja als Partei immer schon eingesetzt für große Infrastrukturprojekte, und jetzt momentan ist eine ganz heiße Sache, was in den USA läuft, dieses NAWAPA-Projekt, wo man ein Wasserprojekt schafft im Umfang von wahrscheinlich drei Millionen Arbeitsplätzen in den USA selbst. Das sind Dinge, die sind in den sechziger Jahren in der Planung gewesen, irgendwann aufgehalten worden, aufgrund einerseits ideologischer, aber irgendwann auch finanzpolitischer Gründe.

Es gibt ja für Deutschland ähnliche Sachen; wir haben in verschiedenen Wahlkämpfen in Sachsen den Ausbau der Sachsen-Magistrale vorgeschlagen, wo man einfach ein Denken hat, wenn wir wirklich über eine europäische Einigung sprechen: Wir binden die europäische Infrastruktur in Verkehrswegenetze ein; d.h., das man also den Transrapid ausbaut; daß man dran denkt, die Bevölkerungszentren in Asien mit Europa zu verbinden. Das sind alles Dinge, die sehr groß sind. Macht das Sinn für Sie?

 

Kubitz: Also, wir haben in Europa keine Wüste, die wir bewässern können, aber ich denke, Verkehrsinfrastrukturprojekte sind sehr wichtig, gerade im vereinigten Europa, wo tatsächlich noch sehr viel im Argen liegt. Wir können ja beispielsweise Polen, Bulgarien und Rumänien nicht mit Deutschland vergleichen. Hier müssen die entsprechenden Strukturprojekte getätigt werden, um nicht nur die Menschen zusammenzubringen, sondern auch industrielle Möglichkeiten zu schaffen, viel enger und viel intensiver zusammenzuarbeiten.

Das muß verbunden werden mit der Beschäftigung von Menschen. Aber genau hier sehe ich den Punkt: Die Beschäftigung von Menschen muß dann auch im vereinigten Europa entsprechend gleichmäßig behandelt werden. Es kann nicht angehen, daß mit irgendwelchen Billiglöhnen gearbeitet wird, mit Dumpingpreisen, sondern wenn man Europa insgesamt zusammenbringen will, dann müssen die sozialen Standards einheitlich sein und natürlich dann auch die entsprechende Bezahlung stattfinden.

Genau solche Projekte sind dringend geboten, um das Zusammenwachsen Europas sowohl im wirtschaftlichen Bereich als auch im menschlichen Bereich zu schaffen, denn ich halte nicht die Sprachbarriere für das schwierigste Problem, sondern ich denke ganz einfach, daß die Menschen viel mehr miteinander umgehen müssen. Bestimmte Spannungsfelder bauen sich dann von selbst ab.

 

Frage: Daß das wahrscheinlich von der EU nicht kommen wird, liegt irgendwie auf der Hand, denn viel, viel von der Sparpolitik kommt direkt aus Brüssel.

 

Kubitz: Die EU - gerade an dem Punkt ist sie ein sehr zahnloser Tiger, denn nicht alle Vorgaben der EU werden in den Ländern dementsprechend umgesetzt, und die Instrumentarien der EU in Brüssel sind nach meiner festen Überzeugung völlig unzureichend, um tatsächlich eine progressive Politik in Europa insgesamt zu machen. Dafür gibt es viele Beispiele, ich denke da nur - auch um mal wieder ein Stück weit in Richtung Polizei zu kommen: da gibt es Arbeitszeit-Richtlinien, die von der Europäischen Union vorgegeben werden, die werden in weiten Bereichen sehr selten eingehalten.

 

Frage: Machen diese Arbeitszeiten Sinn, diese Richtlinien?

 

Kubitz: Ja, doch, die Arbeitszeit-Richtlinien in der Europäischen Union machen schon Sinn, weil zum mindesten mal vorgegeben ist, daß zwischen zwei Diensten elf Stunden Ruhepause liegen sollen. Aber im wahren Leben ist das wahrscheinlich ein bißchen anders. Wir wissen das sehr genau, daß manchmal Dienste geplant werden, wo also tatsächlich theoretisch elf Stunden Ruhepause dazwischen liegen würden, aber wenn ich genau weiß, daß der betreffende Kollege oder ein Großteil der betreffenden Kollegen noch von der Dienststelle über eine Stunde nach Hause brauchen, um zur Ruhe zu kommen, und zur nächsten Schicht wieder über eine Stunde in die Dienststelle brauchen, dann sind aus den elf Stunden Ruhepause schon mal nur neun geworden, und dann wird im Gegenzug dazu noch von freundlichen Arbeitszeiten für Familie und Beruf gesprochen und ähnliches.

Das paßt alles irgendwie nicht zusammen, und genau vor einem solchen Hintergrund sehe ich dann immer: Wie kann sich denn die Europäische Union durchsetzen? Und eigentlich kann sie es gar nicht. Wenn ein Mitgliedsland ganz einfach die Richtlinien nicht umsetzt, dann sind die Sanktionen auch sehr gering, oder es wird immer nur über Geld geredet, weil ja auch die europäische Zentralregierung dem Geld nicht unbedingt abgeneigt ist.

Wie kann ein vereintes Europa geschaffen werden?

Frage: Da sagten Sie uns ja gerade das Stichwort: Zentralregierung. Denn wir haben ja einen Trend, der unserer Meinung nach sehr gefährlich ist, wo ja mittlerweile mehr als 80% der deutschen Gesetz nicht im Berliner Bundestag gemacht werden, sondern in Brüssel.

Unserer Ansicht nach ist es ja eigentlich so: Die Freiheit und die Demokratie können eigentlich nur von den gewählten Institutionen vertreten werden, an die hat man die Macht abgegeben, das ist der verfassungsgemäße Prozeß; und wenn man sich anschaut, daß der Großteil der Gesetzgebung von der EU-Kommission kommt - das EU-Parlament hat ja keine legislative Funktion -, dann haben wir eigentlich damit eine Ebene der Demokratie schlicht abgeschafft.

 

Kubitz: Wir haben ein Problem dadurch, daß vieles inkonsequent gemacht wird in Europa, und gegen diese Inkonsequenz muß man natürlich vorgehen und ganz einfach klarmachen: Wenn wir ein vereintes Europa wollen, dann müssen wir auch als vereintes Europa handeln.

Aber der Weg dahin ist wahrscheinlich noch sehr weit, weil andere Interessen dem entgegenstehen. Da sind nicht nur Finanzinteressen, sondern Wirtschaftsinteressen, die dem völlig entgegenstehen - ich denke nur an die Beteiligung am Krieg in Afghanistan, wo die Engländer ja eine völlig andere Linie als das restliche Europa gefahren sind.

 

Frage: ... und beim Irak genauso.

 

Kubitz:... beim Irak genauso.

 

Frage: Die Frage ist auch: „Vereintes Europa“ wird oft einfach so leicht in den Mund genommen. Was ist das für ein vereintes Europa? Ist das ein vereintes Europa komplett ohne Zölle und mit einer Gleichschaltung der Politik, wo die Finanzinteressen schalten und walten können, wie sie wollen, oder ist das ein vereintes Europa, wo alle Nationen mit den gewählten Regierungen wirklich zusammenarbeiten und sich verwirklichen können?

 

Kubitz: Das ist eine Frage der Gleichberechtigung. Im vereinten Europa müssen natürlich alle gleichberechtigt sein, und das wollen Verschiedene nicht. Auch Deutschland.

Wie sehen Sie die Zukunft mit Großprojekten?

Frage: Die Projekte, die hier gemacht werden müssen, liegen eigentlich ja auf der Hand. Wir haben es eben schon angesprochen: die Grundinfrastruktur muß instandgesetzt werden, es gibt Zahlen vom Deutschen Städtetag, die vor einigen Jahren einen Notfallplan vorgelegt haben, nach dem 700 Mrd. Euro sofort investiert werden müßten, einfach nur, um die grundlegenden Sachen auf den neuesten Stand zu bringen - Wasserleitungen, Brücken, Straßen, Krankenhäuser, Schulen. Und das würde ja extrem viel Arbeit schaffen, wie gesagt für qualifizierte und für unqualifizierte Leute, und eine Richtung generell nach vorne bringen, dann hätten wir, denke ich, eine ganz andere Dynamik.

Auch die Polizei wäre dann in einem ganz anderen Umfeld, wo die Leute nicht denken, wir müssen jetzt sparen, wir müssen den Gürtel enger schnallen, sondern es geht nach vorne. In so einer neuen Situation, wollte ich sie gerne fragen: Wie würden Sie Deutschlands Zukunft sehen, wie Sie es wollten?

 

Kubitz: Also, ich wollte ganz einfach, daß tatsächlich in Deutschland an Projekten gearbeitet wird, die zukunftsweisend sind. Über das Verkehrswegenetz insgesamt hatten wir uns ja schon verständigt: gerade das ist ja ein Ansatz, wo ich denke, hier ist sehr vieles in Deutschland zu machen, was perspektivisch wirkt.

Ich denke da nicht nur an den weiteren Ausbau von Autobahnen, sondern es gibt ja ganze Landstriche, wo die Straßen sehr überholungsbedürftig sind, wo auch viele Menschen in Arbeit kommen könnten, was also vordergründige Aufgabe einer Regierung sein müßte. Dazu wären die Finanzmittel mit Sicherheit auch da, denn ich denke, die Kraftfahrzeugsteuern in Deutschland sind hoch genug, auch die Benzinpreise. Wenn man sie tatsächlich dafür einsetzt, wofür sie eigentlich gedacht waren, dann wären auch die Finanzmittel vorhanden.

So kann man sich sehr vieles zusammenreimen, und ich denke ganz einfach, wenn die Politik endlich aufhört, Lobbypolitik zu machen für bestimmte Bereiche, die nur dazu beitragen, daß die soziale Schere immer weiter auseinandergeht, sondern mehr an das Land, an die Menschen im Land denkt, und genau solche Projekte anfaßt, dann wird es in Deutschland auch vorwärtsgehen und zu einem echten Aufschwung kommen, und nicht nur zu einem herbeigeredeten.

Wenn ich nicht mehr bloß auf den Export kucke, sondern tatsächlich auch den Binnenmarkt stärke, dann stabilisiert sich das ganze, denn es kommt ja zurück. Der permanente Anstieg des Exports wird irgendwann nicht mehr stattfinden können, ich muß den Binnenmarkt stärken. Die Leute müssen sich was leisten können, die Leute müssen das Geld hier ausgeben. Dann funktioniert es.

 

Den Mitschnitt dieses Interviews finden Sie auf der Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, www.bueso.de.

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