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Der Schweizer Politiker Jean Ziegler, von 2000-08 Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf angemessene Ernährung, ist für seine Direktheit bekannt. Am 29. August sagte er im Rahmen der ZDF-Sendung „Nachtstudio“, daß die für die Finanzkrise verantwortlichen Banker wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit... vor ein internationales Gericht gehörten“ wie das Nürnberger Tribunal gegen Kriegsverbrechen. Wegen der staatlichen Bankenrettungsprogramme sei Geld aus lebensnotwendigen Nahrungsmittelprogrammen genommen worden; er nannte als Beispiel die Schulspeisung für eine Million Kinder in Bangladesch, „die nichts anderes haben als diese einzige Mahlzeit“.
Dann machte Ziegler den entscheidenden Punkt: „Der World Food Report sagt, daß die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase der Entwicklung der Produktivkräfte problemlos... 12 Milliarden Menschen ernähren könnte.“ Als der Moderator „theoretisch“ einwarf, antwortete Ziegler: „Nein, ganz praktisch. Heute ist die Fatalität besiegt. Ein Kind, das heute am Hunger stirbt, ... wird ermordet.“
Dennoch verschlechtert sich die Lage in Afrika dramatisch. Am 1. September brachen in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, Hungerunruhen aus, bei denen es sieben Tote und 288 Verletzte gab. Die Regierung hatte einen Anstieg der Preise für Strom um 13,4% und für Wasser um 11,7% verkündet und beschlossen, am 6. September den Brotpreis um 25% zu erhöhen. Die FAO schätzt die Weizenernte dieses Jahres auf 648 Mio. t, gegenüber 2009 ein Rückgang um 5%, der auf die Trockenheit in Rußland zurückgeführt wird. Ein Anstieg des Brotpreises um 25% allerdings hat wenig oder nichts mit Angebot und Nachfrage zu tun.
In Wirklichkeit leidet Mosambik wie alle Entwicklungsländer an dem Zwillingsübel von Globalisierung und fehlenden Infrastrukturinvestitionen. Weltbank und IWF haben in autarken Landwirtschaftsgebieten den Abbau von Investitionen durchgesetzt, um den Export von Biotreibstoffen zu fördern. Das wurde von Olivier de Schutter, Nachfolger Zieglers bei der UNO, in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Libération bestätigt. Diese Länder müssen Weizen und Reis importieren, deren Preis wegen der Spekulation auf Erdöl, Nahrungsmittel und Devisen steigt.
Mittlerweile müssen diese Länder in ihrer Währung das 5-6fache für Nahrungsmittelimporte bezahlen. „Der kleinste Anstieg der Rohstoffpreise kann zu einem wirklichen ökonomischen Schock führen“, der die Ärmsten trifft, sagte de Schutter. Während der Nahrungsmittelkrise 2008 verlangte die FAO eine Überprüfung der Subventionspolitik von Biotreibstoffen wegen ihres Einflusses auf die Hungersituation, doch ist seitdem nichts geschehen. Die EU-Politik für eine verbindliche Ausweitung der Nutzung von Biotreibstoffen, die für die rücksichtlose „Landnahme“ in Afrika verantwortlich ist, ist weiter in Kraft. Am 29. März dieses Jahres hatte FAO-Generaldirektor Jacques Diouf gewarnt, es könnten jederzeit wieder Hungerunruhen ausbrechen, „da alle Faktoren, die zur Krise [von 2008] führten, nach wie vor da sind“.
sas