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Seit der Verfassungsklage der fünf „Anti-Euro-Professoren“ im Juni gegen den EU-Rettungsfonds für die in Euro-Staatsanleihen spekulierenden Banken wird innerhalb und außerhalb Deutschlands viel über das mögliche Urteil des Verfassungsgerichts diskutiert. Ein Urteil im Sinne der Kläger wird allgemein nicht ausgeschlossen, viele halten es sogar für wahrscheinlich.
Zur Überraschung vieler jedoch urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 26. August zugunsten europäischer Supranationalität, als es in einem Fall, bei dem es um Unterschiede zwischen deutschem und EU-Arbeitsrecht ging, einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Vorrang einräumte. Der einzige Richter am Zweiten Senat des BVerfG, der eine abweichende Meinung vertrat, war Herbert Landau. Er kritisierte das Urteil vehement und warf den anderen Richtern Kapitulation vor der EU vor. Sie hätten damit die Prinzipien verletzt, die Grundlage für das historische Urteil zum Lissaboner Vertrag vom 30.6.2009 gewesen waren.
Vor die Alternative gestellt zwischen „Funktionsfähigkeit“ europäischer Institutionen und ihrer demokratischen Legitimation, habe „das BVerfG einseitig zugunsten der Funktionsfähigkeit“ geurteilt, lautete der Vorwurf Landaus. Das Gericht habe die Augen vor der Gefahr verschlossen, daß „Machtanmaßungen“ durch EU-Institutionen auf Kosten der Nationalstaaten gewöhnlich verdeckt und nie offen geschehen und daß das BVerfG in dieser Frage eine klare Trennungslinie hätte ziehen sollen. Landau: „Wird die Ausübung hoheitlicher Gewalt ohne hinreichende demokratische Legitimation zugelassen, so widerspricht dies der Kernaussage des Senatsurteils vom 30. Juni 2009.“
Das Pro-EU-Lager, z.B. die FAZ, die in ihrer Ausgabe am 27.8. dem Fall allein drei Artikel widmete, begrüßte das Urteil - ebenfalls als Zeichen dafür, daß das Gericht sich von den Prinzipien des Urteils vom Juni 2009 distanziert habe. Die FAZ deutete an, daß auf die Richter massiver politischer Druck ausgeübt wurde: Die Mehrheit des Gerichts habe auf Kritik aus wissenschaftlichen und politischen Kreisen reagiert. Nun werde die Verfassungsbeschwerde gegen das Finanzrettungspaket, so die Zeitung, wohl zunächst zum EuGH gehen, bevor das BVerfG sich damit befaßt. Das ist jedoch eine voreilige Schlußfolgerung, denn die Frage des Rettungspakets hat grundlegenderen Charakter als die arbeitsrechtliche Frage des jüngsten Urteils. Und die Verfassungsrichter müssen sich darüber im klaren sein, daß sie, wenn sie den Fall einfach an den EuGH weiterleiten, nur der wachsenden Anti-EU-Stimmung in der deutschen Bevölkerung Vorschub leisten würden, die in den Meinungsumfragen im ersten Halbjahr 2010 von 40% auf 50% anwuchs.
sas