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Im Gegensatz zu Robert und Clara Schumann, die die klassische Kompositionsmethode Bachs wiederbeleben wollten, führten Franz Liszt und Richard Wagner einen - ab 1850 ganz offen erklärten - Krieg gegen die klassische Musik.
Die Kampagne begann mit einem vorsätzlichen Affront Franz Liszts gegen Robert Schumann, in dessen Haus Liszt bei einem Musikabend - fünf Monate nach dem Tod des eng mit Schumann befreundeten Mendelssohn - Mendelssohns Musik mit der von Meyerbeer auf eine Stufe stellte. Schumann protestierte energisch gegen Liszts Äußerungen, die er als „ungerecht und beleidigend“ empfand. Diesem ersten Angriff folgte wenig später Wagners berüchtigtes Pamphlet gegen das „Judenthum in der Musik“. In einer musikhistorischen Untersuchung stellt David Shavin1 dazu fest:
„Im folgenden Jahr [1850] wurden Liszt und seine Mätresse, die Gräfin von Sayn-Wittgenstein, zu Beschützern und Förderern Richard Wagners, der dann seinen anonymen Angriff auf Mendelssohn und Schumann - ,Das Judenthum in der Musik’ - veröffentlichte...
Wegen seiner anarchistischen Aktivitäten während der Revolution 1849 in Dresden, hielt sich Wagner damals vor der Justiz versteckt. Der erste Ort, an dem er Unterschlupf suchte, war das Schloß der Gräfin in Altenburg, wo diese mit Liszt zusammenlebte. Hier begannen Wagners Jahre auf der Flucht, mit Unterstützung und Anleitung von dieser sicheren Basis aus. Sein Aufsatz wurde 1850 von Paris aus unter dem Pseudonym ,K. Freigedank’ an den Verleger Franz Brendel geschickt...
1869, als Wagner einen neuen Angriff auf die Juden startete, indem er seinen Aufsatz, nun unter seinem eigenen Namen, erneut publizierte, machte er deutlich, daß er Mendelssohn vor allem deshalb ablehnte, weil er mit Schumann verbunden war. Wagner verwahrt sich zunächst gegen Eduard Hanslicks Eintreten für Mendelssohn von 1854:
,Dieser schrieb nun ein Libell über das ,Musikalisch-Schöne’, in welchem er für den allgemeinen Zweck des Musikjudenthums mit außerordentlichem Geschick verfuhr... , indem er der Reihe Haydns, Mozarts und Beethovens so recht wie natürlich, Mendelssohn anschloß.’
Wagner fährt fort, und bedauert Mendelssohns Einfluß auf Schumann: ,Vergleichen Sie den Robert Schumann der ersten, und den der zweiten Hälfte seines Schaffens: dort plastischer Gestaltungstrieb, hier Verfließen in schwülstige Fläche bis zur geheimnisvoll sich ausnehmenden Seichtigkeit. Dem entspricht es, daß Schumann in dieser zweiten Periode mißgünstig, mürrisch und verdrossen auf Diejenigen blickte, welchen er in seiner ersten Periode als Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik so warm und deutsch liebenswürdig die Hand gereicht hatte... In diese Trägheit versank auch Robert Schumanns Genius, als es ihn belästigte, dem geschäftig unruhigen jüdischen Geiste Stand zu halten; es war ihm ermüdend, an tausend einzelnen Zügen, welche zunächst an ihn herantraten, sich stets deutlich machen zu sollen, was hier vorging. So verlor er unbewußt seine edle Freiheit, und nun erleben es seine alten, von ihm endlich gar verleugneten Freunde [d.h. Wagner und Liszt], daß er als einer der Ihrigen von den Musikjuden [Hanslick] uns im Triumphe dahergeführt wird!’“
Wagners Gehässigkeiten gegen Mendelssohn und Schumann - die er, man beachte, jeweils erst nach dem Tode der beiden Musiker veröffentlichte - richten sich vor allem gegen ihr Bemühen, die klassische Kompositionsmethode wiederzubeleben. Dies zeigt sich deutlich an einer Passage der ursprünglichen, anonym verfaßten Ausgabe seiner Schrift „Das Judenthum in der Musik“:
„Bei diesem Verfahren ist es noch bezeichnend, daß der Komponist für seine ausdrucksunfähige moderne Sprache besonders unsren alten Meister Bach als nachzuahmendes Vorbild sich erwählte. Bachs musikalische Sprache bildete sich in der Periode unsrer Musikgeschichte, in welcher die allgemeine musikalische Sprache eben noch nach der Fähigkeit individuelleren, sicheren Ausdruckes rang: das rein Formelle, Pedantische haftete noch so stark an ihr, daß ihr rein menschlicher Ausdruck bei Bach, durch die ungeheure Kraft seines Genies, eben erst zum Durchbruche kam. Die Sprache Bachs steht zur Sprache Mozarts und endlich Beethovens in dem Verhältnisse, wie die ägyptische Sphinx zur griechischen Menschenstatue: wie die Sphinx mit dem menschlichen Gesichte aus dem Tierleibe erst noch herausstrebt, so strebt Bachs edler Menschenkopf aus der Perücke hervor. Es liegt eine unbegreiflich gedankenlose Verwirrung des luxuriösen Musikgeschmackes unsrer Zeit darin, daß wir die Sprache Bachs neben derjenigen Beethovens ganz zu gleicher Zeit uns vorsprechen lassen, und uns weismachen können, in den Sprachen Beider läge nur ein individuell formeller, keineswegs aber ein kulturgeschichtlich wirklicher Unterschied vor.“
Alexander Hartmann
1. David Shavin, „The Musical Soul of Scientific Creativity”, Executive Intelligence Review, 23/2010.