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Leipzig. Bei einer Konferenz der Bürgerrechtsbewegung Solidarität in Leipzig wurde nicht nur über die Notwendigkeit einer zweiten friedlichen Revolution gesprochen, es zeigte sich auch eine entsprechende Stimmung.
Vergessen sie alles, was eben noch gewöhnlich schien: Wir befinden uns in einer historischen Umbruchsphase, die am ehesten mit dem politischen Ferment der friedlichen Revolution 1989 zu vergleichen ist, in ihrer Tragweite jedoch deutlich umfassender ist. Die früher allzu üblichen Redensarten wie „Geld regiert die Welt“, „Die da oben machen doch eh, was sie wollen“, etc. sind schon längst bedeutungslos, denn sie greifen nicht mehr in einer Welt, wo Geld und Wertpapiere immer mehr zu „gestempelten Zetteln“ verkommen, die sich durch die staatlichen Rettungspakete nur noch weiter auftürmen und vermehren. Aufgrund dieser Tatsache ist die zunehmende Inflationsangst der Bevölkerung nicht nur berechtigt, so langsam merkt auch der Letzte, daß wir es hier mit einer ausgewachsenen Systemkrise zu tun haben.
Die Lunte brennt, doch was ist zu tun?
Vor diesem Hintergrund hat der sächsische Landesverband der BüSo in den letzten Monaten vor allem Menschen in verantwortlichen Positionen angesprochen, um sie mit dieser Realität zu konfrontieren. Besonders bemerkenswert im Gegensatz zu vergangenen Jahren war, daß bei nahezu allen Gesprächsteilnehmern weder Erklärungen zur Dringlichkeit der Lage vonnöten waren, noch großartig Einwände erhoben wurden, wenn wir die imperialistische Natur dieses Wirtschaftssystems ansprachen und hierbei die Arbeitsweise der EU mit der Sowjetunion verglichen. Ob Bürgermeister, Mittelständler, Gewerkschafter, Akademiker oder Sozialverbände - alle hatten ihre eigene Erfahrung und persönliche emotionale Reaktion auf die Krise und unser Programm, und das mit einer qualitativ ganz neuen Offenheit.
Speziell die Bürgermeister in den verschiedenen Städten des Freistaates wollten am Telefon keine Litanei hören, sondern berichteten selbst mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung über die Zustände in ihrer Stadt: Einer beispielsweise muß sich jeden zweiten Tag mit seinem Kämmerer treffen, um die prekäre Finanzlage zu klären, d.h. zu entscheiden, wo gespart bzw. was gestrichen wird. In konkreten Einzelfällen betrifft es zumeist dringende Infrastruktur- und Sozialprojekte, wie baufällige Brücken oder eben auch Zuschüsse für eine warme Mahlzeit für Schulkinder von Hartz IV-Empfängern. Ein anderer Oberbürgermeister wiederum ging höchstpersönlich auf die sprichwörtlichen Barrikaden, indem er kurzerhand per Telefon seine Bürger für eine Demonstration gegen die Schließung der einzig ortsansässigen Grundschule zusammentrommelte. Alle Bürgermeister warnten vor kommenden sozialen Unruhen, wenn der bestehende Trend nicht umgekehrt würde.
Auch Mittelständler treibt die Krise um, insbesondere die Tatsache, daß sie als Leistungserbringer in der Kreditklemme von der Regierung links liegen gelassen werden, während die Nutznießer des finanziellen Giftmülls auch noch Hunderte von Milliarden an Steuergeldern hinterhergeworfen bekommen. Hinzu kommen noch die weltfremden Richtlinien des EU-Politbüros in Brüssel. Ein Mitarbeiter einer Wohnungsgenossenschaft zeigte die Konsequenzen des Industriekahlschlags nach der Wende (der ja nie rückgängig gemacht worden ist) sehr bildlich auf, indem er berichtete, wie seine Stadt immer noch mit Bevölkerungsrückgang zu kämpfen habe, wobei ganze Viertel herunterkämen, und selbst die noch übriggebliebenen alten Leute ihren Kindern in den Westen hinterherzögen.
An irgendeinem Punkt des Gespräches war es dann meist soweit: „Ich stimme mit ihnen grundsätzlich überein, aber was schlagen sie denn vor?“ Der Leser möge sich diese Frage aus zwei Gründen selbst stellen: erstens liegt genau hier der Unterschied zwischen einem gut informierten, aber stillsitzenden Zaunkönig auf der einen Seite, und einem wirklichem Staatsbürger, der seine Vorstellungen in Wort und Tat ausdrückt auf der anderen; und zweitens, ist man eben immer öfter in der Lage, seinem Gegenüber nicht die Problematik der Weltwirtschaftskrise mit all ihren Facetten darlegen zu müssen, sondern eine gangbare Alternative anzubieten, die im Gegensatz zu manch spinnerten Vorschlägen tatsächlich funktionieren wird!
Hier wurde das Gespräch oft zur lebendigen Geschichtsstunde, in der deutlich wurde, wie das Hauptproblem der modernen Gesellschaft immer noch darin besteht, daß sich Staaten von einer privaten Priesterkaste von Geldgebern, heute mystisch als „der Markt“ bezeichnet, an der Nase herumführen lassen müssen, wobei diese Wucherbande die Macht hat, über Nacht ganze Staaten für bankrott zu erklären.1 Das historisch erfolgreiche Gegenmodell dazu war eben das System der amerikanischen Gründerväter, insbesondere des ersten Finanzministers und Erfinders der ersten republikanischen Nationalbank der Welt, Alexander Hamilton. Seine Konzepte eines wirklich souveränen Staates wurden wiederum von Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt aufgegriffen, wobei letzterer nur so die große Wirtschaftskrise von 1929 lösen konnte. Ein elementarer Bestandteil seiner Reform war das Trennbankensystem auf Basis des Glass-Steagall-Gesetzes, das wir eben heute dringendst wieder brauchen, um uns von dem fiktiven Schuldenballast der Finanzhaie zu befreien und die Realwirtschaft zu beflügeln.
Diese Art von Diskussion war zwar für die Bürgermeister und Mittelständler neu, aber das hielt sie nicht davon ab, ihren Notizblock zu zücken und Mitschriften zu führen. Einige hatten sich nach Zusendung unseres Materials sogar vorbereitet und im voraus die Lösungsansätze Roosevelts im Internet studiert, und dann beim Treffen mit uns entsprechende Fragen oder Vorbehalte an uns herangetragen. Die von uns angesprochenen Akademiker waren hingegen sehr daran interessiert, eine offene Debatte über die Systemfrage und damit wirklich kompetente Wirtschaftswissenschaft in die Universitäten zu bringen.
All diese Entwicklungen mündeten schließlich in unserer Konferenz, die am 5. Juni in Leipzig stattfand,2 und man kann mit Fug und Recht sagen, daß die Veranstaltung einer voller Erfolg wurde! Knapp 40 Gäste aus der ganzen Region fanden sich trotz des heißen Tages in der Alten Nikolaischule zusammen, um über das Schicksal der Menschheit zu diskutieren.
Eröffnet wurde der Abend von der Bundesvorsitzenden der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, Helga Zepp-LaRouche, die gleich zu Beginn die ironische Tatsache hervorhob, daß die Konferenz nur wenige Meter entfernt von dem Ort stattfände, an dem ein System beendet wurde. Sie rief dem Publikum ins Gedächtnis, daß sie zu jener Zeit wiederholt davor gewarnt habe, dem bankrotten Sowjetsystem einfach nur das ebenso bankrotte westliche System überzustülpen, und daß es in diesem Falle nur einige Jahre länger dauern würde, bis diese Ordnung gleichermaßen zusammenbräche. Am Ende ihrer Ausführungen wies sie einen klaren Weg auf, wie wir aus der Krise wieder herauskommen könnten: Nebst eines neuen Finanzsystems sei es entscheidend, den Unterschied zwischen Mensch und Vieh zu verstehen und die einzigartigen Fähigkeiten des Menschen in den Mittelpunkt der Gesellschaftsordnung zu stellen. Für uns Deutsche heiße das, zu den strahlendsten Kapiteln unserer Geschichte zurückzukehren und daran anzuknüpfen. Von ihrer leidenschaftlichen Lobrede auf die deutsche Klassik waren alle im Raum sehr bewegt.
Nach einem kurzen musikalischen Intermezzo in Form des von Robert Schumann vertonten Jägerliedes von Eduard Mörike hielt Marcus Kührt vom sächsischen Landesvorstand ein Plädoyer für nationale Souveränität. Im Kontrast zur weitverbreiteten Annahme, das Thema führe unweigerlich in die dreißiger Jahre zurück, zeigte Marcus, daß ein wirklicher Nationalstaat daran interessiert sei, alles Erdenkliche zu tun, um das Wohlergehen und die Mitwirkung seiner Bürger am Fortschreiten der Gesellschaft insgesamt zu befördern. Nun mögen an den Wahlen der DDR zwar viele mitgewirkt haben, aber freiwillig war das ja wohl nicht - und in der Hitlerzeit gab es überhaupt keine Wahlen! Unser übliches Konzept von „nationaler Souveränität“ muß also nicht nur zurechtgerückt, sondern erst neu gebildet werden, da wir in der jüngeren Geschichte kein lebendiges Beispiel davon haben. Marcus betonte außerdem, daß alle großen geschichtlichen Errungenschaften, ob nun künstlerischer, wissenschaftlicher oder politischer Natur, nicht im Hinblick auf Kosten, sondern zur Erbauung des Menschen bewirkt worden seien.
Im Kontrast dazu steht die Arbeitsweise der EU, die der Mittelständler Reinhard Maßberg in seinem daran anschließenden Vortrag darstellte. Er forderte die Anwesenden in einem inspirierendem Appell dazu auf, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Zum Abschluß lud Karsten Werner, ehem. Leipziger Oberbürgermeisterkandidat und Landesvorsitzender der BüSo, alle Teilnehmer dazu ein, die Geschichte genauso persönlich zu nehmen, wie zur friedlichen Revolution 1989, wo die Menschen den Respekt und die Angst vor ihrer Regierung abwarfen, um ein neues System zu fordern, daß „ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit [...] schicklicher zu seyn dünket“.3 Wir selbst müssen die Boten der neuen Ordnung werden, die wir fordern. Wir müssen uns zurückholen, was uns gestohlen wurde - unsere Schätze aus der Vergangenheit und unsere Zukunft!
Die nachfolgende Diskussion war sehr ehrlich und lebendig, und vor allem von einem brennenden Verlangen nach Veränderung gekennzeichnet. Dabei wurde allen Beteiligten klar, daß man selbst den Anfang machen muß - also, wappnen Sie sich mit Ideen und helfen Sie uns, mehr Leute ins Boot zu holen!
Karsten Werner
Anmerkungen
1. Sehen sie dazu den Film „Das neue dunkle Zeitalter“ auf www.bueso.de.
2. Die ganze Veranstaltung finden Sie ebenso auf www.bueso.de.
3. Aus der amerikanischen Unabhängkeitserklärung von 4. Juli 1776.