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Neue Solidarität
Nr. 23, 9. Juni 2010

Für ein globales Trennbankensystem:
Ohne Glass-Steagall geht Europa unter!

Anstatt energische Maßnahmen gegen die Finanzspekulation zu ergreifen, warnt die Europäische Zentralbank vor entsprechenden Maßnahmen. Gleichzeitig fordern einflußreiche Stimmen in Frankreich einen „legitimen Putsch“, um gegen den Widerstand der Bevölkerung eine europäische Wirtschaftsdiktatur durchzusetzen. Aber es ist eine Illusion zu meinen, Europa könne überleben, ohne mit der Spekulation und dem Euro zu brechen.

Falls die europäischen Staaten den Empfehlungen der EZB, die sie in ihrem soeben veröffentlichten jährlichen Finanzmarktstabilitätsbericht ausspricht, folgen sollten, dann wird Europa ins wirtschaftliche, politische und soziale Chaos stürzen. Denn die EZB warnt Politiker und Aufseher davor, den hiesigen Banken den Eigenhandel sowie Geschäfte mit Hedgefonds und Private-Equity- Firmen zu verbieten. Die Kasino-Wirtschaft soll also voll weitergehen!

Rekapitulieren wir noch einmal: Seit nunmehr fast drei Jahren eskaliert die größte Krise in der Geschichte der Finanzmärkte, und in diesem gesamten Zeitraum haben die G20-Staaten nichts getan, um diese Krise zu überwinden. Durch immer neue „Rettungspakete“ für die Banken ist lediglich eines geschehen: Aus einer Schuldenkrise privater Finanzinteressen ist eine Staatsschuldenkrise geworden, für die nun die Steuerzahler aufkommen sollen - und zwar zum nominellen Buchwert der verzockten Gelder.

Als das Kölner Stadtarchiv einstürzte, versuchten unzählige Ingenieure, herauszufinden, wie dies geschehen konnte. Aber hier tobt die schlimmste Finanzkrise aller Zeiten, und es wurde weder eine tiefgehende Ursachenanalyse noch eine Reregulierung der Finanzmärkte vorgenommen, die Derivat- und Hochrisikospekulation soll laut EZB, von ein paar kosmetischen Korrekturen abgesehen, im Prinzip weitergehen! Dabei könnte es jederzeit erneut zu einer Kernschmelze des Systems kommen, wie beinahe beim Bankrott von Lehmann Brothers 2008. Kursabstürze, wie der Kollaps des Dow Jones am 6. Mai um 10% in 16 Minuten (!), zeigen die Verletzbarkeit der automatisierten Börsenhandelssysteme. Das gesamte Finanzsystem könnte sich auflösen!

Da die EZB offensichtlich über ausreichende Informationsquellen verfügt, kann man es nur als bewußte Verfälschung betrachten, wenn sich dieser Bericht gegen die von der Obama- Administration beabsichtigte Einführung der sogenannten „Volcker-Regel“ ausspricht, und dies dann so darstellt, als handele es sich dabei um den gleichen Glass-Steagall-Standard, mit dem Präsident Roosevelt in den dreißiger Jahren ein Trennbankensystem eingeführt hatte. Denn bei der Volcker-Regel handelt es sich um einen faulen Kompromiß, bei dem Riesenschlupflöcher für die Hochrisiko-Spekulation bleiben. Den tatsächlichen Glass-Steagall-Antrag, gegen das dann das Weiße Haus und die Wall Street Sturm gelaufen waren, hatten die Senatoren Cantwell, McCain, Kaufman, Feingold und Harkin eingebracht. Dieses Abschmettern des Trennbankengesetzes und eines zweiten zum Verbot von Derivatspekulation hat die Revolte gegen die Obama-Administration zum Kochen gebracht.

Die EZB schlägt stattdessen die Erhöhung des Eigenkapitals der Banken vor, so werde der „Notfallpuffer“ der Banken erhöht. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium fordert gar eine Verdreifachung des Eigenkapitals und dann noch die Schaffung eines eigenständigen Aufsichtsamts, das in Zukunft die Kontrolle über Versicherungen und Wertpapiergeschäfte haben soll - also noch mehr Bürokratie. Die Zockerei soll also nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, sondern die Zocker sollen sich mit besseren Polstern ausstatten.

Damit hat die EZB endgültig jegliche Glaubwürdigkeit als Hüterin der Währungsstabilität verspielt, nachdem sie in einem von der Wiener Presse als „währungspolitischen Staatsstreich“ bezeichneten Manöver die deutsche Regierung gegen ihren früheren Widerstand überrumpelte und sie dazu brachte, dem 750-Milliarden-„Rettungspaket“ zuzustimmen und damit die „No-Bailout-Klausel“ des Maastrichter Vertrags außer Kraft zu setzen. Und seitdem kauft Herr Trichet munter die Staatsanleihen der Pleitestaaten, bisher für 320 Milliarden Euro und täglich für zwei Milliarden mehr.

Und dann bedeckt sich man sich im besagten Finanzmarktstabilitätsbericht mit einem Feigenblatt und sagt, die Zentralbank warne allerdings, daß viele Banken das Risiko steigender Zinsen unterschätzten, die sich aus Leitzinserhöhungen oder der Zuspitzung der Schuldenkrise ergeben könnten. Sieh da, die unvorsichtigen Banken - aber wer macht denn die Regeln für das Kasino?

Die Demokratie ist auf der Strecke geblieben, und die Feuilletons widmeten ihr nicht mal eine Grabrede. Im EU-Währungscoup, bei dem die Regierung überrumpelt und Bundestag und Bundesrat zur Abwink-Truppe degradiert wurden, wurde schon einmal getestet, wie die zur Zeit vor allem von französischer Seite vorgeschlagene europäische Wirtschaftsregierung funktionieren soll, falls es dazu kommen sollte.

Was auch immer die von Horst Köhler offiziell angegebenen Gründe für seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten sein mögen: Wenn er sagt, daß ihm eine Behandlung widerfahren sei, die die Integrität des Amtes beschädigt habe, und er dies in den Zusammenhang mit der Kampagne gegen ihn wegen seiner Äußerungen zur Rolle der Bundeswehr stellt, so heißt dies nicht, daß diese Integrität nicht auch noch auf eine andere Weise beschädigt worden ist.

Aufgrund früherer Aussagen Köhlers über die geordnete Insolvenzverfahren von Staaten kann man annehmen, daß er der Art und Weise, wie die deutsche Zustimmung zum „Rettungspaket“ zustande kam, vielleicht nicht zustimmen konnte. Trotzdem war er gezwungen, am besagten Freitag das Gesetz, nachdem es in größter Eile durch Bundestag und Bundesrat gejagt worden war, zu unterschreiben. „Hätte er öffentlich Bedenken geäußert, wäre dies auf den Finanzmärkten weltweit als deutsche Abkehr vom Euro interpretiert worden und hätte wohl ein Fiasko ausgelöst. Wohl oder übel mußte der deutsche Bundespräsident in diesem Spiel mitspielen, das seins nicht war“, schrieb der Focus-Autor Frank Thewes. Eine ähnliche Vermutung stellte Hans-Olaf Henkel in der Talkshow „Menschen bei Maischberger“ an.

Köhler ist als ehemaliger Präsident des Sparkassen- und Giro-Verbandes und ehemaliger Chef des IWF offensichtlich besser als viele andere in der Lage, die Konsequenzen der jetzigen Politik der EZB abzuschätzen. Man kann annehmen, daß er weiß, daß es bald weitere Forderungen nach mehr und größeren „Rettungspakten“ geben wird, wenn die nächsten Staatspleiten in Spanien, Portugal, Italien, Irland und weiteren Kandidaten drohen. Und möglicherweise ist ihm als ehemaligem Chef des IWF auch nicht verborgen geblieben, daß dieser auch wegen seiner eigenen Statuten voraussichtlich spätestens im September an die Grenzen seiner Zahlungsfähigkeit stoßen wird.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich in Deutschland herumgesprochen hat, daß in Frankreich eine ganze Reihe von Regierungsberatern und Medienvertreter mit Vorschlägen herauskommen, die ganz in der Tradition der synarchistischen, faschistischen Finanzelite der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts stehen und in denen offen zu diktatorischen Maßnahmen aufgerufen wird. So schrieb der Chefredakteur des L' Express am 12. Mai, ein „legitimer Putsch“ sei notwendig, um eine gemeinsame europäische Regierung, gemeinsame Haushalte und abgestimmte Modelle durchzusetzen, weil die Bevölkerung dem niemals zustimmen würde; Präsident Sarkozy solle im Club der Staatschefs die Debatte steuern. Nein danke!

Alain Minc, Top-Financier und Berater des Präsidenten, hält es sogar für demagogisch und kriminell, die Bevölkerung glauben zu machen, sie müsse bei jedem großen Schritt der europäischen Konstruktion befragt werden - was dabei herauskomme, habe man ja bei den Referenden gesehen. Jaques Attali, Top-Berater Mitterands bei dessen Drohungen gegenüber Kohl, mit denen die Aufgabe der D-Mark erzwungen wurde, fordert die sofortige Einrichtung einer europäischen Finanzagentur, die das Recht haben soll, nationale Haushalte zu kontrollieren, wenn die Verschuldung 80% des BIP übersteigt. Ins gleiche Horn stößt Leparmentier von Le Monde, der ein europäisches Sekretariat der Regierungschefs fordert, das die wirkliche Wirtschaftsregierung Europas sein soll.

Mit der Kombination all dieser Vorschläge befinden wir uns in der schlechtesten aller Welten. Die EZB ist offen zu einer Politik des „quantitative easing“ - auf deutsch: Gelddrucken - übergegangen und kauft Giftmüll auf. In Deutschland sitzt die Erinnerung an die Hyperinflation von 1923 - was passiert, wenn mehr Geld gedruckt als Wirtschaftskraft erzeugt wird - allen folgenden Generationen in den Knochen. Und in Deutschland haben wir auch die düstere Erfahrung gemacht, was passiert, wenn man in einer Depression Brüningsche Sparpolitik durchsetzt.

Genau diese Mischung aber ist es, was EU-Kommission und EZB jetzt propagieren. Absurderweise sind da selbst gewisse Kräfte im IWF progressiver, die feststellen, daß alle Rezepte des IWF in den neunziger Jahren und seitdem nicht funktioniert haben. Als man z.B. Argentinien zwang, zu sparen, abzuwerten und zu privatisieren, wurden lediglich nationale Vermögenswerte verscherbelt, und das Land blutete aus. Genau das ist jetzt die Medizin, die Griechenland schlucken soll. Woher soll es dann die Kraft nehmen, die Schulden zurückzubezahlen? Dazu bräuchte man ein Tischlein-deck-dich!

Was ist also die Perspektive? Es sei hier die Prognose gewagt, daß beim kommenden G20-Gipfel Ende Juni in Kanada wiederum keine auch nur im Entferntesten adäquate Lösung herauskommen wird, es sei denn, daß es bis dahin eine neue Regierung in den USA gibt, was angesichts der Wut der Bevölkerung gegen Präsident Obama wegen seiner Wall-Street- und BP-freundlichen Politik nicht völlig ausgeschlossen ist. Noch unwahrscheinlicher ist die Zustimmung zu einer wirklichen Reregulierung der Finanzmärkte durch London, das seine „Finanzindustrie“ mangels einer Realwirtschaft mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Nach der sich mit Sicherheit weiter zuspitzenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise der Pleitestaaten nicht nur in Europa, nach der Erkenntnis, daß der große Sparhammer alles nur noch schlimmer macht, und daß die Gemeinden die einfachsten Funktionen des Gemeinwohls nicht mehr aufrechterhalten können, wird nach dem Scheitern des nächsten G20-Gipfels nur eine einzige Alternative bleiben, wenn ein völliger Absturz in totales Chaos verhindert werden soll: Die europäischen Nationen müssen die Konsequenz daraus ziehen, daß die EZB sich auf die Seite der Spekulanten geschlagen hat und die Inflation fördert. Sie müssen ein Trennbankensystem durchsetzen!

Die Geschäftsbanken, die Kredite für Produktion in Industrie und Landwirtschaft, den Handel und Projekte des Gemeinwohls zur Verfügung stellen, müssen geschützt werden. Investmentbanken dürfen nicht länger Zugriff auf die Einlagen der kommerziellen Banken haben. Wenn die Investmentbanken sich verzocken, müssen sie selber, ohne Steuergelder, für den Schaden aufkommen. Und die Geschäftsbanken müssen von toxischem Müll befreit werden und dürfen in Zukunft nicht mehr an Hochrisiko-Spekulation teilnehmen. Sie müssen einfach wieder zu Industriebanken werden.

Insolvente Staaten brauchen geordnete Insolvenzverfahren, in den ihr Finanzsektor restrukturiert wird. Die betroffenen Banken müssen sich den „haircut“ gefallen lassen. Nachdem diese Staaten die Kontrolle über ihre eigene Währung und ihre Kreditschöpfung wiedererlangt haben, müssen sie zielgerichtete Kreditlinien ausgeben, mit denen nach Kriterien der physischen Wirtschaft definierte Wachstumsprogramme finanziert werden. Dabei wäre eine Kooperation zwischen souveränen Republiken Europas sehr wünschenswert, damit die Staaten Süd- und Osteuropas wirkliche Wirtschaftsaufbauprogramme verwirklichen können. Denn das ist es, was bei der jetzigen EU- und EZB-Politik völlig fehlt: eine Wachstumsperspektive!

Die Wiedereinführung fester Wechselkurse, die von Nixon 1971 mit der Beendigung des Bretton-Woods-Systems abgeschafft worden waren, muß die schädlichen Spekulationen gegen Währungen unmöglich machen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Megaspekulanten wie George Soros in einer Woche eine Milliarde Euro verdienen können sollen, in dem sie das volkswirtschaftliche Vermögen eines Volkes um 30% abwerten! Wenn Schlüsselstaaten bei der Errichtung eines Trennbankensystems vorangehen, werden die meisten Staaten der Welt nur zu bereitwillig folgen und mit einem System fester Wechselkurse und souveräner Kreditschöpfung den Grundstein für ein neues Kreditsystem legen.

Für Deutschland kann es nur eine wirtschaftliche Erholung geben, wenn wir so schnell wie möglich aus der Eurozone austreten, die souveräne Kontrolle über unsere D-Mark wiedererlangen, und uns auf das wirtschaftliche und moralische Paradigma des Wiederaufbaus nach 1945 besinnen, das uns immerhin das deutsche Wirtschaftswunder gebracht hat. Wir müssen uns also wieder auf wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt konzentrieren, und die grünen, nachindustriellen und Dienstleistungs-Utopien als ebenso gescheiterte Experimente hinter uns lassen, wie den Euro.

Packen wir es an!

 

Diesen Coupon bitte abtrennen und einsenden an:
Schiller-Institut, Postfach 121380, D-30866 Laatzen
oder per e-mail senden an: info@schiller-institut.de

 

Ich schließe mich dem Aufruf für ein weltweites Trennbankensystem nach dem Vorbild des Glass-Steagall-Gesetzes an.

Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich auch einverstanden, daß mein Name als Unterzeichner veröffentlicht wird, z.B. in Zeitungsanzeigen. (Diesen Satz ggf. streichen.)

 

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