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Aus der Neuen Solidarität Nr. 7/2009

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Verhindert einen neuen „Nahrungsmittelschock“!

Nahrungsmittelkrise. Schon ein Bruchteil der Mittel, die jetzt für die Rettung von Banken ausgegeben werden, würde ausreichen, Millionen von Menschen vor dem Hungertod zu retten.

Am 26. und 27. Januar 2009 versammelten sich auf Einladung der Vereinten Nationen Vertreter von etwa 100 Ländern, um eine neue, hypothetische „Straßenkarte“ für den Kampf gegen den weltweiten Hunger zu zeichnen. Von den Weltmedien kaum beachtet, wie ja auch die Hungeraufstände aus den Nachrichtensendungen verschwunden sind, beschlossen die Teilnehmer lediglich, „eine globale Allianz für Landwirtschaft, Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung“ zu gründen - aber erst beim nächsten Gipfeltreffen der Welternährungsorganisation (FAO) im kommenden Herbst.

Schon 1996 hatte die „internationale Gemeinschaft“ bei einem FAO-Gipfel beschlossen, die Zahl der an chronischem Hunger leidenden Menschen weltweit zu halbieren. Leider hat sich seit diesem Beschluß von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen nur die Zahl solcher Erklärungen erhöht, zusammen mit der wachsenden Zahl von Hungertoten.

2008 stieg die Zahl der hungernden Menschen auf 962 Mio., eine Steigerung um 40 Mio. Die Lage wäre sogar noch schlimmer, wenn es 2008 nicht Rekordernten und am Ende des Jahres auch eine leichte Senkung der Nahrungsmittelpreise gegeben hätte. Aber leider war diese „Verbesserung“ nicht das Resultat steigender Investitionen in eine größere oder verbesserte Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern, sondern das Resultat guter Wetterbedingungen (Regen) und einer Steigerung der Produktion in den reichen Nationen. In den ärmeren Staaten kollabierte die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion noch mehr.

Die kombinierte Wirkung der Finanzkrise, die die armen Länder zunehmend den Risiken der klimatischen Zufälle aussetzt, schafft eine erschreckende Perspektive. Beispiel Argentinien: Die schwere Dürre, von der das Land, einer der potentiellen Hauptlieferanten von Nahrungsmitteln der Welt, betroffen ist, hat die Weizenproduktion Argentiniens mehr als halbiert; man erwartet, daß sie in diesem Jahr von den normalen 9 Mio. t auf nur 4 Mio. t fällt. Auch die Soja- und die Mais-Ernte werden deutlich geringer ausfallen. Am 26. Januar, als die FAO-Konferenz zur Ernährungssicherheit in Madrid begann, erklärte Argentinien den Notstand für die Landwirtschaft, weil mangels Futter auf den Weiden die Rinder massenhaft verenden.

Am gleichen Tag wiesen auch UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und der spanische Ministerpräsident Zapatero in einem Gastkommentar in der New York Times darauf hin, daß die Nahrungsmittelpreise zwar seit ihrem Höchststand 2008 etwas gesunken sind, aber immer noch um 28% höher liegen als im Oktober 2006. Die kleinen Produzenten haben sich zwar immer wieder über die zu niedrigen Preise beschwert, aber bisher ist nicht ersichtlich, daß sie von den jetzt höheren Preisen profitieren.

Heute fürchten die FAO und viele Nichtregierungsorganisationen (NGO), daß mittelfristig eine neue Preisexplosion bevorsteht. Die britische NGO Oxfam International und das Royal Institute for International Affairs (RIIA) - die berüchtigte Denkfabrik der britischen Eliten („Chatham House“) - kündigten in dem Bericht Eine Milliarde hungriger Menschen, der in diesem Januar veröffentlicht wurde, einen neuen, tödlichen Nahrungsmittelschock an:

„Teure Nahrungsmittel haben eine verheerende Wirkung auf das Wohl einer Milliarde Menschen weltweit, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, weil sie im allgemeinen 50-80% ihres Einkommens für Nahrung ausgeben. Hohe Nahrungsmittelpreise beeinträchtigen ihren Nahrungsmittelkonsum und führen zu einer geringeren Quantität, schlechterer Qualität und geringerem Nährwert. Gleichzeitig bleibt ihnen, wenn sie mehr Geld für Nahrung ausgeben, weniger Geld für andere notwendige Dinge, was ihren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung gefährdet.“

Der Bericht weist darauf hin, daß viele ärmere Länder keine Schutzsysteme wie z.B. das Mindesteinkommen in Frankreich, Lebensmittelmarken in den Vereinigten Staaten oder Bargeld-Zahlungen in Indonesien oder Indien haben; und daß sich die Verwundbarkeit deutlich verstärkt habe, weil „staatliche Systeme, die die Konsumenten und Produzenten in der Vergangenheit schützten, im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen beseitigt oder beschnitten wurden, oft mit Unterstützung der Weltbank und des IWF.“

Aber anstatt ein neues System zu fordern, kündigt der Oxfam-Bericht bloß an, daß Schlimmeres bevorsteht: „Die jüngsten Fluktuationen der globalen Nahrungsmittelpreise haben gezeigt, wie anfällig die Nahrungsmittelmärkte für Schocks sind. Leider wird die Zukunft, insbesondere als Resultat des Klimawandels, uns wahrscheinlich eher mehr Schocks und Unsicherheit bringen als weniger.“

Ein solcher neuer Nahrungsmittelschock hätte schwerwiegende Folgen für die 51 am wenigsten entwickelten Staaten, die fast alle von Nahrungsmittelimporten abhängen. „Die Unbeständigkeit der globalen Nahrungsmittelpreise trifft die armen Länder besonders hart, die, wie Senegal, mehr als die Hälfte ihres Nahrungsmittelbedarfs importieren.“

Experten weisen darauf hin, daß die „Hungeraufstände“ von 2008 vor allem in den städtischen Regionen ausbrachen, und nicht auf dem Lande und daß das Bevölkerungswachstum gerade in diesen städtischen Regionen besonders hoch ist.

Nur leere Versprechungen?

FAO-Chef Jacques Diouf verurteilte einmal mehr die skandalöse Lücke zwischen den 23 Mrd. $, die Mitte Juni 2008 beim FAO-Gipfel in Rom zugesagt worden waren, und den 2,3 Mrd. $ - lediglich 10% der Gesamtsumme -, die tatsächlich bisher zur Verfügung gestellt wurden. Es wäre jedoch unfair, zu behaupten, es sei gar nichts getan worden. Das Gastgeberland Spanien, dessen Kreditwürdigkeit gerade erst von Standard & Poor’s herabgestuft wurde, war das einzige Land, das bei der Madrider Konferenz mit präzisen Zahlen aufwarten konnte. Aber auch Spanien bestätigte nur, was es bereits im vergangenen Jahr versprochen hatte: 1 Mrd. Euro über die kommenden fünf Jahre.

Das Interventionsprogramm der Weltbank gab 364 Mio. $ für Projekte in 25 Nationen frei und wird weitere 541 Mio. für zehn weitere Staaten beisteuern. Auch wenn die EU sich verpflichtete, 1 Mrd. Euro für Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung zu stellen, fürchten Insider, daß die ersten 250. Mio. $ hiervon vor allem dazu dienen werden, „Bargeld-Probleme“ der Weltbank zu lösen und die Gehälter teurer westlicher Experten zu zahlen!

Wie in den letzten Tagen des Römischen Reiches wurden lediglich die Mittel für die Nahrungsmittel-Nothilfe vergrößert, um den Lärm der Hungeraufstände zu dämpfen und die von diesen Aufständen betroffenen Regierungen zu beruhigen. Frankreich und andere europäische Geberländer steigerten ihre globalen Nahrungsmittelhilfen von 30 Mio. Euro auf 52 Mio. Euro, also um beachtliche 73%.

Am 28. Januar versammelte der Strategische Rat für Landwirtschaft und dauerhafte Agro-Industrie (CSAAD) unter der Leitung von Christian de Boissieu in Paris einige der wichtigsten Entscheidungsträger in diesem Bereich. Schon im November 2008 hieß es in einer Note des französischen Landwirtschaftsministeriums: „Mehrere Signale deuten darauf hin, daß niemand eine neue Nahrungsmittelkrise in den kommenden Monaten ausschließen kann.“ Auch wenn unterschiedliche Meinungen vertreten wurden, waren sich alle einig, daß das neoliberale „alles macht der Markt“-Paradigma der Vergangenheit angehört.

Während die Gemeinsame Agrar-Politik (GAP) der EU unter britischem Druck immer mehr demontiert wird, erinnern sich die Experten plötzlich an die Vorteile ihres ursprünglichen Impulses. Seit Jahrhunderten, insbesondere seit der großen Depression, ist bekannt, daß die Schwankungen der Nahrungsmittelpreise sowohl die Landwirte als auch die Verbraucher ruinieren. Bernard Bachelier, der Präsident der FARM-Stiftung, die sich mit Entwicklungs- und Ausbildungsprogrammen in Entwicklungsländern befaßt, setzt sich energisch für die Schaffung regionaler Märkte für Nahrungsmittel ein. Philippe Chalmin, ein Ökonom, dem niemand Protektionismus vorwerfen würde, ist zwar skeptisch in Bezug auf die Möglichkeit, die Nahrungsmittelpreise weltweit zu stabilisieren, aber er sagte, „die GAP in ihrer Form von 1958“ könne definitiv eine Quelle der Inspiration sein, um die Märkte in den Entwicklungsländern zu strukturieren.

Auch über die Notwendigkeit, wieder tatsächliche und nicht nur „virtuelle“ Vorräte anzulegen, wurde gesprochen. Laurence Rodart, ein Professor der Landwirtschaftsschule AgroParisTech, zog sogar einige Zitate aus der Bibel heran (Genesis 41): Angesichts der drohenden sieben Hungerjahre (die sieben mageren Kühe) sagte Joseph dem Pharao: „Nehme den Fünften in Ägyptenland in den sieben reichen Jahren und sammle alle Speise der guten Jahre, die kommen werden, daß sie Getreide aufschütten in Pharaos Kornhäuser zum Vorrat in den Städten und es verwahren, auf daß man Speise verordnet finde dem Lande in den sieben teuren Jahren, die über Ägyptenland kommen werden, daß nicht das Land vor Hunger verderbe.“

Verdoppelt die Produktion!

Natürlich hat Jacques Diouf recht, wenn er massive Investitionen in die Produktion fordert. Nach Angaben der FAO könnten 450 Millionen kleine und mittlere Farmen ihre Produktivität und Produktion stark ausweiten, wenn man ihnen Saatgut, Düngemittel und Bewässerung zur Verfügung stellen würde.

Im Vergleich zu den Milliarden Dollars, die in das bereits tote Finanzsystem gepumpt werden, erscheinen die 25 bis 40 Milliarden, die jedes Jahr notwendig wären, um die weltweite Nahrungsmittelproduktion bis 2050 zu verdoppeln, wie kleine Almosen.

Laut dem ersten Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der in Belgien im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Fortis-Bank die Finanzkrise untersucht, pumpte die Europäische Zentralbank zeitweise bis zu 47 Mrd. Euro pro Tag in die Bank, um den Kollaps der Fortis-Bank zu verhindern! In anderen Worten: die EZB konnte an einem einzigen Tag und für eine einzige Bank das Anderthalbfache der Mittel mobilisieren, die pro Jahr erforderlich wären, um Nahrungsmittelsicherheit für die gesamte Menschheit zu garantieren!

Die Zeit ist gekommen, in der neue Prioritäten gesetzt werden müssen. Ob die Regierung Obama den Hoffnungen, die in sie gesetzt werden, gerecht werden wird, wird sich noch zeigen. Entscheidend hierfür wird sein, wie viele Menschen sich dafür einsetzen, daß diese Hoffnungen Realität werden.

In diesem Zusammenhang sollte man beachten, daß Obama in der Rede bei seiner Amtseinführung sagte: „Wir versprechen den Menschen in den armen Nationen: Wir werden mit ihnen zusammenarbeiten, damit ihre Farmen florieren und sauberes Wasser fließt; daß die hungernden Leiber gesättigt und die hungrigen Geister genährt werden. Und jenen Nationen, die wie unsere eigene in relativem Reichtum leben, sagen wir: Wir können uns Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid außerhalb unserer Grenzen nicht länger leisten, und wir können nicht einfach die Ressourcen der Welt verbrauchen, ohne uns um die Folgen zu kümmern. Denn die Welt hat sich geändert, und wir müssen uns mit ihr ändern.“

            Karel Vereycken

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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- Neue Solidarität Nr. 35/2008
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