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Neue Solidarität
Nr. 41, 7. Oktober 2009

„Wir wollen kein Geld, wir wollen eine andere Politik!“

Milchstreik. In ganz Europa mobilisieren Milchbauern gegen die niedrigen Milchpreise und die Abschaffung des Quotensystems.

Am 10. September starteten etwa 400 Milchbauern aus den acht wichtigsten milchproduzierenden Ländern Europas - Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und der Schweiz - in Paris einen europaweiten „Milchstreik“, um gegen die fallenden Preise und gegen die Entscheidung der EU im vergangenen Jahr, die Märkte zu deregulieren, zu protestieren.

Zwei Wochen später wächst der Streik weiter: 80.000 Milchbauern haben sich bisher wenigstens einmal an dem Milchstreik beteiligt. Die Bauern melken weiter ihre Kühe, aber sie liefern die Milch nicht an die milchverarbeitenden Betriebe. Statt dessen schütten sie Millionen Liter frischer Milch als Dünger auf ihr Land, oder sie verteilen Milch kostenlos an notleidende Menschen. Die Milch verarbeitenden Unternehmen tun natürlich so, als hätte der Streik keinen Einfluß auf ihre Produktion, führen aber klammheimlich Milch aus Osteuropa und einigen Berichten zufolge sogar eine Schiffsladung Milch aus Spanien ein!

Aber das hat die Bauern bisher nicht demoralisieren können. Ähnlich der Massenrevolte gegen die Bankenrettungspakete und die betrügerische „Gesundheitsreform“ Präsident Barack Obamas, die derzeit die Vereinigten Staaten erschüttert, wird das Ausmaß des Streiks der Milchbauern von den Medien heruntergespielt, ignoriert oder ganz verschwiegen.

Einige Höhepunkte des Streiks:

12. September: Die International Herald Tribune zeigt auf ihrer Titelseite ein Photo Hunderter belgischer - flämischer und wallonischer - Landwirte, die auf einem Feld bei Ciney mehr als 2 Mio.Liter Milch ausschütten.

15. September: Frankreichs Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire muß von der Gendarmerie geschützt werden, als mehrere Hundert Landwirte den Eingang einer großen Agrarausstellung in Rennes blockieren. Die Demonstranten fordern in Sprechchören seinen Rücktritt und singen: „Milchbauern, steht auf!“

16. September: Deutsche Milchbauern schütten vor dem Landwirtschaftsministerium in Bonn 9000 Liter Milch aus.

17. September: Die Französische Vereinigung Unabhängiger Milchproduzenten (APLI), die den Streik in Frankreich anführt, berichtet, daß sich mehr als 40% der französischen Milchbauern an dem Streik beteiligen.

21. September: Nach Angaben der belgischen Presseagentur Belga beteiligen sich mehr als 80.000 Milchbauern an einem europaweiten Aktionstag, einem „Journée blanche“ oder „weißen Tag“, an dem sie rund 25 Mio. Liter Milch ausgießen. Am gleichen Tag bauen Bauern einen Milchbrunnen vor dem Büro der Europäischen Kommission in Brüssel.

22. September: Französische Landwirte verteilen auf dem symbolträchtigen „Place de la Republique“ in Paris etwa 22.000 Liter Milch an arme Menschen. Die führende Sozialistin Segolène Royal fordert die Regierung Sarkozy auf, eine Lösung zu finden.

23. September: Italienische Landwirte verteilen kostenlose Milch an die Abgeordneten des Parlaments in Rom. Italien produziert jährlich eine Milliarde Liter Milch, davon 40% in der Lombardei, aber das Land muß weitere 1,5 Mio. Liter Milch einführen, um die einheimische Nachfrage zu decken!

Was steht auf dem Spiel?

1984 führte die EU die Milchquoten ein, um die steigende Milchproduktion zu regulieren. Wie schon US-Präsident Franklin Roosevelt und dessen Landwirtschaftsminister Henry C. Wallace festgestellt haben, können der Freihandel und die Märkte allein keine Nahrungsmittelsicherheit schaffen, weder für einzelne Länder, noch für die ganze Welt. Quoten regeln nicht nur die Menge der Produktion, sondern sie sichern auch annehmbare Preise für die Produzenten und die Verbraucher.

Aber während der jüngsten EU-Präsidentschaft Frankreichs setzte die von Großbritannien und Schweden unterstützte die Freihandelsfanatikerin und EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel die Entscheidung durch, das Regulierungssystem der Quoten bis 2015 abzuschaffen. Auf demagogische Weise benutzte sie dafür als Vorwand die Hungeraufstände, die im März 2008 die Weltöffentlichkeit schockierten.

Um einen solchen „Übergang“ vorzubereiten, wurde vereinbart, die Milchquoten jährlich um 1% anzuheben. Das unmittelbare Resultat war ein Einbruch der Erzeugerpreise für die Milchbauern von 30-50%! Im Januar 2008 kostete eine Tonne Milch (rund 1000 Liter) noch 378 Euro. Im Januar 2009 war dieser Preis bereits auf 325 Euro gesunken, inzwischen ist er völlig zusammengebrochen und liegt bei 205 Euro/t. Nach den Protestaktionen und Demonstrationen in Frankreich versuchte der führende Bauernverband FNSEA den Konflikt „beizulegen“, indem man einen Preis von 265 Euro/t vereinbarte.

Aber jeder, der sich in der Landwirtschaft auskennt, weiß, daß es mindestens 310 Euro/t kostet, eine Tonne Milch zu produzieren. Andere Schätzungen, bei denen die gestiegenen Preise für Tierfutter, Treibstoffe, Energie und Düngemittel berücksichtigt sind, kommen auf Produktionskosten von 400 oder sogar 450 Euro/t. Natürlich bedeutet ein derart geringer Milchpreis, daß die Milchbauern auf dem kürzesten Weg auf den Bankrott zusteuern, und dies trifft vor allem die jungen Landwirte, die große Schulden aufgenommen haben, um ihre Betriebe zu erweitern.

Seit dem Ausbruch der Krise haben Frankreich und Deutschland einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, den Landwirten finanzielle Unterstützung zu gewähren - wenn sie ihre Höfe aufgeben! Der Vorschlag wird inzwischen von 20 der 27 Mitgliedsstaaten der EU unterstützt. Diese „Hilfe“ besteht vor allem darin, den Bauern weitere 250 Mio. Euro an Krediten zu 3% Zins anzubieten. Es überrascht nicht, daß dies von den Bauern, die schon jetzt bis über beide Ohren in Schulden stecken, recht kühl aufgenommen wurde.

In Frankreich wächst inzwischen die Zahl der Selbstmorde in den ärmsten Agrarregionen des Landes. Allein in der vergangenen Woche nahmen sich vier Milchbauern das Leben, und viele weitere Todesfälle wurden gemeldet, ohne daß über einen Zusammenhang mit der Zerstörung der Existenzen berichtet wurde. Wie der damalige Landwirtschaftsminister Michel Barnier schon 2008 bemerkte (ohne jedoch der weiteren Entwicklung wirklichen Widerstand entgegenzusetzen): „Wenn man alle Mittel unterdrückt, die die Regulierung der Märkte ermöglichen, wird die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) selbst zerstört.“

Der imperiale Plan der Briten

Tatsächlich besteht der gar nicht so geheime Plan des Britischen Empire darin, die Nahrungsmittelproduktion in Frankreich, Italien, den Beneluxstaaten und Deutschland im Namen des Freihandels völlig zu zerstören. Deshalb bestanden die Briten darauf, daß das Quotensystem, eines der letzten Überbleibsel der GAP, beseitigt werde. Eine volle Auslagerung der Agrar- und Fischereiproduktion aus der EU wäre angeblich „viel besser für den Verbraucher“ - und das Britische Empire. Schon jetzt werden riesige Mengen an Milchpulver aus Neuseeland, Australien, Kanada und anderen Ländern des Commonwealth in die EU eingeführt.

Obwohl die EU bisher aufgrund der GAP jeden Liter Milch, der nicht an private Verarbeiter verkauft wurde, aufgekauft hat, und eigene Vorräte von Milchpulver und Butter hält, hat die neue Politik der „Null-Reserve“ andere Konsequenzen. Nun schrieb der Präsident des Europäischen Verbandes der Lebensmittel-Tafeln, Jean-Marie Delmelle, in La Revue Politique et Parlametaire, daß die EU - die normalerweise große Überschüsse an Milch, Nudeln, Reis etc. an die Lebensmittel-Tafeln abgibt - „im Jahr 2009, in dem es kaum Überschüsse gibt, Nahrungsmittel von den Supermärkten aufkauft, um sie über die Mitgliedstaaten an die Lebensmittel-Tafeln abzugeben“. Das zeigt, wie fanatisch und ideologisch ihre Freihandelspolitik ist!

Die alten Landwirtschaftsverbände, die die Landwirte an die Agrarkartelle, den Einzelhandel und die korrupten Regierungen „verkauft“ haben, sind zunehmend diskreditiert. Inzwischen bilden sich tagtäglich neue Verbände, die beispiellose Unterstützung erlangen. „Die Verzweiflung treibt immer mehr Produzenten dazu, sich der Bewegung anzuschließen“, sagte der Vorsitzende des Europäischen Milchrates, Romuald Schaber, dessen Organisation etwa ein Drittel der europäischen Milchproduzenten vertritt. Die Politiker „müssen sofort handeln“, um die Not von 100.000 Landwirten zu beheben. Ein französischer Demonstrant rief: „Wir brauchen kein Geld, wir brauchen eine andere Politik!“

Obschon eine sofortige Rückkehr zum System der Milchquoten notwendig ist, um die Landwirte vor der Zerstörung ihrer Existenz zu bewahren, so ist es erst recht notwendig, das gesamte Finanzsystem durch ein Insolvenzverfahren zu sanieren, wie es Lyndon LaRouche in den USA, Helga Zepp-LaRouche in Deutschland und Jacques Cheminade in Frankreich fordern. Das Überleben der Menschheit hängt von der Landwirtschaft ab. Und dieses Überleben ist ganz und gar nicht gesichert, wenn die Nahrungsmittel in den Händen des Britischen Empire bleiben!

Karel Vereycken