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Neue Solidarität
Nr. 29, 15. Juli 2009

Von „Altschlauen“ und „Neuschlauen“

Die geplante Umwidmung ökonomischer Lehrstühle der Universität Köln hat einen publizitätsträchtigen Streit zwischen den „Ordnungsökonomen“ und Vertretern der „modernen“ Ökonomie angloamerikanischer Machart ausgelöst.

Aus aktuellem Anlaß lohnt es sich, Lyndon LaRouches Schrift mit dem Thema „Mathematik ist nicht Wissenschaft“ zu lesen, die gerade in der neuesten Ausgabe von Fusion erschienen ist. Zu diesem Thema findet seit März dieses Jahres ein Streit unter Wirtschaftswissenschaftlern statt, der bisher in der FAZ und im Handelsblatt ausgetragen wurde. Obwohl davon auszugehen ist, daß keine der streitenden Seiten wirklich versteht, worum es dabei geht, ist die Auseinandersetzung doch von Nutzen, weil sie implizit die Frage aufwirft: Warum haben die sogenannten Experten für Finanzen und Wirtschaft so jämmerlich versagt? Man erinnert sich noch an die Aussage Ben Bernankes, das Wissen über makroökonomische Zusammenhänge sei so weit fortgeschritten, daß größere Krisen ausgeschlossen seien. Stellt sich die bange Frage, ob überhaupt einer dieser schlauen Experten etwas weiß, oder ob wir gleich vom Regen in die Taufe kommen?

Anlaß zu diesem Streit ist die geplante Umwidmung von Lehrstühlen an der Kölner Universität. Statt der bisher vergebenen Lehrstühle, die sich nach der herkömmlichen Ordnungsökonomik ausrichteten, will man sie nun mit Makroökonomen angelsächsischer Machart besetzen. 83 Professoren der Volkswirtschaftslehre, angeführt von den Emeritierten Willgeroth und Watrin, protestierten im Mai 2009 mit einem offenen Brief in der FAZ: Rettet die Wirtschaftspolitik an den Universitäten!

Stark vereinfacht, aber auf den Punkt gebracht lautete ihr Argument, daß die neue Art von Professor kein historisches Wissen habe und sich im Wesentlichen mit mathematisch-quantitativer Modellökonomik abgebe, die des öfteren realitätsfern ausfalle oder deren Ergebnis schon in der Anlage vorliege. Die Gegenseite: 188 der moderneren Makroökonomen finden, daß die konservativen Kollegen zu faul zum Rechnen sind oder es auf jeden Fall weniger beherrschen und deswegen die moderne Grundlagenforschung ablehnen. Schließlich könne die Wirtschaftsforschung in Deutschland nicht darauf verzichten, solche hervorragenden Spitzenforscher wie Larry Summers, Ben Bernanke, Christina Romer oder Olivier Blanchard hervorzubringen.

Als Leser dieser Zeitung werden Sie nicht erwarten, daß wir für eine dieser Seiten Partei ergreifen. Oft genug haben wir bemängelt, daß die eigentliche Leibniz-Tradition der Wirtschaftswissenschaft in Deutschland schon lange nicht mehr lebendig ist, daß alle Spielarten von Wirtschaftsschulen seit der Zeit nach Bismarck monetaristisch geprägt sind und daß aus diesem Grund alle Dummheiten der internationalen Finanzelite befolgt wurden.

Und dennoch ist es durchaus richtig, eine Gefahr zu wittern, wenn es darum geht, die Lehrstühle in Deutschland nach angelsächsischem Vorbild umzugestalten. Hatten wir in der Vergangenheit nicht schon genug schlechte Berater, sodaß es ein Segen wäre, noch schlimmere wie Larry Summers zu meiden? Wir wollen hier dazu beitragen, daß es nicht bei dem ungewissen Wittern bleibt, sondern deutlicher gesehen wird, um welche politische Gefahr es sich hier handelt.

Die angelsächsischen „Ökonomen“

Wer es in Deutschland auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft zu etwas bringen will, geht nach dem Studium vorzugsweise an eine amerikanische Elite-Universität. Warum? Weil diese Universitäten privat finanziert sind und man mit dem Lehrbetrieb wenig am Hut hat. Im Internet kann man jede Menge schwärmerische Berichte von deutschen Doktoranden lesen, daß Geld und Zeit ausreichend vorhanden seien, also ideale Bedingungen für solche Talente, die es verstehen, ihre Karriere im Rahmen vorgezeichneter Finanzinteressen zu planen, die sich ihre neuen Spitzenforscher nach den Publikationen in internationalen Fach-Zeitschriften aussuchen.

Die Frankfurter Universität brüstet sich damit, eine solche privat finanzierte Universität nach amerikanischem Vorbild, eine sogenannte Stiftungsuniversität, geworden zu sein. Das dort eingerichtete „Institute for Monetary and Financial Stability“ wird mit ihren Professoren Siekmann, Gerlach und Inderst von der Stiftung „Geld und Währung“ getragen. Die Professoren Holger Kraft und Lars Schweizer werden laut FAZ von der Schweizer Bank UBS, Professor Matthias Schündeln von der Messe Frankfurt bezahlt. Viel Geld, wettbewerbsfähige Gehälter und flexible Organisationsstrukturen, die Nähe zur Bundesbank, zur EZB und anderen Privatbanken, all das habe zu einer viel gepriesenen Aufbruchsstimmung an der Uni Frankfurt geführt, aus der sich der Staat weitestgehend zurückgezogen hat.

Fällt Ihnen was auf? Wäre die Vermutung etwa zu abwegig, daß finanzielle Großzügigkeit privater Institutionen auch entsprechende Dienste einfordert?

Wem also dient wohl die Forschungstätigkeit, wo sich der Staat zurückzieht und die Finanzhoheit sowieso längst an Brüssel abgegeben ist? Wie in vielen anderen Bereichen ist mit diesen Veränderungen die Macht des Geldes größer geworden als die des Staates, und von daher müßte man schon mit politischer Blindheit geschlagen sein, wollte man übersehen, daß die rein monetaristisch ausgerichtete Forschungstätigkeit mehr den Interessen der europäischen Finanzelite als denen des Gemeinwohls dienen wird. Ziel dieses „Wissenstransfers“ sind ausdrücklich die Kreditinstitute, Zentralbanken und politischen Entscheidungsträger in der EU und der Schweiz.

Also wird die Intention dieser Forschung weder unpolitisch noch wertfrei sein. Sehen Sie sich doch nur an, welche Politik Obama mit seinem großen Experten Larry Summers macht!

Nichts ist absurder als die Behauptung, es handele sich bei den sogenannten modernen Methoden um wertfreie wettbewerbswirksame Grundlagenforschung.

Zu den modernen Methoden ist nur zu sagen, daß es sich um die gleichen handelt, mit denen schon Galilei versuchte, dem Würfelspiel Gesetzmäßigkeiten abzuringen. Es sind die gleichen Methoden, mit denen  man  in den sechziger Jahren die Gesetze der Spielhöllen erforschte. Nun, nachdem die Nobelpreise längst verteilt waren und es eine Weile ganz gut klappte, kommt immer häufiger der Verdacht auf, daß die Formeln vielleicht doch einen Fehler hatten.

Berater oder Verkäufer?

Damit Sie nicht denken, das sei alles maßlos übertrieben, sehen wir uns hier ein Projekt sogenannter Spitzenforschung in Frankfurt an. Thema ist der Verkauf von Finanzprodukten an private Haushalte. Was in Amerika mit Immobilienkrediten passierte, waren hier die Fehlverkäufe riskanter Wertpapiere von Lehman Brothers besonders an ältere Bürger.

Im Rahmen einer Anfrage der Fraktion der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen über die Notwendigkeit von Stabilität und Transparenz antwortete Prof. Siekmann (IMFS) im Februar 2009 als Sachverständiger:

Überraschende Erkenntnis: Nicht nur ist es nicht Aufgabe des Beraters, zu beraten, sondern auch der Begriff Beratung ist irreführend beschönigend, so daß man sich beim zukünftigen Besuch einer Bank besser schnell von dieser Vorstellung verabschiedet. Es scheint so, als habe man die Moderne verschlafen! Was geht hier vor?

Schließlich handelt es sich bei Geldanlagen älterer Menschen doch meistens um gespartes Geld, für das man sein ganzes Leben gearbeitet hat. Wäre diese Gesellschaft noch dem Gemeinwohl verpflichtet, müßte man doch zu dem Schluß kommen, daß es grundsätzlich schlecht ist, ahnungslose Menschen in solche Wettgeschäfte zu ziehen oder ihnen, wie in Amerika, Kredite aufzuschwätzen, die sie nie bezahlen können. Dem würde wahrscheinlich auch jeder normale Bankangestellte zustimmen.

Bei der Finanzelite aber gelten längst andere Gesetze, und man denkt nicht im Entferntesten daran, dieses ganze Spielkasino aufzugeben. Man überlegt statt dessen, wie die Banken solche unangenehmen Fehlverkäufe verhindern können, die zu einem Vertrauensverlust führen und dadurch geschäftsschädigend sind. Um solches zu vermeiden, müßte man den Verkaufsvorgang geschickter und trickreicher handhaben, zumal man die Interessen des Verkaufsagenten (dem man in der Vergangenheit unrichtigerweise den Namen Berater gegeben hatte), möglichst dicke Provision zu erhalten, auch berücksichtigen muß. Hier sind die Behavioristen, die sogenannten Verhaltensökonomen, gefragt.

Gesagt, getan. Schon kommt die neue, mit dickem Geld ausgestattete aktuelle Studie.

Der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Roman Inderst ist für einen der begehrten „Advanced Investigator Grants“ des European Research Council ausgewählt worden. Mit den rund 1,3 Millionen Euro an Fördermitteln will er einen Kompetenzschwerpunkt „Retail Finance“, zu deutsch: Verkauf von Finanzprodukten an Privathaushalte, aufbauen. Nach eigener Darstellung heißt es:

Auf deutsch heißt das:

Sie müssen sich von der Vorstellung verabschieden, daß Sie in der Bank einen Berater finden. Sie werden es wie bei vielen anderen Dingen mit einem Verkaufsagenten zu tun haben, der um seine Provision kämpft. Sollten Sie Ihr Geld nicht einfach auf ein Sparbuch tun wollen, sondern an Finanzprodukten Interesse haben, müssen Sie damit rechnen, daß Ihrem Profil entsprechend ein passend verpacktes Produkt vorgeschlagen wird. Auch wird man damit rechnen müssen, daß sich im Bereich der Immobilienkredite einiges amerikanisiert.

Roman Inderst wurde vom Handelsblatt als forschungsstärkster Wissenschaftler auf Rang 1 gesetzt. Wenn man auch das auf deutsch übersetzt, heißt das, daß er die meisten, der Finanzwelt dienlichen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften platziert hat. 2006 kam er von der London School of Economics nach Frankfurt und wird dort als der großartige neue Experte gefeiert.

Nur Naivlinge können behaupten, mathematische Modell-Studien seien philosophisch- weltanschaulich völlig neutral. Selbst ohne die Details zu kennen, kann doch ein durchschnittlich intelligenter Mensch die Absicht erkennen, die hinter dieser Studie steckt, und daß in der Tat das Ergebnis schon in der Anlage steckt! Nicht beseitigen will man den Mißstand, sondern man trachtet danach, ihn zu kaschieren.

Wie Sie aus den Notizen zu der neuen Studie sehen können, wird Ihr Verkaufsagent demnächst herausfinden müssen, ob Sie zu den „Altschlauen“ oder zu den „Neuschlauen“, zu den „Naiven“, den „guter-Fit“ oder „schlechter-Fit“ gehören (siehe Box).

In dem offenen Brief der 83 protestierenden Professoren der Volkswirtschaft heißt es: „Die Ökonomen [gemeint sind die Makroökonomen, A.A] ziehen sich aus der Wirklichkeit zurück, weil die Karrierereize in ihrem Fach verzerrt sind.“

Liebe Herren Professoren der Volkswirtschaft, Ihnen ist die politische Veränderung entgangen!

Die Wirklichkeit der angelsächsischen Lehre bezieht sich niemals auf den souveränen Staat und seine Menschen, sondern auf die Interessen eines Empires, und wenn man Karriere machen will, muß man sich in diese Richtung biegen. Sollte diese Unklarheit vielleicht damit zu tun haben, daß sie in Ihrem Papier Adam Smith zitieren, der auch schon den Interessen eines Empire diente, nämlich der East Indian Company?????

Andrea Andromidas