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Von Daniel Buchmann
Am Freitag, 29.5.2009, trafen sich Milchbäuerinnen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Anschluß hatten Daniel Buchmann und Matthias Kraume die Möglichkeit, mit dem Vorsitzenden des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter e.V. (BDM), Romuald Schaber, ausführlich über die Situation am Milchmarkt zu sprechen. Auf diesem Gespräch beruht der folgende Bericht.
Am Freitag, 29. Mai 2009 kam es im Bundeskanzleramt überraschend zu einem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Landwirtschaftsministerin Aigner, Vertreterinnen des Deutschen Bauernverbands (DBV) sowie sechs Vertreterinnen des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter (BDM). Bemerkenswert ist daran, daß Merkel noch vor einigen Wochen, als die Milchbäuerinnen vor dem Kanzleramt im Berliner Tiergarten kampierten, um die Regierung auf ihre Notsituation aufmerksam zu machen, dreist erwidert hatte, sie lasse sich nicht von den Bäuerinnen erpressen.
Am Montag der gleichen Woche protestierten 2000 europäische Milchbauern in Brüssel, um die EU-Agrarminister in die landwirtschaftliche Realität zu holen. Ebenfalls am Montag organisierte der Bauernverband eine Sternfahrt von 600 Traktoren zum großen Stern im Berliner Tiergarten.
Merkel erklärte nun, sie würde die Milchfrage zur Chefsache machen und beim Treffen der EU-Regierungschefs am 18./19. Juni in Kamingesprächen die Frage aufbringen, ob angesichts der Finanzkrise die völlige Liberalisierung des Milchmarktes wirklich der richtige Weg sei. Konkrete Vereinbarungen gab es jedoch nicht. Anscheinend hat der Schutz von Produzenten, welche die deutsche Bevölkerung jeden Tag ernähren, noch nicht die gleiche Dringlichkeit wie die Rettung der Bank-Rotten.
Das einzig bisher beschlossene „Konjunkturpaket“ für die Landwirtschaft, die Senkung der Steuer auf den Agrardiesel, wofür sich die große Koalition und der Bauernverband feiern lassen, hilft den Familienbetrieben nicht. Die 350 Euro Selbstbehalt, die jeder Betrieb erstattet kriegen soll, stellen nur ein Almosen dar. Die Abschaffung der Deckelung von 10.000 Liter Diesel pro Betrieb und Jahr hilft nur den Großbetrieben, da kleinere Betriebe nicht so viel Kraftstoff verbrauchen. In einer Beispielrechnung auf der Internetseite des BDM für einen typischen deutschen Milchviehbetrieb steht das Almosen von 350 Euro einem durch Preisdumping verursachten jährlichen Verlust von 63.000 Euro gegenüber. Die angekündigte Senkung des Steuersatzes auf den Agrardiesel von 0,40 Euro/Liter in diesem Jahr auf 0,26 Euro/Liter im nächsten Jahr kann als durchsichtige Wahlkampfaktion abgetan werden.
Aus der Sicht des BDM wäre es relativ einfach, den Milchmarkt in Ordnung zu bringen: Die Produktionsmenge müßte dem Verbrauch angepaßt werden, und der Absatzpreis muß dem Produktionspreis entsprechen. In Zahlen hieße das, die Produktion um circa 5% zu drosseln und den Preis von jetzt 0,20 Euro auf 0,40 Euro anzuheben. (Die Überproduktion beträgt zwar nur 2%, die Drosselung um 5% ist aber nötig, um die Lager räumen zu können.)
Diese einfache Marktregulierung würde den Steuerzahler nichts kosten. Sie bedeutet kein Zahlen teurer Subventionen, sondern ein reines Ändern der Marktregeln. Wenn die Lösung auf der Hand liegt, warum ist es dann so schwierig, sie umzusetzen? Warum wird sie vom Chef des Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, als unrealistisch abgetan? Was ist die Rolle der EU? Warum beteiligen sich die Molkereien an diesem Preisdumping, obwohl selbst sie dadurch nichts mehr verdienen?
Diese Fragen sind nicht losgelöst von der Systemkrise, die die Welt gerade in ein neues finsteres Zeitalter zu stürzen droht. Vor kurzem trafen sich die 14 reichsten Männer der Welt bei den Rockefellers, um in gemütlicher Runde über die Reduzierung der Weltbevölkerung auf 1-2 Milliarden Menschen zu diskutieren. Diese völkermörderischen Absichten sind nichts Neues. In den achtziger Jahren sprach Prince Philip davon, daß er als tödlicher Virus wiedergeboren werden wolle, um etwas gegen die Überbevölkerung zu tun. Das Programm der Finanzoligarchie ist klar: Sie möchte die jetzige Krise nutzen, um die Industriegesellschaft abzuschaffen und einen neuen Feudalismus zu errichten.
Das bedeutet, daß die Kontrolle über sämtliche Produktionsfaktoren in die Hände der Oligarchie übergehen soll, damit sie entscheiden kann, wer oder was noch gebraucht wird und wer nur ein nutzloser Esser ist. Diese totale Kontrolle der gesamten Wirtschaft durch Industriekartelle und Finanzoligarchie nennt sich dann freie Marktwirtschaft.
In diesem Sinne offenbart die heutige Krise nicht das Scheitern des Freihandels, denn die Absicht hinter der Ideologie von „Billig kaufen, teuer verkaufen“ war seit eh und je die Kontrolle der Weltwirtschaft durch eine nutzlose Kaste von Zwischenhändlern und Spekulanten, und nicht die Schaffung von Wohlstand für alle. Von diesem Standpunkt betrachtet, leuchtet es ein, warum viele Milchbauern von einem organisierten Krieg gegen die von Großkonzernen unabhängigen Familienbetriebe sprechen.
Nach Aussage des BDM-Vorsitzenden Romuald Schaber sind 20% der 100.000 Milchviehbetriebe in Deutschland unmittelbar vom Bankrott bedroht. Damit droht der deutschen Landwirtschaft das sog. dänische Modell: In Dänemark sind die Betriebe im Schnitt bereits viermal so groß wie in Deutschland.
Stimmen, die den Konzentrationsprozeß befürworten, meinen, das, was in Dänemark gehe, müsse auch in Deutschland gehen. In Dänemark wurde der Konzentrationsprozeß jedoch überwiegend kreditfinanziert, was zu einer Fremdkapitalquote von 85% (mit den entsprechenden Zinszahlungen) führte. Die dänische Landwirtschaft ist damit äußerst labil, und wenn ein Betrieb bankrott geht, geht er direkt in das Eigentum der Bank über, die ihn dann wieder an Molkereien oder andere Industrieunternehmen verkaufen kann. Am Fall Dänemark sieht man, wie mitten in Europa der landwirtschaftliche Sektor eines ganzen Landes durch falsche Betonung von Großbetrieben anstelle von familiengeführten Höfen in die Kontrolle von Banken und Industriekartellen übergehen kann. Durch die Politik der dänischen EU-Kommissarin für Landwirtschaft, Mariann Fischer-Boel, wird dieser Prozeß noch beschleunigt.
Die von der EU festgelegten Produktionsquoten sind so festgelegt, daß es in der EU eine Überproduktion an Milch von z.Z. ca. 2% (1% in 2008) gibt. Dieser Überschuß übt einen derartigen Preisdruck aus, daß die Milch nur rund die Hälfte der Produktionskosten am Markt erzielt und den Bauern das Genick bricht. „Der Rat hat den Handelskonzernen damit noch mehr Macht eingeräumt und das Gleichgewicht zu Ungunsten der Bauern weiter verschoben“, sagte Schaber.
Um das von der EU selbst geschaffene Problem zu „lindern“, unterstützt die EU den Export durch direkte Subventionen und durch Einlagerung. Für beides werden Steuergelder ausgegeben.
Zunächst ein paar Worte zum Export. Da einige große Länder wie Rußland und die USA sich durch Zölle gegen Dumpingpreise für EU-Milch wehren, und Länder wie Argentinien und Neuseeland selbst genügend Rinder haben, wird die in der EU überflüssige Milch dann einfach auf die Märkte in den schwächsten Ländern der Welt, nämlich in Südostasien und Afrika geworfen, was die dortigen Produzenten vernichtet. Diese Politik steht dann allerdings im Einklang mit den Worten des EU-Kommissionspräsidenten José Barroso, der die EU in einem Fernsehinterview einmal als echtes Imperium bezeichnete. Nach Aussage Romuald Schabers liegen z.Z. keine aktuellen Zahlen über privat und staatlich eingelagerte Milch in der EU vor. Unterm Strich können aber weder Exportsubvention noch Intervention in den Markt durch Einlagerung den Preisverfall stoppen, sie sollen es auch gar nicht. Subventionen hatten immer nur ein Ergebnis: die Bauernschaft in die Abhängigkeit der Bürokratie zu treiben und somit der Willkür der Politik auszusetzen.
Auf vielen Kundgebungen der Milchbauern zeigte sich vor allen Dingen die Wut und Enttäuschung der Bauern gegenüber Sonnleitner und dem DBV. Sonnleitner selbst sagte in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 16.-17. Mai 2009: „Für die bin ich der Feind.“ Weiter behauptet er: „Wir dürfen die Augen nicht vor der Wahrheit verschließen. Auch auf dem Milchmarkt gelten zunehmend die Gesetze des Marktes. Darauf müssen sich die Milchbauern einstellen. Wenn wir nicht den Blick für die Realität haben, verlieren wir den Anschluß.“ Auch wenn Sonnleitner gelegentlich gegen die großen Lebensmitteldiscounter schilt, so vertritt er doch die Politik des Freihandels, bei der die Großen den Kleinen die Bedingungen diktieren können. Staatliche Marktregulierung ist für Sonnleitner keine Möglichkeit, den Bauern zu helfen.
Vielleicht hängt das damit zusammen, daß der Bauernverband mittlerweile mehr die Stimme der Großbetriebe und nicht mehr der Familienbetriebe ist. Sonnleitner ist Mitglied im Präsidium des Bundesverbands Deutscher Arbeitgeber (BDA) und des Deutschen Raiffeisenverbands. Er ist Mitglied des Beirats der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, Mitglied des Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Mitglied des Aufsichtsrats der Münchener und Magdeburger Agrarversicherung AG und der R+V Lebensversicherung AG. Er besitzt einen Hof bei Passau, der sich seit dem 13. Jahrhundert in Familienbesitz befindet. Kein Wunder, daß er sich bei all diesen Nebenjobs nicht auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren kann, nämlich die Interessen der Bauern zu vertreten.
Entsprechend hat der DBV, vertreten durch den Deutschen Landfrauenverband, beim Treffen im Kanzleramt quer geschossen. Ihre Forderung nach „Neustrukturierung der Exportförderung zur Erschließung neuer Märkte“, klingt auf Anhieb nach einem für den Steuerzahler teuren Programm, um mit deutschen bzw. europäischen Agrarprodukten Erzeuger in den Entwicklungsländern platt zu machen (siehe Presseerklärung auf http://www.landfrauen.info).
Um sicherzustellen, daß die Industrie nicht die Arbeiter und Bauern ausbeutet, wurde vor über 100 Jahren in Deutschland das Genossenschaftswesen begründet. Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch forderten damals, daß Arbeiter und Bauern auf eigene Rechnung produzieren und verarbeiten sollten, um sich nicht von Aktienbesitzern oder Spekulanten abhängig zu machen. Allerdings würden sich Raiffeisen und Schulze-Delitzsch im Grabe umdrehen, wenn sie mitansehen müßten, wie das Genossenschaftswesen seinen Gründungsgedanken mehr und mehr verläßt. Leider leisten die genossenschaftlichen Molkereien den privaten wie Dr. Oetker oder Müllermilch entweder vorauseilenden Gehorsam, oder sie sind schlicht eingeschüchtert. In jedem Falle unterstützen sie nicht die Milchbauern, sondern beteiligen sich am Preisdumping, auch wenn sie bei den absurd niedrigen Preisen selbst nichts mehr verdienen. Viele frühere Genossenschaften sind mittlerweile AGs.
Der Einzelhandel ist in Deutschland oligopolartig organisiert. Fünf Unternehmen - Metro, Schwarz-Gruppe (Lidl), Aldi, Rewe und Edeka - geben den Ton an. Während sich Aldi, Lidl & Co gern verbrauchernah geben, üben sie massiven Druck auf die Produzenten aus. Im Bereich Milch forcieren sie seit Jahren ein gnadenloses Preisdumping, das den deutschen Milchbauern nun das Genick zu brechen droht. Im Jahr 2007 beteiligte sich Aldi an massiven Preisspekulationen. So wurde am 1. August 2007 der Preis für Butter schlagartig um 50% erhöht. Laut Romuald Schaber war das Ziel hierbei, den Verbraucher vor den Kopf zu stoßen, um den Verbrauch von Butter zu drosseln, um wiederum mehr Druck auf die Produzenten ausüben zu können.
Daß Handelsunternehmen oder international agierende Konzerne wie Dr. Oetker, Nestle, Kraft und andere ihrer Logik der Marktmacht und Profitmaximierung folgen, wundert nicht. Allerdings muß man der Politik einen Vorwurf machen, wenn sie es nicht schafft, die Milcherzeuger vor den Praktiken der Marktmonopolisten zu schützen.
So würde ein gesetzlich festgelegter Milchpreis von 0,40 Euro bedeuten, daß sich der Export nicht länger lohnt, außer vielleicht nach Saudi Arabien, wo man das weiße Gold gegen schwarzes Gold eintauschen kann. In der Landwirtschaft muß für alle Länder zunächst einmal die nationale und regionale Selbstversorgung gelten. Das wäre das Ende des Liedes für die multinationalen Konzerne und die Voraussetzung, um Hunger und Armut aus der Welt zu schaffen. „Vom globalen Handel hat derjenige den Nutzen, der den Überblick und die Möglichkeit hat, zu manipulieren. Das ist nicht der Verbraucher und nicht der Produzent. Beide sind standortgebunden. Die Möglichkeit bleibt nur beim internationalen Konzern wie Nestle oder Kraft, auf einem Markt billig einzukaufen und woanders teuer zu verkaufen“, sagte Romuald Schaber.
Diese Fragen erfordern allerdings einen grundsätzlichen Richtungswandel in der deutschen und europäischen Landwirtschaftspolitik, Handelspolitik und Entwicklungspolitik. Eine grundsätzliche Richtungsänderung, was den Milchmarkt angeht, könnte allerdings aus Sicht der Regierenden einen Dammbruch darstellen, der eine völlige Abkehr von der freien Marktwirtschaft zur Konsequenz haben könnte. Entsprechend groß ist der Widerstand der Milchindustrie und des Handels, die Forderungen des BDM umzusetzen. Romuald Schaber jedenfalls gibt sich kämpferisch, denn für die Bauern sind ihre Höfe nicht einfach nur ein Arbeitsplatz, den man wechseln kann, sondern ihr Leben, ihre Identität, das mit dem Schicksal der ganzen Familie verbunden ist. Entsprechend groß ist die Solidarität zwischen den Milchbauern.
Auch auf europäischer Ebene finden die deutschen Milchbauern große Zustimmung. In den meisten Ländern sei die Situation im Wesentlichen die gleiche wie in Deutschland, so Romuald Schaber. Daher wurde im Sommer 2006 das European Milk Board gegründet. „Das European Milk Board ist eine Dachorganisation bestehender Milchviehhalterverbände oder Interessensverbände für Landwirte. Aktuell sind Organisationen aus 14 Ländern Mitglied des EMB“, heißt es auf der Internetseite des EMB. Dazu zählen auch Mitglieder aus dem nicht-EU-Land Schweiz. Zur Zeit finden Gespräche statt, um auch osteuropäische Verbände mit ins Boot zu holen. Ziel ist es, als einheitliche Stimme gegenüber Politik und Milchwirtschaft auftreten zu können „Wir sind entschlossen, das bis zum Ende durchzufechten und uns nicht mit klein-klein Beschlüssen abspeisen zu lassen. Da muß eine grundsätzliche Änderung her.“