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Neue Solidarität
Nr. 24, 10. Juni 2009

Supranationale EU will nationale Gesundheitssysteme niederreißen

In allen europäischen Staaten gibt es neue Vorstöße für weitere Kürzungen im Gesundheitswesen und mehr Deregulierung und Privatisierung medizinischer Dienstleistungen. Dahinter steckt eine neue Direktive der Europäischen Kommission, die medizinische Versorgung zu einem ganz alltäglichen Wirtschaftsgut erklärt, mit dem man europaweit ohne Beschränkungen handeln können soll. Als Vorwand dienen dabei „Patientenrechte bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“. Die von der Kommission im Juni 2008 formulierte Direktive wurde am 23. April von der Mehrheit des Europäischen Parlaments verabschiedet und könnte von der Kommission noch vor der Europawahl am 7. Juni 2009 in Kraft gesetzt werden.

Diese Direktive zum Gesundheitswesen war ursprünglich Teil der berüchtigten „Bolkestein-Richtlinie“ von 2005 (so benannt nach dem Mitglied der EU-Kommission Frits Bolkestein) über die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt. Allerdings wurde der Aspekt, der das Gesundheitswesen betraf, damals aufgrund des berechtigten starken Widerstands von Gewerkschaften sowie linker und unabhängiger Parlamentarier fallengelassen. Jetzt will die Kommission ihn durch die Hintertür doch noch einführen.

Obwohl das Europäische Parlament nicht alle Teile des ursprünglichen Entwurfs akzeptierte, stellt die neue Direktive eine drastische Wende dar, denn sie beruft sich ausdrücklich auf Artikel 95 des EU-Vertrages, der den Binnenmarkt betrifft, statt auf den Art. 152 über die Gesundheitsversorgung! Die Europaparlamentarierin Katika Liotard aus den Niederlanden sagte ganz unverblümt, die nationalen Gesundheitssysteme müßten sich jetzt den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Wie die belgische Gesundheitsministerin Laurette Onkelinx aufzeigte, wird die Direktive zu sinkenden Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens führen, „den Export der Kranken zum günstigsten Anbieter“ fördern und damit bei der Versorgung Konkurrenz zwischen Einheimischen und Ausländern schaffen. Onkelinx verwies auch auf die Rolle von privater Versicherungen, die auf grenzüberschreitende Geschäfte spezialisiert sind, die diesen Wettbewerb fördern werden, indem sie in diesem freien Markt den Zugang zur Gesundheitsversorgung für die Reichsten begünstigen.

Für Deutschland, das bereits heute eine starke Abwanderung von Chirurgen und anderen Spezialisten ins europäische Ausland erlebt, bedeutet die neue EU-Direktive eine Verstärkung dieses Trends. Seit Anfang 2008 sind 3000 Ärzte ausgewandert, weitere 16.000 arbeiten ständig oder regelmäßig in anderen Ländern, vor allem in England. Private Agenturen in England vermitteln den Kliniken dort gerne Ärzte vom europäischen Festland für ausgewählte Operationen und andere Behandlungen für zahlungskräftige Privatpatienten, für die nicht genügend englische Ärzte bereitstehen, weil an deren Ausbildung gespart wird.

Für die Leihärzte wird dies fragwürdige just-in-time-System attraktiv gemacht durch eine Bezahlung, die höher liegt als in ihren Heimatländern. Das ist immer noch ein „Geschäft“ für das Gesundheitssystem Englands, weil die teuren Kosten für die Ausbildung von Chirurgen und anderen Spezialisten eingespart werden.

Die BüSo fordert in ihrem Programm eine Verteidigung der nationalen Gesundheitssysteme und keinerlei Unterordnung unter Profitorientierung durch Finanzinteressen. Erst kommen die Menschen!

BüSo