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Neue Solidarität
Nr. 16, 15. April 2009

Dramatischer Kollaps trifft die Realwirtschaft

Der weltweite dramatische Einbruch der Realwirtschaft ist viel schlimmer als die Krise der Finanzwelt, bei der es nur um wertlose Papiere geht.

Der sich immer mehr beschleunigende Zusammenbruch der Realwirtschaft in Deutschland und anderswo zeigt, daß der Krise mit Geldpumpen und konsumorientierten Konjunkturpaketen nicht beizukommen ist. Der Zusammenbruch der Exportmärkte läßt sich durch Abwrackprämien nicht ausgleichen, das zeigen die jüngsten Wirtschaftsstatistiken. Nun schlägt die lange Vernachlässigung der „vergessenen Wirtschaft“, nämlich des produzierenden Sektors und der Infrastruktur, auf uns alle zurück. Der März 2009 war der erst Monat seit 1928, in dem es keine Frühjahrserholung auf dem Arbeitsmarkt gab. Vielmehr stieg die Arbeitslosigkeit weiter an.

So befindet sich derzeit der deutsche Maschinenbausektor in der schlimmsten Krise seit Menschengedenken, aber das interessiert die Teilnehmer des G20-Gipfels nicht, die besessen sind von der Idee, das jetzige Weltfinanzsystem zu erhalten, und sei es um den Preis einer Hyperinflation. Der Verband des deutschen Maschinenbaus VDMA gab am 1. April bekannt, daß der Sektor im Februar zum dritten Mal in Folge einen Einbruch der eingegangenen Neuaufträge um mehr als 40% gegenüber dem Vorjahresmonat verzeichnete. Im Februar belief sich dieser Absturz auf 49%, im Durchschnitt der drei Monate Dezember, Januar und Februar waren es 44%.

Dabei handelt es sich wirklich nur um einen Durchschnitt: Die Produzenten von Maschinen für die holzverarbeitende, Eisen- und Stahlindustrie sowie die Automobilindustrie meldeten für Februar gegenüber dem Vorjahresmonat Einbrüche um 70% und mehr. Angesichts dieser Zahlen ist die Prognose des VDMA, daß die Produktion insgesamt um 20% fallen wird, eher optimistisch. Niemand wisse, was im Zusammenhang mit der globalen Finanzkrise auf uns zu kommen werde, erklärte Olaf Wortmann vom VDMA. Schon sind 10% der 976.000 Beschäftigten im Maschinenbau in Kurzarbeit.

Der deutsche Automobilexport stürzte im 1. Quartal 2009 um 38% ab. Dies ist besonders alarmierend angesichts der Tatsache, daß bisher drei von vier in Deutschland hergestellten Automobilen exportiert wurden. Unter diesen Umständen ist die Zukunft der Produktion in Deutschland - bisher rund 6 Mio. Fahrzeuge jährlich - alles andere als sicher, und das gilt auch für die Beschäftigung im Automobilsektor. Fast alle Autohersteller haben Kurzarbeit angemeldet und werden daran bis Jahresende wohl nichts ändern, während schon in den Sommermonaten mit Entlassungen zu rechnen ist. Es bedeutet nichts Gutes für Opel, daß die Arbeitsgruppe der Regierung, die über Opel verhandeln soll, von Jörg Asmussen, dem „Mr. Bank Bailout“ im Finanzministerium geleitet und von Lazard Frères beraten wird, denn es impliziert, daß Opel die GM-Behandlung erhält.

Aber nicht nur der PKW-Sektor ist vom Kollaps betroffen, im Nutzfahrzeugsektor zeigt sich der Rückgang noch viel stärker. Hier beträgt der Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat im März je nach Kategorie 61%-68%. Daimler-Benz hat bereits angekündigt, daß es die Kurzarbeit über Juni hinaus fortsetzen will und weitere tiefe Einschnitte bei Löhnen und  Ausgaben anstrebt.

Im Zusammenhang mit der sich verschlechternden Lage der Autoproduzenten hat der Stahlkonzern Arcelor-Mittal angekündigt, daß er seine Produktion in Europa um 50% reduzieren wird. Die Hochöfen in Lüttich (Belgien) und Florange (Frankreich), die schon seit zwei Monaten stillgelegt sind, werden nicht wieder in Betrieb genommen. Andere, etwa in Eisenhüttenstadt, werden ebenfalls stillgelegt werden.

Auch in Spanien beschleunigt sich der Wirtschaftskollaps. Der März war der schlimmste Monat der jüngeren Geschichte für Spanien. 123.000 neue Arbeitslose wurden gemeldet, wodurch die offizielle Arbeitslosenrate auf mehr als 15% angestiegen ist. Einer der Gründe ist der Rückgang der Industrieproduktion um 20%, vor allem im Bausektor, aber auch der Autosektor ist stark betroffen. Allein im Februar wurden 75% der neugemeldeten Arbeitslosen in der gesamten Eurozone in Spanien gemeldet.

Der Boom des Bau- und Immobiliensektors in den vergangenen Jahren beschäftigte viele junge Spanier ohne qualifizierte Berufsausbildung. Dies gilt für ein Drittel aller Spanier unter 25 Jahren, die daher auch nur schlechte Aussichten haben, nach dem Kollaps der Immobilienblase wieder Arbeit zu finden. Viele von ihnen werden gezwungen sein, sich Arbeit außerhalb Spaniens zu suchen. (Ähnlich ist die Lage übrigens in Irland. Viele junge Menschen wandern aus, um neue Arbeit zu finden, nachdem die Dubliner Blase geplatzt ist.) Von 3,6 Millionen registrierten Arbeitslosen in Spanien erhalten nicht weniger als 900.000 keine Unterstützung vom Staat, weil sie von keinem sozialen Netz erfaßt werden.

Besonders stark betroffen sind die Billiglohnländer. Der Präsident der Ukraine, Juschtschenko, erklärte, die Premierministerin Timoschenko vertusche die Zahlen über den Zusammenbruch der Wirtschaft, in den letzten beiden Monaten sei das BIP des Landes um 30% eingebrochen. Die Financial Times meldete, die Arbeitslosigkeit habe sich in den letzten Monaten verdoppelt. Timoschenko widersetzt sich bisher den vom IWF verlangten Haushaltskürzungen, die die Lage im Land noch weiter verschlechtern würden, die aber  Bedingung für finanzielle Hilfen vom IWF sind - ein Vorgeschmack auf das, was auf die ganze Welt zukommt, wenn die Rolle des IWF ausgeweitet werden sollte, wie beim Londoner Gipfel der G20 beschlossen wurde.

alh