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Aus der Neuen Solidarität Nr. 12/2009 |
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Von Caroline Hartmann
Zu Albert Einsteins 130. Geburtstag ist es mehr als überfällig, das mechanistische Weltbild von Helmholtz und Clausius ein für allemal über Bord zu werfen.
„…Doch in der Physik herrschte bei aller Fruchtbarkeit im Einzelnen in prinzipiellen Dingen dogmatische Starrheit: Am Anfang - wenn es einen solchen gab - schuf Gott Newtons Bewegungsgesetze samt den notwendigen Maßen und Kräften. Das ist alles; das Weitere ergibt die Ausbildung geeigneter mathematischer Methoden durch Deduktion.…Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß sozusagen alle Physiker des letzten Jahrhunderts in der klassischen Mechanik eine feste und endgültige Grundlage der ganzen Physik, ja, der ganzen Naturwissenschaft sahen, und daß sie nicht müde wurden, zu versuchen, auch die indessen langsam sich durchsetzende Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus auf die Mechanik zu gründen.“ (10)
Am 14. März 2009 wäre Albert Einstein 130 Jahre alt geworden. Als er 1879 geboren wurde, befand sich die Physik in genau dem Zustand, wie er ihn in seiner Autobiographie beschrieben hat. Ein Jahr davor, am 20. März 1878, war gerade Robert Mayer, der Begründer der Wärmelehre, gestorben - ein tragischer Fall, da er von Helmholtz und Clausius ins Abseits gedrängt und mundtot gemacht worden war. Diese beiden waren es vor allem, die die Wärmeerscheinungen auf Grundlage des Newtonschen Bewegungsgesetzes erklärten. Ihr Bild von der Natur beruhte auf der Annahme einer gleichmäßigen Verteilung von Teilchen im Raum, die sich gegenseitig abstoßen oder anziehen, so daß je nach Bewegungsintensität - z.B. durch Energiezufuhr von außen - Wärme entsteht. Mit dieser ziemlich primitiven Auffassung der Natur gelangte aber die ganze Physik endgültig in die Sackgasse, da zwei Grundsätze hartnäckig negiert wurden: erstens kann man Wärme nicht mit Bewegung gleichsetzen, sie ist nur äquivalent zur mechanischen Kraft, doch nicht ihr gleich, was Mayer nachdrücklich betonte; zweitens wurde Newtons Verlegenheitslösung eines starren und absoluten Raumes einfach als gegeben übernommen.
Mit Einstein fegte aber ein Wirbelsturm durch alle diese verschrobenen und lügenhaften Denkgebäude - die Wissenschaft arbeitet heute noch daran, seine Erkenntnisse zu verdauen! Ernsthafte Naturforscher wie Riemann und Gauß hatten zuvor bereits begriffen, daß diese Art der mechanistischen Interpretation der Natur falsch sei bzw. man nicht von dem begrenzten dreidimensionalen Kasten unserer Sinneseindrücke auf die Gesetzmäßigkeiten des Universums schließen könne. Einstein griff diese Arbeiten auf und führte sie weiter, so daß das ganze alte Gebäude ins Wanken geriet!
Wir wollen im folgenden einige grundlegende Überlegungen Einsteins zur Hinterfragung bzw. Neuinterpretation von alltäglichen Sinneseindrücken aufzeigen. Sind Sie bereit, Ihren Kopf aus dem Kasten herauszustrecken?
Vielleicht haben Sie schon einmal gemerkt: Egal, was wir fallen lassen, ob es sich um eine Stahlkugel oder ein Radiergummi handelt, alles fällt mit der gleichen Schnelligkeit zu Boden - wenn man die Reibung einmal außer acht läßt. Bei fallenden Gegenständen auf der Erde ist somit noch etwas anderes wirksam als das, was man normalerweise als „Erdanziehung“ bezeichnet. Anders ausgedrückt heißt das:
„Das Gravitationsfeld weist im Gegensatz zum elektrischen und magnetischen Felde eine höchst merkwürdige Eigenschaft auf, welche für das Folgende von fundamentaler Bedeutung ist. Körper, die sich unter ausschließlicher Wirkung des Schwerefeldes bewegen, erfahren eine Beschleunigung, welche weder vom Material, noch vom physikalischen Zustande des Körpers im geringsten abhängt.“ (2)
Das heißt, die träge Masse und die schwere Masse sind gleich. Einstein sagt:
„Die bisherige Mechanik hat diesen wichtigen Satz zwar registriert, aber nicht interpretiert. Eine befriedigende Interpretation kann nur so zustande kommen, daß man einsieht: Dieselbe Qualität des Körpers äußert sich je nach Umständen als ,Trägheit’ oder als ,Schwere’.“ (2)
Hieraus ergeben sich einige Fragen: Wie kommt es zu solchen konstanten Erscheinungen wie der Gravitationskraft, die alle Körper mit der gleichen Beschleunigung zu Boden fallen läßt? Es gibt noch andere konstante Größen, zum Beispiel die Größe π, die Lichtgeschwindigkeit c, die Masse des Elektrons me, das Plancksche Wirkungsquantum h. Welche Kräfte wirken sozusagen „hinter den Kulissen“, daß wir derartige „Rahmenbedingungen“ feststellen, die stets unabhängig von allen anderen Umständen gültig sind? Und eine weitere Frage ist: Warum ist das so wichtig? Schließlich könnte man ja sagen, man müsse einfach mit solchen - Einstein würde sagen „vom lieben Gott vorgegebenen“ - Tatsachen leben.
Schon bei dem jungen Einstein entwickelt sich die Idee, daß die Bewegungsgesetze der Physik eines Umdenkens bedürfen, daß man alle fixen Vorurteile ebenso wie die starre Vorstellung von Zeit und Materie über Bord werfen müsse. Bereits als Schüler erkannte er, daß die Physik von Dogmen beherrscht wird, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten. Der Kern des Problems ist völlig klar: Newtons Mechanik galt als gottgegeben und wahr, und aus ihr entwickelte man die entsprechenden Gesetze für alle Erscheinungen, ob für die Lichtbewegung, die Wärme, die Elektrizität oder den Magnetismus. Das war natürlich nur möglich, wenn man von einer rein statistischen Verteilung der Teilchen im Universum ausging, und zwar von den größten Dimensionen (Planeten, Sterne) bis hinunter zum atomaren und subatomaren Bereich!
Als sich einmal eine Mitstudierende an der ETH in Zürich bei Einstein über die veralteten Arbeitsmethoden ihres Lehrers beschwerte und etwas neidisch anmerkte, wie gut er es doch habe, bei tüchtigen Professoren lernen zu können, erwiderte Einstein: „Was der eine lehrt, ist nicht richtig; was der andere lehrt, stimmt aber auch nicht!“
Durch Vater und vor allem Onkel, beides Elektro-Ingenieure, die gemeinsam in München eine Elektrofabrik gründeten, in der sie neben Dynamos, Lichtbogenlampen und kompletten Telefonsystemen eine von Jakob Einstein selbst entwickelte Dynamomaschine produzierten, wurde Einstein früh auf die Besonderheiten der Elektrizität und Elektrodynamik aufmerksam. Er las schon in jungen Jahren alles, was er über Elektrizität, Magnetismus, Thermodynamik finden konnte, machte sich bereits Gedanken darüber, was passiert, wenn man mit Lichtgeschwindigkeit neben einem Lichtstrahl hersaust, und verstand schnell, daß in der Erklärung der Naturerscheinungen etwas nicht stimmte. Schon als 16jähriger schreibt er in einem Aufsatz „Über die Untersuchung des Ätherzustandes im magnetischen Feld“ seine Gedanken darüber auf, wie die Umgebung durch einen elektrischen Strom verändert wird, wie ein Magnetfeld erzeugt wird und wie die Erscheinungen von Licht und Wärme entstehen.
Einstein begriff, daß die entscheidende Frage ist: Was bestimmt die wirkliche Geometrie des Raumes? Und vor allem: Woher weiß ich, in welcher Geometrie ich mich befinde? Wenn es sich nicht einfach um drei senkrecht aufeinanderstehende (kartesische) Koordinaten handelt, welche Geometrie ist es dann?
Die sogenannte „klassische“ Newtonsche Mechanik basiert auf zwei völlig willkürlichen Annahmen: dem absoluten Raum und der absoluten Zeit:
„Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist ein fühlbares und äußerliches, entweder genaues oder ungleiches Maß der Dauer, dessen man sich gewöhnlich statt der wahren Zeit bedient, wie Stunde, Tag, Monat und Jahr.“ Und:
„Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich.“
Diese Raumdefinition klingt fast mystisch, und der Glaube daran blieb lange in der Physik erhalten bzw. muß man ernsthaft die Frage stellen, ob der Raum im Bewußtsein der Physiker bis in die heutige Zeit nicht ausschließlich das passive Gefäß allen Geschehens ist, das am physikalischen Geschehen selbst keinen Anteil hat. Einstein erkannte: Die Wirklichkeit ist ganz anders, denn...
„... wenn ich ohne schwere Bedenken und eingehende Erläuterungen die Aufgabe der Mechanik so formuliere ,Die Mechanik hat zu beschreiben, wie die Körper mit der Zeit ihren Ort im Raume ändern’, so nehme ich einige Todsünden gegen den heiligen Geist der Klarheit auf mein Gewissen; diese Sünden sollen zunächst aufgedeckt werden... Es ist unklar, was hier unter ,Ort’ und ,Raum’ zu verstehen ist. Ich stehe am Fenster eines gleichförmig fahrenden Eisenbahnwagens und lasse einen Stein auf den Bahndamm fallen, ohne ihm Schwung zu geben. Dann sehe ich (abgesehen vom Einfluß des Luftwiderstandes) den Stein geradlinig herabfallen. Ein Fußgänger, der die Übeltat vom Fußwege aus mit ansieht, bemerkt, daß der Stein in einem Parallelbogen zur Erde herabfällt. Ich frage nun: Liegen die ,Orte’, welche der Stein durchläuft, in Wirklichkeit auf einer Geraden oder auf einer Parabel? Was bedeutet hier ferner Bewegung im Raume?“ (2)
Man kann sagen, daß Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie eine Weiterführung und Vollendung von Riemanns Grundgedanken in dessen Antrittsvorlesung in Göttingen 1854 „Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen“, von Gauß’ Arbeit über gekrümmte Flächen „Disquisitiones generales circa superficies curvas“ sowie von Gauß’ Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra darstellen. Riemann rüttelte in seiner Antrittsvorlesung an den Dogmen der alten Mechanik, als er feststellte:
„Nun scheinen aber die empirischen Begriffe, in welchen die räumlichen Maßbestimmungen begründet sind, der Begriff des festen Körpers und des Lichtstrahls, im Unendlichkleinen ihre Gültigkeit zu verlieren; es ist also sehr wohl denkbar, daß die Maßverhältnisse des Raumes im Unendlichkleinen den Voraussetzungen der Geometrie nicht gemäß sind, und dies würde man in der Tat annehmen müssen, sobald sich dadurch die Erscheinungen auf einfachere Weise erklären lassen.
Die Frage über die Gültigkeit der Voraussetzungen der Geometrie im Unendlichkleinen hängt zusammen mit der Frage nach dem innern Grunde der Maßverhältnisse des Raumes. Bei dieser Frage, welche wohl noch zur Lehre vom Raume gerechnet werden darf, kommt die obige Bemerkung zur Anwendung, daß bei einer diskreten Mannigfaltigkeit das Prinzip der Maßverhältnisse schon in dem Begriffe dieser Mannigfaltigkeit enthalten ist, bei einer stetigen aber anders woher hinzukommen muß. Es muß also entweder das dem Raume zugrunde liegende Wirkliche eine Mannigfaltigkeit bilden, oder der Grund der Maßverhältnisse außerhalb, in darauf wirkenden bindenden Kräften gesucht werden.
Die Entscheidung dieser Fragen kann nur gefunden werden, indem man von der bisherigen, durch die Erfahrung bewährten Auffassung der Erscheinungen, wozu Newton den Grund gelegt, ausgeht und diese durch Tatsachen, die sich aus ihr nicht erklären lassen, getrieben allmählich umarbeitet; solche Untersuchungen, welche, wie die hier geführte, von allgemeinen Begriffen ausgehen, können nur dazu dienen, daß diese Arbeit nicht durch die Beschränktheit der Begriffe gehindert und der Fortschritt im Erkennen des Zusammenhangs der Dinge nicht durch überlieferte Vorurteile gehemmt wird.“ (1)
Nach Abschluß seines Studiums in Zürich war Einstein der einzige, der keine Assistentenstelle bekam, da er sich mit seinen kritischen Fragen und Bemerkungen über die Unrichtigkeit der Lehrmeinung mit vielen Professoren überworfen hatte. So mußte er sich einige Zeit mit Nachhilfestunden über Wasser halten, bis er endlich eine Anstellung beim Patentamt in Bern erhielt.
In dieser Zeit schrieb er seine Überlegungen auf, die schnell die bedeutendsten Köpfe auf ihn aufmerksam machten:
Betont sei, daß Einstein in allen seinen Arbeiten explizit den Leibnizschen Begriff der „lebendigen Kraft“ statt den der kinetischen Energie benutzt.
Einsteins Leben war in dieser Zeit bestimmt durch seinen Arbeitsplatz, die Entwicklung seiner Ideen in der Physik sowie durch die Musik. Zu den wenigen Dingen, die er auf dieser Erde für sich als notwendig ansah, zählte auch seine Geige, und er sagte einmal, die Musik sei für ihn die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Gedanken.
Durch seine Berner Arbeiten, von denen viele in den Annalen der Physik abgedruckt wurden, erregte er schnell das Aufsehen der physikalischen Welt. Bald korrespondierte er mit vielen Naturwissenschaftlern, die begannen, seine Ideen zu diskutieren, u.a. mit Born, Planck und seinem früheren Mathematikprofessor in Zürich, Minkowski. Dieser war es auch, der die Bedeutung der Relativitätstheorie als erster erfaßte und äußerte, daß Einsteins neues Weltbild das moderne Denken entscheidend beeinflussen werde:
„Die Anschauungen über Raum und Zeit, die ich Ihnen entwickeln möchte, sind auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen ,Raum an sich’ und ,Zeit für sich’ völlig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren.“
Nach kurzer Lehrtätigkeit an der Universität von Bern erging 1911 an Einstein ein Ruf nach Prag, wo der Lehrstuhl für theoretische Physik freigeworden war. Diesen besetzte Einstein mit nur 31 Jahren. Im August 1912 verließ er Prag allerdings wieder, weil ihm nun endlich die Stadt Zürich eine ordentliche Professur angeboten hatte. In der Zwischenzeit war er ständiger Gast vieler internationaler Kongresse und Veranstaltungen, wie der Naturforschertagung in Salzburg 1909, dem Solvay-Kongreß u.v.m. Mittlerweile ging ihm der Ruf voraus, nicht ein gewöhnlicher Physiker, sondern trotz seiner Jugend ein außergewöhnliches Genie zu sein. Er machte sich aber nie etwas daraus. Als einmal für ihn in einem noblen Hotel ein Empfang gegeben wurde, erschien er in einem blauen Arbeiteranzug, so daß die Hoteldiener am Eingang meinten, er wäre der Elektriker, den man wegen einer defekten Leitung bestellt hatte.
In Zürich blieb Einstein noch bis zum Frühjahr 1914, danach übersiedelte er nach Berlin, nachdem die Preußische Akademie der Wissenschaften ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte und Max Planck und Walter Nernst im Frühsommer zu Einstein nach Zürich gereist waren, um ihn zu gewinnen.
Die „Elektrodynamik bewegter Körper“ stellt praktisch die spezielle Relativitätstheorie dar, die genauso wie die allgemeine auf Beobachtungen basiert, die man zwar als alltäglich ansehen mag, bei denen aber Einstein als erster die Konsequenz erkennt, daß Raum und Zeit relativ sind.
Stellen Sie sich vor, eine Eisenbahn fahre mit konstanter Geschwindigkeit v. Ein Mann gehe in der fahrenden Bahn in Fahrtrichtung mit der Geschwindigkeit w. Mit welcher Geschwindigkeit W kommt der Mann relativ zum Bahndamm vorwärts? Würde er eine Sekunde stillstehen, so käme er mit v, der Geschwindigkeit der Bahn voran. In der Sekunde, in der er zusätzlich mit w läuft, betrüge seine Geschwindigkeit insgesamt W = v + w. Trifft das wirklich zu? Dazu erst mehr zum Begriff der Gleichzeitigkeit.
Eine andere Überlegung: Man betrachte zwei Punkte A und B auf der Bahnstrecke, in der Mitte einen Punkt M. Wenn nun gleichzeitig (beide Uhren bei A und B müssen die gleiche Zeigerstellung haben) bei A und B ein Blitz einschlägt, wird dieser von einem Beobachter bei M gleichzeitig gesehen.
Jetzt fahre ein Zug auf der Strecke A-B. Sind jetzt zwei Ereignisse, die von M aus bei A und B gesehen wurden, d.h. in bezug auf den Bahndamm, auch in bezug auf den Zug gleichzeitig? Die Blitzschläge sind in bezug auf den Bahndamm gleichzeitig, d.h. die von den Orten A und B ausgehenden Lichtstrahlen begegnen sich im Mittelpunkt M der Strecke A-B. Den Ereignissen entsprechen aber auch die Stellen A und B im Zug. Es sei M´ der Mittelpunkt dieser Strecke A-B des fahrenden Zuges. Dieser Punkt M´ fällt zwar im Augenblick der Blitzschläge mit dem Punkt M zusammen, bewegt sich aber in der Zeichnung mit der Geschwindigkeit v nach rechts. (Siehe Abb. 1)
Würde nun ein bei M´ sitzender Beobachter diese Geschwindigkeit nicht besitzen, so würde er dauernd in M bleiben, und es würden ihn dann die von den Blitzschlägen A und B ausgehenden Lichtstrahlen gleichzeitig erreichen, d.h. beide Strahlen würden sich gerade bei ihm begegnen.
In Wirklichkeit aber eilt der Beobachter (vom Bahndamm aus betrachtet) dem von B herkommenden Lichtstrahl entgegen und entfernt sich von dem aus A kommenden. Er wird also den von B ausgehenden Blitzschlag oder Lichtstrahl früher sehen als den von A kommenden. Fazit ist: Ereignisse, die in bezug auf den Bahndamm gleichzeitig sind, sind in bezug auf den Zug nicht gleichzeitig! Das ist die Relativität der Gleichzeitigkeit.
Dann ist die obige Überlegung mit dem im Zug mit einer zusätzlichen Geschwindigkeit w gehenden Mann nicht mehr aufrechtzuerhalten: wir schlossen nämlich, daß der Mann in dieser Sekunde eine Geschwindigkeit W = v + w relativ zum Bahndamm hat, und nahmen stillschweigend an, daß die Strecke, die er dabei - vom Bahndamm aus gesehen - in dieser Sekunde durchläuft, im Zug die gleiche ist. Die Zeit ist aber in ihrer Dauer, von einem ruhenden Bezugssystem (Bahndamm) gesehen, nicht gleichzusetzen mit der in einem bewegten System, wie man am Beispiel der Beobachtung der Lichtblitze gesehen hat.
Allerdings heißt das keineswegs: „Alles ist relativ.“ Einstein hat genau wie Gauß ausdrücklich betont, daß das Universum tatsächlich ein reales ist und gesagt:
„Ich muß jedoch schon hier den Leser vor einem Mißverständnis warnen, das durch diese Überlegungen nahegelegt wird... Man könnte nun leicht meinen, daß die Existenz eines Gravitationsfeldes stets eine nur scheinbare sei. Man könnte denken, daß, was auch immer für ein Gravitationsfeld vorhanden sein mag, man immer einen anderen Bezugskörper so wählen könne, daß in bezug auf ihn kein Gravitationsfeld existiert. Dies trifft aber keineswegs für alle Gravitationsfelder zu, sondern nur für solche von ganz speziellem Bau. So ist es beispielsweise unmöglich, einen Bezugskörper so zu wählen, daß von ihm aus beurteilt das Gravitationsfeld der Erde (in seiner ganzen Ausdehnung) verschwindet.“ (2)
Die zweite weitreichende Erkenntnis, die aus der Relativitätstheorie folgte, ist: Die Maxwellschen Bewegungsgesetze gelten nicht nur nicht in bewegten Systemen, sondern auch nicht, wenn ein Gravitationsfeld wirkt! Denn wenn man von beiden Bezugssystemen aus - dem ruhenden Kasten K und dem beschleunigten Kasten K´ - einen Lichtstrahl beobachtet, so pflanzt sich dieser für den ruhenden Beobachter in gerader Linie (luftleerer Weltraum) fort; für den Mann im beschleunigten Kasten aber ist die Bahn desselben Lichtstrahles keine Gerade mehr.
„Hieraus ist zu schließen, daß sich Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern im allgemeinen krummlinig fortpflanzen.“
Diese Beschleunigung, die sich auf alle vom ruhenden System geradlinig erscheinende Bewegungen auswirkt, so daß sie krummlinig aussehen, entspricht dem Einfluß des relativ zu K´ herrschenden Gravitationsfeldes auf den bewegten Körper, also die Teile des Lichtstrahls.
Während diese Krümmung der Lichtstrahlen für die uns betreffenden Gravitationsfelder gering ist, berechnete Einstein, daß sie für Lichtstrahlen, die in der Nähe der Sonne vorbeigehen, doch 1,7 Bogensekunden betragen muß.
„Dies müßte sich dadurch äußern, daß die in der Nähe der Sonne erscheinenden Fixsterne, welche bei totalen Sonnenfinsternissen der Beobachtung zugänglich sind, um diesen Betrag von der Sonne weggerückt erscheinen müssen gegenüber der Lage, die sie für uns am Himmel annehmen, wenn die Sonne an einer anderen Stelle am Himmel steht. Die Prüfung des Zutreffens oder Nichtzutreffens dieser Konsequenz ist eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit, deren baldige Lösung wir von den Astronomen erhoffen dürfen.“
Diese Hypothese machte Einstein im Jahre 1913. Und tatsächlich wurde die Existenz der von der Theorie geforderten Lichtablenkung von dem englischen Astronomen Eddington bei der Sonnenfinsternis vom 30. Mai 1919 photographisch festgestellt. Für das Jahr 1919 erwartete man eine Sonnenfinsternis, die für das Experiment sehr geeignet war, da sich die Sonne zur Zeit der Verfinsterung inmitten einer Anzahl besonders heller Fixsterne, der Hyoden, befand, die als Lichtquellen genutzt werden konnten. Die wissenschaftliche Welt wartete mit Spannung auf die Messung, die natürlich Einsteins Vorhersage voll und ganz bestätigte. Die Ablenkung war sogar doppelt so groß, wie sie nach dem Newtonschen Gesetz zu erwarten gewesen wäre. Das war der Beweis für die Raumkrümmung. Als Einstein die Mitteilung erhielt, bemerkte er: „Ich wußte, daß die Theorie richtig ist. Haben Sie daran gezweifelt?“ Die Besucherin erwiderte: „Nein, natürlich nicht. Doch was hätten Sie gesagt, wenn die Bestätigung nicht so ausgefallen wäre?“ worauf Einstein antwortete: „Da könnt´ mir halt der liebe Gott leid tun, die Theorie stimmt doch.“ (5)
Einstein verfaßte sogar ein Gedicht als Antwort an seine alten Freunde in Zürich:
„Frau Sonne uns Licht und Leben schenkt,
Doch liebt sie nicht den, der da grübelt und denkt.
Drum müht sie sich ab gar manches Jahr,
Wie sie wohl schlau ihr Geheimnis bewahr`.
Doch jüngst kam der liebe Mond zu Gast,
Vor Freude begann sie zu leuchten fast,
Ist auch um ihr tiefes Geheimnis gekommen –
Der Eddington hat es ja aufgenommen.
Ihr Freunde drum von des Kolloquiums Runde,
Wenn auch Euch einst schlägt eine schwache Stunde,
Gedenkt unserer Sonne! Was sie nicht kann,
Wie soll es vermögen der sterbliche Mann?“
Die auf diese Weise entwickelte Vorstellung des Raumes basiert auf der Gravitationstheorie, da die Gravitation eine besondere Eigenschaft hat, praktisch die Geometrie einer von ihrer Größe abhängigen Umgebung zu verändern. Man könnte auch sagen: Die Gravitation ist eine geometrische Kraft. Das Gravitationsfeld ist durch die Konfiguration von Massen bestimmt und wechselt mit diesem beständig, daher ist die geometrische Struktur des Raumes von diesen physikalischen Faktoren abhängig. Das erfordert schon ein enormes Umdenken in dem üblichen dreidimensionalen Kasten, den wir üblicherweise in unserem Kopf mit uns herumtragen. Einstein sagt:
„Ein mystischer Schauer ergreift den Nichtmathematiker, wenn er von ,vierdimensional’ hört, ein Gefühl, das dem vom Theatergespenst erzeugten nicht unähnlich ist. Und doch ist keine Aussage banaler als die, daß unsere gewohnte Welt ein vierdimensionales zeiträumliches Kontinuum ist.“ (2)
Die Welt des physikalischen Geschehens, von Minkowski kurz „Welt“ genannt, ist vierdimensional im zeiträumlichen Sinne. Sie setzt sich aus einzelnen Ereignissen zusammen, die jeweils durch vier Zahlen, nämlich drei räumliche Koordinaten x, y, z und eine zeitliche Koordinate, den Zeitwert t beschrieben ist. Die „Welt“ ist in diesem Sinne auch ein Kontinuum; denn es gibt zu jedem Ereignis beliebig viele „benachbarte“ (realisierte oder doch denkbare) Ereignisse, deren Koordinaten x1, y1, z1, t1 sich von denen des ursprünglichen Ereignisses x, y, z, t beliebig wenig unterscheiden.
Einstein versuchte einmal, seinen Studenten in Berlin mit folgendem Beispiel das Verständnis für dieses Denken zu erleichtern:
„Denken Sie sich flache, äußerst flache Wesen, stellen Sie sich vor, sie hätten nur zwei Dimensionen und sie wären, na, sagen wir Wanzen, die auf geodätischen Linien auf der Oberfläche des kugelförmigen Körpers herumkriechen, und sie könnten nicht weg von der Oberfläche dieses Globus... Na ja, wir leben in drei Dimensionen... Diese flachen Wanzen würden nicht unsere ebene euklidische Geometrie haben...“
Jedem Punkt im Kontinuum eines genügend kleinen Raumes werden also so viele Gaußsche Koordinaten zugeordnet, wie es Dimensionen gibt. Einem einzelnen bewegten materiellen Punkt x1, x2, x3, x4, würde also im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum eine Linie entsprechen. Und die einzigen Aussagen, die wir über Ereignisse in diesem vierdimensionalen Kontinuum machen können, sind in Wahrheit die Aussagen über die Begegnungen der Punkte, d.h. die Schnittpunkte solcher raum-zeitlicher Linien!
Wenn man also in der dreidimensionalen Geometrie die Bewegung eines materiellen Punktes relativ zu einem Bezugskörper beschrieb, so war das nichts weiter als die Begegnungen dieses Punktes mit bestimmten Punkten des Bezugskörpers. Wie wir aber gesehen haben, gibt es in Gravitationsfeldern keine starren Körper mit euklidischen Eigenschaften, denn die Felder bewirken eine Krümmung in jedem Punkt.
„Der Raum ist also gemäß dieser Theorie – genau wie es Riemann geahnt hat – kein absoluter mehr, sondern seine Struktur hängt von physikalischen Einflüssen ab. Die (physikalische) Geometrie ist keine isolierte, in sich geschlossene Wissenschaft mehr wie die Geometrie Euklids.“ (3)
Sie werden nun vielleicht denken: „Interessant, aber mich betrifft das nicht, da ich mich höchstens mit 200 km/h fortbewege oder meistens noch langsamer. Das betrifft ja nur Elektronen und sonstige schnelle Teilchen.“ Doch damit befinden Sie sich in einer Phantasiewelt.
Mit der verbreiteten Benutzung von Navigationsgeräten, basierend auf dem Global Positioning System GPS, hat die Relativitätstheorie - dem einzelnen bewußt oder unbewußt - längst Einzug in das tägliche Leben gehalten. Wenn man den Gang der Uhren auf den Satelliten nicht veränderte, so würde sich das Satelliten-Navigationssystem pro Tag um ca. 12 km, pro Woche also beinahe 80 km „vermessen“. Da nach Einstein die Zeit für sich schnell bewegende Körper sowie für solche, die sich weiter vom Zentrum der Gravitation bewegen, langsamer vergeht, gehen die Uhren auf den sich mit ca. 14.000 km/h bewegenden Satelliten um ca. 38 Millisekunden vor. Da das Licht für die komplizierten Positionsberechnungen den Weg Satellit-Erde-Satellit viele Male zurücklegt, summiert sich der Fehler auf die besagten 12 km pro Tag.
Quellen
1) Bernhard Riemann, „Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen“, Gesammelte Werke, Sändig Reprint, Vaduz
2) „Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, Gemeinverständlich“, Albert Einstein, Vierte Auflage, Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig 1919. Alle Beiträge Einsteins in den Annalen der Physik sind im Internet zugänglich unter http://www.physik.uni-augsburg.de/annalen/history/Einstein-in-AdP.htm.
3) Albert Einstein, „Mein Weltbild“, hg. v. Carl Seelig, Ullstein Taschenbücher-Verlag, Frankfurt/Main 1959, S. 143.
4) „Albert Einstein –Mythos und Realität“, Stratis Karamanolis, Elektra-Verlags-GmbH, München 1991.
5) „Begegnungen mit Einstein, von Laue und Planck – Realität und wissenschaftliche Wahrheit“, Ilse Rosenthal-Schneider, Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig 1988, übersetzt aus dem amerikanischen, „Reality and Scientific Truth“, Wayne State University Press, Detroit/Michigan 1981.
5) „Why Academicians Have Usually Failed in Economics”, Lyndon LaRouche, EIR, January 9, 2009, Vol. 36, No. 1
6) „Die elektrodynamische Revolution von Gauß und Weber”, Jonathan Tennenbaum, in FUSION – Forschung & Technik für das 21. Jahrhundert, 18. Jahrg., Heft 1/1997.
7) Carl Friedrich Gauß, Gesammelte Werke, Band 8, Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm Bessel, http://gdz.sub.uni-goettingen.de.
8) Albert Einstein, „Die Hypothese der Lichtquanten“, Ernst Battenberg Verlag, Stuttgart 1965.
9) „Albert Einstein und die Schweiz“, Carl Seelig, Europa-Verlag, Zürich 1952.
10) Einsteins Autobiographie, in: Paul Arthur Schilpp, „Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher“, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1955.
Lesen Sie hierzu bitte auch: Von der Ehrlichkeit gegenüber der Natur - Max Planck zum 150. Geburtstag - Neue Solidarität Nr. 18/2008 Wernadskijs Raumbegriff: Weiteres über die physikalische Raumzeit - Neue Solidarität Nr. 41/2007 Was ist Wärme? - 1. Teil - Neue Solidarität Nr. 17/2006 Was ist Wärme? - 2. Teil - Neue Solidarität Nr. 18/2006 |
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