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Aus der Neuen Solidarität Nr. 17/2008 |
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Von Marcia Merry Baker
Freihandel und Globalisierung sind schuld daran, wenn es jetzt weltweit zu Hungersnöten kommt. Mit der richtigen Politik könnte man jedoch auch kurzfristig genug Nahrungsmittel für die Welt erzeugen.
Auf der nördlichen Erdhälfte ist jetzt Saatzeit für Mais, Sojabohnen, Sommerweizen und anderes Getreide. Weltweit herrscht akute Knappheit und Hyperinflation bei Nahrungsmitteln, und eigentlich müßte eine konzertierte, weltweite Mobilisierung zur Steigerung der Nahrungsmittelerzeugung einsetzen - aber die findet nicht statt. Das einzige, was die Regierungen tun, ist, das Problem zu „studieren“. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium (USDA) erstellt Studien über das Ausmaß der „Versorgungslücke“, die durch das „Preisschock-Szenario“ bei Nahrungsmitteln entsteht. In der Februar-Ausgabe des USDA-Monatsmagazins Amber Waves heißt es, bald würden 30 Millionen Tonnen Getreide fehlen - genug, um 50 Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Dieses Getreide wird nicht da sein, egal zu welchem Preis. Mit einem Wort: Hunger.
Schuld daran sind nicht bloß schlechtes Wetter und Mißernten, auch nicht nur die gewaltige Warenspekulation und der Bio-Unsinn von Al Gore und Genossen. Die heutige Hungerkrise ist die Folge einer jahrzehntelangen menschenfeindlichen Landwirtschaftspolitik im Stile der alten Britischen Ostindiengesellschaft, die weltweit entscheidet, wieviel und welche Nahrungsmittel erzeugt werden, und damit auch, wo Menschen verhungern.
Man nennt diese britisch-imperiale Politik heute „Globalisierung“. Völker und Nationen werden ihrer grundlegendsten Rechte beraubt - allen voran des Rechts, ihre Souveränität so auszuüben, daß die Bevölkerung (und ihre künftigen Nachkommen) mit Essen und anderen lebensnotwendigen Dingen versorgt ist. Statt dessen werden die Nationen - wie die Kolonien des britischen Empire im 19. Jahrhundert - gezwungen, sich dem „Freihandel“ zu unterwerfen, wirtschaftliche Schutzmechanismen abzuschaffen und ihr Schicksal den „Marktkräften“ zu überlassen. Zölle werden verboten, Nahrungsmittelsubventionen werden verboten, und Wirtschaftshilfe wird davon abhängig gemacht, daß arme Länder sog. „cash crops“ anbauen, also Erzeugnisse, mit denen auf den Finanzmärkten spekuliert wird. Das Endresultat ist, daß die Nationen sich dem Willen der neoimperialen Finanzmächte unterwerfen müssen. Und dieser Wille besagt, daß es „zu viele“ Menschen gibt und die „überschüssige“ Bevölkerung sterben soll.
In sieben der letzten zehn Jahre lag die weltweite Getreideerzeugung unter dem tatsächlichen Verbrauch, deshalb liegen die weltweiten Nahrungsmittelreserven heute auf einem historischen Tiefstand. Hinzu kommt, daß seit einigen Jahren der Wahnsinn mit dem „Biotreibstoff“ um sich greift, so daß große Mengen an Mais, Rüben und Ölsaaten für die Herstellung von Treibstoffen statt für die Ernährung verwendet werden.
Damit einhergehend stiegen die Nahrungsmittelpreise, wozu die beispiellose Spekulation mit Nahrungsmitteln an den Warenterminbörsen das ihre beitrug. Hedgefonds und andere fielen über die Chicagoer Warenhandelsbörse, Handelsplätze in Kansas usw. her, weil im Finanzkrach mit reinen Geldgeschäften kein Gewinn mehr zu machen war.
So stieg der Reispreis explosionsartig an. Innerhalb von nur drei Monaten verdoppelte sich der Weltmarktpreis (Reis mittlerer Qualität aus Thailand gilt als Maßstab) von 360 auf 760 Dollar je Tonne. Im April wird er angesichts der dramatischen Verknappung und der fehlenden internationalen Anstrengungen gegen die Krise sicher weiter steigen.
Für immer mehr Menschen sind diese Nahrungsmittel einfach nicht mehr bezahlbar. „Die neuen Hungernden“ nennt man diese Menschen in der Soziologensprache, berichtete die Direktorin des Welternährungsprogramms WFP, Josette Sheeran. Bei einer Konferenz in Addis Abeba Ende März sagte sie: „Wir sehen ein neues Gesicht des Hungers. Wir sehen mehr Hunger in den Städten als je zuvor. Oft gibt es Lebensmittel in den Regalen, aber die Menschen können sie sich nicht leisten.“
Eine zutreffendere Bezeichnung wäre Völkermord. Schon im Februar kündigte das WFP an, wegen der Knappheit und der unkontrolliert steigenden Preise erstelle es Pläne, in diesem Jahr die Lebensmittelhilfe für 73 Mio. Menschen, die meisten in Afrika, zu rationieren. Einige würden verhungern.
Verschiedene Länder ergreifen derzeit Notmaßnahmen. Sie wollen versuchen, die Versorgung der Bevölkerung so gut es geht sicherzustellen und den einheimischen Verbrauch zu schützen, um die Not zu lindern und Hungeraufstände zu vermeiden.
Reis: Drei der größten Reisexporteure - Vietnam, Indien und China - haben die Ausfuhr verboten, um den einheimischen Verbrauch zu sichern.
Weizen: Zwei der wichtigsten Weizenexporteure der Welt haben Exportbeschränkungen verhängt: Rußland (vorerst bis Ende April) und Kasachstan (das sogar ein Exportverbot erwägt).
Viele Regierungen verfügen Rationierung und Umstieg auf Ersatzprodukte. In Bangladesch wird empfohlen, angesichts der Reisknappheit Kartoffeln zu essen. Auf den Philippinen hat die Regierung die Restaurants angewiesen, kleinere Reisportionen zu servieren.
Inzwischen kommt es jeden Tag irgendwo auf der Welt zu Hungeraufständen. In Haiti versuchte am 8. April eine wütende Menge, den Präsidentenpalast in Port-au-Prince zu stürmen. Sie skandierte „Wir haben Hunger“, nachdem die Preise für Grundnahrungsmittel innerhalb eines Jahres um 50% gestiegen sind. Eine Woche zuvor starben fünf Menschen bei Protesten in den Provinzstädten des hungernden Landes. In Afrika gab es umfangreiche Proteste in Kamerun, Mauretanien, Senegal, Burkina Faso und Mosambik. In Tansania sind 38% der Kinder aufgrund ihrer Unterernährung zwergwüchsig. Auch in Nordafrika gab es gewalttätige Proteste in Ägypten und Algerien.
Die drängende Frage ist nun: Läßt sich dieser katastrophale Marsch in den Hunger aufhalten? Die Antwort lautet, gemessen in Scheffeln, Litern und Tonnen: Ja! Selbst in dieser fortgeschrittenen Phase könnte man durch agroindustrielle Notmaßnahmen und internationale Zusammenarbeit kurzfristig Nahrungsmittel für Millionen Menschen schaffen, bis die Volkswirtschaften wieder soweit aufgebaut sind, daß die Versorgung sichergestellt ist. Als die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg ihre Kampagne „Victory Garden“1 starteten, um die Nahrungsmittelerzeugung zu steigern, entschieden Gremien aus der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie auf Ebene der Bundesstaaten und Gemeinden mit darüber, wie man die gesetzten Ziele erreichen konnte, wieviel Mittel und Arbeitskräfte dafür notwendig waren usw. Ähnlich könnte man es heute machen.
Um die landwirtschaftlichen Produktionsmittel aufzubringen, die für ein solches Sofortprogramm und auch längerfristig notwendig wären, muß die Finanzpolitik entsprechend geändert werden. Lyndon LaRouche forderte solche Änderungen am 17. März in seiner Erklärung „Drei Maßnahmen, um jetzt das Überleben zu sichern“, die als Massenflugblatt in den USA verbreitet wird. Dort wird dargelegt, nach welchen Prinzipien man den wirtschaftlichen Zusammenbruch überwinden und die Wirtschaftsaktivität wiederbeleben kann.
Punkt 1 verweist auf die notwendigen Maßnahmen des „Gesetzes zum Schutz der Eigenheimbesitzer und Banken“ (wir haben darüber in den letzten Monaten ausführlich berichtet). In Punkt 2 und 3 wird zusammengefaßt, wie der Kredit für den Wiederaufbau - auch für die Wiederbelebung der Agrarproduktion - geschöpft wird und wie man ein stabiles Weltfinanzsystem schafft, in dem nationale und regionale agroindustrielle Produktionssysteme aufgebaut werden können:
„2. Ein zweigleisiges Kreditsystem, in welchem a) die US-Regierung für realwirtschaftliche Aufschwungprogramme Kredite mit Zinssätzen von 1-2% zur Verfügung stellt, und b) alle anderen Formen von Kreditinjektionen mehr oder weniger flexible Zinsraten aufweisen.
3. Die US-Regierung muß sich in diesem Notstand sofort mit den Regierungen Rußlands, Chinas, Indiens und anderer Länder in Verbindung setzen, um ein Weltwährungssystem mit festen Wechselkursen zu schaffen, womit das hoffnungslos bankrotte gegenwärtige System freier Wechselkurse beendet wird.“
Zu den vielen Formen der auszuführenden kapitalintensiven Entwicklung, die dann im folgenden erwähnt werden, gehört auch der Aufbau von Industrie- und Landwirtschaftsregionen mit kleineren, produktiven Unternehmen anstelle riesiger Konzerne und monopolistischer Praktiken. „Diese [mittelständischen] Firmen müssen die tragenden Elemente in Wirtschaftsregionen von moderater Größe sein und als Triebfedern produktiver Entwicklung in Landwirtschaft und Industrie dienen.“
Gleichzeitig könnten die Regierungen die Spekulation unterbinden. In diesem Geiste könnte man dann auch trotz der akuten Verknappung wieder vermehrt Nahrungsmittelhilfe liefern.
Das große Hindernis im Kampf gegen den Hunger ist der Mythos vom „freien Markt“. Bisher haben die Politik und die Öffentlichkeit die jahrzehntelange Massengehirnwäsche über das „Primat der Märkte“ noch nicht wirklich abgeschüttelt. Eigentlich sollte dieser Bruch jetzt leicht fallen - schließlich ist die Welt der „Märkte“ zusammengebrochen.
Dennoch herrscht weithin immer noch der Globalisierungswahn, wonach der „freie“ (frei manipulierte) Markt die Menschen schon versorgen werde. Dieser Mythos wurde seit 1984 mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT zunehmend zum Gesetz. Multinationale private Interessen konnten durch „Agrarreformen“ den Anbau, die Verarbeitung und die Verteilung von Nahrungsmitteln „globalisieren“. Dies wurde dann mit der Gründung des Nordamerikanischen Freihandelspakts (NAFTA) 1994 und der Welthandelsorganisation (WTO) 1995 weiterverfolgt. Das zentrale Axiom dieser Politik war der GATT-Slogan: „Eine Welt, ein Markt“.
Nach diesem Motto wurden die Nationen gezwungen, ihre Getreidereserven, die Hilfen für ihre Landwirtschaft, ja selbst das Ziel einer Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln aufzugeben - nur weil das alles angeblich „den Markt verzerrt“. Nun sind wir an dem Punkt angelangt, wo die Nahrungsmittelkette gerissen ist und wo ein weiteres Festhalten an diesem Axiom gleichbedeutend mit Hunger ist. Um den Hunger überwinden zu können, müssen wir mit dem betrügerischen Spiel der Märkte Schluß machen.
Einen solchen Bruch fürchten aber die Vertreter der alten Ideologie. Das Sprachrohr der Londoner City, der Economist, führt eine entsprechende Einschüchterungskampagne. In der Ausgabe vom 29. März wurden Regierungen, die Maßnahmen zum Schutz der Nahrungsmittelversorgung ihrer Bevölkerung ergreifen, als „Getreide-Verbrecher“ beschimpft, weil sie damit Landwirten den Anreiz nähmen, „für den Weltmarkt zu produzieren“.
Damit vertritt der Economist die Linie des neuen britischen Empire der letzten Jahrzehnte. Der entscheidende Wandel kam in der Zeit von Premierministerin Margaret Thatcher in den 80er Jahren, als der Landwirtschaft weltweit die Bedingungen des extremen Freihandels und der Globalisierung aufgezwungen wurden.
Im folgenden geben wir einen Überblick über das Ausmaß der akuten Krise und über die wichtigsten Aspekte der jahrzehntelangen, von London ausgekochten Globalisierungspolitik, die uns an diesen Punkt gebracht hat.
Die Nahrungsmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigt auf ihrer Internetseite eine interaktive „Weltkarte des Hungers“ (www.fao.org/es/ess/faostat/foodsecurity/FSMap/map14.htm), wobei der volle Ausbruch der Hungerkrise allerdings noch bevorsteht. Derzeit schätzt man die Zahl der hungernden Menschen in den verschiedenen Teilen der Welt wie folgt:
Das sind insgesamt 852 Mio. Menschen - fast ein Siebtel der Weltbevölkerung -, die derzeit nicht genug zu essen haben.
Nehmen wir als Maßstab die wichtigsten Getreidesorten: Die erzeugte Menge liegt hier weit unter dem, was zur Deckung des Verbrauchs und als Reserve notwendig wäre. (Ähnlich ist es bei anderen Erzeugnissen der Grundversorgung wie Hack- und Hülsenfrüchten.) Jetzt, wo einige Nationen dem Weltmarkt weniger oder kein Getreide mehr liefern, um den einheimischen Bedarf zu decken, gibt es praktisch kaum noch Getreide für kommerzielle Importe und Hilfslieferungen.
Im gegenwärtigen Erntejahr 2007-2008 rechnet man der Februar-Schätzung der FAO zufolge mit einem Gesamtverbrauch von Getreide (Nahrungsmittel, Viehfutter, Biotreibstoff) von 2,12 Mrd. t, das sind 17,7 Mio. t mehr als im Jahr davor. „Den Weltreserven steht ein weiterer Rückgang von ihrem schon jetzt niedrigen Niveau bevor“, schreibt die FAO. „Man schätzt die weltweiten Getreidereserven zum Ende der Erntesaison 2008 auf nur noch 405 Mio. t - ein Rückgang um 22 Mio. t oder 5% vom schon reduzierten Niveau zu Saisonbeginn und der niedrigste Stand seit 1982.“
Sämtliche Getreidesorten sind knapp. Die Weizenvorräte der Vereinigten Staaten haben in absoluter Tonnage den niedrigsten Stand seit 1947.
Die Manie mit den Biotreibstoffen setzt diesem Trend die Krone auf. Sie reißt immer mehr Getreide und Ölsaaten aus der Nahrungsmittelkette. Wenn der Trend anhält, wird man 2008 bis zu 95 Mio. t Mais zur Äthanolherstellung verwenden - 12% der erwarteten Welternte. Hinzu kommen 10 Mio. t Weizen und anderes Getreide, das für Biotreibstoff verwendet wird. Die Kapazitäten für Äthanol aus Zuckerrohr in Brasilien und für Biotreibstoffe aus asiatischen und europäischen Ölsaaten sind da noch gar nicht mitgerechnet.
Die folgenden Zahlen aus der März-Ausgabe des monatlichen Berichts des USDA, World Agricultural Supply and Demand Estimates, geben einen knappen Überblick:
Reis: Die für Importe verfügbare Menge an Reis geht dramatisch zurück. Das USDA schätzt mit Stand vom März, daß der Reisexport weltweit von 30,85 Mio. t in der Saison 2006-07 auf 29,39 Mio. t zurückgehen wird. Dabei ist aber noch nicht berücksichtigt, daß große Reislieferanten die Ausfuhr inzwischen begrenzt oder ganz untersagt haben. 27 Mio. der 29 Mio. t Reis für den Welthandel und Hilfslieferungen kommen aus nur sieben Ländern, von denen inzwischen vier die Exporte beschränkt haben: Vietnam (liefert in einem normalen Jahr 5 Mio. t), Indien (3,5 Mio. t), China (1,3 Mio. t) und Ägypten (1,3 Mio. t). In Pakistan, das in den letzten Jahren jeweils rund 3 Mio. t exportierte, herrscht ebenfalls Knappheit.
Weizen: Die Gesamttonnage des weltweit gehandelten Weizens fällt von Jahr zu Jahr. 2005-06 waren es 116 Mio. t, im letzten Jahr 111 Mio. t. In diesem Jahr erwartet das USDA 105 Mio. t, dabei sind aber ebenfalls mögliche Exportrestriktionen nicht berücksichtigt. Die acht wichtigsten Weizenexportländer allein liefern davon insgesamt 96 Mio. t - aber 21 Mio. t aus Rußland und Kasachstan werden möglicherweise nicht auf den Markt kommen.
Unter diesen Umständen ist die Abhängigkeit zahlreicher Nationen von Nahrungsmittelimporten für den täglichen Bedarf gleichbedeutend mit Hunger und Tod. Gerade in den ärmsten Ländern der Welt sind besonders viele Menschen auf importiertes Getreide angewiesen, um ihren täglichen Bedarf an Energie und Nährstoffen zu decken.
Die Februar-Ausgabe von Amber Waves berichtete unter der Überschrift „Steigende Lebensmittelpreise verstärken Nahrungsunsicherheit in den Entwicklungsländern“ über eine Studie des Wirtschaftsforschungsdienstes (ERS) des USDA. In dieser Studie heißt es: „Um die Länder zu identifizieren, die von steigenden Getreidepreisen besonders stark betroffen sind, listete der ERS die 70 armen Länder geordnet nach der Abhängigkeit von Nahrungsmittel-Importen und dem täglichen Kalorienverbrauch auf. Sechs der ärmsten Länder (Eritrea, Liberia, Haiti, Georgien, Burundi und Simbabwe) hängen in ihrer Ernährung zu mehr als 40% von Getreideimporten ab und haben einen Durchschnittskonsum von weniger als 2000 Kalorien am Tag. Eritrea beispielsweise ist stark importabhängig: 87% des Getreides, 51% des pflanzlichen Öls und 100% des Zuckers. Die Exporteinnahmen decken Eritreas Importrechnungen nur zu 24%, der Rest kommt durch Hilfe von außen. Eritreas tägliches Kalorienangebot von 1465 Kalorien gehört zu dem niedrigsten der Welt...
Der Importanteil der Produktion [das Verhältnis der Importmenge zur im Land erzeugten Menge] der am wenigsten entwickelten Ländern der Welt (dies sind laut Definition 50 Staaten, von denen 32 im südlichen Afrika liegen) sprang für Weizen von 93% 1980 auf mehr als 130% 2005. Beim Zucker wuchs er von nur 4% 1980 auf mehr als 65% 2005. Ein ähnliches Muster sieht man bei Pflanzenöl, dessen Importanteil von 6 auf 80% stieg.“
Eines der am schwersten betroffenen afrikanischen Länder ist die Elfenbeinküste. Von 1990 bis Anfang dieses Jahrzehnts blieb dort die Getreideerzeugung konstant, während die Bevölkerung zunahm. Das USDA berichtet: „Um die Versorgung seiner wachsenden Bevölkerung mit Getreide aufrechtzuerhalten, wuchsen die Getreideimporte, und seit etwa fünf Jahren liegen sie praktisch gleichauf mit der Erzeugung.“ In Simbabwe ist die Getreideerzeugung seit 2000 auf die Hälfte zurückgegangen, womit die Importabhängigkeit und die allgemeine Anfälligkeit entsprechend zunahmen.
Die Versorgungslücke sieht man in aller Welt. In Mittel- und Südamerika sind Guatemala, Honduras und Peru besonders importabhängig. In Guatemala und Honduras wuchsen die Getreideeinfuhren seit 1990 um 10% pro Jahr. Das USDA berichtet: „Tatsächlich überstiegen die Getreideimporte die einheimische Erzeugung 2006 um 30%, in Guatemala um 55%.“
Jetzt gibt es keine Nahrung mehr zu kaufen. Das ist das Resultat einer vorsätzlichen Politik der Abhängigkeit vom Weltmarkt, die zum Völkermord führt.
1944 wurde auf der Konferenz zur Schaffung eines Finanzsystems für die Nachkriegswelt in Bretton Woods/New Hampshire auch vorschlagen, eine Internationale Handelsorganisation (ITO) zu gründen, die quasi nach dem Vorbild der Beziehungen des früheren britischen Empire zu seinen Kolonien den freien Handel zwischen den Nationen fördert. Dank des Widerstands der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, die entschieden dagegen waren, die Ausbeutung großer Teile der Welt im Stile der Vorkriegszeit wiedereinzuführen, wurde dieser Vorstoß abgeschmettert. Statt über die ITO sollte der Handel durch bilaterale und multilaterale Handelsabkommen zum gegenseitigen Nutzen der beteiligten Nationen geregelt werden.
Ganz in diesem Sinne setzte sich in den fünfziger und sechziger Jahren der Impuls zur wirtschaftlichen Entwicklung aus der Roosevelt-Ära durch und förderte den agroindustriellen Aufbau der Nationen und Regionen - einschließlich Nationen, die gerade erst unabhängig geworden waren.
Es gab hervorragende Leistungen in der Landwirtschaft. In den 60er Jahren war Mexiko ein Getreideexporteur und profitierte im Zuge der „grünen Revolution“, die vom Internationalen Zentrum für Weizen- und Maisforschung (CIMMYT) in Mexiko-Stadt ausging, in spektakulärer Weise vom Aufbau seiner landwirtschaftlichen Basis und deren Erträgen. Das erstrangige landwirtschaftliche Forschungszentrum entstand auf Initiative von Franklin Roosevelts Landwirtschaftsminister und Vizepräsident Henry Wallace, der selbst ein Pflanzengenetiker aus Iowa war. Zu den Entwicklungsprojekten in Afrika gehörten große Wasserregulierungsmaßnahmen am Weißen Nil, etwa der Bau des Jonglei-Kanals.
1974 wurde Indien - nicht zuletzt dank der Unterstützung mit Saatgut vom CIMMYT - erstmals in seiner Geschichte zum Selbstversorger mit Getreide. Das widersprach völlig den Weltuntergangsprognosen, die von der Propagandamaschine des nun „grün“ gewordenen neuen Empire verbreitet wurde. In seinem Buch Die Bevölkerungsbombe hatte Paul Ehrlich 1968 behauptet, es sei eine „Phantasie“, daß Indien sich „jemals“ selbst ernähren könnte.
Ähnliche Zentren wie das CIMMYT entstanden für die Erforschung und Entwicklung von Ölsaaten, Kartoffeln und anderen Erzeugnissen, insbesondere für Reis, wofür das Internationale Reisforschungsinstitut (IRRI) auf den Philippinen gegründet wurde. Ab Anfang der achtziger Jahre waren die Philippinen Selbstversorger mit Reis; der damalige Präsident Ferdinand Marcos hatte Pläne, die Produktivität der Landwirtschaft auf den Philippinen und in ganz Asien noch weiter zu verbessern.
Der Dachverband für CIMMYT, IRRI und ähnliche Einrichtungen nannte sich CGIAR - Konsultativgruppe für internationale Agrarforschung. Ihr Leitprinzip war, daß bei der Qualität des Saatgutes (Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, Ertrag und andere Eigenschaften) ständig Fortschritte gemacht werden sollten, damit die Weltbevölkerung dank hervorragender Agrarinfrastruktur und Anbaumethoden um Milliarden weiter anwachsen konnte.
Doch schon in den siebziger Jahren wurden die Aussichten schlechter. Zu den Ursachen dafür gehörten die Einführung der freien Wechselkurse, die technikfeindliche grüne Gehirnwäsche und ganz besonders die Politik von Privatisierung und Freihandel - Euphemismen dafür, daß eine kleine Finanzelite die wirtschaftlichen Aktivitäten globalisierte und kontrollierte.
In den achtziger Jahren, den „Thatcher-Jahren“ in England, kam es zur entscheidenden Wende. Die Regierung Thatcher deregulierte und privatisierte im Inland Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft - eine der Folgen dieser Demontage war der Ausbruch und die Verbreitung des Rinderwahns (BSE). International wurde die Forderung nach einer imperialen Welthandelsorganisation erhoben.
1984 wurde in Puente del Este die Uruguay-Runde des GATT-Abkommens der UNO in Gang gesetzt. Ihr Schwerpunkt lag auf der „Reform des Agrarhandels“, um grenzenlose Märkte zu schaffen, auf denen die Kartelle der multinationalen Konzerne das Sagen hätten. Die einzelnen Nationen sollten ihre Nahrungsmittel- und Agrarkapazitäten allein durch die „Kräfte des Marktes“ erhalten. In den Verhandlungen, die 1995 zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) führten, wurden die Nationen gezwungen, ihr Recht auf Nahrungsmittelreserven faktisch aufzugeben, weil solche Reserven als „marktverzerrend“ galten. Auch Subventionen für die Landwirtschaft wurden untersagt. Selbst das Ziel der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wurde als „marktverzerrend“ eingestuft und verboten.
Gleichzeitig sicherte sich ein kleines Kartell multinationaler Agrar- und Pharmakonzerne umfassende Patentrechte auf Saatgut und Methoden zu dessen Entwicklung - darunter die Firmen Monsanto, Cargill, DuPont und Novartis. Gleichzeitig wurden die Mittel für die Forschung zum Wohl der Allgemeinheit im CGIAR-Netzwerk so weit zusammengestrichen, daß es heute offenbar nur noch mit Spenden von Bill Gates oder Warren Buffett arbeiten kann. Es ist zwar schön und gut, wenn das Geld der Milliardäre auf diese Weise eine sinnvolle Verwendung findet, aber ein Ersatz für eine Politik im Dienste des Gemeinwohls ist das nicht.
Die WTO an sich gilt heute nur noch als eine Art lebende Leiche, aber den Schaden, der damit beabsichtigt war, hat sie angerichtet. In den letzten 35 Jahren kam es zu gewaltigen Änderungen der Land- und Bodennutzung, durch welche die weltweite Erzeugung und das Produktionspotential der Landwirtschaft weit unter das Niveau des tatsächlichen Bedarfs sanken. Riesige Landflächen gingen der Landwirtschaft verloren, während die Städte immer weiter ausuferten, statt sich in hochorganisierten Industrie-, Wohn- und Kulturzentren zu konzentrieren. Das gilt für China, Indien und die Philippinen genauso wie für die Vereinigten Staaten und viele andere Länder. China gab kürzlich bekannt, daß es in diesem Prozeß 7 Mio. Hektar Nutzfläche verloren habe, und es hat Maßnahmen gegen weitere Veränderungen der Landnutzung ergriffen.
Gleichzeitig wurden früher vielfältige, produktive Agrargebiete, wie es z.B. Argentinien Mitte des letzten Jahrhunderts war, in Monokulturen verwandelt. Vor 50 Jahren produzierte das Land in den Pampas und anderen Regionen Weizen, Rindfleisch, alle möglichen Obst- und Gemüsearten und Ölsaaten. Heute dient fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche Argentiniens nur noch dem Anbau von Sojabohnen. Brasilien ist zu einer ähnlichen riesigen Sojaplantage heruntergekommen, wozu noch die Zuckerrohrplantagen für den Äthanolrausch hinzukommen. Es gibt sogar schon Pläne, eine Äthanol-Pipeline von den Plantagen im Binnenland zu den Häfen zu legen, um es von dort ins Ausland zu verschiffen.
Hinter diesen Veränderungen stand stets dieselbe kleine Gruppe aus der Finanzwelt, wie Cargill, Bunge, ADM, George Soros u.a.
Alles folgt genau dem Vorbild der Britischen Ostindiengesellschaft, einer Diktatur der Wirtschaftspolitik durch private Interessen. Fast 300 Jahre lang, vom 17. Jahrhundert bis 1873, erzwang diese imperiale Bande in aller Welt wirtschaftliche Systeme, die ganz auf die Produktion dessen abgestellt waren, womit sie handeln und herrschen wollte: Indigo, Jute, Reis, Baumwolle, Gewürze und anderes. Die Politik der Britischen Ostindiengesellschaft in Indien ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man gezielt Hungersnöte schafft. So setzte die Gesellschaft 1857 eine Verlagerung der Erzeugung von örtlichen Farmen auf ausländische Plantagen durch, und der Hunger folgte auf dem Fuß. Lord Lytton, der britische Vizekönig von Indien während der großen Hungersnot 1877-79, sah tatenlos zu nach dem Motto: „Nur nicht in den Markt eingreifen.“
Höchste Zeit, dieses Übel abzuschaffen.
Anmerkung
1. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden die Privathaushalte in den USA, England und Kanada dazu angehalten, in ihren Vorgärten - den „Gärten des Sieges“ - Nahrungsmittel anzubauen, um den kriegsbedingten Druck auf den Nahrungsmittelmarkt zu reduzieren.
Lesen Sie hierzu bitte auch: Stoppt Gores Biotreibstoffpolitik, sonst gibt es ein Massensterben! - Neue Solidarität Nr. 17/2008 Eine Nahrungsmittel-Tragödie - Neue Solidarität Nr. 17/2008 Hungertod: Al Gores Biotreibstoffe sind schuld - Neue Solidarität Nr. 17/2008 Kissingers NSSM 200 - Neue Solidarität Nr. 17/2008 Weizenrost bedroht Eurasien - Neue Solidarität Nr. 17/2008 Weltweite Hungerkatastrophe! Biotreibstoffe sofort stoppen! - Neue Solidarität Nr. 16/2008 „Neugestalteter“ Reis bekämpft die Armut in Asien und im südlichen Afrika - Neue Solidarität Nr. 11/2007 Sei kein Bio-Narr - Neue Solidarität Nr. 5/2007 Äthanolschwindel im Kongreß - Neue Solidarität Nr. 5/2007 |
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