|
|
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |
|
Aus der Neuen Solidarität Nr. 48/2007 |
|
|
|
Der folgende Augenzeugenbericht über einen Zusammenstoß zwischen Präsident Franklin D. Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill stammt aus dem Buch As He Saw It von Roosevelts Sohn Elliott (1946).
Man darf dabei nicht vergessen, daß Churchill damals den Krieg führte, während Vater nur der Präsident eines Staates war, der seine Sympathien in greifbarer Weise zum Ausdruck gebracht hatte. Churchill beanspruchte immer noch die Leitung des Gesprächs und hatte in den Stunden nach dem Dinner das Sagen. Aber der Unterschied wurde allmählich spürbar.
Das trat erst in der Frage des Empire scharf zutage.
Vater [FDR] fing an.
„Natürlich“, bemerkte er mit listiger Selbstsicherheit, „natürlich wird nach dem Krieg die größtmögliche Freiheit des Handels eine der Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden sein müssen.“
Er hielt inne. Der P.M. (Premierminister) hielt den Kopf gesenkt und beobachtete Vater genau.
„Keine künstlichen Schranken“, fuhr Vater fort. „So wenig bevorzugte Wirtschaftsabkommen wie möglich. Gelegenheit zur Expansion. Offene Märkte für einen gesunden Wettbewerb.“ Seine Augen wanderten unschuldig durch den Raum.
Churchill bewegte sich in seinem Sessel. „Die Handelsabkommen des britischen Empire“, begann er schwerfällig, „sind...“
Vater unterbrach ihn: „Ja. Diese Handelsabkommen des Empire sind ein treffendes Beispiel. Ihretwegen sind die Völker Indiens und Afrikas, des gesamten kolonialen Nahen und Fernen Ostens, immer noch so rückständig.“
Churchills Nacken rötete sich, und er beugte sich vor. „Herr Präsident, England denkt keine Minute daran, seine Vorzugsstellung unter den britischen Herrschaftsgebieten aufzugeben. Der Handel, der England groß gemacht hat, soll weitergehen, und unter Bedingungen, die Englands Minister vorschreiben.“
„Sehen Sie“, sagte Vater langsam, „hier ungefähr wird es wahrscheinlich Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen, Winston, und mir geben. Ich bin fest überzeugt, daß eine Entwicklung der rückständigen Länder notwendig ist, wenn wir einen stabilen Frieden erreichen sollen. Der rückständigen Völker. Wie kann das geschehen? Es kann offensichtlich nicht mit den Methoden des 18. Jahrhunderts geschehen. Nun...“
„Wer redet von Methoden des 18. Jahrhunderts?“
„Jeder Ihrer Minister, der zu einer Politik rät, die Reichtum an Rohstoffen aus einem Kolonialgebiet herausholt, aber dem Volk des betreffenden Landes nichts dafür gibt. Methoden des 20. Jahrhunderts bedeuten, daß man Industrie in diese Länder bringt. Zu den Methoden des 20. Jahrhunderts gehört, den Wohlstand eines Volkes zu mehren, indem man seinen Lebensstandard erhöht, indem man sie ausbildet, indem man ihnen ein Sanitärwesen gibt, indem man sicherstellt, daß sie für die Rohstoffe ihrer Gesellschaft etwas bekommen.“
Wir alle im Raum beugten uns gespannt vor. Hopkins grinste. Commander Thompson, Churchills Mitarbeiter, blickte düster und alarmiert. Der Premierminister sah aus, als würde er vor Wut platzen. „Sie hatten Indien erwähnt.“
„Ja, ich kann nicht glauben, daß wir einen Krieg gegen die faschistische Sklaverei führen, und nicht gleichzeitig daran arbeiten, die Völker der Welt von einer rückständigen Kolonialpolitik zu befreien.“
„An den Wirtschaftsabkommen des Empire ist nicht zu rütteln.“
„Sie sind künstlich.“
„Sie sind die Grundlage unserer Größe.“
„Der Frieden“, sagte Vater entschieden, „kann keine Fortsetzung des Despotismus einschließen. Die Struktur des Friedens verlangt die Gleichberechtigung der Völker und wird sie schaffen. Zur Gleichberechtigung der Völker gehört die größtmögliche Freiheit des Wettbewerbs im Handel. Würde irgendjemand sagen, daß Deutschlands Versuch, den Handel in Mitteleuropa zu dominieren, nicht wesentlich zum Krieg beigetragen hat?“
Es war ein Streit zwischen den beiden Männern, der nicht zu lösen war...
[Das Gespräch wurde am folgenden Abend fortgesetzt:]
[Churchill] sprach, gestikulierte, und schließlich hielt er vor meinem Vater inne, schwieg einen Moment, sah ihn an und hielt ihm dann seinen kurzen Zeigefinger vor die Nase. „Herr Präsident“, rief er, „ich glaube, Sie wollen das britische Empire abschaffen. Alle Ihre Vorstellungen über die Struktur der Nachkriegswelt zeigen das. Aber trotzdem“ - hier zitterte sein Zeigefinger - „aber trotzdem wissen wir, daß Sie unsere einzige Hoffnung sind...“
Indem er das sagte, gab er zu, daß dann die britische Kolonialpolitik am Ende wäre, daß die britischen Versuche, den Welthandel zu beherrschen, am Ende wären und daß die britischen Hoffnungen, die UdSSR gegen die USA auszuspielen, am Ende wären.
Oder gewesen wären, wenn Vater noch gelebt hätte.
|
| Kernthemen | Suchen | Abonnieren | Leserforum |